“Kunst hat vielleicht nur die Aufgabe uns wach zu machen – wach für das Leben”
John Cage
Christliche Friedenspädagogik besitzt ihre zentralen biblischen Bezugspunkte in den großen prophetischen Friedensvisionen des Alten und Neuen Testaments (Jesaja 11, Micha 4, Offenbarung 21) sowie in der Friedensbotschaft Jesu, die in der Bergpredigt (Matthäus 5-7) ihren bedeutungsvollsten Ausdruck gefunden hat.1 Die bildende Kunst hat diese Traditionen seit ihren Anfängen immer wieder aufgegriffen. Sie verbindet bis heute in vielfältiger Weise eigene Gegenwart mit biblisch inspirierten Hoffnungs- und Friedensbildern. Dabei spielen unterschiedliche gesellschaftliche Erfahrungen und Kontexte eine wichtige Rolle. Umstritten ist, ob und in welcher Weise Kunst politisch sein sollte.
Mit dem Begriff der so genannten “engagierten Kunst” verbindet sich eine Diskussion, die zum einen nach der Bedeutung und Wirksamkeit von Kunst für das gesellschaftliche Leben fragt, zum anderen den Sinn und Eigenwert von Kunst überhaupt zu bestimmen sucht. Kunst, die sich programmatisch in den Dienst einer politischen Richtung oder Ideologie stellt, steht in der Gefahr, ihre Freiheit zu verlieren. Mit dem Verlust ihres gesellschaftlichen Bezuges verliert sie ihre Kraft und verkommt zur Banalität. Kunst hingegen, die zeit- und zwecklos daher kommt, um sich als “reine Form” zu empfehlen, kann und darf die eigene Geschichtlichkeit nicht übersehen. Auch ihre Freiheit muss immer wieder errungen werden.
Der Einsatz von bildender Kunst im Unterricht beginnt mit der Bildauswahl. Zahlreiche Künstler und Künstlerinnen haben die Erfahrung von Krieg, Gewalt und Frieden in ihren Bildern thematisiert.2 Der Mehrwert des Bildes gegenüber anderen Medien liegt in seiner konzentrierten Nachhaltigkeit. Künstlerisch anspruchsvolle Bilder benötigen “Sehgeduld” (Günter Lange). Durch die sorgfältige Wahrnehmung und Entschlüsselung im Unterricht bleibt ihre Botschaft in der Regel nicht nur intellektuell, sondern auch emotional für den Betrachter von einprägender Kraft.
Wer bildende Kunst im Religionsunterricht einsetzt, muss auf überraschende Entdeckungen seiner Schülerinnen und Schüler gefasst sein. Einsichten vermitteln sich nur im Spiel von Anleitung und Freiheit. Die Bedeutung einzelner Bildaussagen ist daher nicht sprachlich vorwegzunehmen. Die voreilige Deutung eines Bildes instrumentalisiert seine Botschaft. Dies gilt auch für den Bereich der Friedenspädagogik, soll diese zu mehr als einem allgemeinen Appell oder Aufruf zum Frieden führen. Schülerinnen und Schülern ist Raum zu geben, sich bildender Kunst auf möglichst offene und vielfältige Weise zu nähern und sie sich anzueignen.
Die vorliegenden Unterrichtsbausteine greifen drei Bilder auf, die im Sekundarbereich I und II eingesetzt werden können. Durch Zusatzmaterialien ist es möglich, eigene thematische Schwerpunkte zu setzen. Zunächst wird mit dem Bild von Peter Paul Rubens die allgemeine Erfahrung des Krieges veranschaulicht. Anschließend lassen sich mit dem Bild von Ida Applebroog gesellschaftliche Gewalterfahrungen und ihre Alternativen erarbeiten. Die Umschmelzaktion von Joseph Beuys thematisiert abschließend die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Veränderungsprozesse überhaupt möglich sind.
Peter Paul Rubens, Die Schrecken des Krieges
Joseph Beuys, Der Friedenshase, 1982 © VG Bild- Kunst 2009
Unterrichtsbaustein I: “Krieg”
1. Schritt
Die Schülerinnen und Schüler sammeln und vergleichen Kriegsdarstellungen aus unterschiedlichen Zeitepochen. Sie diskutieren die Motivation und Funktion der Bilder.
