Ein Kirchenasyl ist kein Rechtsinstrument und entspricht doch dem ureigenen diakonischen Kern kirchlichen Handelns. Eine Kirchengemeinde tritt um des Menschen willen für diesen, eine Familie oder eine Gruppe ein. Ein solches Dazwischentreten (Intercessio) der Kirche vollzieht sich nicht gegen behördliches Handeln und beansprucht keinen außerstaatlichen Ort. Es ist eine Beistandshandlung für Menschen in Not. Ein Kirchenasyl bringt die Menschenwürde um eines je singulären Schicksals willen gegenüber einer konkreten behördlichen Entscheidung zur Sprache. Kirchenasyl ist ein „Dienst am Rechtsstaat“ (Wolfgang Huber).
Weshalb findet bei einer Abschiebungsentscheidung in einem afrikanischen Staat das Malaria-Risiko für die in Deutschland geborenen Kinder einer Familie keine Berücksichtigung? Wie kann es sein, dass ein nachweisbarer Übersetzungsfehler in einem behördlichen Protokoll zu einem tragenden Argument für eine Abschiebung wird? – Es sind solche und ähnliche Fragen, die dazu führen können, dass eine Kirchengemeinde sich zu einem Kirchenasyl entschließt. Der Gemeindekirchenrat muss die Überzeugung gewinnen, dass bei einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung Gefahr für Leib und Leben droht.
Ein Kirchenasyl kann nicht ohne intensive anwaltliche Begleitung vollzogen werden. Die juristische Prüfung wird immer am Anfang stehen – besser noch: im Vorfeld. Denn einer Familie oder einer Person Asyl zu bieten, um sie nach einigen Tagen intensiver Prüfung aus demselben zu entlassen, weil zwar das menschliche Schicksal anrührend, die rechtliche Lage aber eindeutig ist, gehört gewiss zu dem Schwersten, was Flüchtlingen und Kirchengemeinden widerfahren kann. Doch: Nicht gegen, sondern für das Recht streitet ein Kirchenasyl. Es arbeitet deshalb niemals gegen, sondern immer mit der zuständigen Behörde, auch wenn dieses im ersten Moment anders scheinen mag. Der Druck, der auf den Behörden lastet, ist ungeheuer groß. Der zuständigen lokalen Behörde bietet ein Kirchenasyl in einem juristisch belastbaren Fall um des Menschen willen Zeit, eine zugleich rechtlich wie humanitäre Lösung erwirken zu können.
Eine Kirchengemeinde, die in heroischer Petrus-Manier ein Kirchenasyl aufnehmen wollte, kann rasch wie dieser unterzugehen drohen. Die Abstimmung mit den zuständigen Behörden und das Beschaffen von Informationen bei zeitgleicher Organisation des Lebensunterhaltes für die Flüchtlinge sind nötige allererste Schritte. Zu organisieren sind zudem die seelsorgerliche Versorgung der Flüchtlinge und ein Besuchsdienst genauso wie die medizinische Versorgung. Die Begleitung der Helfenden will bedacht, die Öffentlichkeitsarbeit nach außen und die Beteiligung der asylgewährenden Kirchengemeinde samt möglicher Einschränkungen im Gottesdienstraum gestaltet werden. Das Gespräch mit den Flüchtlingen über das Ziel des Asyls muss genauso geführt werden, wie es intensiver Anstrengungen zum Einwerben von Spenden bedarf. „Asyl in der Kirche e.V.“ oder landeskirchliche Einrichtungen bieten hervorragenden Sachverstand, Beratung und ein Netzwerk.
Bei all dem bleibt ein Kirchenasyl die ultima ratio kirchlichen Beistandshandeln. Jeder rechtliche, politische und diakonische Beistand im Vorfeld sind die vorzugswürdigen Mittel des Beistandshandelns, so wie die Forderungen der EKD-Synode vor wenigen Wochen zu einer Neuausrichtung der europäischen Asylpolitik hin auf die Gewährung fairer und effektiver Asylverfahren und menschwürdiger Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende. Und: Wo Gemeindemitgliedern, wo Pfarrerinnen und Pfarrern, wo Haupt- oder Ehrenamtlichen eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik vor Augen steht, da muss diese mit politischem Engagement angestrebt werden.
Doch nur ein Kirchenasyl kann in einem Einzelfall auf menschliche Fehler mit unmenschlichen Folgen hinweisen. Die Einrichtung von Härtefallkommissionen ist daraus eine direkte Konsequenz gewesen. Auch wenn es keine Garantie für ein gelingendes Kirchenasyl gibt und „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ derzeit seltener durchgeführt werden: Muss es angesichts der Notlage eines Menschen zum Schwur kommen, dann gilt Jesu Wort: „Was ihr getan habt einem von diesen …, das habt ihr mir getan.“ Ein Kirchenasyl ist zutiefst glaubwürdiges Handeln der Kirche.