In der Albert-Schweitzer-Schule Hannover-Linden haben christliche und muslimische Kinder im vierten Schuljahr gemeinsamen Religionsunterricht gehabt. Und so sollte auch am Ende der Grundschulzeit eine gemeinsame religiöse Abschiedsfeier stehen. Drei vierte Klassen mit zum Teil über 70 Prozent muslimischen Schülerinnen und Schülern aus zehn verschiedenen Ländern – da entstand die Idee zu einer gemeinsamen Segensfeier.
Religionsdidaktische Überlegungen
Das Bedürfnis von Kindern, an wichtigen Lebensstationen, an Scheidepunkten des Lebens, in einer Feierstunde Zuspruch zu erfahren, ist groß. Sie mögen sich bei einem solchen Fest auch gern den Anderen mit ihrem Können präsentieren. Außerdem vergewissern sie sich dabei der Gemeinschaft, die sie vier Jahre lang getragen hat, und hoffen, dass die Freundschaften zu den Mitschülern auch über die Grundschulzeit hinaus halten werden.
Im Laufe des letzten Grundschuljahres sind die Schülerinnen und Schüler zunehmend von der bevorstehenden Trennung beeinflusst. Das macht sich z.T. in Aggressivität, in Konflikten im Klassenverband und im sonstigen Schulleben bemerkbar. Die Kinder spüren den Leistungsdruck durch Schullaufbahnempfehlungen und Zeugniszensuren. Es kommt zu Konkurrenz, Streitereien und Traurigkeiten auch unter Freunden. Wie gut ist es, wenn dann im Religionsunterricht über all diese Gefühle gesprochen werden kann! Hier hat sich der gemeinsame Unterricht bewährt. Diese Gespräche konnten mit der gesamten Klasse geführt werden, in einer vertrauten Gruppe, in der die Schwächen und Stärken des Einzelnen am besten bekannt sind. Es wurde deutlich, dass sowohl christliche als auch muslimische Schülerinnen und Schüler die gleiche Angst vor der Trennung von Freunden und vom vertrauten Umfeld haben.
Was liegt da näher, als all diese Gefühle in einem Fest aufgehoben zu wissen?
"Ein Fest stiftet Gemeinschaft zwischen den Menschen…, hat also integrierende Funktion; verändert Gedanken und Gefühle der Menschen; verdichtet und aktualisiert gute Erinnerungen."1 Hans Freudenberg macht deutlich, dass das Fest aus religiöser Sicht keine menschliche Erfindung, sondern eine Gabe Gottes ist.
Feste und Feiern im Jahreskreislauf oder auch im Lebensverlauf sind sowohl den christlichen als auch den muslimischen Kindern bewusst (Weihnachten, Ramadan-Fest, Taufe, Beschneidungsfest usw.). Sie sind von Gott geschenkte Zäsuren im Jahres- und Lebenslauf. Feste können als Besinnung auf sich selbst, als Neuerleben der Gemeinschaft und als Geschenk Gottes an die Menschen verstanden werden. Bei einem Fest oder einer Feier kann der tägliche Frust, die Bedrückung, die Angst vor der Zukunft aufgehoben und vor Gott gebracht werden.
Der Sinn eines Festes am Ende des vierten Schuljahres leuchtet aus der inneren Situation der Kinder ein. Die Schülerinnen und Schüler haben im Laufe ihres Religionsunterrichts erkannt, dass in den Geschichten der Bibel die Menschen in ihren Krisen von Gott begleitet werden und, obwohl sie nicht immer richtig handeln, trotz allem Gottes Segen und Zuspruch erhalten. So war es bei Abraham, bei Jakob, bei Josef. Diese Figuren des Alten Testaments sind auch den muslimischen Schülerinnen und Schülern bekannt. Ihnen war aber auch bewusst, dass die Menschen des Alten Testaments, die für die Muslime Propheten sind, von Gott eingesetzte, von Gott begleitete Menschen waren.
So war es den Kindern wichtig, sich den Segen auch von einem Pastor und einem Imam zusprechen zu lassen. Sie hatten diese Geistlichen, die dann eingeladen wurden, beim Besuch einer Moschee und der Kirche kennen gelernt. "Unsere eigenen Wünsche wollen wir aufschreiben und aussprechen. Aber sie gehen doch ein bisschen mehr in Erfüllung, wenn der Segen dabei ist." So argumentierte eine Schülerin. Und schon waren wir bei der Planung einer interreligiösen Segensfeier oder, wie die Kinder sagten, einer "Gute-Wünsche-Abschiedsfeier" für die vierten Klassen.
