Sönke v. Stemm: Liebe Frau Kasprzyck, Sie arbeiten an der Schnittstelle von Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit, und zwar mit musischen Projekten. Welche musischen Angebote gibt es in Ihrer Gemeinde für Kinder und Jugendliche?
Claudia Kasprzyck: Rein musisch sind drei Chorgruppen (1. bis 3. Klasse, 4. bis 6. Klasse und ab der 7. Klasse). Einige Ältere singen auch im Kirchenchor, der aber auch ein jüngeres Repertoire hat (neues geistliches Lied). Neben der musischen Arbeit ist aus dem Jugendchor heraus ein Jugendkreis entstanden – Zeit für Gespräche, und einmal im Quartal wird ein Jugendgottesdienst erarbeitet und gemeinsam mit der Gemeinde gefeiert. Auf diese Weise konnte die Probenarbeit (von den notwendigen Gesprächen und) von dem Nachdenken über die Inhalte getrennt werden. Der Jugendkreis bietet die Möglichkeit, engeren Kontakt zu den Jugendlichen zu halten und auf ihre Fragen bzw. Nöte einzugehen, die die normale Chorarbeit sprengen.
v. Stemm: Wie verknüpfen Sie die reguläre Konfirmandenarbeit mit den musischen Projekten?
Kasprzyck: In unserer Gemeinde dürfen die Konfirmandinnen und Konfirmanden sich in einer bestimmten Phase Gemeindeprojekte aussuchen und in der Gemeinde mitzuarbeiten. Es gibt nicht nur musische Angebote. Da viele Jugendliche schon als Kinder an den musischen Angeboten teilgenommen haben und auch die angegliederte Musikschule nutzen, gibt es immer wieder gut ausgebildete Konfirmandinnen und Konfirmanden, die als Projekt die Band wählen und den großen Chor bei Aufführungen begleiten. Dafür ist allerdings schon ein bestimmtes Können gefragt. Ohne Vorkenntnisse laufen aber auch Percussion-Gruppen, besonders gut bei Jungen im Stimmbruch oder bei motivierten Kindern. Meist haben wir mehr Mädchen als Jungen in den Gruppen. Es geht uns dabei vor allem um die Verbindung des Alltags bzw. der Interessen der Konfirmandinnen und Konfirmanden mit der Kirchengemeinde.
v. Stemm: Welche personellen Voraussetzungen (und welche finanziellen) machen diese besondere musische Arbeit möglich?
Kasprzyck: Voraussetzung ist ein Gemeindeprofil, in dem die musische Arbeit einen großen Stellenwert hat. Das Konzept ist eher langfristig angelegt und zielt darauf, schon mit Kindergruppen zu beginnen und dann kontinuierliche Angebote vorzuhalten, die es Kindern und Jugendlichen bzw. Konfirmandinnen und Konfirmanden ermöglichen, quer einzusteigen.
Finanziell gibt es für Kinder und Jugendchöre oder auch andere Gruppen meist kein Geld von der Landeskirche. Ein Förderverein Kirchenmusik kann da vieles abfangen, erfordert aber auch wieder Menschen, die diese Arbeit machen wollen.
Ein weiterer finanzieller Punkt sind Kosten, die bei Aufführungen oder bei Anschaffungen von Instrumenten entstehen. Diese Kosten hängen von der Beschaffenheit der Kirchen, der Größe der Gruppen, dem Anspruch an die Aufführungsqualität (Licht, Verstärkung) etc. ab.
v. Stemm: Ist die Musik ein besonderer Zugang für Kinder und Jugendliche, um sich mit religiösen Themen und Fragen zu beschäftigen? Haben Sie ein Beispiel?
Kasprzyck: Wenn ich ein Musical einer biblischen Geschichte aufführen möchte, dann muss ich die Geschichte mit den Kindern besprechen. Kinder im Grundschulalter stellen noch unbefangen Fragen, die manchmal einem Erwachsenen die Geschichte von einer anderen Seite beleuchten.
Bei den moderneren Musicals werden die Geschichten auch ausschmückend erzählt, was wieder neue Fragen aufwirft.
