Café Oasis - Ein Seelsorge- und Kommunikationscafé der Schwarmstedter Kirchengemeinde in der Schule

von Sven Quittkat

 

Die Vorgeschichte

Am Anfang war … ein jahrelanger guter Kontakt zur örtlichen Schule. Unsere Besonderheit, man kann auch sagen unser Glück, in Schwarmstedt: Wir haben als Gegenüber neben vier Grundschulen nur eine weiterführende Schule. Die KGS Wilhelm-Röpke-Schule Schwarmstedt unterrichtet zurzeit bis zur zehnten Jahrgangsstufe, die Oberstufe wird 2009 beginnen. Man kannte sich also und wusste voneinander. Besuche bei der Schulleitung, Absprachen über Konfirmandenfreizeiten oder Schulgottesdienste hatten bereits ein gutes Klima entstehen lassen.

Da die Schule (etwa 1000 Schüler, ca. 80 Lehrkräfte) seit vier Jahren ihren Ganztagsbereich ausbaut, führten wir seit 2004 auch Gespräche über die Stellung des Konfirmandenunterrichtes im Ganztag.

Im Rahmen dieser Gespräche wurde auch die Frage nach einem weiteren kirchlichen Engagement im Ganztagsbereich gestellt. Ursprünglich suchte die Leiterin für den Ganztagsbereich nach der Möglichkeit, einen Sozialberatungsraum an der Schule einzurichten. In der Pause auf einem Kirchenkreistag zum Thema „Kirche und Schule“ entstand dann die Skizze zu einem Cafébetrieb mit seelsorgerlichem Gesprächsangebot.



Die Idee

Meine Erfahrungen als Pastor in einer ländlichen Gemeinde zeigen mir: Viele Gespräche, auch seelsorgerlicher Art, sind „Tür-und-Angel-Gespräche“. Ich rede mit meinen Gemeindegliedern über den Einkaufswagen hinweg, auf dem Parkplatz des Supermarktes, auf der Strasse, von Fahrrad zu Fahrrad … Menschen erzählen mir vor oder hinter der Kasse „mal eben“ ihre Lebensgeschichte. Auffällig sind das Vertrauen und die Vertraulichkeit, die (immer noch oder immer wieder) einem kirchlichen Vertreter entgegengebracht wird. Und: Viele sind zufrieden mit einer punktuellen Wahrnehmung ihrer Person „auf der Straße“, die ja eher zurückhaltend und zuhörend ist. Viele haben nicht das Bedürfnis, sich bei mir aufs Sofa einzuladen und eine Gesprächsreihe zu beginnen.

Ähnliches erlebe ich mit konfirmierten Jugendlichen. Man grüßt sich auf dem Weg, und bleibe ich stehen und signalisiere Zeit und Interesse, bin ich innerhalb von Minuten auf dem neuesten Stand ihrer Lebensgeschichten. Vielleicht nicht bei allen, aber bei vielen.

Aufgrund dieser Wahrnehmung entstand der Gedanke, eine niederschwellige seelsorgerliche Möglichkeit für Jugendliche einzurichten. Seelsorgerlich deshalb, weil an Betreuungs- und Freizeitangeboten kein Mangel herrscht. Und niederschwellig, weil organisierte Beratung mannigfach vorhanden ist, auch im ländlichen Bereich. Was aber ist, wenn diese Gespräche „zwischendrin“ die eigentlich wichtigen sind? Und oftmals die ausreichenden?



Der Zündfunke

Die beste Idee nützt nichts, wenn sie niemand ausführt. In der Zeit unserer ersten Planungen und Überlegungen kam uns zu Hilfe, dass wir mehrere Mitarbeitende im Blick hatten, die sich für einen seelsorgerlichen Dienst unter Jugendlichen eigneten. Wir hatten als Kirchengemeinde bereits Kontakte zum Missionswerk Operation Mobilisation (OM) aufgenommen, das überlegte, ein Jugendmitarbeiterteam nach Norddeutschland zu senden. Da zwei unserer Jugendmitarbeitenden vor einigen Jahren zu OM gegangen waren, luden wir nun unsererseits das Jugendteam nach Schwarmstedt zum Mitleben ein.

Eine Ehrenamtliche machte eine dreijährige Seelsorgeausbildung. Wir hatten sie öfter auf Konfirmandenfreizeiten dabei, wo sie ihre seelsorgerliche Begabung einsetzen konnte. Ein Sozialpädagoge im Kirchenkreis war auf eine Dreiviertelstelle gekürzt worden, hatte also Arbeitskapazitäten frei. Diese Menschen haben wir gesehen und mit ihnen über eine mögliche Arbeit an der Schule gesprochen.



