Mit Schülerinnen und Schülern der Sek II von der (Un-)Verfügbarkeit Gottes sprechen

von Kirsten Rabe

 

„Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen;
aber nun hat mein Auge dich gesehen“ (Hiob 42,5)


Vorüberlegungen

Mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II über die Gottesfrage zu sprechen, setzt voraus, dass sie sich einlassen auf etwas, das von dem einen als zu privat, von der anderen als Fremderfahrung, von einem dritten als ganz vertraut empfunden werden kann. Hinzu kommt, dass alles menschliche Reden von Gott (R. Bultmann) ein subjektives ist, das nur aus der Gott-Mensch-Beziehung heraus verstanden werden kann und will. Damit gibt sich der Unterrichtsgegenstand selbst letztlich in unterschiedlicher Hinsicht gleichermaßen verfügbar wie unverfügbar.

Die Gottesfrage im Religionsunterricht immer auch zugleich aus der Perspektive der Anthropologie zu stellen, liegt nicht nur theologisch auf der Hand, sondern ermöglicht didaktisch Chancen für den Unterricht. Jugendliche dieser Jahrgangsstufen stellen verstärkt die Frage nach der eigenen Identität und der persönlichen Lebensgeschichte. Sie machen Erfahrungen von Freiheit und Machbarkeit ebenso wie die von Begrenzung und Ohnmacht. Dabei kann die Frage nach Gott, nach seiner Gegenwart und Abwesenheit, Teil dieser persönlichen Erfahrungen sein.

Die Frage nach der (Un-)Verfügbarkeit Gottes ist die nach der Klärung und Vergewisserung der eigenen Gottesbeziehung. Und diese Gottesbeziehung ist grundgelegt in der durch Gott gestifteten, sein Geschöpf wertschätzenden Beziehung der imago dei. Alles Reden von Gott (und mit Gott) trifft letztlich immer wieder in dieser zentralen biblischen Aussage zusammen.
Gegenwart oder Ferne Gottes werden vor allem in existenziellen Situationen des Lebens relevant, in denen Vergewisserung aus unterschiedlichsten Gründen notwendig wird. Diese Erfahrung kann den Jugendlichen vertraut sein – und steht häufig in engem Zusammenhang mit der Theodizeeproblematik.

Die (Un-)Verfügbarkeit Gottes lässt sich im Unterricht thematisieren an biblischen Figuren, deren Geschichten von solchen existenziellen Situationen erzählen: Menschen wie Abraham, Mose, Hiob, Jakob oder Jesus selbst können in ihrem Ringen mit Gott und ihrer Suche nach Vergewisserung für Schülerinnen und Schüler Anknüpfungsmöglichkeiten für Identifikation geben.


Hiob

Das Buch Hiob bietet anthropologisch wie theologisch zentrale Aspekte für die Frage nach der (Un )Verfügbarkeit Gottes:

  1. den Wandel von Selbstbild und Gottesbild in der Figur des Hiob selbst,
  2. Klage und Theophanie als Ausdruck und Vergewisserung der Gott-Mensch-Beziehung,
  3. die Auflösung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs.
     

Über die Erzählebene hinaus stellt das Buch Hiob nicht nur die grundsätzliche Anfrage an die Verheißung und den Segen Gottes, sondern spiegelt gleichzeitig Facetten des Menschen- und Gottesbildes der drei abrahamitischen Religionen wider.


Bausteine für den Unterricht

Im Folgenden werden Ideen für eine Unterrichtssequenz skizziert, die je nach schulinternem Lehrplan im Semester zur Gottesfrage oder in dem zur Frage nach dem Menschen ihren Ort finden kann.
Die Schülerinnen und Schüler bringen aus den Jahrgangsstufen 9/10 für gewöhnlich Vorwissen zum Buch Hiob mit. In diesem Doppeljahrgang liegen inhaltliche Schwerpunkte auf dem Gottesbild und der Theodizeeproblematik. [1]

Entsprechend werden für die konkrete Unterrichtsplanung im Kursunterricht der Sek II die Auswahl und der Umfang der Textauszüge ausfallen, die gelesen und erarbeitet werden. [2]