Ein Beispiel ist schwer, aber vielleicht eine andere Erklärung, warum mit Musik bzw. Theater (szenisches Spiel) ein religiöser Inhalt anders rüber kommt bzw. anders verstanden oder aufgenommen wird. Musik selber zu machen – besonders Singen – ist auch eine Form der Therapie, um Menschen zu öffnen, den Kopf frei von Sorgen zu machen, bei einer Sache mit Kopf und Herz dabei zu sein. Wenn eine Gruppe zusammen als szenische Übung Wasser zu Wein gewandelt hat, also jeder der Gruppe selber die Rolle Jesu gespielt hat, dann bleibt es mehr in Erinnerung, als wenn nur erzählt wurde. Dann kann man davon auch singen.
v. Stemm: Welches Projekt aus der jüngsten Vergangenheit ist Ihnen noch am meisten in Erinnerung / und warum?
Kasprzyck: Ein derzeitiger Konfirmand aus der Lebenshilfe hat mit mir und einem erfahrenen Schlagzeugschüler mit diversen Percussionsinstrumenten den Kirchenchor bei einer Afrika Messe begleitet. Bei den Proben hat er laut gesungen und ist durch den Raum getanzt. Wir wussten nicht, was er bei der Aufführung machen würde. Ich habe bei der Begrüßung die Gemeinde auf dieses Inklusionsprojekt hingewiesen und sie darauf vorbereitet, dass ungehemmte Freude von diesem Jungen ausgehen würde. Nach der Messe waren alle von dieser Freude angesteckt, teilweise mit Tränen in den Augen. Die afrikanische Begeisterung und ein jubelndes Kyrie, Gloria, etc. haben noch viele Gespräche in der Gemeinde ausgelöst.
v. Stemm: Sind die aktuellen Pop-Charts tauglich als Kirchenmusik?
Kasprzyck: Welcher Konfirmand hat in seiner Familie Choräle wie „All Morgen ist ganz frisch und neu“ oder „Jesu meine Freude“ kennen gelernt? Welche Musik hören die meisten Gemeindeglieder unter 40 Jahren? Wir haben etwas ausprobiert, was in der Gemeinde gut ankam: Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich in einem Vorstellungsgottesdienst mit ihrem derzeitigen Lieblingslied vorgestellt. Die Lieder wurden von CD / MP3 abgespielt. Beim Übersetzen der Texte ergaben sich tiefe Gespräche, bzw. die Konfirmanden haben auch gemerkt, wie blöd mancher Text ist.
Nach meiner Erfahrung sind derzeit aktuelle Themen bei den Jugendlichen: Abschied von Freunden; wie sieht die Zukunft aus? Das Leben läuft gerade schlecht; ist Abhauen die einzige Lösung?
Über ihre Musik kann man den Bogen zu biblischen Geschichten und zum Glauben bekommen. Bewusst gebe ich keine Titel und Beispiele, da sich der Geschmack und die Top Ten ständig ändern.
Es bleibt ein spannendes Abenteuer dieses Experiment immer wieder zu machen. Ein Vorteil: Man benötigt keinen Kirchenmusiker, der die Musik begleiten müsste.
v. Stemm: Wo finde ich Noten und gute Musicals für größere Projekte?
Kasprzyck: Die Creative Kirche hat viele biblischen Geschichten, die modern und peppig geschrieben sind. Man benötigt meist nur einen Erzähler. Zusätzlich gibt es ein Werkstattbuch mit Requisitenvorschlägen, Probenplan, etc. Adonia bietet auch biblische Musicals an, teilweise auch für Ältere. Sie sind aufwändiger zu erarbeiten, da die Kinder und Jugendlichen selber schauspielern müssen.
Abakus hat ein breites Angebot. Siegfried Fietz ist bekannt für modernes Liedgut.
Im Fidula-Verlag findet man auch einiges Brauchbares, allerdings ist es ein Schulverlag und nicht alle Stücke passen in einem kirchlichen Rahmen.
v. Stemm: Was empfehlen Sie Gemeinden, die intensiver in eine solche musische Arbeit einsteigen wollen?
Kasprzyck: Mit mir Kontakt aufzunehmen: Musikhaus- Kasprzyck@t-online.de