Wenn zwei sich streiten, schlichtet der Dritte – Mediation und Konfliktschlichtung in der Schule

von Evelyn Schneider

 

Die Klasse ist schon im Raum. Der Unterricht kann beginnen, nur Sabrina fehlt. Die Unterrichtende fragt nach und erhält von Nadine zur Antwort: »Die darf nicht mit rein, die stinkt!«

Auf dem Pausenhof ist eine Schlägerei: Der sonst schüchterne Sven hat Torben angegriffen, beide kämpfen erbittert. Als die Lehrkraft einschreitet, sind die Verletzungen schon schlimm. Die Eltern müssen benachrichtigt werden.

Dimitri wartet im Klassenraum auf Vladimir. Auf den Platz neben ihm stellt Lars seinen Rucksack ab und geht noch einmal raus. Als Vladimir kommt, nimmt er den Rucksack und stellt ihn einen Platz weiter. Lars sieht das: »Ey du fucking Ausländer, nimm deine stinkenden Hände von meinem Rucksack!«

Streiten ist Alltag in den Schulen. Das war schon immer so und angesichts der vielen Menschen, die auf engstem Raum so viel Zeit miteinander verbringen müssen, nicht weiter verwunderlich. Nachdenklich stimmt aber der Trend zu gewalttätigen Lösungsversuchen, der aus einem Defizit in der individuellen Ausprägung deezskalierender Verhaltenstendenzen resultiert.1 Am häufigsten äußert sich Schülergewalt in verbalen Aggressionen2, die allerdings von der Mehrzahl der Schüler nicht als »Gewalt« eingestuft werden. Sie scheinen alltäglicher Bestandteil im Schulleben zu sein, mit der Tendenz, dass auch Lehrer zunehmend von Schülern verbal attackiert werden. Zusammen mit dem – allerdings regional und schulspezifisch unterschiedlichen – zweithäufigsten Gewaltproblem an Schulen, dem Vandalismus, ergeben sich hier zwei Erscheinungsformen von Gewalt, die nachhaltig auf Schulklima und Schulleben einwirken. Gewalttätige Auseinandersetzungen gehören zu relativ weitverbreiteten Regelverletzungen nahezu an jeder Schule. Besonders häufig ist hier die sogenannte »Spaßkloppe«, ein spielerisches Kräftemessen ohne Verletzungsabsicht, zu beobachten. Auffällig ist hierbei, dass diese von Schülern stärker unter dem Gewaltbegriff gefasst wird als von Lehrern.

In der Ursachenforschung ist hinreichend festgestellt worden, dass Gewalt in Schulen Teil gesamtgesellschaftlicher Probleme ist. Dazu gehören die fehlgeschlagenen Integrationsbemühungen – es gibt Klassen mit bis zu zehn verschiedenen Nationalitäten –, dazu gehört das jeweilige soziale Milieu, biographische Belastungen und Lebensumstände, aus denen je individuelle Verhaltenspotentiale erwachsen, und dazu gehören entwicklungspsychologisch normale Formen der Auseinandersetzung. Dies alles gilt es in pädagogischen Maßnahmen zum Gewaltabbau wie der Konfliktschlichtung zu berücksichtigen. Auf eine Ursache sei hier aber besonders verwiesen: Dass unsere allgemein akzeptierte Streitkultur nicht ausreichend dazu befähigt, zwischenmenschliche Konfliktsituationen akzeptabel zu bewältigen und erfolgreich zu lösen. Daran ändern auch die in aller Öffentlichkeit ausgetragenen (Pseudo-)Streits in den Fernsehshows nichts, weil sie nicht auf Konfliktlösung abzielen, sondern auf Spektakularität angelegt sind und zunehmend voyeuristische Züge enthalten.3

Das Unvermögen zur Konfliktlösung hat u. a. seine Ursachen darin, dass sich traditionelle Gewalt- und Streitregulierungsmechanismen im Zuge des gesellschaftlichen Wandels, z. B. durch Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse, verändert haben. Regulierungsfunktionen erfüllten die engen und die weiten familiären Kreise, kulturelle Verbindlichkeiten und gesellschaftliche Strukturen, aus denen sich allgemein akzeptierte Formen der Konfliktregulierung ergaben. Verlieren diese an Einfluss oder fallen ganz weg, müssen Jugendliche ihr Konfliktlösungspotential selbst zusammenstellen. An die Stelle alter Strukturen treten aber neue: Einen großen Teil der Erziehung in Konfliktfragen übernehmen die Medien.4 An dieser Stelle setzen Konfliktschlichterprogramme und Mediation an: indem sie das Unvermögen, mit zwischenmenschlichen Problemsituationen umzugehen, abbauen und sozial-integrative, deezskalierende Lösungen finden und trainieren.