2. Schritt
Das Bild Die Schrecken des Krieges von Peter Paul Rubens wird schrittweise erarbeitet. Es wird in die Biographie des Künstlers und den zeitgeschichtlichen Hintergrund eingeführt. Das Bild wird als Allegorie gedeutet und entschlüsselt.
Das Gedicht Der Frieden von Friedrich Hölderlin kann zusätzlich mit dem Bild verglichen werde.
3. Schritt
Die Schülerinnen und Schüler informieren sich über aktuelle Kriege, ihre Ursachen und Auswirkungen auf die Bevölkerungen. Kriegs-Definitionen werden besprochen (www.akuf.de; www.hiik.de). Die Mahnung des Weltkirchenrates (ÖRK) “Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein” (1948) wird im Blick auf ihre Aktualität diskutiert.
Materialien:
Peter Paul Rubens: Die Schrecken des Krieges
Der Künstler
Peter Paul Rubens, * 28.6.1577 in Siegen (Westfalen),† 30.5.1640 in Antwerpen, Flämischer Maler; gilt als Hauptvertreter einer gegenreformatorischen neuscholastischen Richtung des europäischen Barocks, war u. a. Schüler von Tobias Verhaecht und Adam von Noort,
ab 1600 | Italienreise u. a. nach Venedig, Mantua, Florenz, Rom, Mailand. |
1606/07 | Aufenthalt in Genua, künstlerische Prägung u. a. durch Tizian, Tintoretto, Raffael, Caravaggio, zahlreiche Aufträge für Altarbilder |
1608 | Rückkehr nach Antwerpen nach Erkrankung der Mutter, Hofmaler |
1610 | Heirat mit Isabella Brant; Aufnahme in die Gilde der Romanisten (d.h. der humanistisch Gebildeten, die Rom besucht hatten); bedeutendster Künstler in Antwerpen; zahlreiche großformatige Bilder mit religiösen und profanen Themen in vielen Städten Europas; enger Kontakt zu Jesuiten |
1621 | zunehmende diplomatische Tätigkeit |
1624 | Erhebung in der Adelsstand |
1626 | Tod seiner Frau |
1628/29 | Aufenthalt in Spanien |
1629/30 | Aufenthalt in England |
1630 | Heirat mit Helene Fourmant |
1633 | Bitte um Freistellung von diplomatischen Aufgaben |
Rubens besaß große zeichnerische Fähigkeiten und hatte eine besondere Memorierfähigkeit für ungewöhnliche Perspektiven und Schrägbeleuchtungen. Das Tridentinum forderte 1563 von der Kunst die deutliche Wiedergabe der Erscheinungswelt, durch die das historische und religiöse Wissen zum spirituellen Erlebnis führt. Hervorhebungen geschehen u.a. durch die Zuordnung zu Bewegungsrichtungen und “Aufmerksamkeitsinseln”: der Wahrnehmungs-vorgang wird dramatisiert, d.h. er führt zu einer emotional gesteigerten Beteiligung des Betrachters. Auch die elementar leuchtenden Farben unterstützen dies. In großen Teilen kann Rubens Kunst als allegorisch verstanden werden.
Das Bild
Das Bild entstand 1637/38, nachdem Rubens enttäuscht das Scheitern seiner diplomatischen Friedensbemühungen während des 30-jährigen Krieges erlebt hatte. Das Bild, Öl auf Leinwand, 206 x 345 cm, hängt heute im Palazzo Pitti in Florenz.
Rubens selbst interpretiert das allegorische Gemälde in einem Brief vom 12. März 1638 an den Hofmaler Justus Sustermans in Florenz. Neben der aus dem Janustempel herausgekommenen Hauptfigur des gepanzerten Kriegsgottes Mars greift die hellweiße, nackte Liebesgöttin Venus dem Davonstürzenden in den Arm. Dieser wird von der eine Fackel haltenden Furie Alekto, der Unversöhnlichen, vorwärts in Dunkelheit und Chaos gezogen. Dort symbolisieren als Begleiter des Mars zwei Ungeheuer Hunger und Pest.
