RAP im Religionsunterricht

von Dietmar Peter

 

Der RAP ist längst krisenfester Bestandteil deutscher Jugendkulturen - Künstler wie Torch, die Stieber Twins und MC Rene waren die ersten, die mit deutschen Texten arbeiteten. Im Mittelpunkt des RAP steht die Auseinandersetzung mit Lebenswirklichkeiten - ein RAP versucht „ehrlich“ zu beschreiben, was ist. So geht es thematisch um biographische Ereignisse, Drogenkonsum, Gewalt, Geschlechterverhältnisse, Ausländer o.ä.. Dabei kommt die Musik einfach und schroff, meist als 8-tel- oder 16-tel-Beat in langsamem Tempo (70), daher. Melodieinstrumente werden - wenn überhaupt - im Refrainteil eingesetzt. Geschickt werden spontane Rufe, Mundpercussion oder Lachen in die Stücke eingearbeitet. Hinzu kommt das „Scratchen“, die Technik, bei der die Platten bei laufendem Plattenteller angehalten und mit der Hand rhythmisch hin- und her bewegt werden. 

RAP-Produktionen von Schülern gibt es inzwischen in erstaunlicher Zahl. Dieses liegt an der schon fast krisensicheren Position, die sich der RAP in deutschen Jugendkulturen erobert hat und an seiner entsprechend hohen motivationalen Funktion für Unterrichtsprozesse. Unterstützend wirken die hohen kreativen Anteile und die Schaffung eines Raumes für Improvisationen und Ausdruck. Inzwischen wird der Markt mit günstiger und gleichzeitig guter Software bedient, die Eigenproduktionen von hoher Qualität ermöglicht. 

Für den Religionsunterricht liegen in der Gestaltung von RAP-Texten (und Musik) besondere Chancen zur Verknüpfung theologischer Inhalte mit den jeweiligen Lebenssituationen der Schülerinnen und Schüler. Unter Umständen liegt dieses auch an der Öffnung verschiedener Räume, die eine Distanznahme zur Wirklichkeit auf unterschiedlichen Ebenen ermöglichen: Sowohl das sinnlich erfahrbare Potential der Musik als auch das kritische Potential der Religion ergänzen sich. Als ein Beispiel soll im folgenden ein Projekt in einer 9. Hauptschulklasse beschrieben werden: 

Im Religionsunterricht gingen wir der Frage zukünftiger Lebensentwürfe nach. Um Distanz zur alltäglichen Wirklichkeit zu gewinnen, wählte ich als Versuchsfeld die Erstellung eines RAP. Die Schülerinnen und Schüler erhielten die Aufgabe, ihre Gedanken in Form eines RAP-Textes zusammenzufassen. Beispielhaft für das Geschaffene steht folgender Text:


Sag’ mir kurz, wo liegt der Sinn?

Treffen sich vier, fünf Leute jeden Tag 
am gleichen Platz und rauchen Gras
glaub’ mir das, wenn ich’s dir sag’, 
haben nichts zu tun 
- arbeitslos - 
denn ihre Sorge um die Zukunft 
war noch nie so riesengroß.

Wohin geht es mit uns?
Wohin? Wohin? Wohin?
Sag’ mir kurz, wo liegt der Sinn?

Immer nur das Gleiche. 
Langeweile bringt dich um 
und macht dich zur Leiche.
Unser Viertel war bekannt 
für Arme und nicht für Reiche.
Wir hatten Träume so wie ihr – 
auf die Schule hatten wir keinen Bock.

Wohin geht es mit uns?
Wohin? Wohin? Wohin?
Sag’ mir kurz, wo liegt der Sinn?

Im Anschluss an die Präsentationen der in der Regel bemerkenswert verdichteten Texte folgte eine Auseinandersetzung mit Passagen aus dem Buch Hiob. Nach einer Einführung erhielten die Schülerinnen und Schüler eine Auswahl kurzer Klagetexte und die Aufgabe, daraus einen RAP zu erstellen. Statt konventioneller Analyse stand dabei die kreative Umarbeitungen durch Verfremdungen und Weiterführungen im Zentrum. Die Verschränkung von eigenen Textelementen mit Passagen aus dem Hiobbuch war erwünscht. Der oben genannte Text wurde von den Schülern wie folgt umgearbeitet:



Sag, spielt das Leben mit mir?

Treffen sich vier, fünf Leute jeden Tag 
am gleichen Platz und rauchen Gras
glaub’ mir das, wenn ich’s dir sag’, 

Sie warten auf das Gute, (gesungen)
und es kommt das Böse; (gesungen)
sie hofften auf das Licht, (gesungen)
und es kommt die Finsternis. (gesungen)

Sie haben nichts zu tun
- arbeitslos - 
denn ihre Sorge um die Zukunft 
war noch nie so riesengroß.
Wir hatten Träume so wie ihr.
Sag’ spielt das Leben mit mir?

