Mündliche Prüfungen im Fach Evangelische Religion an Haupt- und Realschulen - Ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung des Religionsunterrichts

von Dietmar Peter

 

Die Frage nach der Qualität schulischer Bildung bestimmt seit geraumer Zeit die schultheoretische und die schulpraktische Diskussion. Unbeschadet von der Gesamtverantwortung des Staates ist jede Schule in starkem Maße für die Wirksamkeit der in ihr vollzogenen Bildungs- und Erziehungsprozesse verantwortlich. Als Kern schulischer Arbeit steht hier insbesondere der Unterricht im Zentrum. So gilt für jedes Fach, dass das Erzielen von Lernfortschritten und -ergebnissen zentral für alle Unterrichtsbemühungen ist. Die Verständigung über entsprechende fachdidaktische Konzeptionen und Leistungsanforderungen ist eine der wesentlichen Aufgaben der Fachkonferenzen. Entzieht sich das Fach Evangelische Religion dieser Anforderung, gerät es in die Defensive und wird letztlich von den Schülerinnen und Schülern nicht mehr ernst genommen.

Konsequenterweise wird damit auch die Überprüfung der angestrebten Ziele und ein Vergleich innerhalb des eigenen schulischen Referenzrahmens (und darüber hinaus) notwendig. Nicht zuletzt hieraus ergibt sich ein wichtiges Kriterium für die Weiterentwicklung des Erreichten. Grundmotiv ist die "Vergewisserung des Gelernten". Verbunden damit ist das Eingeständnis der Begrenztheit menschlicher Wahrnehmung, denn "Lernvorgänge lassen sich nicht direkt beobachten".1 Das bedeutet, dass der Lehrende die Wirkung seiner Tätigkeit nicht allein mit Hilfe seiner Sinneseindrücke erfassen kann. "Der als Leistung interessierende Lernprozess vollzieht sich im Kopf des Einzelnen – und nur dort, auch dann, wenn er sich auf die Gruppe bezieht."2 Ein weiterer Beweggrund für die Durchführung von Lernkontrollen liegt im so genannten Legitimationsmotiv und folgt der Frage "Macht der Unterrichtende seine Sache richtig?" Die Rückmeldung gibt dem Unterrichtenden zweierlei Auskünfte: Wurden die mit dem Unterricht verbundenen Intentionen und Ziele erreicht und waren die didaktisch-methodischen Entscheidungen des Unterrichtenden im Blick auf die Umsetzung richtig? Das bedeutet, dass mit jeder Prüfung auch die Qualität der Lehrleistung des Unterrichtenden mit auf dem Prüfstand steht. Eine entsprechende Evaluation der Ergebnisse gibt der Fachkonferenz Informationen über die Qualität des bisher im Fach Evangelische Religion Erreichten und erleichtert die konzeptionelle Weiterentwicklung des Religionsunterrichtes vor Ort.
 

Abschlussprüfungen in Niedersachsen

In Niedersachsen wurden mit dem Schuljahr 2005/2006 erstmalig zentrale Abschlussprüfungen in der 9. Klasse der Hauptschulen durchgeführt. Seit dem Schuljahr 2006/2007 wird entsprechend an Realschulen verfahren. Ziel des Kultusministeriums ist es, die Qualität der Abschlüsse und vergleichbare Leistungsanforderungen innerhalb einer Schule und unter den Schulen des Landes und im Bundesgebiet zu sichern. Neben den festgelegten Fächern für die schriftlichen Prüfungen3 müssen die Schülerinnen und Schüler eine mündliche Prüfung in einem Fach ihrer Wahl ablegen.

Das genaue Verfahren regelt die Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I (AVO-SI). Nach anfänglicher Skepsis wird die Einbeziehung des Faches Evangelische Religion in den Kanon mündlicher Prüfungsfächer inzwischen von großen Teilen der Kolleginnen und Kollegen begrüßt. Auf die entsprechenden Gründe wird später einzugehen sein.

Im Blick auf die mündlichen Prüfungen liegen bereits seit 1999 Erfahrungen vor, die sich in den zum damaligen Zeitpunkt eingeführten mündlichen Leistungsüberprüfungen gründen. Dabei hat sich gezeigt, dass das Fach Evangelische Religion als mündliches Prüfungsfach sehr häufig angewählt wird. Die Regelungen des aktuellen Prüfungsverfahrens stellen sich in Kürze wie folgt dar:

Einrichtung einer Prüfungskommission
An der Schule wird jährlich eine Prüfungskommission gebildet. Das vorsitzende Mitglied der Prüfungskommission ist die Schulleiterin bzw. der Schulleiter. Das vorsitzende Mitglied beruft eine Lehrkraft der Schule zum weiteren Mitglied.

Zeitraum der mündlichen Prüfungen
Die mündlichen Prüfungen finden im zweiten Schulhalbjahr statt. Der Zeitraum für die mündlichen Prüfungen wird vom Kultusministerium festgelegt und vorher im Schulverwaltungsblatt veröffentlicht.

