Nun also liegt es vor, das Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe im Fach Evangelische Religion (im Folgenden KC GO). Vieles, was dort zu lesen ist, erscheint auf den ersten Blick vertraut. Wieder geht es um erwartete Kompetenzen – inhaltsbezogene und prozessbezogene. Inhaltlich wird dabei differenziert in die bekannten sechs Bereiche, auch die fünf prozessbezogenen Kompetenzbereiche sind die, welche wir schon gut aus dem Kerncurriculum für die Jahrgänge 5-10 (KC SEK I) kennen.
Zudem erscheinen erneut verbindliche Grundbegriffe und biblische Basistexte. Insofern schließt das KC GO nahtlos an das KC SEK I an.
Zu diesen bereits vertrauten treten in der Oberstufe noch weitere Aspekte. Deshalb möchte ich hier folgenden Fragen nachgehen: Was ist neu im Vergleich zum KC SEK I, was muss in der Oberstufe zusätzlich bedacht werden? Wie steht es mit der praktischen Umsetzbarkeit? Erwartet uns am Ende die gleiche Sisyphusarbeit beim Erstellen eines schulinternen Fachcurriculums wie nach Erscheinen des KC SEKI
Was ist neu gegenüber dem KC SEK I oder muss zusätzlich bedacht werden?
Das KC GO gilt für mehrere Schulformen, „die Qualifikationsphase des Gymnasiums sowie für die Einführungsphase und Qualifikationsphase der Gesamtschule, des Beruflichen Gymnasiums, des Abendgymnasiums und des Kollegs“ (KC GO 12), ist aber aufgrund der übersichtlichen Gliederung gut selektiv lesbar. Außerdem gibt es die drei üblichen Kursformen (vierstündiges Prüfungsfach erhöhtes Niveau, vierstündiges Prüfungsfach normales Niveau, zweistündiges Ergänzungsfach).
Die von den Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur (EPA) vorgeschriebenen fünf prozessbezogenen Kompetenzbereiche werden durch 24 prozessbezogene Kompetenzen genau definiert. Diese Kompetenzen sind im KC GO wörtlich aus den EPA entnommen. Anders als noch im KC SEK I findet man sie allerdings nicht nur den inhaltsbezogenen Kompetenzbereichen überblicksartig vorangestellt. Vielmehr sind sie diesmal als „vorrangig zu fördernde Kompetenzen“ den einzelnen inhaltsbezogenen Kompetenzbereichen in einer Auswahl von sieben bis neun Kompetenzen bereits zugeordnet. Das bedeutet, dass sie sich im Gegensatz zu den 34 inhaltsbezogenen Kompetenzen auch wiederholen.
Jeder der sechs inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche ist in zwei bis drei Schwerpunkte (thematische Aspekte) unterteilt, welche wiederum durch zwei bis drei inhaltsbezogene Kompetenzen ausgeschärft werden. Die dabei gewählten Formulierungen erinnern sehr an die liebgewonnenen Erläuterungen aus den Vorgaben für das Zentralabitur, was die Erstellung des schulinternen Fachcurriculums irgendwie lösbarer erscheinen lässt als noch beim KC SEK I. Beispielhaft seien die drei thematischen Aspekte und die dazu gehörigen inhaltsbezogenen Kompetenzen für den Kompetenzbereich Gott aufgeführt (KC GO 23):
1. Die Rede von Gott – Gott: Wer ist das?
2 Gott in Beziehung –
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Zusätzlich werden, wie im KC SEK I, zu den Kompetenzen beispielhafte Inhalte für den Kompetenzerwerb angegeben.
Eine große Stärke des KC GO entfaltet sich im Anhang in Form der „Anregungen für ein schulinternes Fachcurriculum“ (KC GO 39-46). Die dort angebotenen Beispiele für Halbjahresthemen und Sequenzpläne für alle Kursarten sind bei der Erstellung eines solchen Curriculums ausgesprochen hilfreich, vor allem, da sie weitaus umfassender ausfallen als die Beispiele im KC SEK I.