Immer nur das Gleiche. 
Langeweile bringt dich um
und macht dich zur Leiche.

Sie warten auf das Gute, (gesungen)
und es kommt das Böse; (gesungen)
sie hofften auf das Licht, (gesungen)
und es kommt die Finsternis. (gesungen)

Ihr Viertel war bekannt 
für Arme und nicht für Reiche.
Auf die Schule hatten sie keinen Bock.
Wir hatten Träume so wie ihr.
Sag’ spielt das Leben mit mir?

Schrecken hat sich gegen uns gekehrt, 
O hätten wir einen, der uns anhört. (verzerrt)
Schrecken hat sich gegen uns gekehrt,
O hätten wir einen, der uns anhört. (verzerrt, leiser, mit Echo).
Schrecken hat sich gegen uns gekehrt,
O hätten wir einen, der uns anhört. (verzerrt , noch leiser, mit Echo).

Interessant war, dass - entgegen aller Erfahrung - der Umgang mit biblischer Sprache im Laufe der Erarbeitung der Textcollage selbstverständlich wurde. Verschiedene Klageverse wurden gesprochen, gesungen, geschrien etc. und für den eigenen RAP ausgewählt oder verworfen. Es schien, als hätte die Sprache Hiobs den Nerv der Schülerinnen und Schüler getroffen. Dafür spricht, dass die biblischen Passagen in der Regel nur wenig verändert und mit eigenen Textpassagen verschränkt wurden. Darüber hinaus stellte sich Erstaunen ein, dass Texte wie diese in der Bibel stehen. Dass ein Mensch verzweifelt ist und klagt, und dass diese Klage in der Bibel ihren Ort hat, schien unbekannt. 

Die Benennung von Leid im Buch Hiob korrespondierte mit der (sicher eher seltenen) Proklamation eigenen Leides im RAP. Diese spracheröffnende Funktion, das Spiel mit der biblischen Sprache (Spracherweiterung) und die Erkenntnis, das Leid in Sprache gefasst werden kann [1], standen am Ende des Projekts. 

Ein Religionsunterricht, dem es nicht um Vertröstung geht, gerät hier allerdings an seine Grenzen. Die aus versprachlichtem Leid resultierende Trostbedürftigkeit ist an die konkrete Erfahrung gebunden. Trost ergibt sich aus dem Erleben, dass man auch im Leid geliebt und angenommen wird. Zwar kann die Geschichte von Kreuz und Auferstehung zum Beleg des mitleidenden und liebenden Gottes werden, Glauben selber kann damit nicht bewirkt werden - ein Mangel an Erfahrungen wird ebenfalls nicht zu kompensieren sein.

In der weiteren Unterrichtsarbeit ergaben sich dennoch genügend Anknüpfungspunkte, die zu beeindruckenden Ergebnissen führten: Die Erkenntnis, das Klage ein wesentlicher Bestandteil von Gebeten sein kann, war vielen neu. Das Bild vom „lieben“ Gott wurde in Frage gestellt und auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Leid neu gestaltet.

Dass die Texte vertont wurden und eine eigene CD (mit selbstgestaltetem Cover) entstand, war wesentlich für das Projekt. Durch die Verbindung der Textpassagen mit musikalischen Elementen erfolgte eine weitere Vertiefung. Die den Texten zugrundeliegenden Gefühlen mussten sich in der Musik widerspiegeln. Rhythmus, Klangfarbe und das Wort-Ton-Verhältnis wurden so zu Illustrationsteppichen der Textmessage im umfassenderen Sinn. 

Software HipHop-eJay 2Als Software benutzten wir das Programm „HipHop-eJay2“, das sehr einfach zu bedienen ist. Die Software verfügt über 16 Spuren, einen Groove- und einen Scratch-Generator, über die Möglichkeit, eigene Texte (über Mikrofon) einzufügen und ein Effect-Studio (zur Verwandlung der eigenen Stimme). Insgesamt stehen 3500 Sounds zum Mixen bereit. Der Preis ist erstaunlich gering - das über die Internetadresse „www.ejay.com“ zu beziehende Programm kostet 24,95 €. Die Systemvoraussetzungen werden vom Hersteller wie folgt beschrieben: PC Windows 95/98, Pentium-Prozessor, 16 MB RAM, CD-ROM Laufwerk, Auflösung 800x600, High Color, Soundkarte. Damit läuft die Software auch in Computerräumen mit etwas älterer Ausstattung.

 

Anmerkungen

  1. Die Fähigkeit Leid klagend zur Sprache zu bringen, schafft Raum für das Eingeständnis der eigenen Trostbedürftigkeit. Vgl. Dressler, Bernhard: Hat Leiden Sinn? – Wie Kinder und Jugendliche Leid und Sinnlosigkeit erfahren. In: Peter, Dietmar: Und warum ...? – Die Theodizeefrage im Religionsunterricht. Loccum 2001. S. 29

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2002

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