Wie es dazu kam
Ein Konfi-Nachmittag im Dezember. Drei Gymnasiastinnen klagen in der Einstiegsrunde über die vielen Arbeiten, die noch geschrieben werden. „Und das ist unfair: Der Vater von D. ist Engländer und sie kriegt immer ‘ne Eins in Englisch; dabei ist das doch klar, dass sie das kann. Ich meine, die müsste doch anders bewertet werden, wenn der Engländer ist.“ Die Realschülerinnen und -schüler klagen auch: „Auf Haupt oder Förder müsste man sein – aber dann wär’ man ja doof!“
Im sich anschließenden Gespräch wird deutlich: Der Wert, den ich habe, hängt zunächst von der Schulform ab, die ich besuche, und dort dann von den Zensuren, die Ende Januar im Zeugnis stehen werden.
Beim Konfi-Nachmittag im Januar beschäftigen wir uns mit Matthäus 20,1-16, dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.
Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit
Ein Weinbergbesitzer wirbt zur Erntezeit Tagelöhner für die Arbeit in seinem Weinberg an – im Palästina zur Zeit Jesu ein üblicher Vorgang. Zu Beginn des Arbeitstages um 6.00 Uhr morgens geht er zum Markt, auf dem Arbeitslose auf einen Tagesjob warten, und stellt einige von ihnen an. Für einen Silbergroschen als Lohn sollen sie bis zum Ende des Arbeitstages um 18 Uhr arbeiten. Dieser Lohn ist nicht hoch, aber fair: Er sichert das Leben für einen Tag. Dieser Tag ist – aus Sicht der geworbenen Tagelöhner – gerettet!
Um 9.00 Uhr wirbt er weitere Arbeiter an, ebenso um 12.00 Uhr, 15.00 Uhr und sogar noch – nur eine Stunde vor Feierabend – um 17.00 Uhr. All diese Arbeiter scheinen froh zu sein, überhaupt noch angeworben zu werden; denn sie fragen nach keinem konkreten Lohn. „Ich will euch geben, was recht ist“, sagt der Weinbergbesitzer.
Um 18.00 Uhr weist er seinen Verwalter an, mit der Auszahlung bei den zuletzt Gekommenen zu beginnen. Sie erhalten einen Silbergroschen. Die zuerst eingestellten Arbeiter sehen dies und rechnen sich aus, dass ihr Lohn entsprechend höher ausfallen muss; sie erhalten jedoch ebenso einen Silbergroschen. Als sie sich beim Weinbergbesitzer darüber beschweren, für mehr Leistung denselben Lohn erhalten zu haben wie die zuletzt Gekommenen, verweist er sie zunächst auf die getroffene Absprache: „einen Silbergroschen für einen Arbeitstag“ und treibt damit den Konflikt zwischen Güte und Gerechtigkeit auf die Spitze. Dann jedoch lädt er sie ein zu einer neuen Sichtweise dessen, „was recht ist“: der Sichtweise der Güte, die jedem Menschen das zukommen lässt, was er zum Leben braucht.
Ihr seid mehr wert als eure Leistung!
„Denn das Himmelreich gleicht…“ leitet Matthäus das Gleichnis ein. In der Welt der Jugendlichen, in unserer Welt, steht die Höhe des Lohnes, den jemand erhält, in direkter Abhängigkeit von der erbrachten Leistung – ob es sich nun um den Arbeitslohn eines Elternteils handelt oder um Zeugnisnoten.
Problematisch ist dabei nicht die Anerkennung der Leistung an sich, sondern die mit ihr verbundene Wertung: Die messbare Leistung, die sich in dem ausdrückt, was ich mir „leisten“ kann oder in welcher Schulform ich welche Zeugnisnoten erhalte, bestimmt den Platz in der Rangliste der Konfirmandengruppe. Nicht messbare Leistung hat und gibt keinen Wert. Und nur zu oft keinen Selbstwert.
