Ein Prozess wird besichtigt
„Ein Kind ist verschwunden, ein Kind hier im Kreis.
Kannst du mir wohl sagen, wie dieses Kind heißt?“
Marvin hockt gespannt wie ein Flitzebogen unter der Decke. Jetzt, wo Lisa reingeholt und das Verschen gesungen ist, kommt es drauf an: Wird sie merken, dass er fehlt? „Marvin!“, ruft Lisa stolz. Mit einem Ruck wirft Marvin die Decke nach hinten ab. Sie hat ihn vermisst! Jetzt darf er nach draußen. Und er schaut schnell noch mal in die Runde. Dass er auch ja gleich merkt, wer fehlt!
Etwas später laufen Lisa und Marvin zu Musik hinter Jakob her. Er hat den „Führstock“ und darf bestimmen, wie die Kinderschlange der Bärengruppe durch den Bewegungsraum geht: Schnell oder langsam, auf den Knien oder stehend, geradeaus oder mit vielen Kurven. Bis die Musik kurz stoppt und der Stock an Tessa geht. Jetzt darf sie führen.
Was auf den ersten Blick wie eine normale Spielstunde aussieht, ist die Körperwahrnehmungsphase eines Bibliodramas. Wenn Marvin, Lisa, Jakob und Tessa sich aus mitgebrachten Schaffellen und Decken noch ein kuscheliges Zuhause gebaut haben, werden sie dort gleich über ihre Erfahrungen sprechen. „Ich hatte ein ganz kribbliges Gefühl im Bauch“, sagt Marvin. „Kannst du sagen, warum das wohl kribbelte?“, fragt die Erzieherin. „Weil ich nicht wusste, ob Lisa merkt, dass ich fehle.“ Das Geführt-Werden fanden die meisten Kinder schön. „Das war lustig, weil wir immer was anderes gemacht haben.“ Aber es kam auch darauf an, wer geführt hat. „Als Paul den Stock hatte, ist er viel zu schnell gelaufen. Da musste ich noch um die Kletterwand rum und die Schlange war schon vorn an der Tür“, beschwert sich Tessa.
Jetzt machen die Kinder es sich auf ihren Fellen und Decken gemütlich. Das Glöckchen erklingt, das sie immer hören, wenn eine Traumreise beginnt. Heute ist das Glöckchen das Glöckchen eines Hirten, die Kinder Schafe im warmen, kuscheligen Stall. Und am Morgen ruft der Hirte sie alle beim Namen, bevor er sie aus dem Schafstall führt. Durch die Steinwüste des heißen Landes Israel hin zu den Quellen, aus denen Wasser sprudelt und die die Grasbüschel grün werden lassen. Aber ein Schaf verläuft sich. Und der Hirte vermisst es, lässt die anderen Schafe in der Wüste zurück und sucht dieses eine Schaf, bis er es endlich gefunden hat. Und dann trägt er es auf seiner Schulter nach Hause und feiert mit seinen Nachbarn, dass das Schaf wieder da ist.
„Hab mein Schäfchen gefunden!“ singen die Kinder und tanzen dazu, nachdem sie mit dem Flugzeug von Israel nach Neustadt zurück fliegen durften und das Glöckchen das Ende der Traumreise markierte. Nach einem Schlussritual ist die erste Einheit des Bibliodramas beendet.
Der nächste Tag beginnt wie der erste. Im Bewegungsraum ist dieselbe Mitte aufgebaut: eine Steinwüste aus braunen und gelben Tüchern mit ein paar Steinen, ein blaues Tuch für die Quelle, ein grünes für die Weide daneben. Am Rand der Wüste ein paar Bauklötze für den Stall, ein Hirte, ein paar Schafe und zwei Nachbarn des Hirten. Und die Kerze, die immer dann brennt, wenn es um eine Geschichte von Gott oder Jesus geht.
Das Eingangsritual für Bibliodrama-Einheiten ist in dieser KiTa eine braun-schwarz gestreifte Holzkugel, die in einer Holzschale in Drehung versetzt wird. Die Kinder schweigen und verfolgen die Drehung der Kugel gespannt, bis sie sich nicht mehr bewegt. Dann geht der Erzählstein von Hand zu Hand und jedes Kind sagt kurz, wie es heute Morgen hier angekommen ist.