Die Möglichkeiten einer konfessionellen Kooperation mit dem Fach Katholische Religion wirken aufgrund der grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweise (dem katholischen Kerncurriculum liegt ein Modulsystem zugrunde) eingeschränkter als beim KC SEK I. Bei genauer Betrachtung gibt es aber weitgehend identische prozessbezogene Kompetenzen und viele große Ähnlichkeiten in den Formulierungen der einzelnen inhaltsbezogenen Kompetenzen, welche dann auf Fachkonferenzebene die Grundlage für eine Zusammenarbeit bilden können.
Wie steht es mit der praktischen Umsetzbarkeit?
Um es vorwegzunehmen: Unterm Strich scheint es weitaus weniger zeitintensiv zu sein, das KC GO umzusetzen als das KC SEK I. Das hat diverse Gründe, die einerseits bereits angeklungen sind und andererseits auf der Hand liegen.
Bezüglich der Qualifikationsphase gibt es zunächst einmal lediglich zwei Jahrgänge, für die geplant wird. Erstellt werden müssen – je nach Vorhandensein – vier Halbjahrespläne für maximal drei Kurstypen, die jeweils in Sequenzpläne zu entfalten sind. Das hört sich erst einmal sehr umfangreich an, doch macht das KC GO genaue Vorgaben, wie die Differenzierung zwischen den drei Kursniveaus auszusehen hat, so dass zumindest für die vierstündigen Prüfungskurse bei der Halbjahresplanung weitgehend parallel vorgegangen werden kann. Dabei ist den Niveauunterschieden, die das KC GO erneut recht genau vorgibt, Rechnung zu tragen. So sollen Unterschiede zwischen erhöhtem und normalem Niveau gemacht werden „im Hinblick auf die Komplexität des Stoffes, im Grad der Differenzierung und Abstraktion der Inhalte und Begriffe, im Anspruch an Methodenbeherrschung und in der Selbstständigkeit der Lösung von Problemen“ (KC GO 13).
Hinsichtlich der zu erwerbenden Kompetenzen müssen in beiden Kurstypen alle 24 prozessbezogenen Kompetenzen aus den fünf gegebenen Bereichen sowie alle 34 inhaltsbezogenen Kompetenzen aus den sechs definierten Kompetenzbereichen im Laufe der vier Halbjahre berücksichtigt werden. Hierbei tut man sich anfangs wahrscheinlich schwer. Denn eigentlich könnte jeder der sechs Bereiche mühelos ein ganzes Halbjahr füllen. Spätestens nach dieser Entdeckung beschleicht einen das leise Gefühl, als würde man bei der Entwicklung dieser Halbjahresthemen von den Fachkonferenzen Religion die Quadratur des Kreises erwarten.
Doch die Frage, wie sechs mächtige inhaltsbezogene Kompetenzbereiche auf vier Kurshalbjahre zu verteilen sind, ist falsch gestellt. Wie schon das KC SEK I fordert das KC GO Anforderungssituationen als Ausgangspunkt der Planung, zu deren Bewältigung dann die ausgewählten Kompetenzen aus verschiedenen inhaltsbezogenen Kompetenzbereichen dienen sollen. Als mögliche Planungsgrundlage können zum Beispiel geeignete Lehrbuchkapitel dienen; das KC GO macht aber auch andere Verfahrensvorschläge (KC GO 15). Wie die ersten Implementierungsveranstaltungen gezeigt haben, lässt sich eine solche Zusammenstellung der Themen in der Praxis (nicht nur mit Hilfe der Beispiele) erfreulich gut bewältigen.