Gottes Gerechtigkeit durchbricht diesen Zusammenhang von Leistung und Lohn durch den Blick der Güte. Die Güte blickt nicht in die Vergangenheit: „Was hast du geleistet?“, sondern in die Zukunft: „Was brauchst du zum Leben?“ Dabei begegnet sie uns im Gleichnis nicht als Moralpredigt mit neuer Leistungsforderung („So gütig musst du auch sein!“), sondern behutsam werbend: „Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?“
Mit dieser Frage werden Hörende oder Lesende mit hinein genommen in die Geschichte und werden eingeladen, Gottes Gerechtigkeit selbst zu erleben: „Ihr seid mehr wert als eure Leistung!“ Entsprechend bieten sich zur Erarbeitung des Gleichnisses mit den SuS Wege an, die auch sie in diese Geschichte mit hinein nehmen.
Die Vorbereitung
Die Vorbereitung des Gottesdienstes
- bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich ihres eigenen Verständnisses von Gerechtigkeit bewusst zu werden.
- Sie lässt sie danach das Gleichnis aus der Perspektive unterschiedlicher Figuren der Geschichte heraus erleben und so
- das Gerechtigkeitsverständnis Jesu als Einspruch gegen das Leistung-Lohn-Denken kennen lernen.
- Sie lädt die Schülerinnen und Schüler ein, Gottes Güte als Grund seiner Gerechtigkeit zu erkennen und sich selbst und auch andere mit dem Blick dieser Güte sehen zu wagen.
Erster Schritt:
Zunächst erhalten die SuS den Auftrag, in Kleingruppen eine kurze Szene zu entwerfen, die wahlweise den Titel „Das ist gerecht!“ oder „Das ist ungerecht!“ trägt. Die Szenen werden der Großgruppe dann ohne Überschrift vorgespielt; alle beurteilen, ob das Gesehene und Gehörte „gerecht“ oder „ungerecht“ ist.
In der Erprobung spielten sich die meisten Szenen im Kontext Schule ab; eine große Rolle spielte dabei die Gleich- oder Ungleichbehandlung von Jugendlichen unterschiedlicher Lernstärke. So wurde z.B. die Entscheidung eines Lehrers als „gerecht“ vorgestellt und besonders gelobt, auch ein stets Einsen schreibendes Mädchen beim Stören im Unterricht zu ermahnen und nicht – wie häufig erlebt und als „ungerecht“ vorgespielt – die Unruhe ohne Erkundung gleich an den schwächeren Schülern fest zu machen.
Weitere Themen waren Geschwisterkonflikte und das Verhalten der Eltern in ihnen; nur eine Szene spielte sich in der Arbeitswelt ab: So wurde dargestellt, dass die Mutter eines Jungen, die von einer Leiharbeitsfirma angestellt als Raumpflegerin eine Arztpraxis putzt, einen viel geringeren Stundenlohn erhält als ihre Kollegin, die direkt bei der Praxis angestellt ist.
Zweiter Schritt:
Im Anschluss an die Diskussionen zum Thema Gerechtigkeit werden die SuS gebeten, Paare zu bilden und jeweils festzulegen, wer von ihnen Person A und wer Person B ist. Alle SuS setzen sich dann in der Mitte des Raumes auf den Boden und erhalten folgende Spielanweisung:
„Ihr lebt im Palästina zur Zeit Jesu. Und ihr habt leider alle kein festes Arbeitsverhältnis. Deshalb steht ihr morgens vor Sonnenaufgang auf und geht auf den Marktplatz, um einen Tagesjob zu bekommen. Der übliche Arbeitstag geht von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr; dann erhalten die, die einen Job ergattert haben, ihren Lohn. Ein Silbergroschen für einen Tag ist der übliche Lohn; er reicht euch zum Leben für einen Tag. Wer Glück hat, verdient mehr, wer Pech hat, weniger – oder findet auch gar keinen Job, weil ihr viele seid.