 

Positives Menschenbild – positiver Konfliktbegriff

Zwei Grundannahmen sind für die konstruktive Konfliktlösung unerlässlich: Das positive Menschenbild und der positive Konfliktbegriff. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche durchaus bereit sind, Streitsituationen konstruktiv-deezskalierend zu lösen, wenn sie einen Weg dafür sehen. Gewalttätige Ausschreitungen sind für sie u. U. nur die letzte und einzige Möglichkeit.5 Ganz gleich, wie der Konfliktbegriff definiert wird, entscheidend für die Vermittlung in Streitsituationen ist die Grundposition, dass Konflikte als etwas Positives zu betrachten sind. Ein negatives Konfliktbild führt dazu, in ihnen ausschließlich Störfaktoren zu sehen, die bedrohlich und destruktiv sind, und entsprechend im pädagogischen Umgang als etwas, was beseitigt werden muss. Geht man aber davon aus, dass ein Konflikt selbst ein Signal ist, bietet er eine Chance zur Veränderung und Weiterentwicklung von Beziehungen und Strukturen. Besonders gefährlich sind diejenigen Konflikte, die nicht wahrgenommen oder verdrängt werden. Sie können derart eskalieren, dass die Beteiligten darunter leiden und keinen Ausweg mehr finden oder sogar zu gewalttätigen Lösungen greifen.

Mediation bietet in Konfliktfällen Vermittlung durch unparteiische Dritte an, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Die Mediatorinnen und Mediatoren helfen den Streitenden, eine einvernehmliche Lösung für ihre Probleme zu finden. Sie hören sich die Anliegen aller Beteiligten an, lassen sie ihre Gefühle ausdrücken und helfen bei der Klärung der Interessen der Konfliktparteien. Das Ziel ist eine Einigung, die beide Konfliktparteien unterschreiben und umsetzen.

 

Mediation in der Praxis

Die Methode der Konfliktlösung dauerhaft an Schulen einzurichten, ist ein immer häufiger geäußerter Wunsch unter Pädagogen. Die Institutionalisierung der Streitschlichtung zielt auf ein verbessertes Schulklima ab, auf die Ausbildung sozialer Kompetenz der Schülerinnen und Schüler innerhalb der Peergroups und auf die Entlastung der Lehrkräfte. Durch die mit Schülern durchgeführten Übungen werden die Fähigkeiten der Selbstregulierung und des Perspektivenwechsels gefördert.

Im Hinblick auf Streitsituationen ermöglicht Selbstkontrolle, impulsive Handlungen zu vermeiden und Verhaltensweisen zu reflektieren. Der Perspektivenwechsel ermöglicht hier, den in der voroperatorischen Kindheitsphase typischen Egozentrismus zu überwinden und der Erkenntnis Raum zu geben, dass es mehr als eine (die eigene) Sichtweise gibt.

Neben diesen grundlegenden Fähigkeiten für Schlichterinnen und Schlichter werden in der Ausbildung weitere wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten der Konfliktschlichtung vermittelt:

  • Zuhören
  • Paraphrasieren (mit eigenen Worten wiedergeben, was der andere gesagt hat)
  • Nonverbal ausgedrückte Gefühle erkennen
  • Konfliktgegenstände und Lösungsmöglichkeiten kennen
  • Den Mediationsablauf beherrschen
  • Mit einem Partner im Schlichtungsgespräch kooperieren6

Die Mediatorenausbildung kann als eigenständiges Streitschlichterprogramm für Interessierte in Schulen angeboten werden (vgl. das Programm von Faller, Kerntke und Wackmann) oder sich an einen Klassenverband wenden (so Jefferys-Duden), zumindest aber lassen sich Bausteine des Programms sinnvoll auch im Unterricht, z. B. im Religionsunterricht einsetzen, um die o. g. Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler nachhaltig auszubilden und zu stärken.

