Anderthalb Jahre nach dem großen Kinoerfolg „Schindlers-Liste“ von Steven Spielberg ist der Film als Video auch bei den kirchlichen Mediotheken kostenlos zu entleihen und entsprechend im Unterricht einsetzbar. Der Film, der mit 7 Oscars hoch prämiert wurde, fand jedoch nicht nur Zustimmung. Kritische Stimmen, die dem Film Verharmlosung und Trivialisierung des Holocaust vorwarfen, meldeten sich zu Wort. Im folgenden soll im Hinblick auf den Einsatz des Films im Religionsunterricht die Kritik überprüft und ein Deutungsansatz vorgestellt werden.
Oskar Schindler gehört zu den schillerndsten Gestalten der „Judenretter“, dem es doch offenbar unter den Augen der SS gelang, so viele jüdische Menschen vor der akribisch arbeitenden Todesmaschinerie zu retten. Außerdem gibt zum Denken, dass Schindler in Deutschland fast völlig vergessen wurde. Spielbergs Film erzählt die Wandlung eines skrupellosen Geschäftsmannes und lebensgierigen Bonvivant, der eine Botschaft mit der Inkarnation des absolut Bösen in Gestalt des KZ-Kommandanten Amon Goeth für seine Machenschaften einzugehen bereit ist, zu einem Menschen, der seinen gesamten Besitz und seine Person in die Waagschale wirft, um „seine Juden“ vor der Vernichtung zu bewahren.
Die profilierteste Kritik wurde von dem französischen Regisseur Claude Lanzmann geäußert, die in der FAZ vom 5. März 1994 veröffentlicht wurde. Lanzmann schreibt: „Der Holocaust ist vor allem darin einzigartig, dass er sich mit einem Flammenkreis umgibt, einer Grenze, die nicht überschritten werden darf, weil ein bestimmtes, absolutes Maß an Gräuel nicht übertragbar ist. Wer es tut, macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig. Die Fiktion ist eine Übertretung, und es ist meine tiefste Überzeugung, dass jede Darstellung verboten ist. Als ich „Schindlers Liste“ sah, fand ich das wieder, was ich auch bei der „Holocaust“-Fernsehserie empfunden hatte. Übertreten oder trivialisieren läuft hier auf das Gleiche hinaus. Ob Serie oder Film, beide übertreten, weil sie „trivialisieren“ und so die Einzigartigkeit des Holocaust zunichte machen“. Lanzman selbst hat mit seinem Opus „Magnum Shoah“ (1985) an sich keinen Film über den Holocaust, sondern eine filmische Dokumentation über die Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust produziert, die er mit behutsamer Hartnäckigkeit bis an die Grenzen ihrer psychischen Leidensfähigkeit führte und sie dazu bewog, über ihre z.T. tief verdrängten traumatischen Erlebnisse Auskunft zu geben. Lanzman verzichtete auf die Verwendung von Archivmaterialien, ein Nachstellen von Szenen wäre ihm keinesfalls in den Sinn gekommen. Diese Form der „Darstellung“ des Holocaust bezeichnet er als die einzig zulässige.
Die Begründung für das von Lanzmann geforderte Bilderverbot für den Holocaust lässt sich auf dem Hintergrund von ähnlichen Äußerungen von Eli Wiesel über die Holocaust-Literatur verständlich machen. Wiesel stellt die grundsätzliche Frage, ob die ungeheuerlichen Geschehnisse in den Konzentrationslagern überhaupt mitteilbar sind: „Wie kann man über eine Situation sprechen, welche jenseits jeder Beschreibung steht? Wie kann man eine Geschichte über die Massenvernichtung schreiben? (...) Kann ein solches Ereignis überhaupt zum Gegenstand von Worten werden? Welche Worte wären dazu notwendig?“ Jeder Versuch einer literarischen, wie auch cineastischen Aufbereitung des Holocaust bedeutet letztlich eine Trivialisierung jenes unvergleichbaren und unvorstellbaren Ereignisses. „Eine Geschichte über Treblinka ist entweder keine Geschichte oder es ist keine Geschichte über Treblinka. Eine Geschichte über Maydarnek ist fast schon eine Gotteslästerung. Nein, es ist eine Gotteslästerung! Treblinka bedeutet Tod, vollkommenen Tod, Tod der Sprache, Tod der Hoffnung, Tod des Vertrauens und der Eingebung. Dieses Geheimnis ist dazu verdammt, unversehrt zu bleiben.“ Die Konsequenz lautet für Wiesel, dass über die unsäglichen Geschehnisse in Auschwitz, Treblinka und Maydarnek zu schweigen wäre. Jede Geschichte, jeder Film der sich den Judenmord zum Thema macht, muss sagen, weil die Abgründe menschlichen Verhaltens sich hier offenbart haben, nicht in angemessene Worte und Bilder einzufassen sind.