Unterrichtspraktische und methodische Überlegungen
Welche Elemente sollten nun bei der Vorbereitung der Feier bedacht werden? Raum, Zeit(en), Ordnung, Brauchtum, Kleidung und Essen/Trinken werden von Freudenberg als Bestandteile für die Planung und Gestaltung eines Festes genannt. Da es für eine solche Feier noch keine Tradition oder kein Vorbild gab, konnten wir die Gegebenheiten der Schule nutzen und die Vorschläge und Wünsche der Kinder einbeziehen.
Das Fest sollte aus zwei Teilen bestehen: Erstens einer Feierstunde mit Lied, Darstellung der Klassen, Segensworten von Pastor und Imam und Grußworten der Schulleitung. Dabei sollte die Kreismitte mit den persönlichen Wünschen der Schülerinnen und Schüler gestaltet werden. Und zweitens eine Festtafel mit den mitgebrachten Speisen aus den Herkunftsländern der Kinder.
Für Feste und Feiern werden "seit früher Zeit geheiligte Räume und Orte ausgewiesen, die in besonderer Weise das Bedürfnis nach Feierlichkeit erfüllen."2 Da hier jedoch weder Kirche noch Moschee genutzt werden konnten, wählten wir den Musikraum der Schule für die Feierstunde und den Flur für die lange Tafel zum gemeinsamen Essen. Der zeitliche Rahmen betrug drei Schulstunden mit einer großen Pause. In den ersten zwei Schulstunden fanden die Vorbereitungen sowie die Feierstunde statt. Und nach der großen Pause begaben wir uns alle, einschließlich Pastor und Imam, an die Festtafel.
Die Kinder wünschten sich für die Festordnung Rituale, Lieder und Inhalte, die ihnen aus dem Religionsunterricht vertraut waren und die sie für sich als wichtig und wohl auch tröstlich erfahren hatten. Ein Anfangsritual im Religionsunterricht war das Herumgeben eines Kerzenleuchters, der dann in die Kreismitte gestellt wurde. Dabei wurde ein Wunsch oder auch eine Bedrückung _oder eine besondere Freude mitgeteilt. Diese "Wunschrunde" sollte nach Meinung der Kinder unbedingt aufgenommen werden.
Ihre Wünsche für die Zukunft wollten die Schüler gern aufschreiben, und so gestaltete jeder ein "Wunschband" auf einem Stoffstreifen. Zur Vorbereitung konnte hier Fächer übergreifend gearbeitet werden. Mit der Kunstlehrerin entstand dann auch die Idee, die Bänder an einem langen Tau zu befestigen und in die Schulhofbäume zu hängen.
Da Lieder, Musik und auch Tanz ein fester Bestandteil des Religionsunterrichts waren, durfte auch bei unserer Feier ein Lied nicht fehlen. Mit Hilfe der Musiklehrerin fanden wir unser Abschiedslied und ließen es von der türkischen Lehrerin ins Türkische und von Schülern oder Eltern in verschiedene andere Sprachen übersetzen (M 1).
Bei den vielfältigen Vorbereitungen und Planungen ist zu beachten, dass die angesprochene Dimension einer Feier, in der die Schüler aus der Erinnerung heraus ihre Sorgen und ihren Dank ausdrücken und in ihren Unsicherheiten und Ängsten für die Zukunft durch Segen und Gebet gestärkt werden, konzeptionelle Grundlage dieser Abschiedsfeier bleibt.
Drei Bausteine zur Planung des Festes
Die Feier hat die drei Gestaltungselemente Gedichtpantomime, Lied und Gebet, die im Folgenden als Bausteine für das Festprogramm beschrieben werden.
"Vor Gott sind wir alle gleich"
Die erste der drei Klassen, die Klasse 4a, war fasziniert, als ihr im Laufe des Religionsunterrichts bewusst wurde, aus wie vielen verschiedenen Ländern und Kulturen ihre Klasse und der ganze Jahrgang zusammengesetzt waren. Diese Klasse bereitete das Gedicht "Ein deutsches Kind, ein türkisches Kind … drücken beim Spielen ihre Hände in Lehm…" vor (M 2).
Im ersten Schritt legten die Kinder den Namen ihres Landes in Schönschrift geschrieben um den Leuchter in der Mitte und zeichneten dazu das Symbol ihrer Religion. Für die Christen hatten wir das Kreuz und für die Muslime den Halbmond eingeführt. Eine Erzählrunde zum Thema "Was ich über mein Land weiß" schloss sich an. Zum Teil hatten die Kinder zu Hause auch ihre Eltern befragt und Sprachbeispiele für Begrüßung und Abschied mitgebracht. Ein intensiver und Interesse weckender Austausch entstand unter den Kindern. Sie erfuhren auf diese Weise mehr über ihre Klassenkameraden als in den vier Jahren zuvor. Dazu wurde gemalt, gezeichnet und geschrieben, es wurden Fotos aufgeklebt. Aus diesen Arbeiten der Schülerinnen und Schüler und aus den mitgebrachten Gegenständen entstand im Klassenraum eine kleine Ausstellung.