Zu Beginn des Bibliodrama-Spieltags hören die Kinder die Geschichte ein zweites Mal. Alle haben sich einen kleinen Holzkegel ausgesucht, nicht größer als die Kegel, die den Hirten und seine Nachbarn in der Mitte des Kreises darstellen. Die Erzieherin erzählt und bewegt dazu die Schafe, den Hirten und zuletzt auch die Nachbarn. Sie schmückt die ganz knapp gehaltene biblische Geschichte mit viel Gefühl und Details bunt aus, lässt aber offen, warum das eine Schaf wohl verloren geht. Das ist wichtig, damit sich jedes Kind in ihm wiederfinden kann: Paul, für den ganz klar ist, dass das Schäfchen sich langweilt, dass es ausreist, um Abenteuer zu erleben und sich dabei verläuft, wie Tessa, für die die Herde einfach zu schnell für das Schaf ist und es nach einem Stolpern den Anschluss verliert. Drei Mal unterbricht die Erzieherin ihre Erzählung. Jetzt darf jedes Kind seinen Holzkegel dorthin stellen, wo es in der Geschichte gern sein möchte: bei dem Hirten, der sucht, bei der Herde, die zusammen steht, bei dem einen Schaf – oder auch bei der Nachbarin, die nur von Weitem zuschaut. Manche Kinder lassen ihren Kegel bis zum Ende so stehen, andere versetzen ihn im Verlauf der Geschichte. Und zum Schluss der Geschichte heißt es: „Jetzt wollen wir spielen.“
Die Bärengruppe ist da schon richtig geübt. Es ist schon ihr drittes Bibliodrama. Jedes Kind sucht seine Rolle und verwandelt sich nur mit Tüchern oder Fellen in ein Schaf, einen Hirten, einen Nachbarn des Hirten. Auch ein Wolf wird dazu erfunden, und ein Kind will die Quelle sein – und dann gibt es noch ein zweites Kind, das Hirte sein will. „Vielleicht magst du die Schulter des Hirten sein, der das Schaf nachher trägt?“, schlägt die Erzieherin vor.
Die Kinder, die nicht spielen möchten, stehen entweder mit braunen Tüchern bedeckt als „Stall“ auf der Bühne oder richten den Zuschauerraum in der einen Hälfte des Bewegungsraums ein.
Wenn jedes Kind, das spielt, seinen Ort auf der „Bühne“ gefunden hat, wird es noch einmal ruhig. Mit einem Spielmikrofon geht die Erzieherin von Kind zu Kind als Reporterin. „Wer bist du?“, fragt sie das erste Schaf. „Ich bin ein Schaf“, antwortet Marvin. „Und was machst du hier?“ „Ich geh mit dem Hirten auf die Weide.“ „Ist es ein guter Hirte?“ „Ja.“ „Danke, du Schäfchen.“ Die Erzieherin geht weiter, lernt andere Schafe kennen. Solche, die ängstlich sind, die sich wohl fühlen, einem Schaf, dem zu heiß ist und dem Paul-Schäfchen, das den Hirten langweilig findet. „Der geht nur immer den gleichen Weg.“
Die Schulter sagt, dass sie dem Hirten helfen muss, Schafe zu tragen, wenn die nicht mehr laufen können; und der Nachbar ist froh, dass er keine Tiere hat, „weil das ganz schwer ist“. Am Ende der Befragung sind alle in ihrer Rolle angekommen. Sogar der Stall.
„Es war einmal ein Hirte“, beginnt die Erzieherin, „der 100 Schafe hatte. Eines Morgens klingelte er wieder mit seinem Glöckchen, um sie zusammen zu rufen.“ Sie klingelt. „Und jetzt seid ihr dran.“
Beim ersten Mal hatte sie die Geschichte von David und Goliat noch fast ganz selbst erzählen müssen. Die Kinder hatten sich vorsichtig dazu bewegt und ab und zu etwas gesagt. Immer mit Blick auf sie, ob sie wohl „richtig“ spielen. Bei der Hochzeit zu Kana waren sie schon mutiger – und heute wissen sie, dass es „richtig“ und „falsch“ im Bibliodrama-Spiel nicht gibt. Sie spielen, wie sie sich die Geschichte vorstellen, wie sie ihre Rolle füllen. Nur ab und zu, wenn das Spiel stockt, gibt die Erzieherin eine neue Starthilfe: „Schäfchen, willst du vielleicht rufen, wenn dein Bein so doll weh tut?“ oder „Willst du wirklich allein deinen Kuchen essen, Hirte?“, als der Hirte am Schluss der Geschichte vor Freude gebacken hat und etwas verloren am Tisch sitzt. Da holt er seine Nachbarn und es wird richtig fröhlich.
