Warum in die Ferne schweifen? – Fernreisen: Horizonterweiterung oder Klimakiller? – contra

von Thomas Henneberger

 

„Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen: Denn das Glück ist immer da.“
Der alte Goethe, von dem diese Zeilen stammen, hat einige Zeit gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen. Ist er doch in seinen jüngeren Jahren fast unentwegt auf Reisen gewesen. Seine Art zu reisen unterschied sich allerdings erheblich von einer durchschnittlichen heutigen Urlaubsreise – nicht nur wegen der zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel, sondern auch in der Dauer. Goethe wusste: Wer in die Ferne reisen will, wer das Fremde entdecken und erkunden will, der braucht dafür Zeit. Und so hat er sich für seine Reisen jeweils unglaublich viel Zeit genommen. Zeit, die einem Arbeitnehmer heute auch nicht annähernd in dem Ausmaß zur Verfügung steht.

Damit ist ein erster Punkt markiert, der Fernreisen heute problematisch macht: Der zeitliche Rahmen ist meist viel zu eng gesteckt. Das spürt, wer sich bei uns mokiert über jene Touristen aus Übersee, die Europa innerhalb von zwei Wochen erkunden wollen. Aber wer dann selber von hier losfliegt, um drei Wochen durch die USA zu reisen, der handelt keinen Deut vernünf­tiger oder sinnvoller.

Noch weit gravierender allerdings ist der ökologische Irrsinn, der mit Fernreisen verbunden ist, vor allem durch das Fliegen. Im Grunde weiß oder ahnt das fast jeder. Aber da nur wenige angemessene Konsequenzen daraus ziehen, muss ich hier ausdrücklich darauf eingehen: Da Flugzeuge das klimaschädliche Kohlendioxid in großer Höhe abgeben, wird dessen schädigende Wirkung verdreifacht. Laut Greenpeace schlägt deshalb ein Flug nach Teneriffa für den Klimawandel ähnlich zu Buche wie ein Jahr Autofahren. Oder in genaueren Zahlen ausgedrückt: Ein Tourist verursacht die Klimawirkung einer Tonne CO2 mit 17 000 Kilometern Bahnfahrt oder mit 7.000 Kilometern Autofahrt, mit einem Flug dagegen schon bei 3.000 Kilometern. (Diese und folgende Daten entnehme ich den SZ-Magazinen 2 und 4/2008.)

Eine Urlaubsreise mit der transsibirischen Eisenbahn bis an die Pazifikküste könnte man dar­um noch ernsthaft in Erwägung ziehen. Ein Urlaubsflug über eine vergleichbare Entfernung dagegen dürfte ökologisch schlicht nicht mehr zu vertreten sein. Z.B. eine Flugreise nach To­kio, die mich persönlich durchaus reizen würde, nachdem dem neuesten Michelin-Restaurant­führer zufolge Tokio sogar Paris als Mekka der Gastronomie abgelöst und überflügelt hat: Al­lein schon mit dem Hin- und Rückflug wäre ich für den Ausstoß von 6,8 Tonnen CO2 verant­wortlich – und das allein schon wäre deutlich mehr als die rund vier Tonnen pro Kopf im Jahr, die laut Zielvorgaben der UNO eigentlich nur vertretbar wären.

Bedenkt man zudem, dass jeder Deutsche pro Jahr im Durchschnitt rund elf Tonnen CO2 verursacht, und dass schon das laut Zielwert der UNO rund sieben Tonnen zuviel sind, kann es, zu­mindest unter ökologischen Gesichtspunkten, nach meinem Dafürhalten nur die Konsequenz geben, auf so etwas Unnötiges wie Fern- und zumal Flugreisen schlicht und einfach zu verzichten.

Solcher Verzicht dürfte allerdings um so leichter fallen, je mehr man entdeckt und sich be­wusst macht, dass das Gute, wie von Goethe behauptet, tatsächlich so nah liegt. Man braucht dabei nicht nur an die von Goethe selbst bevorzugten Reiseziele zu denken wie den Rheingau, den Harz oder die böhmischen Bäder. Sondern ganz in der Nähe, allein schon in unserem Bun­desland, ist so gut wie alles da, was man braucht, um richtig Urlaub machen zu können: Meer und Seen, Berge und weites Land, reizvolle Städte und ein reiches Kulturangebot.

Und das Wetter? Das ist meist gar nicht so schlecht, wie es gerne gemacht wird. Jedenfalls kein triftiger Grund dafür, in ferne südliche Gefilde zu fliegen und sich dort einer Bullenhitze unter praller Sonne auszusetzen.

PS: Von meiner Frau erfahre ich gerade, dass sie uns zur Silbernen Hochzeit eine Kurzreise nach New York schenken will. Was soll ich tun?

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2008

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