Dabei ist auch dienlich, dass das KC bereits eine Vorauswahl aus den prozessbezogenen Kompetenzen vorgeschlagen hat. Sicher: Dem einen oder der anderen könnte eine Rückbesinnung auf alte Zeiten, in denen man sich bei der Kursfolge weitgehend auf die vier „Klassiker“ Gottesfrage, Jesus Christus, Anthropologie und Ethik beschränkte, ein möglicher Einstieg sein. Auch das ist nicht grundsätzlich verboten, solange alle Kompetenzbereiche berücksichtigt werden und die letzte Steuerungsfunktion von den Anforderungssituationen ausgeht. Wie auch immer man diese Planung angehen möchte (auf einer Fortbildung für die Implementierung des KC GO waren die Kompetenzen als Puzzleteile sehr beliebt), das KC GO gibt eine klare Linie vor: „Halbjahresthemen sind weder identisch mit Unterrichtssequenzen noch mit den Kompetenzbereichen.“ (KC GO 15). Hat man schließlich auch noch passende biblische Basistexte und geeignete verbindliche Grundbegriffe zugeordnet, ist man fertig – und zwar wirklich viel schneller, als anfangs befürchtet, und noch dazu effizienter: Musste in den letzten Jahren aufgrund der Zentralabiturerlasse zumindest in den Prüfungskursen der Unterricht jedes Jahr neu konzipiert werden, ist das neue schulinterne Curriculum längere Zeit gültig. Auch wenn natürlich Erfahrungen ausgewertet und eingearbeitet werden müssen, muss die Grundstruktur nicht jedes Jahr wieder überarbeitet werden.
Und das zweistündige Ergänzungsfach? Hier gestaltet sich die Arbeit im Prinzip genauso, nur in abgespeckter Form. Wieder müssen alle 24 prozessbezogenen Kompetenzen in den vier Kurshalbjahren vorkommen. Abstriche werden aber bei den inhaltsbezogenen Kompetenzen gemacht, die um die Hälfte auf 17 gekürzt wurden. Acht davon setzt das KC GO (14), die verbleibenden neun wurden zur Auswahl in die Hände der Fachkonferenzen gelegt, ebenso wie die Reduzierung auf eine Auswahl von biblischen Basistexten und verbindlichen Grundbegriffen.
Dem, der zu einer abschließenden Beurteilung des KC GO gelangen möchte, stellen sich viele neue Fragen. Deren Antworten werden sich größtenteils erst im Laufe der Arbeit klären. Die Frage nach der Umsetzbarkeit kann aber schon jetzt mit einem klaren Ja beantwortet werden. Damit einher geht aber auch die Frage nach der Praxistauglichkeit. Die kann ich derzeit nur bedingt bejahen, da ich Bedenken bei den zweistündigen Kursen als Ergänzungsfach habe. Sie scheinen mir überfrachtet, vor allem vor dem Hintergrund, dass es sich ja genaugenommen um eine Belegungsverpflichtung über vier Kurshalbjahre handelt, von denen nur zwei Kurse einzubringen sind. Das wirkt sich oft genug negativ auf das Engagement der Schülerinnen und Schüler aus.
Diesem Phänomen lässt sich eher durch lebensnahe und existentiell relevante Themen begegnen, die auch liturgische, spirituelle und rituelle Angebote enthalten und in denen die Fachkolleginnen und Fachkollegen die Gelegenheit zu flexiblerem Handeln haben. Bleibt schließlich noch die alles entscheidende Frage, ob das KC GO hilfreich im Hinblick auf eine zuverlässige Abiturvorbereitung unserer Schülerinnen und Schüler ist. Diese liegt inhaltlich jetzt in der Verantwortung der Fachkonferenzen und ihrer Umsetzung des KC GO für das schulinterne Fachcurriculum, denn das Kultusministerium gibt für die Abiturjahrgänge ab 2014 nur noch Hinweise auf vertiefend zu fördernde inhaltsbezogene Kompetenzen heraus. Dies wird dann zwangsläufig Auswirkungen auf die schriftlichen Abiturprüfungen nach sich ziehen, da nun neue Aufgabenformate gefunden werden müssen, die in der Regel mehrere Lösungen zulassen. Daher muss hier ein „Wir werden sehen…“ als Antwort genügen.