Zusammensetzung eines Fachprüfungsausschusses zur Durchführung einer mündlichen Prüfung
Für jeden Prüfling wird vor Beginn der mündlichen Prüfung ein Fachprüfungsausschuss eingerichtet. In der Regel beruft der Schulleiter Lehrkräfte der Schule als Mitglieder. Dieses sind in der Regel die unterrichtende Lehrkraft (prüfendes Mitglied) und eine weitere Lehrkraft, die die Niederschrift anfertigt. Die Aufgabenstellung wird von der unterrichtenden Lehrkraft verantwortet. Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann in Einzelfällen den Vorsitz übernehmen und ist dann frage- und stimmberechtigtes Mitglied des Fachprüfungsausschusses. Ein Mitglied des Schulelternrates, ein Mitglied des Schülerrates, bis zu zwei Schüler aus dem nachfolgenden Jahrgang können mit Zustimmung des Prüflings bei der Prüfung zuhören. Weiterhin dürfen ohne Zustimmung des zu Prüfenden bis zu zwei Personen zuhören, deren Anwesenheit im dienstlichen Interesse liegt.

Durchführung der mündlichen Prüfung
Der Prüfung geht eine Vorbereitungszeit von 20 Minuten voraus. Die Prüfung dauert 15 Minuten. Sie kann als Gruppenprüfung mit bis zu drei Teilnehmern durchgeführt werden. Eine Gruppenprüfung mit bis zu drei Teilnehmern dauert 30 Minuten. Die Themen werden von den zu prüfenden Schülerinnen und Schülern nach Beratung durch den prüfenden Unterrichtenden ausgewählt. Die Themen beziehen sich auf die Sachgebiete des Schuljahres, in dem die Prüfung stattfindet. Die Benotung wird zwischen dem Prüfer und dem Protokollanten festgelegt und geht zu einem Drittel in die mündliche Gesamtnote des Faches ein. Eine Stimmenthaltung ist nicht möglich. Bei abweichender Bewertung um eine Note gibt die Stimme des prüfenden Mitglieds den Ausschlag. Weichen die Einzelnoten um mehr als eine Notenstufe voneinander ab, so entscheidet die Schulleiterin/der Schulleiter nach Anhörung der beiden Fachprüfungsausschussmitglieder.

Besondere Prüfungsleistungen
An die Stelle einer mündlichen Prüfung kann eine besondere Prüfungsleistung treten. Sie besteht nach der Entscheidung des Prüflings aus einer schriftlichen oder fachpraktischen Dokumentation, die der Prüfling in einem Kolloquium präsentieren und erörtern muss.4
Die Aufgaben sind schriftlich zu stellen und müssen in ihrer Struktur, ihrem Anspruch und ihrem Umfang der besonderen Situation einer mündlichen Prüfung entsprechen. Als Kriterien der Bewertung werden u.a. genannt:

  • in der gegebenen Zeit für die gestellte Aufgabe ein Ergebnis finden und es in gegliedertem Zusammenhang vortragen,
  • den Inhalt einer Textvorlage erfassen und das Thema bzw. das Problem erörtern,
  • fachspezifische Grundbegriffe anwenden,
  • einen Text (ein Bild) oder ein Problem in übergeordnete Zusammenhänge einordnen und gegebenenfalls eine eigene Stellungnahme vortragen,
  • ein themengebundenes Gespräch führen und dabei auf Impulse eingehen.5


Anforderungsbereiche der mündlichen Prüfung

Innerhalb der mündlichen Prüfung müssen drei Teilanforderungsbereiche abgedeckt werden, die in wechselseitiger Abhängigkeit zu sehen sind. Als Beispiel sei auf den angefügten Prüfungsentwurf verwiesen.

Anforderungsbereich I (Reproduktion)
Hier geht es um Kenntnisse und Fertigkeiten und deren Anwendung im gelernten oder vorgegebenen Zusammenhang. Dazu gehören z.B. die Wiedergabe eines überschaubaren Textes oder eines aus dem Religionsunterricht bekannten Inhalts.

Anforderungsbereich II (Reorganisation)
Schwerpunkt des Anforderungsbereiches ist die Verknüpfung fachbezogener Lerngegenstände. Dazu gehören z.B. die Erläuterung wesentlicher themenbezogener Aussagen, die Erfassung und Formulierung der auf das Thema bezogenen Aussageintention eines visuellen Mediums, die Einordnung eines Mediums (Text, Bild) in einen christlichen Kontext oder die Verknüpfung religiöser Fragestellung mit eigenen Erfahrungen.