Als das Glöckchen den Schluss der Geschichte bedeutet, kann sich jedes Kind bewusst von seiner Rolle verabschieden. Die Tücher werden in der Ecke gestapelt; die Kinder sind wieder sie selbst. Im Stuhlkreis erzählen sie, was sie erlebt und wie sie sich gefühlt haben – die gespielt haben und auch die, die Zuschauer waren.
Paul war verloren gegangen. „Erst hat das Spaß gemacht“, berichtet er, „aber dann war das doof, weil ich keinen dabei hatte. Und dann tat ja auch mein Bein weh.“ Tessa kam es „ganz schrecklich lange“ vor, bis der Hirte gesucht hat, aber dann fand sie es „gut, dass der Hirte eine Schulter hatte, denn zu zweit konnten sie Paul richtig tragen.“
Erst ganz am Ende sagt die Erzieherin: „Die Geschichte hat Jesus erzählt. Und Jesus hat gesagt: So ist Gott! Gott freut sich über uns wie der Hirte. Und Gott ist traurig, wenn eines von uns verloren geht. Egal, ob es absichtlich weggelaufen ist oder sich aus Versehen verirrt hat. Gott kennt uns alle beim Namen und sucht jede und jeden von uns, bis er uns gefunden hat.“
Und dann lädt sie ein zum Schlussritual im Kreis. Alle stehen auf, und sie legt ihre offenen Hände mit den Handflächen nach unten auf Lisas Hände, die sie mit den Handflächen nach oben vor sich hält. „Gott kennt deinen Namen, Lisa. Du kannst nicht verloren gehen.“ Als jedes Kind diese Zusage für sich gehört hat, sagt sie: „Amen“ und die Kinder singen noch einmal das Lied vom Schäfchen.
Nach dem üblichen Beginn am dritten Tag wollen die Kinder zunächst noch einmal spielen. Dieses Mal fällt das Schäfchen in einen Graben – dafür hat der Hirte heute gleich drei Schultern. „Geht das?“, fragt Marvin, der auch gern einmal Schulter sein will. „Im Bibliodrama geht das“, sagt die Erzieherin.
Nach Spiel und Auswertungsrunde kommt dann die Vertiefungsphase. Mit Wollresten kleben die Kinder ein Schafbild auf Pappe und erzählen dann im Kreis, was ihr Schäfchen denkt. An diesem Tag wünscht Paul zum Schluss „noch mal das mit den Namen“.
Wie es dazu kam:
Aus der Vorbereitungswerkstatt mit Erzieherinnen des Kirchenkreises Neustadt-Wunstorf
Lukas 15,3-7: Du kannst nicht verloren gehen!
Rahmen:
- Vorschulkinder im Rahmen eines KiTa-Projektes
- drei Einheiten von jeweils ca. 60 bis 75 Minuten Dauer
- Einladung in den Bewegungsraum
Bezug zur Lebenswelt der Kinder:
Kinder kennen die Erfahrung von „Verloren-haben“ oder „Verlorensein“ – spielerisch und ernst. Im Versteckspiel erleben sie den Reiz, sich zu verbergen und dann wieder finden zu lassen. Im Alltag gehen sie entweder kurzzeitig verloren (laufen weg oder verlaufen sich) und werden wieder gefunden; oder sie haben auf Dauer das Gefühl, in der Familie oder der Gruppe verloren zu gehen, weil anderes und andere im Vordergrund stehen und sie nicht gesehen werden.
Mir persönlich ist wichtig ist,
- dass Kinder die Geschichte vom verlorenen Schaf kennen lernen,
- dass sie erfahren können, wie es ist, verloren zu sein und wieder gefunden zu werden,
- dass „verloren“ nicht „für immer verloren“ heißt,
- dass sie das Bild von Gott als dem guten Hirten, bei dem niemand verloren geht, erfahren.
