Auf dem Weg vom Mann zur Transfrau

Beate Peters im Gespräch mit Helen Lange

 

Beate Peters: Du bist als Mann geboren und lebst heute als Frau. Wie kam es zu dieser einschneidenden Veränderung?

Helen Lange: Mich hat die Frage danach, wer ich bin und ob mein Körper zu mir passt, ein Leben lang beschäftigt. Als Kind war ich sehr angepasst und habe mich so verhalten, wie meine Eltern es sich wünschten. Ich war ihr Sohn und verhielt mich so, wie es von mir als Junge erwartet wurde. Solange sexuelle Wünsche nicht aufkamen oder mir nicht bewusst waren, konnte ich diese Erwartungen ohne Schwierigkeiten erfüllen. Mit Beginn der Pubertät Ende der 70er Jahre veränderte sich etwas für mich: Ich spürte den starken Wunsch, eine Frau zu sein. Ich nahm mit großem Interesse zur Kenntnis, dass in Casablanca die erste Operation zur Geschlechtsumwandlung durchgeführt wurde. Zunächst war das natürlich keine konkrete Option für mich.

Peters: Heute sitzt du aber als Frau vor mir. Also bist du als Jugendlicher dem Thema und dir treu geblieben. Wann und wie hast du begonnen, deinen Wunsch erkennbar umzusetzen?

Lange: Zunächst näherte ich mich der Transvestie und probierte als Jugendlicher, ob mein Wunsch durch das Spiel mit den Rollen gestillt werden konnte. Gelegentlich tauschte ich meine Alltagskleidung gegen Kleider. Schnell wurde mir dabei allerdings klar: Da stimmt etwas für mich nicht. Das ist nicht die Lösung meines Problems.

Peters: Was hat zur Lösung deines Problems geführt – und hattest du Unterstützung dabei?

Lange: Von meinen Eltern habe ich keine Unterstützung erfahren. Sie waren für mich keine Ansprechpartner, die mein Anliegen verstehen konnten oder wollten. Ich habe vieles mit mir selbst ausgemacht und nach Wegen selbst gesucht. – Bei einer Familienfeier hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Da war ich 17 und wir hatten uns bei meiner Halbschwester getroffen. Mitten bei der Feier fiel mein Blick auf eine Ausgabe des „Stern“, auf dessen Titelseite ein Torso abgebildet war, der eine weibliche und eine männliche Seite hatte. Von einer auf die andere Sekunde hatte ich plötzlich eine innere Klarheit: „Da könnte die Reise hingehen! Ich wechsele das Geschlecht.“ – Übrigens finde ich es fragwürdig, hier von „Transsexualität“ zu sprechen, weil der Begriff sofort die sexuelle Praxis impliziert. Es geht aber um viel mehr. Es geht um das Mensch-Sein. Es geht darum, so sein zu dürfen, wie man ist. Und es geht um das Mann-Sein und das Frau-Sein. Deshalb spreche ich lieber von „Trans-Mann“ und „Transfrau“. Ich bin also heute eine Transfrau, die ihren „biologischen“ Ursprung als Mann hat.

Peters: Der Weg bis zur Transfrau war vermutlich kein leichter. Heute bist du über 50. Du wurdest also in den Achtzigern volljährig. Wann hast du begonnen, dich offen als Frau zu zeigen?

Lange: Zuerst habe ich versucht, die Frau in mir weg zu kämpfen. Denn bei Offenlegung drohte der fünffache Tod: das soziale Aus, das familiäre Aus, das berufliche Aus, das finanzielle Aus und das partnerschaftliche Aus. Für mich war klar: „Ich will nicht sterben!“ Also habe ich eine Bekämpfungsstrategie entwickelt: Ich ging zur Bundeswehr und verpflichtete mich für zunächst 15 Jahre. Dort war ich erfolgreich und machte Karriere: Ich wurde Pilot, Offizier und arbeitete mich bis zum Rang des Oberleutnants vor. Ich erprobte und erlebte, wo meine Grenzen sind. Ich zeigte mich als Mann, der zielstrebig voranging. Schließlich erhielt ich sogar einen Studienplatz an der Bundeswehruniversität. Ich studierte Pädagogik im Rahmen meiner Bundeswehrlaufbahn und heiratete eine Frau und bekam mit ihr eine Tochter.

Peters: Konntest du mit deiner Frau über deinen Wunsch, selbst Frau zu sein, sprechen?