Rechts auf dem Boden liegt eine Mutter mit ihrem Kind, eine Frau mit einer zerbrochenen Laute sowie neben einer dorischen Säule ein Mann mit einem Zirkel in der hochgestreckten Hand. Der auf ein Buch tretende Kriegsgott Mars zerstört alle Errungenschaften der Zivilisation. Die Pfeile Cupidos, des knabenhaften Liebesgottes und Sohnes der Venus, liegen verstreut auf dem Boden. Darüber streckt verzweifelt die unglückliche Göttin Europa ihre Arme in die Luft. Hinter ihr hält ein kleiner Engel eine Glaskugel mit einem Kreuz. Der Krieg legt die christliche Welt mit ihren Werten der Menschlichkeit, der Nächsten- und Feindesliebe in Staub und Asche.
Der Unterricht
Das Bild, ein “unvergessliches Titelbild zum 30-jährigen Krieg” (Jakob Burkhard), eignet sich, um mit Schülerinnen und Schülern über die Thematik “Kriege in Vergangenheit und Gegenwart” zu arbeiten. Als überzeitliche Mahnung zum Frieden hat es in der europäischen Kunst- und Kulturgeschichte eine vielfältige Aufnahme und Resonanz gefunden. Insbesondere die Bildzitate in Picassos berühmtem Gemälde “Guernica” (1937) bieten zahlreiche Möglichkeiten der Vertiefung.
Gleichzeitig erscheint eine religionspädagogische Diskussion um die Frage gewinnbringend, weshalb bei vielen Kunstschaffenden das Thema von Krieg und Gewalt immer auch von einer gewissen künstlerisch-ästhetischen Faszination geprägt war und ist, so dass ein eindeutig anklagend-mahnender Charakter ihrer Werke deutlich in den Hintergrund tritt. Beispiele hierfür findet man u.a. bei Künstlern wie Caravaggio und Francis Bacon.
Unterrichtsbaustein II: “Gewalt”
1. Schritt
Die Schülerinnen und Schüler diskutieren die Frage: Zeigt das Fernsehen zu wenig Gewalt? Sie benennen eigene Medienerfahrungen. Sie unterscheiden zwischen der Darstellung und der real erfahrenen Gewalt. Der Gewaltbegriff des Friedensforschers Johan Galtung wird vorgestellt und diskutiert.3
2. Schritt
Das Bild Sacrifice/Paradise (1990) der US-amerikanischen Künstlerin Ida Applebroog wird von der Lerngruppe genau beschrieben. Die Personen bzw. Personengruppen können nachgestellt oder mit Sprech- und Gedankenblasen versehen werden. Positive und negative Lebensäußerungen werden gegenübergestellt und vermutete Ursachen hierfür benannt. Der Titel des Bildes wird diskutiert und die Idee der sog. Konzeptkunst (“Kunst entsteht im Kopf” – Marcel Duchamp) erläutert.4
3. Schritt
Die Schülerinnen und Schüler diskutieren in einer “Talk-Runde” die Frage, ob das Bild von Ida Applebroog dazu auffordert, jegliche Form von Waffen (einschließlich Kriegs- und Gewaltspielzeug) für Jugendliche in der Gesellschaft zu verbieten. Sie entwickeln Vorstellungen und Ideen einer Gesellschaft der Solidarität und des Gewaltverzichts.5
Materialien
Ida Applebroog: Sacrifice/Paradise
Die Künstlerin
Die US-amerikanische Künstlerin Ida Applebroog (*1929) studierte u. a. an der School of The Art Institute Chicago (1966-68). Sie lebt und arbeitet in New York. Nach anfänglicher Tätigkeit auf den Gebieten Performance, Film und Bildhauerei zählt sie seit 1974 zu den bedeutendsten feministischen Malerinnen der Postmoderne in den USA. Ihre cartoonartigen Zeichnungen mit Tinte und Rhoplex auf pergamentartigem, starrem Velin sind eine Spielart der Conceptual Art (Sure I’m Sure, 1979/80) – sie verwendet Wörter und Bilder, die narrativ anmuten, sich aber dennoch der Erzählform entziehen. In diesen Bildfolgen, ebenso wie in ihren großformatigen, mehrteiligen, mitunter freistehenden, beidseitig bemalten Leinwänden (Marginalia, 1991), behandelt Ida Applebroog die Themen Macht/Machtlosigkeit, Entfremdung, die Unfähigkeit des einzelnen, Nähe herzustellen, offenkundige/geheime Gefühle, Unzufriedenheit, Ablehnung, Demütigung und den Beinahezusammenbruch der Kommunikation in unserer Gesellschaft. Die Hauptmotive ihrer Bildinstallationen gestaltet sie mit dem Palettenmesser in gedämpften Braun-, Rot- und Gelbtönen. Sie stehen im Kontrast zu den kleineren, sich häufig wiederholenden Szenen, die comicartig um die Hauptmotive angeordnet sind (nach: http://sphinx-suche.de/kuenstler/ Applebroog.htm).
