'Wo du hingehst, da will ich auch hingehen ...' – Eine Weggeschichte für Erwachsene

von Jeannette Eickmann

 

Der Übergang von der Grundschule zu den weiterführenden Schulen ist für Kinder, Lehrkräfte und Eltern ein großer Einschnitt, der oft mit ambivalenten Gefühlen und Erwartungen verbunden ist. Es ist ein Abschluss erreicht, der viele Kinder mit Stolz erfüllt, der zumindest das Größer werden und Weiterkommen markiert. Das heißt einerseits, dass Abschied genommen werden muss; Abschied von Personen, die vertraut oder auch weniger vertraut geworden sind, und Abschied von Gewohnheiten, die in vier Jahren mit der Schulzeit, mit Pausenzeiten, mit Schulwegen, Schulräumen, Klassenfahrten usw. entstanden sind. Das heißt andererseits und gleichzeitig, Neues in den Blick zu nehmen und mehr oder weniger mutig auf die Herausforderungen der zukünftigen Zeit zuzugehen. Die Lehrerinnen der Grundschule Holle wollten dieses Ende der Grundschulzeit nicht lediglich mit der Herausgabe der Abschlusszeugnisse oder einem wie auch immer gearteten Klassenfest wahrnehmen, sondern wie den Beginn der Grundschulzeit in einem Gottesdienst feiern und darin die Möglichkeit anbieten, sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden und Gottes Begleitung zu erbitten. In einem vorbereitenden Gespräch trafen sich die Schulleiterin und Religionslehrerin für den evangelischen Religionsunterricht, Gesa Godbersen-Wittich, eine Lehrerin für den katholischen Religionsunterricht, Isolde Sohbi, und die Pastorin Rosemarie Giese, um den Abschlussgottesdienst zu planen. In die praktischen Arbeiten wurden dann die beiden anderen Religionslehrkräfte Emmeli Bohnsack und Gisela Suden eingebunden.

Von den Religionsgruppen der drei vierten Klassen sind in einem großen selbsterstellten Schul-Lebensbuch in der Vorbereitung einige Erinnerungen an Ereignisse der vergangenen vier Jahre zusammengestellt worden. Das Buch besteht aus zwei Außenseiten aus Holz von ca.1 m Höhe und 60 cm Breite, die mit Metallringen verbunden sind. Dazwischen – ebenfalls an den Ringen befestigt – befinden sich ebenso große Pappseiten, die von den Kindern gestaltet wurden. Im Gottesdienst sollen die von den Kindern ausgewählten und dokumentierten Ereignisse noch einmal ins Bewusstsein gerückt werden. Der Grundgedanke, der dahintersteht, ist der, dass unter dem Zuspruch des Segens und der Begleitung Gottes möglicherweise auch im Rückblick die Geschehnisse in einem anderen Licht erscheinen. Das kann Kraft wecken, die neuen Wege ebenfalls unter diesem Segen zu bewältigen.

 

Gottesdienstordnung

  1.  Musik zum Eingang
  2. Begrüßung
  3. Eingangsgebet
  4. Lied: Danke für diesen guten Morgen (EG 334)
  5. Gebet zu Psalm 139
  6. Lied: Du bist da, wo Menschen leben
  7. Aktion Schullebens-Buch
  8. Lied: Schenk uns Zeit
  9. Ansprache mit Hinführung zur Segenshandlung
  10. Segnung der Kinder in den einzelnen Klassen mit Handauflegung
  11. Lied: Bewahre uns Gott (EG 171)
  12. Fürbittengebet – Vater unser
  13. Segen
  14. Wunschlied zum Abschluss
  15. Musik zum Ausgang

 


Gebet zu Psalm 139

(auf dem Liederzettel)  
Im Wechsel von den je zwei Seiten neben dem Mittelgang zu sprechen:

 

Gott, du kennst mich. Wenn ich sitze oder aufstehe, weißt du das.

Du verstehst meine Gedanken schon von weitem.

Ich gehe oder liege, und du bist um mich herum.

Du hältst deine Hand über mir und kannst mich nicht verlieren.

Du hast mich im Bauch meiner Mutter geformt. Danke, dass ich wunderbar gemacht bin.

Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht fertig war,

 

Alle:
... und alle meine Tage sind in deinem Buch aufgeschrieben. 

 

Aktion: Schullebens-Buch

Einführung: "Wir sind vier Jahre zusammen in die Grundschule gegangen. Vier Jahre – das sind 728 Schultage. Wir haben viel erlebt an diesen Tagen. Von dem, was wir sicherlich in Erinnerung behalten, haben wir etwas aufgeschrieben und dazu gemalt. Daraus ist ein Buch entstanden, ein Buch über unsere Grundschul-Tage. Alle Religionsgruppen haben daran mitgearbeitet."