Es ist für das Verständnis der Erzählung nicht zwingend notwendig, die Lektüre als Ganzschrift zu lesen. Zentrale inhaltliche Elemente sind:

  • die Vorgeschichte Hiobs, die auch sein Denken im Tun-Ergehen-Zusammenhang deutlich macht;
  • das erfahrene Leid, das diesen Menschen immer ein Stück mehr zerstören will;
  • die Antworten der Freunde Hiobs, die selbst nicht anders können als im Tun-Ergehen-Zusammenhang zu argumentieren und sich – aus Sicht des Lesers – damit als ziemlich hilflose, subjektiv betrachtet sogar als schlechte Freunde zu erkennen geben;
  • die Klage Hiobs als existenzielle Anfrage an die Gegenwart und Gerechtigkeit seines Gottes;
  • die Theophanie und Antwort Gottes aus dem Wettersturm;
  • die Zurechtweisung der Freunde durch Gott und damit die Widerlegung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs und eines falschen Gottesbildes durch Gott selbst;
  • das Ende der Geschichte – das Schülerinnen und Schüler in seinem „Happy End-Charakter“ häufig als sehr fragwürdig empfinden.
     

Hiob klagt Gott an

Hiob, dessen Gottesbeziehung und Weltdeutung sich aus dem Tun-Ergehen-Zusammenhang heraus verstehen, weiß, dass er zu Unrecht leidet. Statt sein Schicksal aber weiterhin demütig hinzunehmen, wie er es seiner Frau gegenüber zu Beginn der Geschichte noch vertreten hat (M 2: „Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!“), verflucht Hiob seine Existenz (M 1) und wirft Gott dessen größtes Geschenk, sein Leben, wieder vor die Füße: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin!“ Drastischer kann er seinem Schöpfer kaum begegnen. [3]

Hiob geht noch weiter. Er fordert Gerechtigkeit ein und behauptet selbstbewusst seine Unschuld: „Gott möge mich wiegen auf rechter Waage, so wird er erkennen meine Unschuld! O hätte ich einen, der mich anhört – hier meine Unterschrift! Der Allmächtige antworte mir!“
Problemtisch an dieser eingeforderten Gerichtssituation, die Schülerinnen und Schüler in einem Schaubild nachzeichnen können, ist in letzter Konsequenz die Frage, wer der Richter sein kann, wenn Gott zum Angeklagten wird.

Den Jugendlichen muss an dieser Stelle deutlich werden, dass Hiobs (An-)Klage in der absoluten Gewissheit seiner Gottesbeziehung geschieht. Es ist nicht etwa so, dass Hiob seinen Glauben an Gott aufgibt, wie seine Frau es von ihm einfordert (M 2: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!“) und wie es Schülerinnen und Schüler manchmal etwas voreilig formulieren. Die Klage Hiobs macht nur Sinn innerhalb der Gott-Mensch-Beziehung. Sonst liefe sie ins Leere. Hiob fordert selbstbewusst ein, dass Gott die zu ihm gestiftete Beziehung und die damit verbundene Verheißung und den Segen von Angesicht zu Angesicht bestätigt – dass sein verborgener Gott sich ihm in dieser bedrohlichen Situation als verfügbar zeigt.

Das Gespräch darüber, mit welchem Menschen sich die Jugendlichen zuletzt sehr heftig gestritten haben, kann hier eine Verständnisbrücke bauen: Man ringt nur mit einem Gegenüber, mit jemandem, der einem wirklich wichtig ist. Und den schreit man dann möglicherweise auch mal an, wie es Hiob hier mit Gott tut.

Die Skulptur von Martin Wilke (M 3) zeigt die intensive Gottesbeziehung in den überdimensionalen Händen des betenden und ringenden Hiob an. Die existenzielle Bedrohung durch das erfahrene Leid, aber auch durch die Wut und Verzweiflung, weil Gott fern erscheint oder gar als ungerechter Gott in Erscheinung tritt, sind der Figur anzusehen und nachzuspüren. Gott wird angeschrien, der Körper ist gekrümmt, die Gottesferne – oder die Gegenwart dieses als grausam empfundenen Gottes – erscheinen körperlich wie psychisch kaum zu ertragen.
 