Das Bild
Ida Applebroog, Sacrifice/Paradise.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Künsterlin
Die Bildcollage “Sacrifice/Paradise” (1990) zeigt auf der linken Seite einen Jungen mit T-Shirt und kurzer Hose. Er trägt in der rechten Hand stolz ein Maschinengewehr. Gesicht und Körperhaltung des Jungen wirken eigentümlich kalt und unnatürlich. Die Szene birgt eine seltsame Spannung aus tödlicher Bedrohung und kindlicher Verspieltheit. Der Bildausschnitt “erinnert an die schleichende Verrohung von Kindern, an die psychische Verwahrlosung durch Gewalt.”6 Umgeben ist dieser hervorgehobene Bildteil von comicartigen Zeichnungen und Bildern, die teilweise an Foto- und Filmsequenzen erinnern. Im unteren linken Teil trägt ein altes Ehepaar drei Eimer. Sich helfend halten sie den mittleren Eimer gemeinsam. Oberhalb des Jungenkopfes ist eine Szene zu erkennen, in der eine Frau ihren Hund auf dem Bauch krault. Ähnlich schutzlos und offen steht auf der linken Seite ein Mann mit ausgebreiteten Armen. Auf der rechten Seite hilft ein kleines Mädchen einem anderen beim Anziehen eines Regenmantels. Auf dem darunter befindlichen geht ein Mann nachdenklich allein eine Straße entlang. Ganz oben rechts ist der Kopf eines Mannes zu sehen, dessen eines Auge verbunden ist. Links daneben scheint sich ein Mann über ein Seil zu schwingen.
Der Unterricht
Das Bild gibt gegensätzliche Gefühle und Facetten menschlicher Solidarität und Gemeinschaft wieder. Einer Kultur der Gewalt und der Verletzung stellt es Momente der Hilfe und gegenseitigen Unterstützung zur Seite. Der Betrachter/die Betrachterin wird gezwungen, Verbindungen zwischen den unverbundenen Teilen herzustellen. Dabei motivieren neben den unterschiedlichen Motiven die unterschiedliche Größe und Anordnung der Einzelelemente den Betrachter immer wieder aufs Neue. Zwischen Blindheit für die Ursachen von Gewalt in Erziehung, Medien und Politik und der Ermutigung, im überschaubaren menschlichen Miteinander füreinander einzutreten und Lebensfreude zu entwickeln, richtet das Bild an jeden einzelnen seine Fragen. “Viele fragen mich immer wieder, warum ich das Thema Gewalt in den Vordergrund stelle. Ich antworte dann, dass nicht ich, sondern die Welt von Gewalt beherrscht wird” (Ida Applebroog). An den Ernst und die Hoffnung dieser Worte kann der Unterricht gut anknüpfen. Nicht zuletzt lässt sich auf diesem Hintergrund auch der Titel des Bildes deuten.