Ein nächster Schritt war das Lesen des Gedichtes und die Erarbeitung des Sprachbildes "Hände in Lehm…". Den Kindern wurde im Gespräch und im Nachspielen dieses Gedichts deutlich, dass es keine Unterschiede zwischen den Händen gibt und dass folglich auch keine Unterschiede zwischen den Kindern aus den verschiedenen Ländern zu machen sind. "Vor Gott oder Allah sind wir alle gleich. Er will, dass wir uns alle vertragen", formulierte eine Schülerin. Das Gedicht wurde von den Schülern ergänzt durch die Nationen, die noch in den anderen beiden Klassen vertreten waren. Die Lehrerin für türkische Muttersprache übersetzte das Gedicht dann ins Türkische.
Bei dem Vortrag in der Feierstunde präsentierten die Schüler eine Lehmform mit Handabdrücken von Kindern aus drei verschiedenen Ländern. Durch dieses Werkstück und eine Pantomime zum Gedicht wurde die Grundaussage "wir sind vor Gott alle gleich" auch für die Zuhörer deutlich.
"Er hält die ganze Welt in seiner Hand"
Die Klasse 4b hatte sich intensiv mit dem Thema "Schöpfung bewahren" auseinander gesetzt. Sie wollte das Lied "Er hält die ganze Welt in seiner Hand" auf ihre Situation umdichten (M 3). In einer vorausgegangenen Unterrichtseinheit war diesen Schülerinnen und Schülern besonders die Gefahr der Zerstörung der Umwelt bewusst geworden. Ihnen wurde deutlich, dass der Mensch gegen den Auftrag Gottes verstößt, die Tiere und die Pflanzen zu bewahren und Frieden mit allen Völkern zu halten.
In Gruppen dichteten die Kinder eigene Strophen zur Melodie des bekannten Liedes3. Die Aufgabe war dabei, die ihnen wichtigen Bereiche der bedrohten Schöpfung anzusprechen und dabei die Abschiedsfeier und den Wunsch an Gott, er möge diese Dinge in der Hand halten, im Auge zu behalten. Die Texte der Kinder wurden dann der ganzen Klasse vorgetragen, im Gespräch erläutert und wo es nötig war, sprachlich geglättet bzw. der Melodie angepasst.
Die Kinder gestalteten dann im Kunstunterricht Plakate zu ihren Versen. Sehr eindrucksvoll wurden durch diese Kunstarbeiten die Texte noch einmal interpretiert. Es kamen durch die zum Teil sehr detailliert und liebevoll ausgestalteten Werke auch die Zukunftsängste und Nöte dieser Kinder zum Ausdruck.
Das Lied wurde bei der Feier von allen Anwesenden gesungen. Die Gruppen dieser Klasse stellten zu ihrem jeweiligen Text ihre Plakate vor. Es entstand eine eindrucksvolle Visualisierung der Probleme dieser Welt.
"Not der Kinder in der Welt"
Die Klasse 4c hatte bei dem Thema "Not der Kinder in der Welt" spontan Gebete schreiben wollen. Diese Gebete (M 4) schrieben sie als Fürbitten für die Feierstunde um und trugen sie dann vor. Diese Klasse, in der es selbst viele Problemkinder gab, hatte immer in besonderer Weise einen emotionalen Bezug zu Themen wie Armut, Leid und Krieg.
Durch frühere Unterrichtseinheiten zu den Themen "Not in der Welt" und "Albert Schweitzer" – Namensgeber unserer Schule – war den Schülern und Schülerinnen bewusst geworden, dass es Menschen gibt und gab, die auch in entfernte Gegenden der Welt gereist sind, um den Kranken und Armen dort zu helfen. Wie sieht es nun heute in Afrika, Lateinamerika, Asien aus? Aus dieser Fragehaltung heraus beschäftigten wir uns mit dem Thema "Kinderarbeit und Kinderarmut". Zunächst wurden Texte gelesen, in denen Kinder von sich und ihrer Armut, dem Ausgebeutetsein, der Arbeitslosigkeit und der fehlenden Schule erzählen.4 Wir ordneten den Ländern und Kontinenten Bilder von Menschen und den dort vorhandenen Problemen zu. Ein Kreislauf der Armut wurde bearbeitet und Ideen gesammelt, was zu tun ist, um den Menschen aus diesem Teufelskreis heraus zu helfen. Hilfsorganisationen und Projekte wurden vorgestellt. Dabei wurde deutlich, dass den Kindern Organisationen, wie "Brot für die Welt" bekannt waren und dass es auch unter den Muslimen Hilfsprojekte z.B. für Erdbebengebiete gibt. Ein "Eine-Welt-Laden" in der Nähe der Schule wurde besucht. Über einen Schüler, dessen Vater Kontakte nach Afrika hatte, entstand ein Kleidersammelprojekt.