Die Planung

Recht schnell waren wir mit der Schulleitung über die Konzeption einig, die wir in einem ersten Entwurf im April 2005 einreichten. Die Schulleitung begrüßte ein christliches und ethisch positioniertes Engagement an ihrer Schule. Von Beginn an wurde eine enge Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeiterin und der Schulleitung vereinbart.

Wir bauten in dieser Phase auf eine frühzeitige Transparenz dem Lehrerkollegium sowie den Schülern und Eltern gegenüber, damit eventuelle Vorbehalte gegen kirchliches Engagement an der Schule geäußert werden konnten. Erstaunlicherweise kam allerdings nichts Kritisches – zumindest nicht öffentlich. Doch wir wissen darum, dass wir als Kirche nicht nur unvoreingenommen an der Schule gesehen und empfangen werden.

Vor allem der Standort des Cafés in der Schule musste im weiteren Verlauf geklärt werden. Zu Beginn des Projekts gingen wir von einem abgeschlossenen Raum aus, der bestimmte Öffnungszeiten haben sollte. Dies konnte sich aufgrund der Raumnot an der Schule nicht einrichten lassen. Dafür bot uns die Schule ein Foyer im ersten Stock an, eine Freifläche, die es umzugestalten galt. Dachten wir zunächst, wir müssten aus der Not eine Tugend machen, so sehen wir inzwischen die große Chance in der frei zugänglichen Fläche: Die Schwelle in das Café hinein ist sehr niedrig, und auch in den Zeiten, in denen das Café nicht geöffnet hat, können es die Schüler und Schülerinnen als Sitzfläche nutzen. Das einzige Problem, das bislang noch nicht gelöst ist: Es gibt keinen Wasseranschluss im Tresenbereich.

Nach zehn Monaten Vorbereitungszeit, vielen Gesprächen, Spendensammlungen und Umbauarbeiten konnte am 13. Februar 2006 das Café Oasis eröffnet werden.



Oasis – ein kirchliches Café an der Schule

Der Name Oasis steht für Quelle: Oasis soll zunächst ein­ ­ mal ein schöner Ort sein, an dem man sich wohl fühlen, neue Kraft schöpfen, zur Ruhe kommen, aufatmen kann. Die Hintergrundbemalung ist der Entwurf einer Wüstenlandschaft einer Künstlerin, mit der örtlichen Kunstschule und Schülerinnen der KGS wurde die Wandgestaltung realisiert. Große Kästen sind mit Palmen bepflanzt und dienen zugleich als Abtrennung und als Sichtschutz. Zwischen den Pflanzkästen kann man an verschiedenen Stellen in den Cafébereich eintreten und sich an Tische setzen oder eine Sitzlandschaft aufsuchen.

Der Rahmen eines Cafébetriebes spricht eine Einladung aus, einfach vorbei zu kommen und Freistunden oder Mittagspausen zu verbringen. Das Café bietet kleine, fast ausschließlich fair gehandelte Snacks und Getränke an, am Tresen können Spiele ausgeliehen werden. Man kann seine Schularbeiten im Café machen oder Jonglierstäbe ausleihen und damit üben. Und natürlich gibt es immer wieder: Gespräche, Austausch, Kommunikation.

Zurzeit nutzen in den Pausen etwa 30 bis 50 Schülerinnen und Schüler das Café. In den Frei- und Mittagsstunden sind es je nach Wochentag und Stunde etwa fünf bis 20 Jugendliche, die Oasis als ihren Aufenthaltsort wählen. So besuchen bis zu 100 Schülerinnen und Schüler täglich unser Café. Besonders schön ist für uns: Ab und zu setzt sich mal ein Lehrer oder eine Lehrerin ins Café, lässt sich einen Tee servieren und tankt ein wenig auf. Oasis halt – gern auch für die Lehrkräfte …



Vernetzung

Die Kirchengemeinde Schwarmstedt geht mit diesem Café mehrfach neue Wege:

