Die Aufgabe
An vielen Orten sitzen zur Zeit die Kolleginnen und Kollegen in den Fachkonferenzen zusammen, um einen schuleigenen Lehrplan zur Arbeit im Religionsunterricht nach den neuen Vorgaben des Kerncurriculums zu erstellen. Da das Kerncurriculum eine neue Generation von Lehrplänen darstellt, ist diese Arbeit mit besonderen Mühen verbunden. Sie besteht darin, die dort formulierten "erwarteten Kompetenzen" als verbindliche Orientierung für die Auswahl der Inhalte und Unterrichtsthemen eines Schuljahres aufzunehmen. Neu ist, dass nicht mehr Rahmenrichtlinien oder Lehrpläne die verbindlichen Inhalte vorgeben, sondern das Kerncurriculum lediglich einen Rahmen setzt, der quasi als "Messlatte" für die Auswahl der Inhalte fungieren soll.
Kompetenzorientiert unterrichten – was heißt das?
In erster Linie ist damit ein Perspektivenwechsel gemeint. Es gilt nicht mehr allein den Unterricht von "vorne" zu bestimmen durch die Formulierung von Zielen bzw. Intentionen, sondern verstärkt darauf zu achten, was am Ende des Unterrichts tatsächlich bei den Kindern angekommen ist.
An diesem Punkt liegt bereits das erste Missverständnis: Kompetenzen ersetzen nicht prinzipiell Ziele von Unterricht. Kompetenzen versuchen die sichtbaren Ergebnisse von Unterricht zu beschreiben, ohne dass der Anspruch erhoben wird, das "Ganze" von Unterricht zu erfassen. Welche Bedeutung die Begegnung mit biblischen Texten für das Selbst- und Weltverständnis des Kindes tatsächlich hat, kann nicht in einer Kompetenzformulierung erfasst werden. Bestimmbar sind aber methodisch reflektierte Formen der Begegnung und des Umganges mit biblischen Texten.
Und ein zweites Missverständnis gilt es auszuräumen: die im Kerncurriculum formulierten Kompetenzen bestimmen den Kompetenzerwerb am Ende der zweiten bzw. vierten Jahrgangsstufe. Sie bilden also keine "Messlatte", die das Ergebnis einer Unterrichtseinheit bzw. einer Unterrichtsstunde festlegt.
Trotzdem hat das Denken in Kompetenzen auch Folgen für die einzelne Unterrichtsstunde bzw. für die einzelnen Unterrichtseinheiten, da der Blick auf den Lernertrag in starkem Maße den Unterrichtsprozess bestimmt.
Die Kompetenzbereiche des Kerncurriculums
Das Kerncurriculum formuliert zu jeder Leitfrage vier Kompetenzen, in denen die prozessbezogenen Dimensionen religiösen Lernens "mitgedacht" werden, ohne diese sprachlich ausweisen zu können. Dies ist erst auf der Ebene der Bestimmung der inhaltlichen Struktur einer Unterrichtseinheit möglich (M 1). Erst hier wird deutlich, ob wirklich alle Dimensionen religiösen Lernens im Unterricht zum Tragen kommen. Die prozessbezogenen Kompetenzbereiche – wahrnehmen/ beschreiben usw. – sind prinzipiell nichts Neues, sondern haben schon immer guten Religionsunterricht bestimmt. Neu ist aber, dass jetzt curricular abgesichert wird, was schon immer angestrebt war. Ein Unterricht, der lediglich die biblischen Geschichten bekannt macht, reicht nicht aus. Die Dimensionen des Verstehens und Deutens, des Kommunizierens und Teilhabens, des Gestaltens und Handelns sollen zum Wahrnehmen und Beschreiben immer dazu kommen und bereits bei der Planung mit bedacht werden. Das bedeutet, dass die Unterrichtseinheiten ein mehrdimensionales Gefüge darstellen. Sie berücksichtigen alle Wege des Lernens, manchmal auch verschiedene inhaltliche Zuordnungen (Leitfragen) und bauen immer mehrere Kompetenzen auf. Es führt nicht weiter, den im Kerncurriculum formulierten einzelnen Kompetenzen Inhalte oder Unterrichtseinheiten zuzuordnen; das Ergebnis wäre eine Flut von Unterrichtsstoffen.
