UBUNTU – gemeinsam sind wir stark! - Ein zweitägiges Klassenprojekt für die Grundschule

von Beate Peters

 

Stärkung der Klassengemeinschaft als Thema für den Unterricht

Immer lauter wird der Ruf nach Unterrichtshilfen, die ein gutes soziales Klima in der Klasse unterstützen und so auch längerfristig der Gewaltprävention dienen. Es gilt, Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, soziale Kompetenzen zu entwickeln, indem das gemeinsame Leben vor Ort als Chance zum nachhaltigen Lernen begriffen und genutzt wird. Dabei spielt eine große Rolle, wie die Beziehungen im konkreten Alltag – auch die zwischen Lehrenden und ihren Schülerinnen und Schülern – gelebt und gestaltet werden. Darüber hinaus gilt es, dem sozialen Lernen insgesamt Bedeutung einzuräumen und ihm somit Zeit einzugestehen. Gerade in Zeiten der Kompetenzorientierung ist der Blick zum ganzen Menschen wie auch zu seinem Leben im Kontakt mit anderen unerlässlich. So werden seit einigen Jahren verschiedene Unterrichtsbausteine und Materialpakete angeboten, die inzwischen von vielen Schulen erprobt wurden und regelmäßig eingesetzt werden.

Von kirchlicher Seite wird für den Sekundarbereich schon seit geraumer Zeit das Projekt „Schritte gegen Tritte“ angeboten, das maßgeblich von Klaus Burckhardt (Haus kirchlicher Dienste, Arbeitsstelle Friedensarbeit) entwickelt wurde. Zur Grundkonzeption gehört dabei, dass Jugendliche durch konfrontativ angelegte Übungen Verhaltensmuster, die auf Gewalt verzichten, erkennen und anwenden lernen. Ein Blick zur Gewaltüberwindung im früheren Apartheid-Konflikt in Südafrika ermöglicht dabei eine Hoffnung machende Perspektive und gleichzeitig den verfremdeten Blick auf Strukturen und Verhaltensmuster in unserer Gesellschaft sowie in konkreten Gruppen vor Ort.

Im Laufe der vergangenen drei Jahre ist durch das Engagement von Klaus Burckhardt und unter Mitarbeit von Schritte-gegen-Tritte-Multiplikatoren sowie Kooperationspartnern aus dem Ev.-luth. Missionswerk Hermannsburg, der Arbeitsstelle Kindergottesdienst im Michaeliskloster und aus dem RPI Loccum ein entsprechendes Konzept zur Friedenserziehung für den Grundschulbereich entwickelt worden: „UBUNTU – gemeinsam sind wir stark!“ Dieses stellt den Gemeinschaftsgedanken in den Mittelpunkt und will dazu beitragen, die konkrete Situation in der Klasse durch die Stärkung des Selbstwertgefühls einzelner und der Klassengemeinschaft insgesamt zu unterstützen. Es setzt darauf, dass durch positive Erlebnisse der Kinder in dieser konkreten Lebens- und Klassensituation nachhaltig ihre Selbstwahrnehmung sowie die Bereitschaft, sich in einer Gruppe einzubringen, gestärkt werden. Durch ein differenziertes Konzept und ein umfangreiches Materialpaket werden interessierte Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Arbeit unterstützt und können – nach Besuch eines Multiplikatorenkurses – das Projekt in dritten und vierten Schuljahren durchführen.

Das UBUNTU-Projekt ist als Projekt für ganze Klassen gedacht, das sich theologisch begründet und im Religionsunterricht in spezifisch christlicher Perspektive weitergeführt werden kann. Die angebotenen Anregungen und Unterrichtsideen bieten verschiedene Bausteine, so dass sowohl Religionslehrerinnen und -lehrer als auch interessierte weitere Kolleginnen und Kollegen jeweils eigene Schwerpunkte setzen können.

