Es ist eine einfache Frage, und ich will darauf an diesem Ort mit einer einfachen Antwort antworten: Ja, selbstverständlich, denn wir haben, wie die Schrift sagt, keinen Gott als den einen, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm (1Kor 8,6).
Juden, Christen und Muslime glauben an denselben Gott. Wir glauben an den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat. An den Gott, von dem alles ist und wir zu ihm. Wir glauben an den Gott, der sich uns Menschen mitgeteilt hat. An den Gott, der uns aufgetragen hat, seine Gebote zu achten.
Juden, Christen und Muslime glauben an denselben Gott. Zugleich streiten wir darüber, wie Gott in angemessener Weise zu verehren ist. Hat er sich in der Tora zu erkennen gegeben? In Jesus Christus? Im Koran? Was ist ein rechter Gottesdienst? Was gebietet Gott für das tägliche Leben und den Umgang untereinander?
Juden, Christen und Muslime streiten darüber, wie Gott in angemessener Weise zu verehren ist. Dieser Streit ist nach menschlichen Maßstäben nicht zu entscheiden. „Man untersucht, man zankt, man klagt. Umsonst“ sagt der weise Nathan in Lessings Ringparabel. Der Streit wird andauern, solange es Juden, Christen und Muslime gibt.
Die entscheidende Frage an uns ist daher, auf welche Weise wir den unvermeidlichen Streit führen. Streiten wir „auf schöne Art“, wie es der Koran an einer Stelle formuliert (Sure 29,46)? Oder streiten wir mit Rechthaberei, mit Verachtung, Polemik, gar mit Gewalt?
Aus christlicher Sicht ist die Antwort auf diese Frage klar und eindeutig. Alle drei synoptischen Evangelien berichten, dass Jesus seine Schüler gelehrt hat, dass das wichtigste Gebot in der Schrift das zweifache Gebot der Liebe ist: „Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten … [und] fragte … ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: ‚Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften‘ (5. Mose 6,4-5). Das andre ist dies: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als dieses“ (Mk 12,28-31).
Das Gebot der Nächstenliebe gilt nach dem Zeugnis der Bibel gegenüber jedermann, nicht nur für das Verhalten in der eigenen Familie oder der eigenen Religionsgemeinschaft. Die berühmte Geschichte vom barmherzigen Samaritaner macht das unmissverständlich deutlich: Auf die Frage eines Schriftgelehrten, wer das denn sei, mein „Nächster“ (3. Mose 19,18), antwortet Jesus nach dem Bericht des Lukasevangeliums mit der Geschichte eines Mannes, der nach einem Überfall von einem Ausländer gerettet wird, noch dazu von einem Mann mit einer fremden Religion (Lk 10,29-37). Dieser Mann wird zum Beispiel dafür, was „Nächstenliebe“ heißt: Ein menschenfreundlicher Umgang mit jedermann, ohne Ansehen der Person, der Herkunft oder der Religion.
Auf die Titelfrage bezogen, verstehe ich das christliche Zentralgebot heute wie folgt: Juden und Muslime stimmen mit mir in manchen, die Religion betreffenden Fragen überein. In manchen Punkten sind sie anderer Meinung. Diese Unterschiede gilt es zu respektieren. Ich soll meine Nächsten behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte. Und wenn es um der Sache willen nötig ist, dass ich mit ihnen streite, dann soll ich als Christ auf „schöne Art“ streiten, mit Klugheit, Demut und Achtung vor dem Anderen.
Literatur
- Reinbold, Wolfgang: Vier Beobachtungen zur Frage, ob Christen und Muslime an denselben Gott glauben, Aufschlüsse 43, 2011
- Renz, Andreas: Beten wir alle zum gleichen Gott? Wie Juden, Christen und Muslime glauben, München 2011
- Sparn, Walter: Die Gottesfrage im interreligiösen Dialog, in: Ev.-luth. Landeskirche in Bayern (Hg.), Der interreligiöse Dialog, München (erscheint demnächst)
- Tworuschka, Udo: Glauben alle an denselben Gott? Religionswissenschaftliche Anfragen, in: Christian Danz/Ulrich H. J. Körtner (Hg.), Theologie der Religionen. Positionen und Perspektiven evangelischer Theologie, Neukirchen 2005