Medien müssen Gewaltverhältnisse abbilden und über sie aufklären - Zu viel Gewalt in unseren Medien? – Nein

von Olaf Jantz

 

Medien bilden, Medien vermitteln, Medien informieren, Medien produzieren und Medien bilden ab. Insbesondere Massenmedien machen Meinung, spiegeln Einstellungen wider und greifen aktuelle Themen auf. Medien stellten schon immer einen Spiegel der jeweiligen politischen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen realen Bedingungen dar. So stelle ich voran:

Soll Gewalt in Medien verboten werden, dann sollte zunächst die Gewalt in Politik, Gesellschaft und im real erlebten Alltag geächtet werden. Doch wer ist bereit, dem Vorstoß in der Neujahresansprache 2010 von Frau Käßmann zur „Afghanistanfrage“ einhellig zuzustimmen? Wieso werden in der großen Weltpolitik vornehmlich Gewalt bejahende oder zumindest akzeptierende Strategien bevorzugt, statt diplomatische Wege zu suchen? Warum befürworten wir allzu oft zumindest die Androhung von Gewalt in Form von Militär, Wirtschaft und Politik? Wir leben, wenn wir es ehrlich analysieren, in einer Tätergesellschaft, die von Gewalt profitiert.

Und so lange dies so ist, müssen Medien die Gewaltverhältnisse abbilden. Dies verlangt geradezu ihr demokratischer Auftrag nach Aufklärung. Deshalb halte ich es auch nicht für sinnvoll, meinen Kindern aktuelle Medien vorzuenthalten: Sie wollen und sie sollen sich realitätsgerecht bilden! Allerdings sollten wir genau prüfen, welche Darstellungen altersgemäß, entwicklungstypisch und situationsbezogen angemessen einzuordnen sind: Was bedeutet Überforderung und was stellt eine nachhaltig sinnvolle Verarbeitungsmöglichkeit dar? Und an welchen Medien und an welchen Inhalten und besonders an welchen Bildhaftigkeiten wächst eine realitätsgerechte und emanzipierende Medienkompetenz bei unseren Kindern und Jugendlichen?

Wenn Bruno Bettelheim m.E. treffend feststellte, dass Kinder Märchen brauchen, dann betone ich, dass Jugendliche von heute realistisch dargestellte Geschichten der Welt brauchen, um mündig zu werden. Die Märchen, die Bettelheim vorschwebten, waren durchzogen mit Gewalttätigkeiten und er beobachtet aus einer psychoanalytischen Sichtweise, dass gerade zugespitzte, aggressive und gewalthaltige Geschichten als Projektionsfläche zu einer gesunden Entwicklung beitrügen. Wenn die Bibel, der Koran und die Thora in ihrer Vermittlung von Glauben nicht auf die Gewaltdarstellungen verzichten, dann frage ich mich, ob das menschliche Leben ohne die Auseinandersetzung um eigenes und fremdes Gewalthandeln auskommen kann!

In der pädagogischen Begleitung von Kindern und Jugendlichen geht es also weder um das Pro noch um das Contra. Vielmehr braucht es das „Sowohl … als auch“! Neben den Risiken einer Realitätsflucht und einer psychologischen Überforderung durch unangemessene Bilder in virtuelle Welten, können Jugendliche wie Erwachsene mithilfe der digitalen Medien und besonders im Computerspiel auch Kompetenzen erwerben.

Vielspieler betonen häufig, dass sie auch ohne die Gewaltszenarien im Spiel auskämen, sie seien lediglich der erzählerische Rahmen, der das Spiel begleite. Und doch bin ich genau bei diesen Spielern stets insbesondere über das Gespräch während der Gewaltrezeption zu Themen der männlichen Jugendlichen gelangt, die ihnen und mir ohne das Spiel verborgen geblieben wären. Wo, wenn nicht auf der Spielwiese digitaler Medien können insbesondere Jungen ihre destruktiven Phantasien ausleben? Ich denke wir müssten eher lernen, ihre Gewaltrezeptionen als produktiven Versuch einer Verarbeitung ihrer Realität zwischen Freundeskreis, Schule und Elternhaus zu verstehen. Zugegeben: Wenn es in meiner Macht stünde, dann würde ich den freien Zugang zu unangemessenen Gewaltdarstellungen begrenzen. Doch so lange sich mit Sex und Gewalt Geld verdienen lässt, vertraue ich eher darauf, Kinder und Jugendliche darin stark zu machen, die alltägliche, reale und virtuelle Gewalt einordnen und verarbeiten zu können. Dabei geht es auch darum, ihnen Kriterien zu vermitteln, wie und wann sie sich besser von einer Rezeption abgrenzen können.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2010

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