Raumgestaltung:
Kreis aus Sitzkissen, in der Mitte eine Steinwüste (braune und gelbe Tücher mit ein paar Steinen), ein blaues Tuch für eine Quelle und ein grünes für ein Stück Weide neben der Quelle. Am Rand der Wüste ein paar Bauklötze für den Stall, ein Hirte, ein paar Schafe und zwei Nachbarn des Hirten. (Bibelfiguren, Biegepüppchen, Holzkegel, Ostheimer, notfalls Playmobil-Figuren) In der Wüste die Kerze.
Noch nicht sichtbar liegen ein Stab, Tücher oder mitgebrachte Felle und ein Hut bereit.
Eingangsritual:
Drehen einer Holzkugel, Anschlagen einer Klangschale o. ä., Stille. Dann geht der Erzählstein von Hand zu Hand und jedes Kind sagt kurz, wie es hier angekommen ist.
Körperarbeit:
Spiel: Ein Kind ist verschwunden, ein Kind hier im Kreis. Kannst du mir wohl sagen, wie dieses Kind heißt?
Jeweils ein Kind verlässt kurz den Raum, ein anderes hockt sich währenddessen neben der aufgebauten Mitte in den Kreis und wird mit einer Decke oder einem Tuch vollständig verdeckt. Das heraus gegangene Kind wird hereingerufen und der Reim nach der Melodie von „Kommt ein Vogel geflogen“ von allen gesungen – danach hat das Kind drei Versuche, um den richtigen Namen des verschwundenen Kindes zu nennen. Es werden etwa fünf Runden gespielt.
Dann läuft die Erzieherin mit einem Stock als „Führstock“ zu Musik durch den Raum. Alle Kinder müssen ihr in einer langen Reihe folgen und jeweils genau so gehen, wie sie geht. Nach kurzer Zeit gibt sie den Führstock an ein Kind ab, das jetzt den Anfang der Schlange bildet und Tempo, Richtung und Art der Fortbewegung angibt. Wenn ca. drei weitere Kinder den Führstock hatten, wird auch dieses Spiel abgebrochen.
Jetzt werden die Kinder aufgefordert, aus den mitgebrachten Schaffellen und Decken in einer Ecke des Raumes ein kuscheliges Zuhause für alle zu bauen. Wenn es fertig ist, setzen sie sich mit der Erzieherin hinein und tauschen kurz aus, welche Erfahrungen sie eben gemacht haben: Wie war es, unter der Decke zu sitzen, wie, gefunden zu werden? Wie war es, geführt zu werden, wie, zu führen? Wer hat den Ton angegeben beim Bauen des Zuhauses; wurden alle gesehen? …
Anschließend machen es sich alle für eine Traumreise gemütlich. Ein Glöckchen (oder eine Klangschale) markiert den Beginn – und die Erzieherin erzählt mit viel Ruhe:
Erste Textbegegnung Du gehst jetzt gleich auf eine Reise in ein anderes Land. Wenn du magst, mach die Augen zu und atme tief ein und aus. Dein Atem bringt dich dorthin … Du bist in einem warmen Land, in Israel. Du bist ein kleines Schaf in einem gemütlichen Stall. Jetzt komm langsam wieder zurück auf deine Decke (dein Fell) hier in unserm Bewegungsraum. Atme tief ein und aus – dein Atem bringt dich wieder zurück. |
Die Kinder setzen sich wieder aufrecht. „Wie war das für euch? Was habt ihr als Schäfchen erlebt?“ Kein Kind muss etwas sagen, aber was gesagt wird, wird nicht von den anderen kommentiert. Mit einem „Danke, ihr Schäfchen“ bedankt sich die Erzieherin für alles Gesagte.
Abschluss des ersten Teils:
„Hab mein Schäfchen gefunden, es ist wieder im Stall. Der Hirte sucht alle, ruft beim Namen uns all’.“
Wieder nach der Melodie von „Kommt ein Vogel geflogen“ wird der einfache Liedvers mit allen gesungen. Dazu können sich alle an den Händen fassen und im Kreis tanzen.