 

Klima der Hoffnung

Grundlegend für jede Arbeit mit dem Mediationsprogramm ist es, ein »Klima der Hoffnung« herzustellen. Nach Tom Leimdorfer, einem englischen Pädagogen und Mediatoren, sind dafür fünf Bestandteile zu beachten: 

  1. Ein Klima der Bestätigung zu schaffen, in dem wertgeschätzt wird, was jemand ist und nicht was er macht.
  2. Ein Klima des aktiven Zuhörens und der Zuwendung zu schaffen.
  3. Ein Klima der Kooperation zu schaffen.
  4. Ein Klima der Problemlösung aufzubauen, in dem Probleme und Konflikte als Chancen erkannt werden.
  5. Ein Klima der Menschenrechte aufzubauen.7

Grundannahme ist immer, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen Konflikte normal sind und dass die Parteien in der Regel guten Willens sind, friedliche Lösungen zu finden. Auch, dass die Beteiligten grundsätzlich bessere Entscheidungen über sich und ihren Streitfall treffen können als Unbeteiligte, gilt als eine Voraussetzung für die Schlichtung. Die Akzeptanz gegenüber einer Übereinkunft, die von beiden Beteiligten herbeigeführt wird, ist größer als gegenüber einer durch Autoritäten bestimmte, denn sowohl für den Prozess wie für das Ergebnis sind die Streitparteien selbst verantwortlich. Eine für Mediatoren häufig schwer zu akzeptierende Folgerung daraus ist, den gemeinsam erarbeiteten »Kontrakt« nicht nachzubessern oder zu verändern. Am schwersten ist die Einsicht, dass es nicht um Gerechtigkeit, sondern um eine für beide Seiten akzeptable Lösung geht.

 

Die fünf Phasen der Mediation

Im folgenden sollen die fünf Phasen der Mediation eingeführt und erläutert werden und entsprechende Trainingsmethoden vorgestellt werden.

Phase 1: Das Gespräch beginnen
Zunächst geht es darum, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, z. B. indem ein Ort gewählt wird, der nicht direkt mit dem Konflikt zu tun hat und indem sich der Mediator beiden Parteien freundlich zuwendet und ihre Gesprächsbereitschaft anerkennend hervorhebt. Es werden Grundregeln vereinbart:

Nicht unterbrechen! Ausreden lassen! Nicht beschimpfen! Keine Gewalt!

Der Mediator weist darauf hin, dass nicht er, sondern die Beteiligten selbst den Fall lösen werden. Unparteilichkeit und Vertraulichkeit wird beiden versichert und letztere auch von allen erwartet. Der Mediator erklärt, dass der Ablauf vorsieht, dass jeder aus eigener Sicht den Ablauf schildern soll und der andere zuhören soll. Anschließend können Lösungen vorgeschlagen werden und im günstigen Verlauf Entscheidungen über eine Einigung gefällt werden.

Um in die folgende Phase überzuleiten, fasst der Mediator den bisherigen Informationsstand des Konfliktes zusammen. Das dient dem Ziel, dass alle die gleichen Ausgangsvoraussetzungen haben. Unklarheiten und Befürchtungen sollten nun ausgesprochen werden und für das Gespräch wird eine zeitliche Vereinbarung getroffen.

 

Phase 2: Sich mitteilen
Die Konfliktparteien tragen nacheinander ihre Standpunkte vor und können dabei noch einmal richtig »Dampf ablassen«. Die Kommunikation läuft über den Mediator, der an geeigneten Stellen den Sachstand sowie die Gefühle des Gesprächspartners zusammenfasst. Dabei kann der Schlichter wertende Aussagen und Schuldzuweisungen neutral umformulieren.

In dieser Phase muss er vor allem noch sehr auf die Einhaltung der Regeln achten, da häufige Unterbrechungen und Gefühlsäußerungen vorkommen können. Noch ist der Schlichter am stärksten gefordert, besonders durch aktives Zuhören. Dazu zählt auch, die Mimik, Gestik und Betonung des Gesprächspartners zu beachten, denn sie spiegeln die Gefühlslage des anderen wider. Voraussetzung für das Gelingen des guten Zuhörens ist die ungeteilte Aufmerksamkeit und der Blickkontakt, sowie die Überprüfung des eigenen Gesichtsausdrucks. Langeweile oder Desinteresse wirken nicht vertrauenseröffnend; auch Wertungen und Parteilichkeit können sich in der Mimik verraten und ein offenes Gespräch verhindern. Der jeweilige Gesprächspartner sollte nicht unterbrochen oder mit unpassenden Bemerkungen verunsichert werden.