 

Zum Grundschulprojekt „UBUNTU – Gemeinsam sind wir stark!“

Schon das Titelwort „UBUNTU“ in der Sprache der Zulu weist darauf hin, dass auch bei diesem Projekt der Blick nach Südafrika eine Rolle spielt. „UBUNTU“ bedeutet Gemeinschaft, in der einer den anderen ansieht, wertschätzt und in der sich Menschlichkeit zeigen kann. Um Gemeinschaft und Wertschätzung des einzelnen geht es denn auch in dem in mindestens zwei Tagen durchzuführenden Projekt, das affirmativ ansetzt und Kindern stärkende Erfahrungen in ihrer Klassengemeinschaft ermöglicht. An einem ersten Projekttag wird eine fiktive Reise nach Südafrika in Szene gesetzt, die zum genaueren Hinsehen und Anschauen der früheren Gegensätze und der Entwicklung, insbesondere durch die Integrationsfigur Nelson Mandela, anregt. Seine Vision und sein Glaube können auch Kinder anregen, über Hoffnung Machendes nachzudenken. In diesem Zusammenhang wird das von der Unesco geförderte Schatzkistenprojekt aufgegriffen, in dem Kinder verschiedener Länder der Welt Symbole in einer Schatzkiste für Kinder im Jahr 2050 hinterlassen, die Mut machen und Hoffnung schenken sollen. Dementsprechend spielt auch beim UBUNTU-Projekt eine Schatzkiste eine wichtige Rolle: Zu Beginn tauchen original-afrikanische Bilder und Gegenstände aus ihr auf, die Aspekte des Lebens in Südafrika eindrücklich vor Augen führen. Später werden auch die Kinder der jeweiligen Projektklasse eingeladen, Gegenstände und Symbole in einer Klassen-Schatzkiste zu verpacken, die deutlich machen, was ihnen im Leben wichtig ist und Kraft gibt. Nach der fiktiven Rückkehr aus Südafrika am Ende des ersten Projekttages wird der Blick durch die Geschichte „Vom Viertelland“ von Gina Ruck-Pauquét auf Grenzen in unserer Gesellschaft und Chancen für deren Überwindung gelegt. Am zweiten Projekttag geht es schließlich sehr konkret um die Gemeinschaft innerhalb der eigenen Klasse. Dabei spielen Kooperationsspiele eine wesentliche Rolle. Sowohl gemeinsam erarbeitete UBUNTU-Klassenregeln als auch die gemeinsam bestückte Schatzkiste laden dazu ein, im weiteren Verlauf des Unterrichts wieder aufgegriffen und bei Bedarf erweitert zu werden.

Erfahrungen in der Erprobungsphase des Projektes und in den bisherigen Klassen zeigen, dass Kinder offenbar sehr positive Rückmeldungen zu UBUNTU geben und sich auch nachhaltig darauf beziehen. Klassen- bzw. Religionslehrerinnen und -lehrer berichten, dass Kinder sich zeitweise in Konfliktsituationen an die vereinbarten UBUNTU-Regeln erinnern und für einzelne besonders das Wahrgenommen-Werden bei der Vorstellung ihres Schatzkisten-Symbols von großer Bedeutung war.

 

Praktische Anregungen: Zum Einsatz der Viertellandgeschichte

Im Folgenden werden einige Ideen zur Umsetzung der Geschichte „Vom Viertelland“ von Gina Ruck-Pauquét vorgestellt, die im Rahmen des UBUNTU-Projektes eine Rolle spielen. Die Geschichte ist keinesfalls eigens für UBUNTU entwickelt worden, noch ist sie nur im Zusammenhang eines UBUNTU-Projektes einsetzbar. Sie eignet sich als Geschichte zur Thematisierung von Grenzen zwischen Menschen und von deren Überwindung:

In einem viergeteilten Land leben Gelbe, Rote, Grüne und Blaue farblich getrennt in jeweils einem Bereich, der durch eine Kreidestrichgrenze von den anderen abgetrennt ist. Die einzelnen Gruppen nehmen kaum Kontakt miteinander auf und entwickeln Vorbehalte gegeneinander. Gelangen andersfarbige Gegenstände oder Pflanzen in den jeweils eigenen Bereich, so werden sie umgehend entfernt, um kein Durcheinander und keine Vermischung zuzulassen. Doch Erbs, ein grüner Junge, reagiert auf eine gelbe Rose in seinem Bereich, indem er beginnt, die Kreidestrichgrenzen zu verwischen. Wenn sich auch gerade Ältere der verschieden Farbigen schwer tun, so trägt Erbs Reaktion dazu bei, dass am Ende tatsächlich eine bunte Gemeinschaft entsteht, die die Grenzen des bisherigen viergeteilten Landes sprengt und im gesamten Bereich des Viertellandes lebt. (siehe M 1)


1. Gestaltung in Gruppenarbeit und Entwicklung von kleinen Dialogen
Die Geschichte wird – ohne Einbeziehung der Kinder in die Rollen von Viertellandbewohnern – bis „Und alle beten für sich selbst“ im Stuhlkreis vorgelesen. In die Mitte des Stuhlkreises werden nach einem kurzen spontanen Gespräch zahlreiche Spielfiguren in den vier genannten Farben durcheinander auf den Boden geworfen. Die Kinder bekommen die Aufgabe, die Figuren entsprechend der Geschichte aufzustellen und evtl. die Handlung dabei zu wiederholen.

