Silke Leonhard: Lieber Herr Iser, was bedeutet Medienbildung im Jahr 2019 – in Bezug auf Digitalisierung? Gibt es auch Bereiche, die analog bleiben?
Thomas Iser: Durch die Digitalisierung in allen Lebensbereichen wird Medienbildung mehr und mehr zu einem Teil der Allgemeinbildung. Dies wurde bereits im Landesprogramm „Medienkompetenz in Niedersachsen – Ziellinie 2020” deutlich gemacht. Auch drückt sich dies in der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt” von 2016 aus. Es geht darum, den jungen Menschen in der Schule und darüber hinaus Kompetenzen zu vermitteln, die ihnen aufgeklärte Mündigkeit und aktive Teilhabe in einer immer stärker durch Digitalisierung geprägten Welt ermöglichen. Sechs Kompetenzbereiche sind hierzu benannt worden:
- Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
- Kommunizieren und Kooperieren
- Produzieren und Präsentieren
- Schützen und Sicher Agieren
- Problemlösen und Handeln
- Analysieren und Reflektieren.
In Niedersachsen wird die KMK-Strategie durch den „Orientierungsrahmen Medienbildung in der Schule” konkretisiert, der Hinweise zur Umsetzung und zur Unterstützung enthält. Er wird derzeit in der Praxis erprobt und demnächst für alle veröffentlicht.
An der Vielfalt der Kompetenzen erkennt man schon, dass es um weit mehr als um das Bedienen von digitalen Geräten geht und dass viele dieser Kompetenzen schon lange in den Schulen – auch analog – vermittelt werden. Neu ist der verstärkte Umgang mit digitalen Werkzeugen, der nun auch in den Schulen stattfinden soll. Aber Lernen wird nach wie vor analog in den Köpfen und in sozialer Auseinandersetzung miteinander stattfinden, insofern wird Lernen trotz Medienbildung und Digitalisierung auch weiterhin analog bleiben.
Leonhard: Was sieht der niedersächsische „Masterplan Digitalisierung” vor? Was ist am leichtesten, was am schwersten umzusetzen?
Iser: Im August 2018 hat die Landesregierung im Masterplan ressortübergreifend weitreichende Digitalisierungsvorhaben benannt, die auch den Bereich der schulischen Bildung umfassen. So hat sich das Land zum Ziel gesetzt, alle Schulen bis zum Schuljahr 2021/22 ans schnelle Internet anzubinden. Darüber hinaus sollen Schüler*innen mit persönlichen, eigenfinanzierten digitalen Endgeräten ausgestattet werden, wenn deren Schulen dies beschließen. Deshalb werden digitale Endgeräte zukünftig als Lernmittel anerkannt sowie ein Unterstützungssystem für bedürftige Familien geschaffen.
Eine niedersächsische Bildungscloud, die derzeit pilotiert wird, soll im Zuge des Masterplans für alle Schulen als datenschutzkonforme, kollaborative Lern- und Arbeitsplattform in Zukunft zur Verfügung stehen. Parallel dazu sollen sämtliche Lehrpläne aktualisiert werden, um die Kompetenzen der KMK-Strategie in den Schulen zu verankern. Die Qualifizierung der Lehrkräfte sowie die medienpädagogische Beratung der Schulen spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Hier sollen in Zukunft auch digitale Lernformate zum Einsatz kommen, um in unserem Flächenland auch die Potenziale, die hier entstehen, für die Lehrkräftebildung zu nutzen. Die Qualifizierung gezielt und in hinreichender Form an die Lehrkräfte und Schulen zu bringen, scheint mir die größte Herausforderung in diesem Kontext zu sein, da wir die Menschen vor Ort bei diesem Transformationsprozess mitnehmen müssen, wenn er gelingen soll. Hardware in die Schulen zu stellen, ist dagegen vergleichsweise einfach umzusetzen.