Als Übungen eignen sich alle Methoden, die auf die kommunikative Kompetenz abzielen, die Empathie und den Perspektivenwechsel fördern und Einblicke in das menschliche Kommunikationsverhalten eröffnen.

 

Erste Übung:
»Ein Bild wird diktiert«: Ein Schüler erhält ein Bild (M 1) mit der Aufgabe, durch präzise Angaben den anderen das Bild so zu diktieren, dass sie es nachzeichnen können. An den Ergebnissen lässt sich herausfinden, wie gut jemand erklären und wie gut jemand zuhören kann. Diese Übung kann auch partnerweise gespielt werden.

 

Zweite Übung:
Zwei Gesprächspartner (A + B) setzen sich in die Mitte mit der Aufgabe, sich über ein kontroverses Thema zu unterhalten (z. B. Handy im Unterricht). Der Zuhörer (A) hat die Aufgabe, ein Argument von B mit eigenen Worten zusammenzufassen. Erst wenn B einverstanden ist mit der Fassung, darf A ein Argument vortragen. Nun wird genauso verfahren wie vorher.

 

Dritte Übung:
Du-Sätze in Ich-Botschaften umformulieren. Weil in Stresssituationen Menschen dazu neigen, in (anklagenden) Du-Sätzen zu sprechen, eskalieren Streitfälle häufig. Förderlich ist aber, das eigene Interesse und die eigene Betroffenheit in dieser Situation mitzuteilen. Das gelingt besser mit Ich-Botschaften (in der Fachsprache: Selbstmitteilung). Die Schüler erhalten ein Arbeitsblatt mit Du-Sätzen, die sie in Ich-Botschaften übersetzen sollen. (M 2)

 

Vierte Übung:
Nach dem klassischen Kommunikationsmodell nach F. Schulz von Thun teilen sich Menschen immer auf vier Ebenen einander mit: als Selbstmitteilung, als Beziehung, als Appell und als Sachinformation. Ein Kind, das sagt »Hab Hunger« gibt demnach eine Selbstmitteilung weiter (Esswunsch), nimmt dafür Beziehung zu Vater oder Mutter auf, appelliert daran, etwas zu essen zu erhalten und erteilt die Information (Hungerzustand). Vgl. hierzu eine ausführliche Bearbeitung in: Reinhold Miller, "Du dumme Sau", Von der Beschimpfung zum fairen Gespräch, Kap. 3: Versteh mich doch endlich, S. 15-19. Mit M 3 können die Schülerinnen und Schüler versuchen, eigenformulierte Sätze oder welche aus M 2 in die vier Kommunikationsebenen einzuordnen.
 

Phase 3: Was ist unter der Oberfläche?
Diese Phase dient der Konflikterhellung. Alle wichtigen Hintergründe der Probleme sollen deutlich werden und zu einem tieferen Verständnis des Konfliktes führen und das eigene Verhalten im Konflikt reflektieren. In dieser Phase wird schrittweise die Kommunikation zwischen den Beteiligten wieder angestrebt. Es wird davon ausgegangen, dass gemäß dem sogenannten »Eisberg-Modell« (M 4)8 zu dem sichtbaren Konflikt ein wesentlicher, nicht sofort sichtbarer Hintergrund von Bedürfnissen, Ängsten und Problemen verborgen liegt. Fragen, die darauf abzielen, diese Hintergründe herauszufinden, können das Bild der Konfliktlage vervollständigen und dazu führen, die eigene und die Position des anderen besser wahrzunehmen. Hilfreich ist es, wenn die Kontrahenten aufgefordert werden, einmal »in den Schuhen des anderen zu gehen«. Damit wird das Verständnis für die andere Seite gefördert.

Es eignen sich für diese Phase Übungen, die die Aufmerksamkeit gegenüber dem Verhalten anderer fördern.

 

Erste Übung: den Code knacken.9 Ein Teilnehmer verlässt den Raum. Der Rest der Klasse einigt sich auf einen geheimen Code, der bei dem folgenden Klassengespräch immer wieder eingesetzt wird (z. B. sich nach einem Beitrag an die Nase zu fassen, o. ä.). Der einzelne Teilnehmer wird hereingeholt und soll nun den Code knacken. Erst wenn er das Zeichen weiß und selber einsetzt, gehört er zur Gruppe. Bei diesem Spiel können auch mehrere Schüler zugleich versuchen, den Code zu knacken.