Vor allen Jahres- und Stoffverteilungsplänen steht also die Arbeit, solche mehrdimensionalen Unterrichtseinheiten zusammenzustellen oder zumindest zu denken. Dabei kommen den Lehrkräften ihre Erfahrungen zugute, aber es helfen auch vorhandene gute Unterrichtsmaterialien und Schulbücher.
Der Weg zum schuleigenen Lehrplan
Im Folgenden schlagen wir einen pragmatischen Weg zur Erstellung eines schuleigenen Lehrplans vor.
In einem ersten Schritt wären den sechs Leitfragen und zugehörigen Kompetenzen Unterrichtseinheiten zuzuordnen, die als notwendig erachtet werden und zu den Leitfragen zu "passen" scheinen. Hier geht es um eine grobe Zuordnung, die die oben genannte Mehrdimensionalität im Blick hat, aber noch nicht im Detail überprüft. Rein rechnerisch könnte man für jede Leitfrage zwei Einheiten, d.h. für jedes Schuljahr eine, aufführen. Es stellt sich nach unseren Beobachtungen aber heraus, dass den Leitfragen 2 und 3 (nach Gott fragen, nach Jesus Christus fragen) mehr als zwei Einheiten zugeordnet werden müssen und dass andere Leitfragen mit weniger Einheiten auskommen, was die Vorgehensweise jedoch nicht grundsätzlich in Frage stellt. Insgesamt sollten jedoch nicht mehr als sechs bis acht Einheiten pro Schuljahr benannt werden, damit genügend Freiraum für Spontanes, für Feste und Feiern und regionale Besonderheiten bleibt.
Das Ergebnis in Bezug auf die Leitfrage 2 könnte wie folgt aussehen:
Leitfrage 2: Nach Gott fragen
Erwartete Kompetenzen | Unterrichtseinheit und Inhalte |
Die Schülerinnen und Schüler
| Gottes Schöpfung – unsere Welt (1. Schuljahr)
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Gott wendet zum Guten – Josef und seine Brüder
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Abraham und Sara vertrauen Gott (1. Schuljahr)
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Jesus erzählt von Gott – Der gute Hirte und das verlorene Schaf
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Bei genauerem Hinsehen und in der späteren Arbeit wird sich herausstellen, dass diese Art von Planerstellung spätere Korrekturen nach sich zieht. So wird man sehr schnell merken, dass in nahezu jeder Unterrichtseinheit nicht nur die eine Ausgangsleitfrage eine Rolle spielt, sondern dass andere mit hineinspielen. So werden andere Kompetenzen mit erreicht und möglicherweise die ursprünglich aufgeführten nur ansatzweise.
Das führt zu einem zweiten Schritt: Wir überlegen jetzt, welche weiteren Kompetenzen der Unterrichtseinheit zugeordnet werden können und damit die Feinplanung des Unterrichts orientieren werden. Zusätzlich erfolgt eine Bestimmung des Zeitraumes für die jeweiligen thematischen Festlegungen. Die Verteilung auf das Jahr erfolgt nach den üblichen Gesichtspunkten und nach Berücksichtigung der Ferienzeiten. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht mehr als 70 bis höchstens 80 Prozent der Unterrichtszeit verplant werden dürfen.
Auch an dieser Stelle wird deutlich: Es ist prinzipiell nicht möglich, Unterrichtseinheiten aus den Kompetenzen direkt abzuleiten. Der Grund ist einfach zu bestimmen: die Formulierungen der Kompetenzen bewegen sich "oberhalb" der Ebene der Unterrichtseinheit, sie sind – im Jargon des Kompetenzansatzes gesprochen – "überdimensioniert" und lassen sich unterschiedlichen thematischen Entscheidungen zuordnen.
Aus all diesen Überlegungen folgt ein Raster für den schuleigenen Plan, der für das 2. Schuljahr im Folgenden konkretisiert ist:
2. Herbstferien bis Weihnachten
Leitfrage(n) und erwartete Kompetenzen i.S. des Kerncurriculums:
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3. Weihnachten bis Ostern
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4. Ostern bis Schuljahresende
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Vom schuleigenen Lehrplan zur Unterrichtseinheit
Der schuleigene Plan ist ein Ergebnis, das nach und nach weiter konkretisiert und angereichert werden muss. Zu wünschen wäre es, dass im Laufe der Zeit gut durchdachte, mehrdimensionale Unterrichtseinheiten entstehen, in denen die zu unterscheidenden Dimensionen religiösen Lernens angemessen berücksichtigt werden.