Die Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler war deutlich zu spüren. In dieser Situation äußerten die Kinder spontan den Wunsch: "Wir möchten für diese Kinder in den armen Ländern beten und wir wollen diese Gebete aufschreiben." Dass dabei die christlichen Kinder sehr offen ihre Sorgen dem "lieben Gott" mitteilten und die Muslime ihre z. T. sehr innigen Bitten an "Allah" richteten, schaffte gute Verbindungen und ein großes Vertrauen in dieser Klasse.
Das Fürbittengebet für die Abschiedsfeier wurde aus diesen Gebeten zusammengestellt und von einigen Schülern dieser Klasse gesprochen. Nach diesen Gebeten entstand eine nachdenkliche Stille.
M 1 Lied "Shalom Chaverim" | |
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Türkisch: Güle güle arkadas, Güle güle arkadas, Baus olsun Hoscakalin, hoscakalin, Baris olsun | Griechisch: Jassu jassu philemo. Jassu jassu, afise Irine Pane stokalo. Pane stokalo, afise Irine |
M 3 Er hält die Welt in seiner Hand Er hält die Städte und die Länder – in seiner Hand Er hält das Wasser und das Feuer – in seiner Hand Er hält die Kinder und die Eltern – in seiner Hand Er hält die Welt in seiner Hand. Er hält die Länder und die Menschen – in seiner Hand Er hält die Armen und die Reichen – in seiner Hand Er hält die Bösen und die Guten – in seiner Hand Er hält die Welt in seiner Hand. Er hält das Leben und den Tod Er hält die Erde und Natur – in seiner Hand Er hält die Pflanzen und die Tiere – in seiner Hand Er hält Welt in seiner Hand. Er hält die Schülerinnen und Schüler – in seiner Hand Er hält die Lehrerinnen und Lehrer – in seiner Hand Er hält die ganze große Schule – in seiner Hand Er hält die Welt in seiner Hand. Er hält die Kontinente – in seiner Hand Er hält die Deutschen und die Türken – in seiner Hand Er hält die Griechen und die Spanier – in seiner Hand Er hält die Welt in seiner Hand. Er hält Albaner und die Serben – in seiner Hand Er hält die Syrer und Libanesen – in seiner Hand Er hält die vielen armen Länder – in seiner Hand Er hält die Welt in seiner Hand. |
M 4
Gebet für Kinder in Afrika
vorgetragen von Klasse 4c
Lieber Gott,
Wir sind Kinder der Albert-Schweitzer-Schule.
Albert Schweitzer ist nach Afrika gezogen und hat dort den armen Menschen geholfen.
Wir wissen, dass es auch heute dort Menschen gibt, die hungern und im Krieg leben.
Weil wir an sie denken, haben wir ein Gebet geschrieben.
Allah,
Hilf den armen Kindern, die so schwere Arbeit machen müssen!
Mach, dass es keine Kinderarbeit mehr gibt!
Mach, dass diese Kinder auch zur Schule gehen können und Freunde finden!
Gott,
Gib diesen Familien Arbeit, dass sie genug zu essen haben!
Gib diesen Familien Arbeit, dass sie sich Schuhe für die Füße kaufen können!
Gib diesen Familien Arbeit, dass sie den Arzt bezahlen können!
Gib ihnen Kraft und hilf, dass sie nicht hungern müssen.
Allah,
Rühre unsere Herzen an!
Lass uns nicht zu viel für uns bitten, weil wir noch Schuhe an den Füßen haben!
Lass uns für die bitten, die keine Schuhe haben!
Anmerkungen
- Freudenberg, Hans (Hg.): Feste feiern mit Religionsunterricht praktisch, Göttingen 1996, S. 8
- a.a.O., S. 10
- Hartenstein, Markus/Mohr, Gottfried (Hg.): Liederbuch für die Jugend, Gütersloh 1999, S. 517
- Steinwede, Dietrich: Religionsbuch Oikoumene 3, Düsseldorf 1995, S. 114 ff.