 

Zweite Übung: Einen Konfliktfall mit dem Eisberg bearbeiten (s. M 4, für jüngere Schüler M 5)

 

Dritte Übung: Pantomimisches Familie-Meier-Spiel (M 6) Das Arbeitsblatt wird zerschnitten, jeder erhält einen Schnipsel mit einer Gefühlseigenschaft. Nun gehen alle durcheinander im Raum und tauschen die Zettel aus, ohne sie anzusehen. Auf Kommando liest jeder seine Eigenschaft. Ohne zu reden, mit pantomimischer Darstellung, sollen sich nun die Familien finden, die zusammengehören.

Für eine gelingende Bearbeitung eines Streitfalls ist es nötig, die verschiedenen Arten von Konflikten zu kennen, denn unterschiedliche Konfliktursachen erfordern unterschiedliche Interventionen. Fünf Arten lassen sich hier unterscheiden:10

Sachverhalts-Konflikte
Sachverhaltskonflikte sind meist verursacht durch falsche Informationen und unterschiedliche Bewertungen einer Sachlage. Eine Intervention zielt auf Informationsgewinnung ab und strebt eine Einigung über die Bewertung der Daten an.

Interessen-Konflikt
Sie entstehen durch die Kollision unterschiedlicher Bedürfnisse und Wünsche oder schlicht dadurch, dass ein gemeinsames Vorhaben unterschiedlich angegangen wird. Hier bieten sich Kompromisslösungen an oder auch das Aushandeln, um den Bedürfnissen jeder Seite gerecht zu werden.

Beziehungs-Konflikte
Sie sind stark gefühlsgeleitete, oft durch Fehlwahrnehmungen und mangelnde Kommunikation verfestigte Personenkonflikte. Die Förderung der Kommunikation unter den Streitparteien, in der die Gefühle mitgeteilt werden können, sowie die Klärung der Wahrnehmung des je anderen sind hier geeignete Umgangsweisen.

Werte-Konflikte
In einer pluralen Gesellschaft treten Werte-Konflikte vermehrt auf, verursacht durch unterschiedliche Werthaltungen oder kulturell-religiöse Hintergründe. Ideen, Verhaltensweisen, Lebensformen werden aufgrund verschiedener Kriterien und Maßstäbe unterschiedlich bewertet. Eine Intervention solle Wertungen, vor allem Abwertungen vermeiden und ggf. nach gemeinsamen Zielen und Wertebündeln fragen.

Struktur-Konflikte
Sie bezeichnen sich auf alle Probleme, die aus ungleichen Verteilungen bzw. Verhältnissen oder aus unterschiedlichem Status der Beteiligten hervorgehen. Wo es möglich ist, sollte eine Intervention die Veränderung der Verhältnisse anregen, vor allem aber sollte ein Gespräch bedürfnisorientiert geführt werden, um Einblicke in die Situation des Anderen zu ermöglichen.

 

Phase 4: Problemlösung
Wenn die vorangehenden Phasen einer Schlichtung erfolgreich verlaufen sind, d. h. wenn ein Austausch über den Konflikt stattgefunden hat und ein Verständnis über die Situation der anderen Seite entwickelt werden konnte, beginnen die Beteiligten, über eine Lösung des Problems nachzudenken. Zunächst sollten viele verschiedene Möglichkeiten gesammelt und anschließend eine Bewertung und Auswahl versucht werden. Durch die doppelte Perspektive in der Fragestellung zur Problemlösung: »Was möchte ich? Was bin ich bereit zu tun?« kommt das Bemühen zum Ausdruck, das Anliegen der Gegenseite zu berücksichtigen.

Festzuhalten ist an dieser Stelle noch einmal, dass eine wie immer geartete Einigung der Streitparteien nicht immer auch dem Gerechtigkeitsempfinden des Konfliktlotsen entsprechen muss. Dieser muss vielmehr durch gute Beobachtung und ausgleichende Gesprächsführung darauf vertrauen, dass die Kontrahenten zu einer Einigung kommen, in der beide Sieger und nicht einer der Verlierer ist.