Gottes Antwort aus dem Wettersturm (M 4)

Gott antwortet dem (an-)klagenden Hiob. Die Bedeutung dieser Theophanie als Verfügbarmachen Gottes und als Bestätigung der bestehenden Gott-Mensch-Beziehung ist Schülerinnen und Schülern meist gar nicht bewusst, denn sie verbleiben gedanklich zunächst bei dem ihrer Wahrnehmung nach wenig zufriedenstellenden Inhalt von Gottes Antwort. Statt Hiob eine Erklärung für das zu geben, was ihm an Leid widerfahren ist, und dem Vorwurf der Ungerechtigkeit zu begegnen, überhäuft Gott sein Gegenüber mit dem Beweis der Einmaligkeit von Schöpfung und Schöpfer, aber auch mit der deutlichen Ansage, dass Hiob und damit der Mensch nicht in der Lage sei, Herr über das Böse in der Welt, symbolisiert in Behemot und Leviatan, zu werden.

Gott macht sich Hiob verfügbar, indem er ihm begegnet und antwortet. In seiner Antwort jedoch bleiben er und seine Schöpfung unverfügbar: Hiob wird diese Welt, das Schöne und das Grausame, nicht verstehen und fassen können. Und das meint Gott hier nicht nur drohend, sondern auch tröstlich: Hiob muss das auch nicht, denn den Kampf kann er nicht bestehen.
 

„Aber nun hat mein Auge dich gesehen“

Der biblische Hiob reagiert für Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Wahrnehmung der Antwort Gottes aus dem Wettersturm überraschend, vielleicht auch unerträglich demütig: Er spricht sich schuldig. Das tut er allerdings nicht, weil er grundsätzlich bereut, Gott angeklagt zu haben, sondern aus zwei ganz anderen Gründen: Er hat erkannt, dass er diese Welt nicht verstehen und erklären kann. Und, viel wichtiger, er erkennt die existenzielle Bedeutung dieser Theophanie: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“

Die Begegnung und Bestätigung der Gottesbeziehung, die vorher „bloße Theorie“ war, lassen Hiob versöhnlich und aufgerichtet aus der Geschichte gehen. Dass Gott nicht die Klage verurteilt, sondern sogar für richtig hält, betont er am Ende in der Zurechtweisung der Freunde Hiobs: „Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.“ (Hiob 42,7b).
 

Hiob in jüdischer und muslimischer Lesart

Die Figur des Hiob und seine Geschichte sind in den drei abrahamitischen Religionen bekannt und theologisch relevant. Diesem Gedanken mit Schülerinnen und Schülern nachzugehen, ermöglicht neben der Erarbeitung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Menschen- und Gottesbild auch den Blick auf das Schriftverständnis der jeweiligen Religion.[4] Margarete Susman (M 6) zeigt auf, dass das Buch Hiob, das seinen Entstehungskontext in der Exilerfahrung hat, im Lebenslauf des Protagonisten „das Schicksal des jüdischen Volkes“ nachzeichnen: vom glücklichen und beschützten Leben unter der von Gott gegebenen Verheißung über die Erfahrung unermesslichen Leids, von Verstoßung und Verachtung bis hin zur vehementen Anfrage an Gottes Gerechtigkeit, Gegenwart und das einmal gegebene Versprechen seiner Verheißung. Und wie Hiob stelle das jüdische Volk diese existenzielle Frage in der Gewissheit der bestehenden Gottesbeziehung: Es sind „die Pfeile des Allmächtigen“, „die in ihm stecken“. Wenn Schülerinnen und Schüler zentrale Ereignisse jüdischer Geschichte recherchieren, werden sie erkennen, dass die Geschichte Hiobs nicht nur in der historischen Erfahrung des Exils zu verorten ist, sondern Symbolcharakter für die jüdische Geschichte überhaupt hat. [5]