Nach Abschluss der Aufstellung der Figuren können die Kinder kleine Dialoge zwischen Spielfiguren in jedem Viertel entwickeln. Dafür nehmen, je nach Klassensituation und Vorerfahrungen, ausgewählte oder alle Kinder je eine Figur in die Hand und spielen kleine Szenen vor.

Im Anschluss gestalten die Kinder in vier Gruppen jeweils einen Teil des Viertellandes als Collage auf weißem Karton der Größe DIN-A-3 oder DIN-A-2. Dafür werden entsprechende Materialien, wie farbiges Papier und Zeitschriften, zum Reißen und Schneiden zur Verfügung gestellt. Die einfarbigen Figuren könnten auch mit einfachen Körperformen (geschnitten aus Kartoffeln oder Korken) gestempelt werden.
Am Ende der Arbeitsphase werden die vier Plakate vorgestellt und an einer Wand aufgehängt.

In einer Folgestunde spielen Kinderpaare, die jeweils entsprechend farbige Klebepunkte auf ihrer Stirn befestigen, vor den Plakaten an der Wand jeweils zu einem Viertel eine kleine Dialogszene als Wiederholung.

Danach wird der zweite Teil der Geschichte gelesen. Nach spontanen Reaktionen der Kinder wird gemeinsam überlegt, was sich auf den Plakaten ändern sollte, um das Ende der Geschichte einzubeziehen.

Entsprechend arbeiten die Kinder schließlich in ihren Gruppen weiter und verändern ihr Plakat, auf dem bisher eine Farbe dominiert hatte. Für die Gestaltung der „bunten Kinder“ können farbige Klebepunkte zur Verfügung gestellt werden.


2. Angeleitetes szenisches Spiel mit der ganzen Klasse in Gruppen
Die Geschichte wird vorgelesen und an mehreren Stellen unterbrochen, so dass jeweils einzelne Kinder in die Rollen der Viertelland-Figuren schlüpfen können und deren mögliche Gedanken äußern oder die beschriebenen Aktionen vor der Klasse ausführen können (z. B.: Ausrufe der Figuren wiederholen, das Erdbeermarmeladenlied singen, Pflaumentango tanzen, als Roboterredner rufen, das Verhalten der Polizisten und von Erbs spielen).

Nach dem Ende und der gemeinsamen szenischen Gestaltung erhalten die Kinder den Auftrag, in Gruppen von sechs bis acht Kindern ein kleines szenisches Spiel zu entwickeln, wie die Kinder am Ende aufeinander zu gehen, miteinander über die vergangene Trennung sprechen und überlegen, was sie miteinander tun können.

Am Ende kann als Ausdruck der Freude über die neu gewonnene Sichtweise und die Grenzaufhebung ein fröhlicher Tanz zu vorher besorgter passender Musik angeboten oder ein gemeinsames Lied gesungen werden (z. B.: „Wir wollen aufstehn, aufeinander zu gehn“ von Clemens Bittlinger).

Wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht, können Ideen gesammelt werden, was in der neu gewonnenen Gemeinschaft gut zusammen zu tun ist. Kooperationsspiele oder andere von den Kindern vorgeschlagene Tätigkeiten (z. B. gemeinsam essen) können den Abschluss bilden.


3. Individuelle Gestaltung einer Bildergeschichte mit ca. zehn Bildern (DIN-A-6)

  • Vier Bilder mit jeweils einem Viertelland in einer Farbe,
  •  ein Bild von der Reaktion auf das Wachsen der gelben Rose,
  • ein Bild von der Aktion des Erbs,
  • vier entsprechende Bilder nach der Aktion von Erbs


4. Gemeinsame Gestaltung des Viertellandes vor und nach der Veränderung in zwei Bodenbildern
Für die Figuren können Spielfiguren bereitgestellt werden. Gemeinsam mit den Kindern wird überlegt, wie die Veränderung deutlich gemacht werden kann, z. B. durch kleine farbige Bänder, die um die Spielfiguren geklebt werden oder durch von den Kindern gestaltete farbige Papier- streifen, die wie Kleider um die Figuren geklebt werden.