Sollte es zu keiner zufriedenstellenden Einigung kommen, muss der Mediator das Gespräch noch einmal zurück in die Phase 3 lenken: es sind offenbar noch nicht geklärte, aber den Konflikt aufrechthaltende Issues11 vorhanden, die eine Lösung verhindern.

Für den Fall, dass ein Schlichtungsgespräch festgefahren ist, hat sich auch bewährt, die Parteien zu bitten, ihre Plätze zu tauschen und nun aus der Position des anderen heraus zu argumentieren.

Als Training für solche Einigungsprozesse können Übungen herangezogen werden, die die Kreativität in Lösungsvorschlägen fördern und solche, die den Prozesscharakter der Einigung nachzeichnen.

 

Erste Übung: Ein Klassenkonflikt (z. B. Ziel der Klassenfahrt, Sitzordnung etc.) soll so gelöst werden, dass alle zufrieden sind. Zunächst werden alle SchülerInnen aufgefordert, einen oder mehrere Lösungsvorschläge auf Karten zu schreiben. Das soll so kreativ und phantasievoll wie möglich vorgehen, es darf auch Egoistisches und Unrealistisches formuliert werden. Anschließend teilt sich die Klasse in Gruppen auf und diskutiert die Vorschläge, mit dem Ziel, eine Auswahl zu treffen

  • Auf grünem Papier werden die Ideen gesammelt, die für alle akzeptabel sind.
  • Auf rotem Papier die Ideen, die nur für einige/einzelne gut sind
  • Auf blauem Papier landen die Vorschläge, die die Gruppe für unwichtig hält.

Im Anschluss daran werden die Gruppenergebnisse verglichen und ggf. weiter sondiert.

 

Zweite Übung: Eine Phantasiereise, (M8) in der Beziehungen bildhaft werden und komplizierte Einschätzungen in einer verfremdeten Perspektive durch »natürliche« Bildersprache zum Ausdruck kommen.12

 

Dritte Übung: Auch das Statuentheater als eine Ausdrucksmöglichkeit für eine Situation oder Gefühlslage kann für das Training der Phase 4 herangezogen werden. Eine Gruppe bildet als ›Baumaterial‹ den Konflikt. Eine Gruppe baut nun eine ›Vergangenheitsstatue‹ mit dem Ziel, den Auslöser des Konfliktes und das Verhalten der Parteien nachzuzeichnen. Eine andere Gruppe versucht eine ›Zukunftsstatue‹, aus der deutlich wird, welchen Stellenwert der Konflikt in Zukunft hat und wie die Parteien sich zueinander verhalten werden.

 

Phase 5: Vereinbarung
Um den Streit nachhaltig zu beenden, gehört zur Mediation als letzte Phase eine schriftliche Vereinbarung. Wenn verschiedene Lösungsvarianten geprüft wurden und eine Entscheidung gefunden wurde, wird diese in einem Einigungsformular (M 9) festgehalten. Der Mediator sollte aber zuvor ausreichend sichergestellt haben, dass dies ein Konsens ist, der für beide akzeptabel ist und der eine realistische Lösung der Probleme ermöglicht. Die Konsequenzen des Vertrages müssen für beide Parteien ausreichend geklärt sein. Es ist bei der Formulierung auf klare Festlegungen und eine positive Sprache zu achten. Bevor die Streitparteien den Vertrag unterschreiben, liest ihn der Mediatior noch einmal laut vor.

 

Konfliktschlichtung an Schulen

Konfliktschlichtung kann in einzelnen Klassen eingeführt werden, eignet sich aber besonders als Teil des Schulprogramms. Es sollte dafür eine möglichst breite Basis der Akzeptanz im Kollegium und in der Schulleitung geschaffen werden.

Für die breite Umsetzung ist eine Ausbildung von Multiplikatoren unerlässlich, die von professionellen Einrichtungen angeboten wird.13 Eine Finanzierung könnte z. B. mit anderen interessierten Schulen geteilt werden. Ein Projektaufbau in der Schule verläuft auf zwei Ebenen:

  •  Der allgemeinen Konfliktsensibilisierung. Alle Klassen eines Jahrgangs erhalten ein Training zur Verbesserung kommunikativer und sozialer Fähigkeiten und zur Sensibilisierung für gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien.
  • Die schulinternen Multiplikatoren errichten eine Projektgruppe, die Organisation und Information etc. übernimmt und bilden ihrerseits interessierte Konfliktlotsen aus.