Unterrichtsbaustein III: “Frieden”
1. Schritt
Die biblische Friedensvision “Schwerter zu Pflugscharen” (“Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden nicht mehr kriegen lernen.” Micha 4,3) wird vorgestellt. Ihr Utopiecharakter wird erarbeitet und diskutiert. Die Bedeutung des biblischen Textes für die Friedensbewegung in Ost und West in der 1980er Jahren wird erläutert.
2. Schritt
Die Umschmelzaktion des Künstlers Joseph Beuys aus dem Jahr 1982 wird ausführlich beschrieben. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten die Symbolik von Krone und Hase. Auf die Bedeutung des Hasen sowie auch anderer Tiere im Werk von Beuys wird besonders eingegangen.7 Sie diskutieren, weshalb die Aktion sehr viel Protest hervorgerufen hatte.
3. Schritt
Nach Bewegungsübungen, bei denen das bewusste Verändern von Bewegungen und Körperhaltungen im Mittelpunkt steht, wird der Sinn der Umschmelzaktion diskutiert und mit der biblischen Friedensvision in Verbindung gebracht. Ursachen und Hemmnisse für Frieden fördernde Entwicklungen werden erarbeitet. Eine eigene “Umformungsaktion”, die das Wunder der Veränderung und Transformation veranschaulicht, wird mit verschiedenen Materialien, einer (Rollen-)Spielszene oder einer anderen medialen Form (z.B. Foto, Film) durchgeführt und diskutiert.
Materialien
Joseph Beuys: Friedenshase
Der Künstler
Joseph Beuys (* 1921 in Krefeld, † 1986 in Düsseldorf) zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Er war Aktionskünstler, Bildhauer, Zeichner, Kunsttheoretiker und Pädagoge. Von 1961 bis 1972 war er u.a. Professor an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Beuys verband sein Schaffen mit einer gesellschaftlichen Utopie. Sein erweiterter Kunstbegriff (“Jeder Mensch ist ein Künstler”) und seine Konzeption der “Sozialen Plastik” fordern ein kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft und in der Politik. Kunst zielt auf das Denken des Menschen. Angeregt durch sozialphilosophische, naturwissenschaftliche und zoologische Studien sowie die Beschäftigung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners ist die anzustrebende Einheit von Natur und Geist nicht auf das individuelle Kunstwerk beschränkt, sondern zielt auf den sozialen Organismus als Ganzen. Aufgrund seiner umfangreichen Aktionskunst wird Beuys u.a. der Fluxus-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre zugerechnet. Prozess, Entwicklung, Metamorphose sind Merkmale seiner Werke seit dieser Zeit.8
Das Werk
“Der Friedenshase” stellt eigentlich kein Bild dar. Es handelt sich dabei vielmehr um die in der Staatsgalerie Stuttgart in einem Stahlsafe mit Panzerglas – “einem Reliquienschrein ähnlich”9 – aufbewahrten Überreste einer Kunstaktion, die Joseph Beuys 1982 gegen viel Protest auf der siebten Kasseler Dokumenta durchgeführt hat. “Am 30. Juni 1982 hatte der Künstler eine Nachbildung der Zarenkrone Ivans des Schrecklichen eingeschmolzen und sie zu Hase und Sonnenkugel umgegossen. Damit verwandelte er ein ‚Symbol der Unterdrückung’, der Ausbeutung, der Macht in ein Zeichen des Friedens.10 Der Hase, der eine vielfältige Bedeutung in Beuys’ Werk besitzt, kann u.a. als Symbol von Bewegung, Wandlung, Geborenwerden und Heilung verstanden werden. In christlicher Tradition ist der Hase ein Symbol der Auferstehung.11 Bevor die Zarenkrone, die als Symbol der Macht und Unterdrückung zu deuten ist, umgeschmolzen wurde, hat der Künstler das Diamantenkreuz herausgebrochen. Es ist links unten in der Abbildung zu sehen. Das christliche Kreuz, so kann man die Botschaft verstehen, muss “aus der Verschmelzung mit der Macht herausgelöst werden.”12