  • Wir wagen es, Gast zu sein an der Schule. Für uns bedeutet dies: Wir haben keine eigenen Räume, sondern bekommen die Fläche des Cafés leihweise zur Verfügung gestellt. Wir binden uns ein in den Schulbetrieb: Zeiten und Regeln geben die Schule vor. Wir werden nicht nur von den Schülern, sondern vor allem auch von den Lehrkräften und den Eltern wahrgenommen. Man kann dies als „Leben auf dem Präsentierteller“ verstehen und als Herausforderung, für alle diese Menschen freundlicher Gesprächspartner zu werden.
  • Die Schule unterstützt das Projekt ideell und finanziell: Einige Anschaffungen sind von der Schule oder dem Förderverein getätigt worden. Die Schulleitung hat das Projekt von Anfang an inhaltlich unterstützt und gefördert. Die Lehrkräfte nehmen wahr, dass das Ambiente von Oasis und die Mitarbeitenden eine positive Wirkung auf die Jugendlichen ausüben.
  • Wir sind das Joint-Venture mit der Missionsgesellschaft Operation Mobilisation (OM) eingegangen. Für drei Jahre ist uns ein Ehepaar von OM stundenweise „ausgeliehen“. Sie wohnen in Schwarmstedt und sind stundenweise im Café als Seelsorger und Streetworker tätig.
  • Wir lassen uns fremdfinanzieren. Das Projekt Oasis muss komplett mit neu zu erwerbenden Spendenmitteln auskommen. Wir haben zwei Banken und u.a. den Rotaryclub vor Ort zur Mithilfe gewinnen können. Die Landeskirche Hannover hat das Projekt unterstützt, so dass wir für ein Jahr eine 400-Euro-Kraft für den Cafébetrieb anstellen konnten.




Erfahrungen

Was unsere Mitarbeitenden vermitteln: „Wir haben Zeit, wir sind für euch Schüler und Schülerinnen da.“ So spielen sie mit den Jugendlichen, reden Englisch, helfen bei Hausaufgaben, bringen Raufende ab und an mal auseinander, üben mit den Jugendlichen ein, den Papierkorb zu benutzen und vieles mehr.

Zwei unserer Männer im Team sind Ausländer – ein Südafrikaner und ein Äthiopier. Allein dadurch hat unser Café schon ein internationales „afrikanisches“ Flair. Durch eine Kickerturnierwoche im Mai 2006 anlässlich der Fußballweltmeisterschaft haben wir auch ausländische Jugendliche als Gäste im Café. Vielleicht haben sie sich anfangs nicht in ein „kirchliches“ Café getraut? Diese Hemmschwellen konnten wir mittlerweile abbauen.

Anfangs haben wir unsere Mitarbeitenden aufgeteilt in „Seelsorgekräfte“ und „Thekenkräfte“. Wir haben festgestellt: Den Jugendlichen ist dies egal. Auch die Thekenkräfte müssen seelsorgerlich zuhören können, wenn sie das Vertrauen der Schüler und Schülerinnen gewonnen haben. Und umgekehrt: Auch die Seelsorgekräfte packen hinter der Theke mit an und müssen sich dort auskennen.

Durch den Ganztag und die installierten Mittagszeiten haben wir an jedem Tag und in den einzelnen Stunden unsere „Stammgäste“. So gibt es Jugendliche, die nur dienstags oder mittwochs vorbei kommen und dann eine Stunde lang bei einem Tee ihre Hausaufgaben erledigen. Andere schauen nur zu den großen Pausen vorbei und holen sich ein Getränk oder ein Stück Obst. Und dann gibt es noch ganz besondere Stammgäste, die sind fast täglich und immer wieder im Café: weil sie kaum Freunde haben, nicht wissen wohin, weil zu Hause keiner auf sie wartet, weil … Das sind die, für die wir als Kirche da sind, immer schon da waren. Denn wer nimmt sich sonst für sie Zeit? Wir sehen also nach etwa einem Jahr: Oasis ist nötig, weil die zu uns kommen, die ein Wahrnehmen und Ansprache nötig haben.



Feedback

Immer wieder hören wir von Jugendlichen wie von Erwachsenen: „Bei euch ist es schön.“ Die Atmosphäre aus Wandgestaltung in Rot- und Sandtönen und großen Zimmerpflanzen ist eine auffallend andere Gestaltung zu den sonstigen Schulbereichen. Beruhigend und anregend zugleich sollen die Farben wirken. Minimalistisch ist ansonsten die restliche Einrichtung: keine weiteren Poster oder Plakate, keine besondere Werbung, keine Hintergrundmusik. Wer etwas möchte, muss fragen, mit uns ins Gespräch kommen.

Zugleich achten wir auf Sauberkeit und ordentlich gestelltes Mobiliar – eine kleine Sisyphusarbeit im täglichen Schulbetrieb. Doch wer eine Oase schaffen will muss bei diesen Dingen anfangen. Denn diese „Kleinigkeiten“ haben große Wirkung im Verhalten der Jugendlichen.