5. Vertiefung im Rahmen eines UBUNTU-Projektes
Beim Einsatz der Viertellandgeschichte im Rahmen eines UBUNTU-Projektes können folgende inhaltliche Schritte gewählt werden, die es auch ermöglichen, Zusammenhänge zu biblischen Aussagen herzustellen.



1. Schritt: Zur Rolle von Erbs in der Viertellandgeschichte
In die Mitte des Stuhlkreises werden vier Tücher in den Farben des Viertellandes gelegt, die mit Fäden/dünnen Seilen voneinander abgetrennt sind. Eine grüne Kegel-Figur wird als Erbs auf die grüne Fläche gestellt.

Erster Impuls: Erinnert euch an die Rolle von Erbs in der Geschichte. Wie würdet ihr die beschreiben? (Kinder wiederholen Inhalte und benennen Eindrücke von der Rolle von Erbs; vermutlicher Schwerpunkt: wischt Grenze weg, hebt Grenze auf)

Zweiter Impuls: Grenzen zwischen Menschen – Gibt es die nur in dieser Geschichte? (Kinder benennen Grenzen, vermutlich zunächst eher konkrete Grenzen)

Dritter Impuls: In der Geschichte ist es eine Kreidestrichgrenze, bei uns sind es manchmal Zäune und Mauern, die Menschen trennen. Jemand hat einmal gesagt: Es gibt auch Grenzen, die sieht man nicht, die sind nur in den Köpfen der Menschen.

  • „Könnt ihr diesen Satz erklären?“
  • „Habt ihr schon einmal erlebt, dass eine Grenze da war zwischen Menschen, obwohl weder Zaun noch Mauer zu sehen war?“




2. Schritt: Grenzüberwindung in Südafrika durch Nelson Mandela
L: „In Südafrika gab es einmal Grenzen zwischen Menschen: Schwarze und weiße Menschen lebten so, als gäbe es eine Mauer zwischen ihnen. Diese Grenze hielt so lange, bis sich schwarze Menschen dafür einsetzten, die Grenzen aufzuheben. Ein Mann spielte dabei eine besonders wichtige Rolle: Nelson Mandela. Er hat wie kein anderer dazu beigetragen, dass heute Schwarze und Weiße besser zusammen leben können.“

(Weitere Informationen über Nelson Mandela folgen und werden durch Bildmaterial ergänzt.)



3. Schritt: Sein Licht strahlen lassen – einen Gedanken von Mandela auf die Viertellandgeschichte übertragen
Weiterführung L: „Nelson Mandela hat einmal gesagt, dass jeder Mensch Licht in sich trägt, das er strahlen lassen soll. Wenn einer das Licht strahlen lässt, dann fangen auch andere an zu strahlen.“

Impuls: „Lasst uns mal überlegen, ob das auch zur Geschichte von Erbs passt. Strahlt in der Geschichte Licht?“ (Je nach Symbolverständnis können die Kinder Gedanken entwickeln und Motive der Geschichte übertragen. Selbst wenn sie auf der konkreten Ebene stehen bleiben, kann die Frage zur Weiterentwicklung beitragen.)

L: „Ich zünde in der Mitte ein Licht für Erbs an.“ (L stellt Kerze zu Erbs. Je nach vorherigen Schüleräußerungen bündelt L oder führt einige wenige Gedanken aus.

Ggf. Input: „Ich kann mir vorstellen, dass es am Ende der Geschichte im Viertelland leuchtet, weil die Menschen nicht mehr auf ihre Farbe und sich selbst achten, sondern weil sie etwas miteinander tun und sich miteinander freuen. Jeder kann leuchten und das Leuchten der anderen sehen. Für mich ist das Viertelland am Ende ganz bunt und hell.“
L stellt für jedes Viertel eine bunte Kerze auf.