Der Unterricht
Das entscheidende Merkmal der beschriebenen Umschmelzaktion ist nicht sein Ergebnis, sondern die Aktion d.h. der Prozess selbst (M 1). In der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit der Friedensvision “Schwerter zur Pflugscharen” geht es daher nicht vorrangig um eine moralische Forderung, die gesellschaftlich einzuklagen ist. Vielmehr sind die motivierenden Kräfte der Veränderung und Wandlung (Konversion) sowie ihre Widerstände zu thematisieren (Gewohnheiten, Zwänge, Machtinteressen, Ängste u.a.). Nicht das Ziel von Frieden und Gewaltfreiheit steht in Frage, sondern der Weg dorthin! Notwendig erscheint ein Erfahrungsraum, in dem Mut zur Veränderung wachsen und gestärkt werden kann. Ausgangspunkt ist die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten und Hemmnisse, die nicht nur intellektuell, sondern ganzheitlich verstanden werden müssen. Wer einen gewohnten Weg verlassen oder eine gewohnte Bewegung verändern will, kann durch einfache Körperübungen oder eine Tanzimprovisation ein Gespür für die Schwierigkeiten und damit verbundene Unsicherheiten entwickeln (M 2). Der Prozess der Veränderung kann durch kreative Umformungs- oder Umbauaktionen weiter vertieft werden. Dabei sind Ausgangsmaterial, Mittel der Bearbeitung und das Ergebnis eigenständig zu reflektieren: Was kann/will ich wie warum ändern oder in eine neue Form bringen? Welche Schwierigkeiten können sich dabei ergeben? Das “Spiel mit dem Feuer” kann als kreative Inspirationsquelle im Blick auf die eigene Person wie auch gesellschaftliche Transformationen genutzt werden.13
Eine zwar eigentümliche, aber anschauliche Beschreibung der Umschmelzaktion gibt Burkhard Brunn in dem taz-Artikel “Alle Macht den Hasomanen” Als Fest der Fruchtbarkeit wird Ostern mit Eiern und Schokoladenhasen gefeiert. Joseph Beuys zog bei seinen Ritualen im Kunstbetrieb dagegen Gold vor: 1982 schmolz er auf der documenta VII eine Kopie der Krone von Iwan dem Schrecklichen in einen Hasen um – als Symbol für Frieden und Volkskunst. Von Burkhard Brunn An Ostern feiert die Christenheit die Auferstehung Jesu. Ostern ist der Sieg des Lebens über den Tod. Es ist das christliche Frühlingsfest, das die Kirche den vorchristlichen Frühlingsfesten anzupassen wusste. Der Hase, besonders der Märzhase, galt dabei schon im Mittelalter als Symbol der verrücktesten Geylheit, weil er im März nichts im Kopf hat als zu »rammeln«. »Mad like a marchhare«, sagt man in England. Man nannte das »Hasigkeit«. |
M 2 Anleitung für ein körperliches Erleben von “Umschmelzungsprozessen”
Während du weiter wahrnimmst, was du in deinem Körper spürst, experimentiere ein wenig mit dem Tempo. Geh mal schneller, mal langsamer, bleib stehen, geh rückwärts… experimentiere für dich. Und nimm immer wieder wahr, was du dabei von deinem Körper erfährst.
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Anmerkungen
- Vgl. Luz, 550-553.
- Die Kunst des Friedens. Gewalt-Kritik und Friedens-Zeichen in der Bildenden Kunst. Ein Arbeitsbuch mit Dia-Serie, hrsg. v. Zivil und EAK, Stuttgart 2002. Das Buch bietet hervorragende Anregungen und Materialien, denen sich auch der vorliegende Unterrichtsentwurf verdankt. Die Materialien können auf Anfrage im Religionspädagogischen Institut Loccum ausgeliehen werden.