Mit einigen erläuternden Sätzen werden die einzelnen Buchseiten vorgestellt:

  1. Einschulung
  2. Erstes Schuljahr
  3. Sonnenblume
  4. Forum
  5. Klassenfahrt
  6. Klassenstreit
  7. Reginas Unfall
  8. Arbeitsgemeinschaften
  9. Unser Beet
  10. Korkensammlung
  11. Besuch bei der Feuerwehr
  12. Leere Seiten

 "Einige Seiten in unserem Buch sind noch leer. Diese Seiten sind gedacht für die Schulzeit, die jetzt vor uns liegt. Auf diese Seiten wollen wir all das schreiben, was wir uns für die neue Schule wünschen, was wir befürchten und worauf wir uns freuen."

Diese Aktion wurde im Unterricht vorbereitet, so dass entsprechende Sätze bereits auf Papierstreifen geschrieben werden konnten.

Ein Kind sagt einen Satz und klebt ihn an. Alle, die ähnliche Äußerungen haben, heften ihre dazu.

 

Hier einige Beispielsätze:


Ich habe Angst, dass ich keine Freunde finde.

 


Ich habe Angst, dass die anderen mich nicht mitmachen lassen.

 


Ich freue mich auf viele neue Mitschülerinnen und Mitschüler.

 


Ich freue mich auf meinen neuen Schulweg.

 


Ich wünsche mir, dass ich gut in der Schule bin.

 


Ich wünsche mir, dass ich nette Lehrerinnen und Lehrer bekomme.

 

Ansprache

Liebe Kinder, liebe Erwachsene,

in einem Buch stehen Geschichten; das habt ihr schon lange gewusst, Bildergeschichten, Märchen, lustige Geschichten, ernste Geschichten, spannende Geschichten.

Früher musstet ihr euch Geschichten vorlesen lassen. Das war sehr schön und das ist immer noch schön, aber jetzt könnt ihr euch Geschichten auch selber vorlesen, könnt euch eine Geschichte schnappen und sie euch einverleiben – komisches Wort, aber wie soll man das sonst sagen, sie euch reinziehen, hineinkriechen – also: Beim Selber lesen macht ihr die Geschichte zu eurer Geschichte. Eine Geschichte, die wir selber gelesen haben, gehört uns ein bisschen, die vergessen wir nicht so schnell.

In den letzten vier Jahren ist aber noch etwas ganz Besonderes passiert; das haben wir ja gerade mit euch erlebt, mit eurem großen Buch, durch die Bilder und Erinnerungen: Ihr habt eine eigene Geschichte, die ihr selber erinnert.

Das ist anders als früher beim Angucken eines Photoalbums, "Mama, wer ist denn das?" "Ach, das bist du doch, Neele!" "Ich? Das kann nicht sein, die ist doch so klein."

Jetzt wisst ihr so etwas ganz allein: "Ja, das war früher, damals, weißt du noch, Alexander, als wir in der dritten Klasse das Waldprojekt gemacht haben und Annika den Regenwurm essen wollte, und ich in die Pfütze fiel, und, und, und." Es gibt jetzt eure Geschichte, ihr habt Geschichten und könnt davon erzählen.

Was es auch schon die ganze Zeit gab, aber was ihr jetzt selber erzählen könnt, ist Gottes Geschichte mit euch und eure Geschichte mit Gott. "Damals lag ich im Krankenhaus und es ging mir schlecht, aber jetzt bin ich wieder gesund geworden." "Einmal bin ich beinahe vors Auto gelaufen, ich weiß nicht, wie das gekommen ist, auf einmal war das Auto neben mir. Es konnte noch bremsen, ein Glück." "Ich hab mir so einen kleinen Bruder gewünscht und Mama hat gesagt, das geht nicht, und dann ist Mama doch schwanger geworden und Jens ist geboren, das war toll."

Wir haben eine Geschichte und Gott schreibt seine Geschichte mit uns. In der Bibel, in diesem großen Buch wird die Geschichte von Gott und den Menschen erzählt, da gibt es auch solche wie dich und mich, nur hießen die nicht Yvonne und Max, sondern Abraham und Hagar, Jakob und Rachel.

Es hilft, wenn wir sehen: Gott hat eine Geschichte mit Menschen, auch in der Bibel: Menschen fallen auf die Nase und stehen wieder auf und es gibt Hilfe, und das tut gut. Und manchmal fühlen wir uns klein und allein, und dann ist da doch eine oder einer und sagt: Ich bin dein Freund, ich bin deine Freundin.

Wenn Gott zu uns sagt: Ich bin dein Freund, ich bin deine Freundin, dann nennen wir das Segen. Segen ist Gottes Umarmung. Wir wollen euch nun an Gottes Umarmung erinnern. Kommt nach vorne, damit wir euch segnen.

Gott segne dich und deinen Tag, jeden Morgen neu.

(Rosemarie Giese)

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2004

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