4. Schritt: Jeder von uns leuchtet – eine Aktion mit Kerzen
L: „Jeder von euch bekommt jetzt auch ein Teelicht (in einem kleinen Glas). Nacheinander stellen wir unsere Teelichter um das Viertelland in der Mitte. Dann leuchtet es im Viertelland und bei uns. Denn jeder hier trägt ein Licht in sich, das hell leuchtet. Wenn du magst, kannst du beim Hinstellen sagen, für wen dein Licht besonders leuchten soll.“

Eine Runde, in der die Teelichter in einen Kreis um die Tücher in der Mitte gelegt werden, schließt sich an.



5. Schritt: Bezug zur Bergpredigt: Das Licht soll leuchten
L: „Nelson Mandela hat sich seine Vorstellung vom Licht nicht einfach ausgedacht. Er kennt die Bibel und er glaubt an Gott. Er sagt: In dem Licht zeigt sich die Herrlichkeit Gottes. In der Bibel, im neuen Testament, steht dazu Folgendes:“

Ein Plakat mit Text wird so gehalten, dass alle Kinder lesen können. Mehrere Kinder lesen jeweils einen Satz. Evtl. könnten die Kinder angeregt werden, die Verse auswendig zu lernen. Die Verse sollten in jedem Fall mehrfach gelesen werden. Ein kurzes offenes Gespräch über die Bedeutung des Matthäus-Textes könnte sich anschließen. Dabei könnte überlegt werden, wodurch Menschen leuchten können bzw. woran man das Leuchten anderer erkennen kann.

„Ihr seid das Licht für die Welt. Eine Stadt, die auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben. Auch zündet niemand eine Lampe an, um sie dann unter einen Topf zu stellen. Im Gegenteil, man stellt sie auf einen Lampenständer, damit sie allen im Haus Licht gibt. Genau so muss auch euer Licht vor den Menschen leuchten: Sie sollen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.“



6. Schritt: Die Farben und das Muster der Flagge Südafrikas kennen und deuten lernen
L: „Wir haben uns Gedanken dazu gemacht, dass im Viertelland Grenzen aufgehoben sind und Licht leuchtet. Von jedem von uns leuchtet hier in der Mitte ein Licht. Und wir haben gehört, dass in Südafrika Nelson Mandela Grenzen überwunden hat und mit seinem Licht leuchtet. Als Nelson Mandela Präsident in Südafrika wurde, überlegte er, wie die neue Flagge seines Landes aussehen sollte. Die alte Flagge der Weißen sah so aus:“

(L zeigt Bild von alter Flagge, Kinder interpretieren ggf. selbstständig.)

„Die alte Flagge der Schwarzen sah so aus:“

(L zeigt grün, gelb, schwarze Flagge; Kinder reagieren spontan)

„Was hättet ihr Nelson Mandela geraten, mit der alten Flagge zu tun?“

(Kinder äußern Vermutungen.)

„Nelson Mandela hätte die alte Flagge verbieten und verbrennen können. Er hat es nicht getan. Er hat Folgendes getan:“

(Das Bild einer südafrikanischen Flagge wird gezeigt, so dass die Kinder selbst das Zusammenfügen der Flaggenteile aus beiden Gruppierungen deuten können.)



Weiterführende Informationen

Das Religionspädagogische Institut Loccum bietet in Kooperation mit dem Haus kirchlicher Dienste UBUNTU-Multiplikatoren-Fortbildungen an. Bei Interesse nehmen Sie gern Kontakt auf. Auch für den Bereich Kindergottesdienst sind von der Arbeitsstelle Kindergottesdienst im Michaeliskloster Fortbildungen geplant. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.ubuntu.projekt.de.

M 1

Im Viertelland

Von Gina Ruck-Pauquét

Das Land ist rund wie ein Pfannkuchen. Und weil es aus vier verschiedenen Vierteln besteht, heißt es Viertelland. In einem Viertel ist alles grün: die Häuser, die Straßen, die Autos, die Telefone, die Erwachsenen und auch die Kinder. Im zweiten Viertel ist alles rot: die Bäume, die Badewannen, die Eisenbahnen, die Zigaretten, die Erwachsenen und die Kinder. Im dritten Viertel ist alles gelb: die Besen, die Krankenhäuser, die Blumen, die Baugerüste, die Erwachsenen und die Kinder. Im vierten Viertel ist alles blau: die Verkehrsampeln, die Möbel, die Brücken, die Zahnbürsten, die Fahrräder, die Erwachsenen und die Kinder.