Abgesehen davon, dass ein Schweigen angesichts des Unsäglichen die Gefahr des Vergessens in sich birgt, wendet Wiesel gegen diese Position selbst ein, dass es schon in den Zeiten der Verfolgung eine sehr breite Literatur - Tagebücher, Lieder, Gedichte, Dokumentationen - angelegt worden ist, die z.T. gut versteckt bis in die Gegenwart überdauern konnte. Das Motiv für die vielen Menschen, die in der Gewissheit ihres baldigen Todes ihre Beobachtungen und Empfindungen zu dokumentieren versuchten, ist es, dem Tod und dem Vergessen etwas entgegenzusetzen. Ihre größte Sorge, auch der Überlebenden, die ihre Aufzeichnungen nach Beendigung des Krieges festhielten, war es, dass ihnen nicht geglaubt wird und alle ihre Erinnerungen in Vergessenheit geraten könnten. Allein schon aufgrund dieses Vermächtnisses der Verstorbenen und Überlebenden ist die moralische Verpflichtung abzuleiten, ihre Erinnerungen zur Sprache zu bringen - oder ins Bild zu setzen. Eli Wiesel sagt hierzu: „Ich wiederhole, nichts ist in meinen Augen so hässlich, so unmenschlich wie der Versuch, die toten Opfer ihres Todes zu berauben. Daher meine tiefe Überzeugung: jeder, der sich nicht aktiv und ständig mit der Erinnerung beschäftigt und andere mahnt, ist ein Helfershelfer des Mordens. Umgekehrt: wer auch immer dem Verbrechen widersteht, muss ihre Berichte verbreiten, ihre Berichte über Einsamkeit und Verzweiflung, über Stille und Trotz“
Insofern ist Lanzmanns Kritik grundsätzlich zuzustimmen, dass der Holocaust an sich nicht mitteilbar ist. Andererseits ist dem aber einzuwenden, dass es uns die Opfer zur Verpflichtung gemacht haben, ihr Zeugnis zu tradieren. Freilich begibt man sich damit in die Gefahr der Trivialisierung und Übertretung. Die Grenze des Nicht-Überschreitbaren muss dort bezogen werden, wo ein Überschreiten die Würde der Ermordeten verletzt. D.h. aber letztlich, dass die lebensunmöglichen Umstände, in denen die Menschen in den Lagern gehalten wurden, und der Massenmord unaussprechbar und damit auch undarstellbar ist. Wir müssen uns darüber klar werden, dass wir 50 Jahre nach Beendigung der Judenverfolgung in Europa auf dem Stand stehen, dass wir mittlerweile um die Ermordung von 1,5 Millionen Kindern in den Konzentrationslagern wissen, wir aber die Umstände ihres Todes nicht weitererzählen können: Das Unglaubliche würde seine Glaubwürdigkeit verlieren.
Spielberg hat sich der Grenze des Darstellbaren empfindlich genähert. Er ließ Schauspieler die qualvollen Todesängste der Menschen in den Gaskammern darstellen... - aber aus den Duschköpfen strömte eben kein Gas, sondern Wasser. Hat Spielberg hier „Auschwitz“ dargestellt?
In einer weiteren Szenenfolge wird der lodernde Schornstein einer der Krematorien gezeigt. Es werden Menschen gezeigt, die sehr ruhig - offenbar in Unkenntnis dessen, was mit ihnen geschehen soll - Treppen herabsteigen, ein Soldat tätschelt freundlich lächelnd die Wangen eines Kindes. Die Kamera schwenkt wieder auf den Schornstein, zeigt die meterhoch lodernden Flammen und die herabrieselnde Asche. Bilder, die grauenhaft genug sind, dabei jedoch aussparen, was „Auschwitz“ wirklich ausmacht.