Am zweiten Tag sind die Holzfiguren und die Schafe zunächst aus der sonst gleich gebliebenen Mitte entfernt. Auf das gewohnte Eingangsritual und die Frage: „Könnt ihr euch noch erinnern, was ihr gestern in unserer Traumreise erlebt habt?“ folgt eine Variation der Textbegegnung:
Wir wollen die Geschichte heute noch einmal erleben und auch hören, was der Hirte und die anderen Schafe gedacht haben. Dazu dürft ihr euch erst einmal alle einen Holzkegel aussuchen; denn ihr selbst kommt nachher auch in der Geschichte vor. (Alle Kinder nehmen sich einen Holzkegel. Schulkinder können auch Stellfiguren vorher selbst aus Sektkorken gestaltet, was den Vorteil bietet, dass die Figuren im weiteren Verlauf nicht verwechselt werden können.) Er wohnte mit seinen Nachbarn (die Nachbarn werden aufgestellt) in einem kleinen Dorf am Rand der großen Steinwüste. Tagsüber war es da ganz heiß und trocken; aber nachts wurde es bitterkalt. Deshalb sorgte der Hirte immer gut dafür, dass all seine Schafe pünktlich im warmen Stall waren. (Ein paar Schafe werden in den Stall gestellt.) Und wo wollt ihr zu Beginn unserer Geschichte sein? Auch im Stall – oder wollt ihr neben dem Hirten stehen? Oder schaut ihr mit den Nachbarn des Hirten zu, was passiert? Oder seid schon vorausgegangen auf die Weide? (Die Kinder stellen ihre Figuren in die Szene. Im weiteren Verlauf der Geschichte werden der Hirte, die Schafe und die Nachbarn von der Erzieherin entsprechend bewegt.) Eines Morgens ging der Hirte wieder zum Stall, um seine Schafe zu wecken. Er kannte sie alle beim Namen und begrüßte sie: „Guten Morgen, Lotti; guten Morgen, Wollknäuel; guten Morgen, Kurt“ und immer so weiter, bis er all seine Schafe begrüßt hatte. Die Schafe mochten ihn, denn er war gut zu ihnen und liebevoll. Jeden Tag führte er sie sicher durch die Steinwüste zu einer Quelle. Und so war es auch heute: sie liefen über Stock und Stein, ohne sich Sorgen zu machen. Denn ihr Hirte kannte ja den Weg. Als sie an die Quelle kamen, tranken sie sich erst einmal richtig satt an dem frischen Wasser. Und dann fraßen sie von den saftigen Kräutern, die dort wuchsen, schnupperten hier und da und spielten ein bisschen Fangen und Verstecken. Als es auf den Abend zuging, rief der Hirte sie wieder zusammen. Er zählte sie alle durch, wie immer: „ 1,2,3,4,5 …“, bis er dann fast am Ende war: „98, 99 … Nanu, was ist denn das?! Ich habe doch 100 Schafe! Lotti fehlt!“ Der Hirte machte sich große Sorgen. Was wohl mit Lotti passiert war? War sie neugierig gewesen und hinten zu den Felsen gelaufen? Hatte sie sich mit einem anderen Schaf gestritten und sich versteckt? Hatte sie sich beim Fangen spielen den Fuß verknackst und lag mit Schmerzen irgendwo hinter einem Busch? „Lotti, Lotti“, rief er. Aber es kam keine Antwort. Sofort machte unser Hirte sich auf den Weg. „Wartet hier“, sagte er zu den anderen Schafen. „Ich muss Lotti suchen.“ „Nein, mach das nicht“, blökte Kurt. „Ich habe Angst ohne dich hier in der Wüste.“ „Kurt“, antwortete der Hirte, „ihr seid 99 und bleibt alle zusammen, aber Lotti ist allein und braucht meine Hilfe!“ „Die ist doch selbst Schuld, wenn sie nicht aufpasst“, meckerte Wollknäuel noch. Aber der Hirte ging los. Überlegt mal, Kinder: Wo möchtet ihr jetzt sein? Bei den 99 Schafen – oder wollt ihr dem Hirten beim Suchen helfen – oder seid ihr bei Lotti? Oder seid ihr heute im Stall geblieben oder einen Tag zu den Nachbarn gegangen? Wo seid ihr? (Die Kinder stellen zum zweiten Mal ihre Figur.) Unser Hirte suchte und suchte. Er schaute hinter jeden Busch, er rief, er lief immer schneller … Und endlich hatte er Lotti gefunden. Sie fror schon und war ganz erschöpft und verängstigt. „Lotti, da bist du ja!“, rief der Hirte ganz erleichtert und legte sie voll Freude auf seine Schultern. Schnell ging er mit ihr zurück zu den anderen Schafen und mit allen nach Hause. Sicher trieb er sie in den Stall, machte das Licht aus und rief seine Nachbarn. „Kommt, wir feiern ein Fest“, rief er. „Ich hatte heut Lotti verloren und habe sie wieder gefunden. Ihr sollt euch mit freuen!“ Und jetzt dürft ihr noch ein letztes Mal eure Kegel stellen. Wollt ihr mit feiern – oder lieber im Stall sein? Wollt ihr nah bei Lotti sein und hören, was sie erlebt hat – oder lieber bei Kurt und bei Wollknäuel? Oder wo sonst? (Wenn die Kinder alle ihre Figur gestellt haben, ist die Geschichte zu Ende.) |
Überleitung zum Spiel:
Die Kinder verlassen den Sitzkreis und gehen in die Ecke, wo sie am Tag vorher schon gemeinsam den „Stall“ gebaut haben.