Wenn die Kinder geboren werden, sind sie bunt. Im ganzen Land ist das so. Aber die Erwachsenen schauen sie aus ihren grünen, roten, gelben oder blauen Augen an und streicheln sie mit ihren grünen, roten, gelben oder blauen Händen, bis sie endlich auch nur noch eine Farbe haben. Die richtige Farbe. Und das geht meistens sehr schnell.

Einmal kam in Grün ein kleiner Junge zur Welt, den sie Erbs nannten. Erbs war mit einem Jahr noch ein bisschen bunt. Es war beunruhigend. Aber schließlich wurde er doch noch richtig grün.

Im Viertelland brauchen die Kinder nicht zur Schule zu gehen. Sie lernen nur das Wesentliche. In Grün lernen sie, dass grün richtig ist, in Rot, dass rot richtig ist, in Gelb, dass gelb, und in Blau, dass blau richtig ist. So laufen in Rot Tag und Nacht Spruchbänder. „Grün, gelb und blau ist gelogen!“ kann man da lesen. Nur rot ist wahr!“ Und dann erklingt das Erdbeermarmeladenlied. Das ist die Nationalhymne.

In Gelb schreit der Lautsprecher: „Rot, blau und grün ist doof! Und gelb bleibt gelb!“ Dann ziehen die Kinder die gelben Mützen vom Kopf und singen den Zitronenblues.

In Blau hängen überall Plakate. „Blau“, steht darauf, „blau, blau, blau!“ Und immer, wenn die Kinder mit ihren blauen Augen die Plakate ansehen, zuckt es ihnen in den blauen Füßen, und sie müssen den Pflaumentango tanzen.

In Grün steht ein Roboterredner im Park. „Seid grün!“ ruft er. „Und wenn ihr rot, gelb oder blau hört, so glaubt es nicht!“ Einmal hat Erbs ihm ein Stückchen grünen Käse in den Mund gestopft. Da konnte der Roboter drei Tage nur noch „piperlapop“ sagen. Das fanden alle Kinder prima.

„Gelben Tag“, begrüßen die Kinder einander in Gelb. Denn gelb heißt ja gut. Dann spielen sie Melonenrollen und lassen Kanarienvögel fliegen. Manchmal sitzen sie auch und träumen. Natürlich träumen sie gelb, denn etwas anderes wissen sie ja nicht. Löwenzahn träumen sie, Strohhut, Aprikosengelee, Postauto und Glühwürmchen. Und wenn sie ihre gelben Augen wieder öffnen, sind sie immer ein bisschen unzufrieden. Aber sie können nicht herausfinden, warum.

In Rot spielen die Kinder das große Rot-Spiel: Sie werfen Tomaten in den Sonnenuntergang. Und der Sonnenuntergang schluckt sie alle. Wenn es dann dunkel wird und die roten Lampen in den Häusern brennen, sitzen die Kinder, schauen in sich hinein und fühlen sich. Und alles, was sie fühlen, ist rot. Manchmal ist ihnen, als fehle ihnen etwas. Aber sie sprechen nicht darüber.

In Blau machen sie es so: „Himmel“, sagt ein Kind, und die anderen rufen dann: „Blau!“ „Rauch!“ „Blau!“ „Tinte!“ „Blau!“ „Wellensittich!“ „Blau“ „Vergissmeinnicht!“ „Blau!“ Und immer so weiter. Bis sie müde werden. Dann halten sie sich in den Händen und denken sich was. Blaue Apfelsinen denken sie sich, blauen Schnee, blaue Musik und blaue Pferde. Manchmal hat eines von den Kindern Zahnschmerzen. Die sind dann auch blau. Aber das ist klar.

In Grün freuen sich die Kinder am meisten über das Kaktusspringen. Denn wenn eines nicht hoch genug springen kann, hat es die Stacheln im Po. Froschhüpfen ist auch ganz nett. Aber Graszählen ist langweilig. Da gähnen sie dann bald. Sie setzen sich auf die grünen Gartenzäune und wünschen grüne Wünsche. Pfefferminzlikör beispielsweise, Salat mit Schnittlauch, fünf Meter Gartenschlauch oder so.