Indem Spielberg sich auf metaphorische Andeutungen beschränkt, überlässt er es dem Zuschauer, die „Leerstellen“ auszufüllen. Der Vorwurf der Trivialisierung trifft Spielberg hier sicher nicht. Eine schwierigere Frage ist es aber, inwieweit ästhetische Mittel (Musik, Licht, Kameraperspektiven u.a.) einerseits zur Vermittlung notwendig sind, ohne dass gleichzeitig dem Mord eine Faszination verliehen wird.
Mit Blick auf die Schluss-Szenen des Films ist zu fragen, ob es überhaupt die Intention des Films ist, eine Darstellung oder gar eine ‘nachgespielte’ Dokumentation des Holocaust zu wagen.
Nach der Flucht Schindlers aus Brünnlitz wird gezeigt, wie die dort zurückgebliebenen Juden auf den in Schindlers Fabrik hineinführenden Schienenstrang schlafen und Itzchak Stern auf dem Boden sitzend über sie wacht, als plötzlich ein hochdekorierter russischer Soldat zu Pferd ihnen mitteilt, die Rote Armee habe sie befreit. Auf Sterns Frage, ob es im Osten noch Juden gäbe, gibt er keine Antwort, erklärt aber, dass sie weder nach Westen oder nach Osten gehen sollten, weil man die Juden dort hasse, gibt aber den mittlerweile sich erhebenden Juden den Hinweis, dass „dort“ eine Stadt liege, zu der sie doch gehen könnten.
Die nächste Szenenfolge zeigt die Juden unter den Klängen des Liedes „Jeruschalajim schel sahaw“ (Jerusalem von Gold) aufrecht und zielgerichtet auf diese Stadt zuwandern.
Spielberg, der sich ja weitgehend an den historischen Ereignissen orientiert, begeht hier einen überdeutlichen Anachronismus, der für das Verständnis des Films wesentlich ist und von der Kritik nicht ausreichend beachtet wurde. Das Lied „Jeruschalajim schel sahaw“ wurde erst 20 Jahre später, wenige Wochen vor dem 6-Tage-Krieg im Juni 1967 von Naomi Shemer in Israel verfasst. In diesem Krieg eroberten die Israelis außer dem Sinai, dem Gazastreifen und der Westbanks den Ostteil Jerusalems. Dort war seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948 eine Mauer mitten durch die Stadt verlaufen. Sie trennte die jüdisch verwaltete Neustadt von der jordanisch regierten Altstadt mit dem orientalischen Markt, mit dem jüdischen Viertel und dem Tempelberg. Passieren konnte man diese Grenze lediglich am so genannten „Mandelbaumtor“, jedoch nur als Ausländer oder als Nichtjude, so dass die Juden nicht an der so genannten „Klagemauer“ beten konnten. Die Freude der Juden über die Befreiung Gesamtjerusalems kommt in der vierten Strophe zum Ausdruck, die Naomi Schemer später hinzufügte.
Dieses Lied ist im heutigen Israel sehr beliebt und hat den Rang einer inoffiziellen Nationalhymne, die im Übrigen als hoffnungsfroher und weniger inhaltsschwer gilt als die bereits 1933 zur Nationalhymne Lied ‘Ha Tikwa’(„Die Hoffnung).
Spielberg kombiniert also ganz bewusst die Befreiung der Juden 1945 mit der Befreiung Jerusalems 1967 und lässt damit seine Intention deutlich werden: Es ist das Bekenntnis eines amerikanischen Juden für den Staat Israel mit seiner Hauptstadt Jerusalem. Spielberg bekennt sich zur Notwendigkeit der Existenz eines eigenen jüdischen Staates für das Leben und Überleben der Juden.