Ich werde euch gleich eine Geschichte vorlesen, die um 6.00 Uhr morgens beginnt – im Text ist das die „Stunde Null“ – und um 18.00 Uhr – im Text „Stunde Zwölf“ – endet. Ihr sitzt alle auf dem Marktplatz und wartet auf Arbeit. Und ihr bewegt euch bitte zu der Geschichte so, wie es zu eurer Rolle – A oder B - passt. Eure Situation, auf einen Job zu warten, ändert sich erst, wenn ihr als A oder B ausdrücklich erwähnt werdet.
Achtet auf das, was ihr in eurer Rolle empfindet und versucht, es in eurer Körperhaltung und Mimik zum Ausdruck zu bringen.“
Dann wird Mt. 20,1-8 mit zwei kleinen Einschüben sehr langsam und mit Pausen vorgelesen: In V.2 wird gelesen: „Und als er mit allen Personen, die A heißen, einig wurde…“, in V. 6: „Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand alle, die B heißen, und sprach zu ihnen …“. Zur Unterstützung des Empfindens der Länge der Zeit können Gongschläge die Erzählung in Stunden gliedern.
Dritter Schritt:
Nun wird das Arbeitsblatt M 1 („Ein Tag im Leben von Micha und Habakuk“) ausgeteilt und die SuS werden gebeten, sich in den gebildeten A-B-Paaren zusammen zu setzen, gemeinsam Gesichtsausdrücke für die beiden Tagelöhner auf den Bildern zu bestimmen und diese dann einzuzeichnen. Auf dem letzten Bild sollen sie in die Sprechblase eintragen, welcher Arbeiter welchen Lohn erhalten wird.
Im Anschluss daran stellen sich jeweils zwei Paare ihre Blätter gegenseitig vor und diskutieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
In der Erprobung gab es sowohl „Michas“, die zwölf Silbergroschen erhielten, als auch „Habakuks“, denen ein Zwölftel ausgezahlt wurde. Vier Paare hatten beiden einen Silbergroschen zugeteilt, andere Micha zwei und Habakuk einen Silbergroschen.
Vierter Schritt:
Alle A und B nehmen ihre Position am bisherigen Ende der Erzählung (V.8) im Raum wieder ein. Die Geschichte wird bis zum Ende vorgelesen; die SuS stellen die Figuren wie zuvor in Gestik und Mimik dar.
Das folgende „Stuhltheater“ kann nun den unterschiedlichen Figuren des Gleichnisses Sprache verleihen. Drei Stühle werden jeweils mit einem farbigen Tuch als Stuhl einer der drei folgenden Rollen gekennzeichnet: Micha (A), Habakuk (B), Weinbergbesitzer (C). Die SuS werden aufgefordert, die Stühle – unabhängig von ihrer zu Beginn der Erzählung zugeteilten Rolle A oder B – frei nach Wunsch zu besetzen und ein kurzes Statement zum Geschehen aus dieser Rolle heraus zu geben. Im Anschluss daran entsteht eine Diskussion zwischen den drei Rollen, in die sich alle SuS einfädeln können, indem sie sich für kurze Zeit hinter einen der Stühle stellen und die Person doppeln.
In der Erprobung kam der Weinbergbesitzer nur im Eingangsstatement zu Wort: „Ich konnte das nicht mit ansehen, wie der Habakuk da immer noch so da saß. Der brauchte ja auch was zu essen.“ Mehrere „Michas“ und „Habakuks“ lieferten sich dann eine rege Diskussion, an deren Ende Habakuk sagte: „Vielleicht war es nicht ganz gerecht, aber es war einfach richtig so!“
Abschluss:
Der Konfinachmittag endet nach diesem „Stuhltheater“ mit dem Impuls:
„So ist es bei Gott“, sagt Jesus, wenn er seine Geschichte mit den Worten: „Denn das Himmelreich gleicht…“ beginnt. Bei uns ist es meistens anders, das habt ihr in euren Spielszenen zu Beginn gezeigt. Und Jesus sagt: „Trachtet nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit …“ auch in eurem Leben – das berichtet der Evangelist Matthäus, der dieses Gleichnis von Gottes Gerechtigkeit aufschrieb. Überlegt, wie wir das in einem Gottesdienst am Sonntag nach der Zeugnisvergabe ausdrücken können.