Navid Kermani (M 7) betont die fehlende Klage Hiobs im Koran als wesentlichen Unterschied zur biblischen Geschichte. Dieser Unterschied in der Erzählung ist theologisch nur konsequent, denn im Koran wird im Kontext der Erschaffung des Menschen auch nicht von der Imago Dei als Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch gesprochen. Wenn der Mensch nicht als Gegenüber „auf Augenhöhe“ gedacht ist, kann er auch nicht in Anspruch nehmen, sich selbstbewusst in einer Klage gegen seinen Schöpfer aufzulehnen und eine Antwort, ein Verfügbarmachen Gottes, einzufordern.

Ein zweiter Grund für die fehlende Klage liegt nach Kermani im Schriftverständnis. Da der Koran als direkte Offenbarung Gottes gilt, Gottes Rede ist, könne eine solche Klage nicht formuliert werden. Sie würde einem nach Koranverständnis erhabenen, „spiritualisierten“ und deutlich weniger anthropomorph gedachten Gottesbild völlig widersprechen.


Anmerkungen

  1. Das Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe nimmt diese inhaltlichen Aspekte unter dem Kompetenzbereich „Gott“ wieder auf. Hier sind als inhaltliche Kompetenzen formuliert: „Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der Theodizee-Frage und der Erfahrung der Abwesenheit Gottes auseinander“ und „erklären die Spannung zwischen der Rede von Gott und der Unverfügbarkeit Gottes“ (Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, 37). In diesem Zusammenhang sind als verbindliche Grundbegriffe „deus absconditus“ und „deus revelatus“ vorgesehen (vgl. a.a.O., 22.24).
  2. Das Buch Hiob gehört zu den unter dem Kompetenzbereich „Gott“ vorgesehenen biblischen Basistexten. Die Auswahl der Textauszüge liegt dabei in der Entscheidung der Lehrkraft Kercurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, 22).
  3. Es ist an dieser Stelle in zweifacher Hinsicht sinnvoll, die im Kerncurriculum unter dem Kompetenzbereich „Mensch“ formulierte inhaltsbezogene Kompetenz „Die Schülerinnen und Schüler erläutern die biblische Auszeichnung des Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes“ (Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, 37) in den Fokus zu nehmen: So wird ihnen zum einen deutlich, was Hiob in seiner Klage mit dem Wunsch, nie geboren worden zu sein, zurückweist; zum anderen wird erkennbar, wie eng und wertschätzend diese in der Schöpfung gestiftete Beziehung ist, die Hiob von seinem Gott bestätigt wissen will.
  4. Je nach Vertiefung des weiteren Unterrichtsgangs können an dieser Stelle folgende inhaltsbezogene Kompetenzen aus dem Kompetenzbereich „Religion und Religionen“ in den Blick genommen werden: Die Schülerinnen und Schüler „beschreiben das besondere Verhältnis zwischen Christentum und Judentum aus christlicher Perspektive“, „vergleichen die trinitarische Gottesvorstellung mit dem jüdischen und islamischen Monotheismus“ und „stellen anhand konkreter Beispiele Möglichkeiten und Grenzen der interreligiösen Verständigung vor“ (Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, 38).
  5. Je nach Schwerpunktsetzung lässt sich hier auch die inhaltsbezogene Kompetenz „Die Schülerinnen und Schüler interpretieren die Shoah als tiefste Durchkreuzung des Redens von Gott“ aus dem Kompetenzbereich „Gott“ weiter erarbeiten (Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, 37).

 

Literatur

  • Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule – gymnasiale Oberstufe, das Berufliche Gymnasium, das Abendgymnasium, das Kolleg, Hannover 2011
  • Kermani, Navid: Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte, München 2011
  • Mohagheghi, Hamideh: Das Verhältnis von Gott und Mensch im Islam, in: Dahling-Sander, Christoph/Husmann, Bärbel/Scheiwe, Heike (Hg.): So fremd – so nah. Dialog zwischen Christentum und Islam, Hannover/Loccum 2005
  • Susman, Margarete: Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes, Frankfurt am Main 1996