Allerdings stellt er die versuchte vollständige Vernichtung des Judentums, die Gründung des Staates Israels und die Befreiung Jerusalems nicht in einen kausalbedingten historischen Zusammenhang, die auch nur zu den Kurzschlüssen führen könnte, die die Gründung Israels aus dem Holocaust ableiten. Von Bedeutung scheint hier die Szene zu sein, die die ‘Schindler-Juden’ zeigen, als sie - gegen Ende des Films - auf den Schienensträngen - die sie noch kurz zuvor in die Massenvernichtungslager führten - aufwachten und sich dann erheben, um ins verheißene Land zu wandern. Die Assoziation zu Ez 37, - die Auferstehung aus den Gräbern und die Heimführung aus dem Exil - ist nicht zufällig, sondern stellt Spielbergs Film in die Tradition der jüdischen Holocaust-Theologie, die die Rettung der Juden vor der völligen Vernichtung als Handeln Gottes deutet. So wird in der Holocaust-Theologie der „Zusammenprall von Auschwitz und Jerusalem“, die Massenvernichtung und die Beendigung der 2000jährigen Diaspora nicht als ein zufälliges Ereignis gesehen: „Als im Jahre 1967 in Jerusalem die Drohung einer vollständigen Vernichtung (durch den 7-Tage-Krieg) plötzlicher Rettung wich, gab es wegen Auschwitz und nicht trotz Auschwitz lang anhaltendes Erstaunen. Nichts an der Vergangenheit war erklärt oder ins rechte Licht gerückt worden, keine Zukunftsängste waren gestillt. Aber gerade der Zusammenprall von Auschwitz und Jerusalem ergab einen Augenblick der Wahrheit - die Verwunderung über eine ausgesonderte jahrtausendealte Existenz, die nach Auschwitz noch immer möglich und wirklich ist.“
Somit enthält Spielbergs Film nicht nur eine politische, sondern auch eine theologische - genauer geschichtstheologische - Implikation. ‘Auschwitz’ und ‘Jerusalem’ sind zwei Ereignisse, die in einen Interpretationszusammenhang zu stellen sind. Noch unmittelbar unter den Auswirkungen von Auschwitz und Jerusalem stehend, weckt dieser Zusammenhang ‘großes Erstaunen’ (Fackenheim). Deutlich auszusprechen, dass in der Befreiung von Auschwitz und in der Befreiung Jerusalems Gottes Heilshandeln an seinem Volk sichtbar geworden ist, kostet angesichts dessen, was Menschen in Auschwitz Menschen zugefügt haben viel Mut.
Aber aus jüdischer Sicht steht die Befreiung von Auschwitz und das Ende der Diaspora neben der Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägyptens und der Heimführung aus dem babylonischen Exil.
Auf diesem theologischen Hintergrund wird die Stilisierung der Figur Schindlers, die sich am Ende des Films zunehmend von der historischen Vorlage ablöst, verständlich. Als Schindler mit den Frauen und Mädchen aus Auschwitz zurückkehrt, wird gezeigt, wie er in den vorderen Reihen der in das Lager Brünnlitz hineingehenden Menschenmenge alle nahezu hünenhaft überragt. Er wird hier identifiziert mit Mose, der sein Volk aus dem Schlund des Todes, aus dem Sklavenhaus Ägyptens herausgeführt hat. So wie Mose hat auch der die Freilassung ‘seiner Juden’ verlangt, aber auch wie Mose wird er sie verlassen müssen und das verheißene Land nicht betreten - Mose stirbt, und Schindler flieht vor den russischen Soldaten.
Zweifellos besteht zwischen Mose und Schindler eine fundamentale Differenz. Mose ist im biblischen Verständnis der von Gott berufenen und mit höchster Autorität ausgestattete „Übermittler und Interpret des sich im Gottesnamen JAHWE (Ex 3,14f.) geheimnisvoll verheißenden und fordernden Zuspruchs“ (Erich Zenger), während Schindler allenfalls als ein Werkzeug Gottes zu verstehen ist. Die Analogie zum Exodusgeschehen ist jedoch nicht zu übersehen. So verweist auch schon das im Filmtitel anklingende Leitmotiv auf den biblischen Kontext. In Ex 5, 1- 19 ist sehr breit von „Listenführern“ die Rede, von israelitischen Kapos, die im Auftrag der Ägypter die israelitischen Zwangsarbeiter zur Erfüllung noch höherer Arbeitsnormen antreiben müssen.
Zuletzt soll noch eine Filmsequenz in Erinnerung gerufen werden, deren symbolische Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte. Nachdem die Schauspieler und die noch lebenden „Schindler-Juden“ auf der Grabplatte Schindlers ihre Steine niedergelegt haben, legt Spielberg selbst eine Rose aufs Grab, wobei die niedergelegten Steine deutlich ein Kreuz erkennen lassen. Diese Geste der Versöhnung eröffnet vielleicht einen Weg, auf dem sich künftig Juden und Christen näher kommen können.
MATERIALTEIL:
M 1: Oskar Schindler |
M 2: Das KZ Ploszow |
M 3: Jerusalem von Gold
aus: Aschira. Jüdische Lieder, hrsg. v. Andreas Brosch/Michael Zank, S. 39f |