Aus Stichworten zur Geschichte aus den jeweiligen Rollen von „Micha“ und „Habakuk“ heraus kann nun ein Dialog für den Gottesdienst formuliert werden (vgl. als Anregung M 2).
Der Gottesdienst
Der Gottesdienst war ein normaler Sonntagsgottesdienst in der Kirche; am Freitag zuvor hatte es Zeugnisse gegeben.
Keyboardvorspiel zweier Konfirmandinnen
Begrüßung
Eingangslied
Drei Spielszenen, eingeleitet von Konfis mit den Worten:
„Freitag hat es Zeugnisse gegeben. Im Dezember, als wir für das Krippenspiel übten, wurden jede Woche mindestens zwei Arbeiten geschrieben – uns hat nichts anderes mehr beschäftigt. Und wir haben gesagt, dass das alles oft ganz schön ungerecht ist. Beim Konfinachmittag im Januar haben wir uns deshalb mit dem Thema „Gerechtigkeit“ beschäftigt. Was ist gerecht?“
Die Spielszenen wurden in der Erprobung bewusst so ausgesucht, dass je eine aus dem Kontext Schule, dem Kontext Familie und dem Kontext Arbeitswelt kam. Am Ende jeder Spielszene froren die Spielenden in ihrer Haltung ein und die Gesamtgruppe fragte im Chor: „Ist das gerecht?“
Gemeinsam gesprochenes Psalmgebet. Worte nach Psalm 63:
„Mein Gott, dich suche ich.
Meine Seele verlangt nach dir.
Ich dürste nach dir
wie trockenes Land nach dem Regen.
Ich schaue nach dir,
deine Nähe zu erfahren.
Denn deine Güte allein
gibt meinem Leben Sinn. Amen.“
Lied: Jesus ist kommen (EG 66, 1,2 + 7)
(Währenddessen kommt ein Konfirmand mit einem großen Gong in den Altarraum, mit dem er während der szenischen Dialogpredigt die Zeiten schlägt. Auch „Micha“ und „Habakuk“ setzen sich auf Sitzkissen in den Altarraum.)
Predigt als in Szene gesetzter Dialog (siehe M 2)
Lied: Du bist Du
(Das Liederheft für die Kirche mit Kindern 79, 1-3)
Bekanntmachungen
Lied: Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht
(Mein Liederbuch 2, Ökumene heute, tvd-Verlag, B 230)
Gemeinsames Mahl mit Weintrauben und Brot, das durch die Reihen gegeben wird, eingeleitet mit den Worten:
„Unsere Geschichte ist eine Geschichte vom Reich Gottes, vom Himmelreich, wie Jesus sagt. ‚Wie im Himmel, so auf Erden‘, so beten wir jeden Sonntag im Gottesdienst – auch gleich wieder. Denn das Reich Gottes beginnt nicht erst, wenn wir tot sind. Es will heute bei uns lebendig werden.–
Als Zeichen dafür teilen wir jetzt Weintrauben und Brot.
An Gottes Tisch ist die Spaltung zu Ende
zwischen Starken und Schwachen,
Schnellen und Langsamen,
Berühmten und Unbekannten,
Glückskindern und Pechvögeln.
An Gottes Tisch gibt jede und jeder weiter, was er hat.
An Gottes Tisch bekommt jede und jeder, was er zum Leben braucht.
Aus Gottes Güte.“
Lied: Lasst uns den Weg der Gerechtigkeit gehen, dein Reich komme …
(Mein Liederbuch 2, Ökumene heute, tvd-Verlag, B 171)
Gebet und gemeinsam gesprochenes Vater unser
Segen