Wo es möglich ist, sollten auch Eltern für die Idee der Konfliktschlichtung gewonnen, zumindest aber über deren Einrichtung anschaulich (z. B. Elternabend) informiert werden, damit sie ihre Kinder in dieser neuen Form des Umgangs miteinander unterstützen und ermutigen. 

M 2

Aufgaben

1. Probier mal herauszubekommen (zu vermuten, zu "übersetzen"), was Personen eigentlich meinen, wenn sie - vordergründig - sagen:

Vordergründig gesagt: 
Vermutlich meint er / sie:

 

- Lehrer:

"Du geistiger Blindgänger,
du Versager ..." 

Ich .....................................................................

...........................................................................

 

 

- Mitschüler:

"Du hast ja keine Ahnung,
Mann ..." 

Ich .....................................................................

...........................................................................

 

 

- Lehrerin:

"Du
bist auf der falschen Schule." 

Ich .....................................................................

...........................................................................

 

 

- Vater / Mutter:

"Du Nichtsnutz; streng dich
mehr an!"

Ich .....................................................................

...........................................................................

 

aus: R. Miller: Du dumme Sau. von der Beschimpfung zum fairen Gespräch

 

M 3

Mit vier Ohren empfangen

Was ist das für einer ?
Was ist mit ihm?
  Wie ist der Sachverhalt
zu verstehen?
     
Wie redet der eigentlich
mit mir?
Wen glaubt er vor sich
zu haben?
  Was soll ich tun, denken,
fühlen auf Grund
seiner Mitteilung?

  

M 6

 

ängstlich

 

 

ängstlich

 

 

 

 

ängstlich

             

 

begeistert

 

 

begeistert

     

 

begeistert

             

 

glücklich

 

 

glücklich

 

 

glücklich

 

 

glücklich

             

 

traurig

 

 

traurig

 

 

traurig

 

 

traurig

             

 

wütend

 

 

 

 

 

wütend

 

 

wütend

             

 

überrascht

 

 

 

 

 

überrascht

 

 

überrascht

  

M 7

Beispiel 1
Die Klasse ist schon im Raum. Der Unterricht kann beginnen, nur Sabrina fehlt. Die Unterrichtende fragt nach und erhält von Nadine zur Antwort: »Die darf nicht mit ´rein, die stinkt ...« Es stellt sich im Gespräch heraus, dass Nadine sich darüber ärgert, dass Sabrina nie was abgibt, wenn sie mal was hat.

Beispiel 2
Dimitri wartet im Klassenraum auf Vladimir. Auf den Platz neben ihm stellt Lars seinen Rucksack ab und geht noch einmal ´raus. Vladimir kommt und möchte neben Dimitri sitzen und stellt den Rucksack von Lars einen Platz weiter. Lars sieht das: »Ey du fucking Ausländer nimm deine stinkenden Hände von meinem Rucksack!«

Beispiel 3
Torben kommt schon schlecht gelaunt in die Schule, weil er Ärger zuhause hatte. Vor Stundenbeginn steckt er sich am Schuleingang noch schnell eine an. Da kommt Lehrer T. um die Ecke. »Sie machen sofort die Zigarette aus, hier ist Rauchen verboten!« Torbens Kommentar: »Ach leck mich doch ...« Er wird zum Schulleiter zitiert.

Beispiel 4
Ebrus Eltern erlauben ihr nicht mit auf Klassenfahrt zu fahren. Es ist bei ihnen nicht üblich, dass ein unverheiratetes Mädchen woanders schläft. Nina, ihre Freundin fühlt sich jetzt von ihr im Stich gelassen und will nichts mehr mit ihr zu tun haben.

Beispiel 5
Stefan wird im Unterricht an die Tafel geholt. Auf dem Weg dorthin stolpert er über Dirks Füße, die weit unter dem Tisch hervorragen. Dirk sagt, das war keine Absicht, Stefan glaubt, der will ihm eins auswischen...

 

M 8 

Setz dich bequem hin, atme tief durch, schließe deine Augen ...

Stell dir vor, du bist auf einer schönen großen Wiese ... du fühlst dich wohl ... du siehst einen Bach und weil du durstig bist, kniest du nieder und trinkst daraus. Plötzlich spürst du etwas in deinem Inneren: du verwandelst dich in ein Tier. ...