Nur Erbs bringt es eines Tages fertig, sich einen roten Punkt zu wünschen. Es ist ein winzig kleiner, roter Punkt. Aber trotzdem ist es ein Glück, dass die Polizei es nicht weiß. Die Polizisten haben die Aufgabe, jeden Morgen um sechs die Kreidestrichgrenzen neu nachzuziehen. Sie kämmen sich ihre grünen, roten, blauen und gelben Haare mit grünen, roten, blauen und gelben Kämmen und machen sich ans Tagwerk.

Dann gehen sie nach Hause wie die anderen Leute auch und beten ihr Tischgebet „… Lieber gelber Gott“, beten sie in Gelb, „wir danken dir, dass wir gelb sind. Beschütze uns.“ Und in Rot und Grün und Blau beten sie zum roten, grünen und blauen Gott. Und alle beten nur für sich selbst.

Nun ist es aber nicht so, dass es im Viertelland keine Verbindung untereinander gibt. Man kann telefonieren. So kann man in Rot zum Beispiel Blau wählen. Man kann auch in Blau Grün wählen. Weil aber die Telefonleitungen durchgeschnitten sind, kriegt man keinen Kontakt. Und weil die Kinder das wissen, versuchen sie es gar nicht erst.

Eines Tages geschieht etwas Überraschendes: Mitten in Grün wächst eine gelbe Rose. Es ist eine schöne Rose, aber die Leute verziehen so angeekelt das Gesicht, als sei sie ein Mistkäfer. Und es dauert nicht lange, da haben fünfunddreißig Polizisten die Rose mit fünfunddreißig grünen Spaten niedergeschlagen. Das ist der Tag, an dem Erbs seinen Löffel in den Spinat fallen lässt. Der Spinat spritzt meterweit in der Gegend herum. Aber das macht nichts, denn das Zimmer ist ja sowieso grün. Und die Eltern auch. Nur der Teller zerspringt. Dann geschieht weiter gar nichts mehr: Jedenfalls sieht und hört man nichts Besonderes.

Aber in den Kindern von Viertelland ist eine Unruhe. In allen Kindern – seit der Teller zersprungen ist. Da laufen die Kinder aus Rot zum Mittelpunkt des Landes, wo sich die Grenzen treffen, die Kinder aus Blau gehen dahin, die aus Gelb und die aus Grün. Sie blicken einander an und sind stumm.

Bis Erbs etwas tut. Einfach so. Er spuckt nämlich auf die Kreidestrichgrenze. Dann scharrt er ein bisschen mit dem Fuß in der Spucke herum, und die Kreide ist weg. Sofort machen alle anderen Kinder mit. Sie spucken und scharren, bis es keine Grenze mehr gibt. Und dann lachen sie und fassen einander vorsichtig an. Die grünen die gelben, die gelben die blauen, die blauen die roten, die grünen die blauen, ja und immer so weiter, bis jedes jeden angefasst hat.

Zuerst merken sie weiter nichts. Sie fangen an, miteinander zu spielen, und sie vergessen, was der Lautsprecher, die Plakate, der Roboter und die Schriftbänder sagten.

Ganz langsam aber geschieht es, dass sie aufhören, nur eine Farbe zu haben. Die Kinder werden bunt. Die grünen kriegen zu Grün noch Rot, Blau und Gelb hinzu, die gelben Grün, Rot und Blau, die blauen Rot, Gelb und Grün und die roten Gelb, Grün und Blau. Und nachdem nun jedes Kind jede Farbe hat, kann es auch in jeder Farbe denken, fühlen, träumen und wünschen. Jedes versteht das andere, und allen gehört das ganze Land. Nie zuvor waren sie so fröhlich. Sie singen gemeinsam den Zitronenblues, spielen Kaktusspringen, denken sich blauen Schnee und werfen Tomaten in den Sonnenuntergang.

Die Erwachsenen machen große Augen. Aber weil bunte Kinder richtiger sind als einfarbige, können sie nichts dagegen tun. Ja, manche Eltern wünschen plötzlich selbst, bunt zu werden. Einige bemühen sich so sehr, dass sie tatsächlich ein paar kleine, andersfarbige Tupfen kriegen. Zum Beispiel die Eltern von Erbs. Aber wirklich bunt sind nur die Kinder.


Aus: Steinwede, Dietrich (Hrsg.), Vorlesebuch Religion 3, Patmos-Verlag, Düsseldorf 1992, S. 223f. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

 

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2010

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