Erwähnen möchte ich auch noch drei Innovationsprojekte, für die der Masterplan Mittel vorsieht. Die Themen „Sensitive Roboter“, die in der zukünftigen Arbeitswelt eine entscheidende Rolle als „Mit“-Arbeiter spielen werden, werden in einem Pilotprojekt an 50 Schulen erkundet ebenso wie der 3-D-Druck, der herkömmliche Produktionsverfahren mehr und mehr ablöst und Menschen in die Lage versetzt, selbst Produkte zu entwickeln und kreativ zu gestalten. Auch so sollen Schüler*innen zur Teilhabe in der digitalen Welt befähigt werden. Eine dritte Maßnahme soll die wohnortnahe Beschulung im berufsbildenden Bereich durch den Unterricht über Videokonferenz-Systeme und Blended-Learning-Module sichern helfen.
Leonhard: Was bedeutet Medienbildung für die Schulentwicklung?
Iser: Das Lernen im digitalen Wandel zu gestalten, ist für die administrative Ebene, aber auch für jede Schule eine große Entwicklungsaufgabe. Wir versuchen mit den Maßnahmen des Masterplans und auch mit dem DigitalPakt Schule, der für Niedersachsen nach derzeitigem Stand ca. 460 Mio. Euro vorsieht, die technischen und normativen Voraussetzungen zu schaffen. So sollte es für die Schulen möglich sein, ihren Schüler*innen die Kompetenzen für die digitale Welt zu vermitteln. Jede Schule wird hier ihren eigenen Weg gehen müssen. Manche haben sich schon auf den Weg gemacht. Sinnvoll ist es, von solchen Schulen zu lernen. Wir haben in Niedersachsen starke Netzwerke mit langjähriger Erfahrung, die Schulen nutzen können.
Leonhard: Verraten Sie uns doch bitte noch Ihre Vision: Wie sieht Unterricht an niedersächsischen Schulen im Jahr 2025 konkret aus?
Iser: Ich denke, dass im Jahr 2025 jede Schülerin und jeder Schüler in einer niedersächsischen Schule digitale Medien selbstverständlich zum Lernen nutzen kann, wenn es sinnvoll erscheint. Das Lernen ist dadurch stärker individualisiert und auf die Bedürfnisse aller abgestimmt. Die Lehrkräfte fühlen sich durch digitale Medien nicht mehr herausgefordert oder bedroht, sondern nutzen sie überall dort, wo sie hilfreich für das Lernen sind. Und sie unterstützen ihre Schüler*innen dabei, ein reflektiertes Medialitätsbewusstsein zu entwickeln. An vielen Stellen werden Lehrkräfte durch die Technik von administrativen Aufgaben entlastet, sie nutzen Netzwerke mit anderen Lehrkräfte – auch anderer Schulen –, um sich über die besten Methoden auszutauschen und haben insgesamt mehr Zeit für guten Unterricht und für ihre Schüler*innen. Durch vielfältige Beratungs- und Unterstützungsangebote, die sowohl online als auch persönlich zu Verfügung stehen, können sich die Schulen und Lehrkräfte die Hilfe holen, die sie benötigen.
Leonhard: Und welche Unterstützungsmöglichkeiten bietet das MK den Schulen heute schon an – also an wen können sich Schulen konkret wenden?
Iser: In Niedersachsen gibt es das Netzwerk Medienberatung mit seinen achtzig medienpädagogischen Berater*innen, die online von den Schulen angefordert werden können (medienberatung.online).
Das NLQ bietet daneben auch fachspezifische und fachübergreifende Fortbildungen an, die über die Veranstaltungsdatenbank VEDAB gebucht werden können (https://vedab.de). Für einführende Informationen bietet sich das Portal „Medienbildung” an, das ebenfalls auf dem niedersächsischen Bildungsserver NiBiS zu finden ist (www.nibis.de/nibis.php?menid=3447) ebenso wie das Netzwerk Medienkompetenz mit seinen Partnern wie der NLM und der Landesinitiave n-21 (www.medienkompetenz-niedersachsen.de).
Leonhard: Lieber Herr Iser, vielen Dank für diesen Stand der Perspektiven digitaler Bildung im Land!