Mittlerweile wurde uns von einigen Lehrkräften zurück­ gemeldet, dass unsere Mitarbeitenden auch mit als „schwierig“ eingestuften Schülern in guter Weise umgehen. Wir wollen mit unseren Gästen einen freundlichen, rücksichtsvollen Umgang pflegen, zugleich aber auch einüben.



Der Seelsorgeschwerpunkt

Wir üben uns in den oben angesprochenen „Tür-und-Angel-Gesprächen“. Wir müssen glücklicherweise keine Statistik führen, wie viele Seelsorgegespräche wir geführt haben. Wir können niederschwellig arbeiten und wissen doch: Es gab schon genug Gespräche zu verschiedenen Themen, die gut und wichtig waren. Liebeskummer, Selbstwertgefühl, Schulnoten, Probleme zu Hause, Scheidung, Mobbing, alles kommt vor. Wir müssen nichts weitersagen, aber wir können anbieten, Hilfe zu vermitteln. Wir erfahren: Das Vertrauen wächst. Als nächste Schritte planen wir Projekttage oder AGs zu Themen wie „Mobbing“, „Ich bin draußen“ oder „Der da ist anders“.



Zum Nachahmen empfohlen?

Vier wichtige Faktoren waren gegeben, damit Oasis starten konnte:

  1. Das Suchen der Schule nach Partnern für den Ganztagsbereich,
  2. eine grundsätzliche Offenheit der Schulleitung Kirche gegenüber,
  3. mögliche kompetente Mitarbeitende zur richtigen Zeit,
  4. unsere eigene Bereitschaft, neue Wege in der Jugendarbeit zu beschreiten.

Unser Konzept ist deshalb sicherlich nicht auf alle übertragbar. Ich muss auch gestehen: Es hat viel Arbeit bereitet. Und es macht noch Arbeit, ein Café zu betreiben, Sponsoren zu finden und zu betreuen, mit den Mitarbeitenden immer wieder neue Absprachen zu treffen, sich immer wieder auch in die Schule aufzumachen, Kontakte zu halten, im Schulbetrieb, zu den Schulfesten und Tagen der offenen Tür präsent zu sein. Und dennoch: Es macht auch sehr viel Spaß! Wir sind ein ständiger Gast an der Schule. Wir haben im Schulbetrieb eigentlich nichts zu sagen, aber zugleich eine Jokerfunktion, die wahrgenommen wird und Wirkung zeigt.

Es lohnt sich, über folgende grundsätzliche Strukturen nachzudenken, wenn Kirche – wie auch immer – an die Schule geht:

  • Kirche erreicht Lehrer, Schüler, Eltern. Kirche beheimatet sich in einem Raum, der viele Menschen und Familien viel direkter beschäftigt als die kircheneigenen Räume.
  • Kirche verbringt Zeit mit Jugendlichen dort, wo diese immer mehr Zeit ihres Tages verbringen: an der Schule. Besonders im Hinblick auf die zunehmenden Ganztagsschulen wird sich die Freizeit der Jugendlichen immer weiter einschränken. Immer mehr Hobbies und Freizeitbeschäftigungen werden über die Schule laufen. Kirche ist klug, sich auch dort zu positionieren, wo die Jugendlichen sind.
  • Kirche wird anders wahrgenommen, wenn sie in die Schulräume geht. Man kann sagen: Sie ist ja nur noch ein Anbieter unter vielen anderen (Ganztags-)Anbietern. Aber man kann auch sagen: Sie ist ein Anbieter, und kein Verweigerer. Und: Kirche hat etwas anzubieten, was andere nicht anbieten können.
  • Kirche hat unschlagbare Kompetenzen: im seelsorgerlichen Gespräch, in der ethischen Ausrichtung, in der Verbindung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitenden. Kirchengemeinden können relativ unkompliziert Anstellungsträger werden für Ein-Euro-Jobs, nebenamtliche Kräfte, Honorarkräfte. Wo und für wen nutzen wir diese Möglichkeiten?


Das Café Oasis ist übrigens zunächst für drei Jahre eingerichtet. Wir machen gerade unsere Erfahrungen in einem neuen Bereich, der sich für kirchliches Handeln geöffnet hat. Wir sind gespannt, wie es weitergehen wird. Soviel können wir aber sagen: Kirche an der Schule? Es lohnt sich.

Zum Café Oasis im Netz siehe auch die Homepage der KGS Schwarmstedt: www.kgs-schwarmstedt.de oder die Internetseite der Landeskirche Hannover www.evlka.de, unter „best practice“, Stichwort: Schülerarbeit.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2007

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