In was für ein Tier hast du dich verwandelt? ... Nach einer Weile siehst du jemanden auf dich zukommen ... es ist jemand, den du nicht magst ... es ist dein Feind ... er erkennt dich nicht ... Auch er trinkt aus dem Bach und verwandelt sich in ein Tier ... in welches Tier verwandelt er sich?

... Nun beobachte, was die beiden Tiere miteinander anfangen ... Zum Schluss kommt jemand auf die Wiese, der den Tieren Fressen bringt ... wie verhalten sich die Tiere?

Wenn du dich sattgefressen hast, kannst du langsam wieder die Augen öffnen ...

 

M 9

Beispiel für einen Schlichtungsvertrag:

Vertrag zwischen den Konfliktparteien

 

_______________________ , Kl. ______ und _______________________ , Kl. ______

 

 

Worum ging es?

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

 

 

Zur Konfliktlösung wird vereinbart:

_____________________________________________________________________ 

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

 

 

Bei der Lösung ihres Konfliktes wurden die Parteien unterstützt von dem/der Mediator/in

_______________________________________________________________________

 

 

Tag und Ort des/der Schlichtungsgespräche/s

________________________________________________________________________

 

Wir nehmen die Vereinbarung an:

 

 

 

_________________ ___________________ ________________

    Konfliktpartei A          Konfliktpartei B              Mediator/in

 

Anmerkungen

  1. Vgl. K. Faller, W. Kerntke, M. Wackmann, Konflikte selber lösen, ein Trainingshandbuch für Mediation und Konfliktmanagement in Schule und Jugendarbeit, S. 11.
  2. Im folgenden fasse ich die Ergebnisse der Bochumer Untersuchung zusammen, die 1995 im Kontext anderer Arbeiten analysiert wurde: H.-D. Schwind, K. Roitsch, B. Gielen, Gewalt in der Schule aus der Perspektive unterschiedlicher Gruppen in: Heinz-Günter Holtappels, u. a., Forschung über Gewalt an Schulen, München 1997, S. 81 – 100.
  3. Es gibt Zusammenschnitte aus Sendungen, die ausschließlich aus Szenen bestehen, in denen die Streitparteien handgreiflich werden oder sich im Übermaß beschimpfen. Hier ist nun gar keine Spur mehr von Streitschlichtung zu erkennen.
  4. Vgl. die Bochumer Befragung: Als maßgebende Gründe für gewalttätiges Verhalten in der Schule werden von Schulleitern, Lehrern, Hausmeistern, Sekretärinnen und Eltern am häufigsten Gewaltdarstellungen in den Medien benannt, a. a. O. S. 95.
  5. Vgl. Faller u. a., Konflikte, S. 7. Die positive Einschätzung ermöglicht die Perspektive, Jugendliche nicht als Problemverursacher, sondern als Problemlöser zu sehen und ihre latenten Problemlösungskompetenzen durch ein Training zu aktivieren und zu festigen.
  6. Karin Jefferys-Duden, Das Streitschlichterprogramm, Mediatorenausbildung für Schülerinnen und Schüler der Klassen 3 – 6, Weinheim und Basel 1999, S.12.
  7. Vgl. Faller u. a., Konflikte selber lösen, S. 17.
  8. Faller, u. a. S. 58
  9. Vgl. Faller u. a., S. 56.
  10. Vgl. Chr. Besemer, Mediation-Vermittlung in Konflikten, 1993, S. 31.
  11. Der internationale Begriff »Issues« hat sich gegenüber dem deutschen Begriff ›Konfliktpunkte‹ bewährt, weil er die subjektiven Anteile in der Bewertung stärker zum Ausdruck bringt. Vgl. Faller, u. a. S. 56.
  12. Nach einer Idee von K. W. Vopel, Phantasiereisen, Wege des Staunens, Bd. 3 Hamburg 1985.
  13. Brückenschlag e. V., Am Sande 50, 21335 Lüneburg, Tel./Fax: 04131-42211. Für den Raum Hannover: Abt. Jugendarbeit, Jugendschutz des Landkreises Hannover, Hildesheimer Str. 20, 30169 Hannover, Email: Jugend.LKHannover@gmx.de.Waage.Institut@gmx.de

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2002

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