Der Planungsvorgang kann in zwei Schrittfolgen beschrieben werden:
Eine im schuleigenen Lehrplan ausgewiesene Unterrichtseinheit (s. o.) wird entfaltet, indem in einem ersten Schritt den Inhalten der konkrete Kompetenzerwerb für die jeweilige Einheit unter Berücksichtigung der Dimensionen religiösen Lernen zugeordnet wird (M 1). Dabei geht es noch nicht um Methodisches, um Texte oder Lieder, sondern die Formulierung des Kompetenzerwerbs erfolgt unabhängig davon und zeitlich vor den Überlegungen zur Methode.
Erst der zweite Schritt besteht darin, den Unterricht auch methodisch zu planen und Wege aufzuzeigen, die zum Erwerb der benannten Kompetenzen führen (M 1, rechte Spalte).
Abschließend können mögliche Aufgaben bestimmt werden, die den Kompetenzerwerb überprüfen (M 2). Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um Prüfungsaufgaben, die zur Zensierung herangezogen werden. Es geht vor allem darum, der Lehrerin bzw. dem Lehrer eine Rückmeldung zu geben, wie weit in dem erteilten Unterricht die formulierten Kompetenzen erreicht wurden. Diese Rückmeldung kann selbstverständlich auch durch andere Formen erfolgen (Rollenspiele, Collagen, Pro-Contra-Diskussionen usw.).
M 1
Ein Beispiel für die Berücksichtigung der Dimensionen religiösen Lernens bei der Planung einer Unterrichtseinheit
Thema der Unterrichtseinheit: (siehe schuleigener Lehrplan)
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Inhalte | Kompetenzerwerb in der Unterrichtseinheit | Wege zum Kompetenzerwerb (Methodische Zugänge) |
Leben und Aufgaben
Gefühle des Verlorenseins und der Freunde über
Psalmworte als Gebete | Die Schülerinnern und Schüler |
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M 2
Ein Beispiel für Aufgaben zur Überprüfung des Kompetenzerwerbs
1. Beschreibe das Bild! Wen siehst du? Was geschieht auf dem Bild?
2. Jesus hat eine Geschichte über Gott erzählt, die zu dem Bild passt. Erzähle sie!
3. Die Geschichte will etwas über Gott sagen. Was könnte das sein? Die Geschichte will uns sagen, dass Gott …
4. Stell dir vor: Das Schaf kann denken und sprechen. Wähle aus den zwei Psalmtexten den aus, den das Schaf am Ende der Geschichte sprechen würde! Male einen bunten Rand um den einen Text!
Danke, du guter Gott. | Du bist bei mir, Gott, |
5. Stell Dir vor, du willst einem guten Freund Mut machen! Wähle aus dem Psalm etwas aus, was du ihm sagen könntest!
Schreibe einen Satz so auf, wie du ihn an deinen Freund schreiben würdest. Du darfst dazu den Psalmtext verändern.
Erwartungshorizont:
Aufgabe 1: Die Aufgabe ist erfüllt, wenn die menschliche Gestalt und das Schaf erkannt und benannt worden sind, wenn die gefährliche Situation in irgendeiner Weise beschrieben worden ist.
(Anforderungsbereich: Reproduktion)
Aufgabe 2: Die Aufgabe ist erfüllt, wenn die Schülerinnen und Schüler das Gleichnis vom verlorenen Schaf in den Grundzügen erzählt haben.
(Anforderungsbereich: Reproduktion)
Aufgabe 3: Die Aufgabe ist erfüllt, wenn mindestens eine passende Aussage über Gott dem Gleichnis zugeordnet wurde (kümmert sich, sorgt für, sucht nach, Gott ist wie ein guter Hirte o.ä.)
(Anforderungsbereich: Erklärung, Deutung)
Aufgabe 4: Die Aufgabe ist erfüllt, wenn das rechte Kästchen bunt umrandet wurde, da nach dem Gebet am Ende der Geschichte gefragt wurde (Ps 46).
Wenn das erste Kästchen ausgewählt wurde, sollte das Kind um eine Erläuterung gebeten werden.
(Anforderungsbereich: Problemlösung, Beurteilung)
Aufgabe 5: Die Aufgabe ist erfüllt, wenn ein Satz in Anlehnung an den Psalm so aufgeschrieben wurde, dass er als Mut machend für den Freund verstanden werden kann.
(Anforderungsbereich: Transfer, Beurteilung)