„Wir wollen die Geschichte jetzt spielen“, sagt die Erzieherin. „Das ist unser Stall.“
Dann überlegt sie anhand der Utensilien, die für die schon fest stehenden Rollen stehen, wo deren Ort auf der „Bühne“ ist. Ein paar weiße Tücher oder Babyfelle für die Schafe kommen in den Stall, daneben der Stock und ein braunes Tuch für den Hirten, zwei weitere Tücher für die Nachbarn.
Die Rollen werden verteilt. Es können auch mehrere Nachbarn sein, zwei verlorene Schafe oder zwei Hirten – das macht nichts. Kinder, die nicht spielen wollen, können Blumen am Rand des Weges sein oder Kinder, die im Haus der Nachbarn sitzen und zuschauen etc. Ein besonderes Tüchlein um den Hals kann „Lotti“ kennzeichnen.
Wenn alle ihren Platz auf der „Bühne“ gefunden haben, beginnt die Rollenbefragung.
Bibliodramatisches Spiel:
Haben alle Kinder durch Befragung in ihre Rollen gefunden, gibt die Erzieherin das Startsignal zum freien Rollenspiel. Sie korrigiert nichts, greift nur ein, wenn das Spiel stockt. Sie passt den richtigen Zeitpunkt für ein Schlusssignal ab (Klangschale, Glöckchen …) und entlässt die Kinder aus ihren Rollen. Es folgt die Auswertungsrunde.
Auswertungsrunde:
Erst am Ende der Geschichte gibt die Erzieherin einen Hinweis zur christlichen Deutung des Gleichnisses, etwa:
„Die Geschichte hat Jesus erzählt. Und er hat gesagt: So ist Gott! Gott freut sich über uns wie der Hirte. Und Gott ist traurig, wenn eins von uns verloren geht. Egal, ob es absichtlich weggelaufen ist oder sich aus Versehen verirrt hat. Gott kennt uns alle beim Namen und sucht jede und jeden von uns, bis er uns gefunden hat.“
Schlussritual:
Alle stehen im Kreis. Die Erzieherin legt ihre offenen Hände mit den Handflächen nach unten auf die Hände des Kindes neben ihr, das sie mit den Handflächen nach oben vor sich hält. „Gott kennt deinen Namen, … du kannst nicht verloren gehen.“
Wenn alle Kinder dran waren, sagt sie: „Amen“.
Zum Schluss wird noch einmal gesungen: „Hab mein Schäfchen gefunden …“.
Bei Schulkindern eignet sich auch das Lied: „In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist“ aus MenschensKinderLieder Band 1, Nr. 17.
Am dritten Tag kann bei entdeckter Spielfreude nach dem Eingangsritual das Spiel in neu verteilten Rollen wiederholt werden. Es wird anders werden als am 2. Tag; denn jedes Kind spielt immer sowohl seine Rolle als auch sich selbst. Daher ist das Spiel mit derselben Sorgfalt vorzubereiten, zu begleiten und nachzubesprechen.
Dann folgt die Vertiefungsphase. Zu Musik kleben die Kinder aus Wollresten oder Watte ein Schafbild auf Pappe, töpfern ein Schaf o.ä. – je nach Alter und Neigung. Im Kreis erzählen sie dann, wer ihr Schäfchen ist und was es denkt.
Das Schlussritual vom Vortag kann gern wiederholt werden; Schulkinder können sich den Satz auch reihum gegenseitig „Hand auf Hand“ zusprechen.