- Wichtig ist die Unterscheidung von personaler, kultureller und struktureller Gewalt. Personale oder auch direkte Gewalt liegt vor, wenn Menschen andere Menschen verletzen oder gar töten. Indirekte oder auch strukturelle Gewalt meint auf den ersten Blick nicht sichtbare Gewalt. Sie liegt vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass sie sich nicht so entwickeln können, wie dies eigentlich möglich wäre. Sie äußert sich zum Beispiel in ungleichen Machtverhältnissen und ungleichen Lebenschancen. Als kulturelle Gewalt wird jede Eigenschaft einer Kultur bezeichnet, mit deren Hilfe direkte oder indirekte Gewalt legitimiert oder gerechtfertigt werden kann. Vgl. auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Strukturelle_Gewalt. Siehe auch den Beitrag Friedenserziehung in der Schule von Reinhold Mokrosch in diesem Heft Seite 11ff.
- Klant, 99-114.
- Als Alternative kann auch das vieldiskutierte Thema gewalthaltiger Computerspiele aufgegriffen werden. Siehe Arbeitshilfe “Feuer einstellen”.
- Zivil, 48.
- Siehe Anmerkung 11.
- Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Beuys
- Zivil, 108.
- Ebd.
- Zur weiteren Symbolik des Hasen und anderer Tiere im Werk von Beuys vgl: Fritz, 100-119. Fritz verweist auf eine Formulierung Beuys, nach der Tiere “Vorversuche für das Menschwerden” sind. Sie stellen “unsichtbare geistige Kräfte” dar, die im Menschen selbst enthalten sind (ebd., 110).
- Zivil, 108.
- Vgl. Kathke, 101-144; auch Beuscher, 37-42. Eine interessante Aktion von Kindersoldaten in Liberia stellt das Projekt: Patronenhülsen zu Kreuzen dar: http://www.dnklwb.de/publikationen. php3; siehe auch: http://www.altepost.org/modules.php?file= index&name=PagEd&op=modload&page_id=292
Literatur/Medien
- Beuscher, Bernd: Langeweile im Religionsunterricht?, Göttingen 2009.
- Brunn, Burkhard: Alle Macht den Hasomanen, in: http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2003/04/19/a0262.
- Fritz, Nicole: Bewohnte Mythen – Joseph Beuys und der Aberglaube, Dissertation Tübingen 2002, in: http://tobias-lib.uni-tuebin gen.de/volltexte/2004/1253/pdf/NFNEU.pdf.
- Haus kirchlicher Dienste (Hg.): “Feuer einstellen!” – Gewalthaltige Computerspiele und ihre Alternativen, Hannover 2008 (einschl. DVD “Krieg in den Medien”).
- Käßmann, Margot: auf ein wort – Frieden, in: chrismon, 06.2009, 10.
- Kathke, Petra: Sinn und Eigensinn des Materials. 1. Sand und Erde, Gezweig Geäst und Gehölz, Feuer, Ruß und Asche, Berlin 2007
- Klant, Michael: Grundkurs Kunst 4: Aktion – Kinetik – Neue Medien, Braunschweig 2004.
- Lange, Günter: Bilder zum Glauben, München 2002.
- Lück, Hartmut / Dieter Senghaas (Hg.): Vom hörbaren Frieden, Frankfurt 2005.
- Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), 5. Aufl., Düsseldorf-Zürich 2002.
- Mertin, Andreas / Wendt, Karin: Mit zeitgenössischer Kunst unterrichten, Göttingen 2004.
- Meyer-Büser, Susanne (Hg.): Marc, Macke und Delaunay. Die Schönheit einer zerbrechenden Welt (1910-1914), Ausstellungskatalog, Hannover 2009.
- Senghaas, Dieter: Frieden hören! Annäherungen an den Frieden über klassische Musik, Tübingen 2003 (CD).
- Senghaas, Dieter: Klänge des Friedens, Frankfurt 2001.
- Sünner, Rüdiger: “Kreuz mit Kniescheibe und Hasenschädel” – Joseph Beuys als Mittler zwischen Heidentum und Christentum, aus: http://www.ruedigersuenner.de/beuys1.html.
- Ullrich, Wolfgang: Bilder auf Weltreise, Berlin 2006.
- Zivil: Zeitschrift für Frieden und Gewaltfreiheit der evangelischen Zivildienstseelsorge und EAK (Hg.): Die Kunst des Friedens, Stuttgart 2002 (mit Dias).