Lange: Ich sprach mit ihr, aber meine erste Frau konnte mein So-Sein nicht akzeptieren. Wir trennten uns und ich flüchtete mich in die Arbeit. Nach zehn Jahren verließ ich die Bundeswehr und stürzte mich in ein privates Projekt. Ich baute ein Rittergut um und veranstaltete dort große Festivals. Um mich zu betäuben, arbeitete ich oft 80 Stunden in der Woche. Dabei musste ich mich nicht mehr spüren. Gleichzeitig nahm ich aber auch schon Hormon-Präparate, damit sich mein Körper in Richtung Frau entwickelte. Das hielt ich allerdings verborgen und war weiter als Mann mit Frauen zusammen. Ich habe sogar ein zweites Mal geheiratet, und meine zweite Frau konnte mein So-Sein akzeptieren. Später trennten wir uns, und ich ging weitere Partnerschaften mit Frauen ein. Heute denke ich, dass ich auch versucht habe, meinen eigenen Wunsch nach Weiblichkeit durch die Weiblichkeit der Partnerin zu kompensieren.

Peters: Heute hast du deutlich erkennbare äußere weibliche Merkmale. Wann hast du begonnen, deinen Körper auch äußerlich verändern zu lassen?

Lange: Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mich durchgerungen habe, konsequent zu meinem Frau-Sein zu stehen und offen als Frau zu leben. Für mich war es ein langer Weg und im Nachhinein würde ich sagen: Ich habe viel Zeit verschwendet. Jedoch wäre ich nicht die heutige Frau, wenn ich nicht meine Erfahrungen und Erlebnisse als Mann gemacht hätte. Dies ist ein Fluch und ein Segen für mich.
Ich habe lange nur phasenweise ausprobiert, Frau zu sein. Meine zweite Geburt fand im September 2010 statt. Ich flog nach Thailand, um mein Gesicht operieren zu lassen. Das hat viel Geld gekostet. Aber es war auch eine Verzweiflungstat. Für mich ging es ums Überleben. Ansonsten hätte ich mich aufgegeben. Die Hormonbehandlung unterstützte dann meine weibliche Sozialisation. Ich kam in die zweite Pubertät, was nicht einfach war. Eine Pubertät mit über 40! In der Zeit habe ich viel von jüngeren Frauen gelernt. Ich habe Frauenfußball gespielt. Allerdings hat mich auch erschreckt, wie sehr sich Frauen manchmal freiwillig ausliefern. Da merkte ich, dass ich durch meine Erfahrung sehr bewusst mein Verhalten steuern kann und Freiheiten habe, weil ich verschiedene soziale Rollen kenne und in meinem Handeln nicht nur auf „Frau“ festgelegt bin.

Peters: Gibt es noch einen Mann in dir?

Lange: Ich setze das Männliche bewusst weiter ein. Ich habe viel Kraft, und der ganze Garten ist von mir beackert und umgegraben. In manchen Situationen hilft es mir, zu wissen, wie ich als Mann gefühlt und gedacht habe. Ich bin jetzt „Queer“, ich bin ich und so, wie ich bin.

Peters: Welchen Einfluss hat dein Frau-Werden auf die Partnerwahl?

Lange: Oft wird nach einer Geschlechtsumwandlung die Frage nach der sexuellen Orientierung zur neuen Frage. Wenn man jemanden liebt, dann bleibt meist die Liebe, egal, ob er Mann oder Frau ist. Manchmal bleiben Beziehungen bestehen. Es ist ja die Frage, ob der Partner oder die Partnerin den Weg mitgehen kann. Meine Partnerinnen konnten es nicht. Für mich sind jedoch weiterhin Frauen als Partnerin interessant.

Peters: Wie hat deine Familie darauf reagiert, dass du zu deinem Frau-Sein stehst?

Lange: In vielerlei Hinsicht hat sich die Bedrohung des „familiären Aus“ leider erfüllt. Was mich aber sehr freut, ist, dass ich eine gute Beziehung zu meiner Tochter habe. Sie erfuhr von mir, dass ich mich als Frau zeigen wollte, als sie 18 war. Ihr Vaterbild war sehr männlich. Heute sagt sie: „In dem Moment ist mein Vater gestorben.“ Das war nicht leicht für sie. Aber sie sagt heute auch: „Zu dir kann ich kommen, wenn ich zu meinen Eltern nicht gehen würde.“ Offenbar kann sie mich in einer anderen Rolle, eher als Freundin wahrnehmen. Ich merkte, dass sie vom Verstand her gut und schnell damit klar kommt. Emotional brauchte sie viel länger. Es ist nicht zu unterschätzen, wie lange Menschen brauchen, das Geschlecht einer Person in ihrem Bewusstsein der „Realität“ anzupassen. Es braucht sicher eine lange Zeit der Verarbeitung.

Peters: Herzlichen Dank für deine Offenheit und alles Gute für dein Leben als Transfrau!


Helen Lange steht bei Fragen und für Beratungsgespräche in Gemeinden und Schulen nach Möglichkeit gern zur Verfügung. Bei Interesse kann über Beate Peters (beate.peters@evlka.de) der Kontakt hergestellt werden.

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Helen Lange wurde als Mann geboren. Foto: privat