Anforderungsbereich III (Problemlösung)
Im Anforderungsbereich III steht die durchdachte Auseinandersetzung mit einem Text, Bild oder Problem im Mittelpunkt. Ziel ist die Formulierung und Begründung selbständiger Folgerungen, Deutungen oder Urteile. Dazu gehören z.B. die Wahrnehmung und Beurteilung christlicher, sozialer oder weltanschaulicher Perspektiven eines Themenbereiches, die begründete Auseinandersetzung mit verschiedenen Aussagen der christlichen Tradition, Wertvorstellungen, Weltanschauungen usw. oder die Reflexion von Gegenwartsproblemen auf dem Hintergrund christlicher Glaubensaussagen und die Entwicklung eigener Lösungsansätze.6
 

Beispiel einer möglichen mündlichen Prüfung zum Thema: "Leid"
Voraussetzung der Bearbeitung der Aufgaben ist, dass die Schülerinnen und Schüler im Unterricht das Thema "Gottesbilder" mit unterschiedlichen Texten des Alten und Neuen Testaments erarbeitet haben und dass sie mit Verfahren der Bildinterpretation vertraut sind. Dabei wurde die Theodizeefrage unter Einbeziehung der Hiobgeschichte bearbeitet.
Nachstehende Beispielaufgaben dienen zunächst einmal als Orientierung für Religionslehrer/innen und sind als Vorschlag zu verstehen. Sie sind für eine Prüfung entsprechend der Leistungsfähigkeit einer Schülerin / eines Schülers zusammenzustellen. Grundsätzlich sollten die gewählten Aufgaben den Grundprinzipen des evangelischen Religionsunterrichts entsprechen (z.B. einen Bezug zur Lebenswelt der Schüler/innen in der Aufgabenstellung enthalten, ethische Fragen aktivieren, den Umgang mit Utopien und Kontingenzerfahrungen ansprechen) und die Lern- und Aufgabenkultur des Religionsunterrichts widerspiegeln.7 Insgesamt ist darauf zu achten, dass Fragen aus allen drei Anforderungsbereichen in der Prüfung zu berücksichtigen sind und den einzelnen Aufgaben ein Erwartungshorizont zugeordnet wird.

  • Beschreibe das Bild (M 1) und gib ihm einen Titel. (Anforderungsbereich I)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen können wesentliche Elemente des Bildes (Haltung, Gesichtsausdruck, Blickrichtung, Attribute) benennen und dem Bild einen entsprechenden Titel zuordnen.
  • Benenne weitere Gottesbilder, die du aus Geschichten der Bibel kennst. (Anforderungsbereich I)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen können weitere aus der Bibel bekannte Eigenschaften Gottes benennen und mit konkreten Geschichten verknüpfen.
  • Begründe warum es in der Bibel unterschiedliche Gottesbilder gibt. (Anforderungsbereich I / II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen interpretieren die in der Bibel unterschiedlich dargelegten Gotteserfahrungen als Erfahrungen von verschiedenen Menschen zu unterschiedlichen Zeiten und jeweils anderen (historischen) Situationen und ziehen damit Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Gottesbilder.
  • Der Künstler hat dem Bild den Titel "Hiob" gegeben. Nenne mögliche Gründe dafür! (Anforderungsbereich II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen können einen Bezug zwischen der Niedergeschlagenheit bzw. der Nachdenklichkeit der Person auf dem Bild zum Leid oder zu den Fragen Hiobs herstellen.
  • Vergleiche das Bild von Francis Gruber mit Psalm 88. Könnte ein Text wie im Psalm auch von der Person auf dem Bild gesprochen werden? Begründe. (Anforderungsbereich II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen nehmen sensibel wahr, ob eine Stimmigkeit zwischen dem Bild und Psalm 88 besteht. Sie beschreiben die hinter dem Bild und dem Text stehenden Gefühle und vergleichen sie miteinander.
  • Vor der Person auf dem Bild liegt ein beschriebenes Stück Papier. Leider kann man den Text nicht lesen. Was könnte darauf stehen? (Anforderungsbereich II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen beschreiben den Inhalt eines möglichen Textes und beziehen ihn schlüssig auf ihre Interpretation des Bildes.
  • Warum hat der Künstler die Umgebung der auf dem Bild abgebildeten Person der Zeit der Entstehung des Bildes (1944) angepasst? Schreibe deine Vermutung dazu auf! (Anforderungsbereich II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen setzen das Bild in Beziehung zum letzten Jahr des zweiten Weltkrieges und können auf Parallelitäten zwischen der im Bild dargestellten Person und der Situation der Menschen zu dieser Zeit verweisen.
  • Versetze dich in die Person auf dem Bild. Welche Gefühle vermutest du bei der Person? Beschreibe sie! Stell dir vor, der Künstler hätte eine heutige Person mit entsprechenden Gefühlen gemalt. Welche Umgebung hätte der Künstler um die Person gemalt? Beschreibe sie! (Anforderungsbereich II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen versetzen sich in die Person hinein, beschreiben mögliche Gefühle und benennen Situationen der Gegenwart, in denen Menschen entsprechende Gefühle haben könnten.
  • Versetze dich in eine Person, die ein Klagelied wie Psalm 88 anstimmt. In welcher Situation könnte sie sich befinden? Beschreibe ihre Gefühle. (Anforderungsbereich II)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen versetzen sich in die Person des Psalmbeters, beschreiben mögliche Gefühle und benennen Situationen der Gegenwart, in denen Menschen entsprechende Gefühle haben könnten.
  • Beschreibe das dem Psalm 88 zugrunde liegende Gottesbild. (Anforderungsbereich III)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen können das Gottesbild beschreiben und dabei benennen, dass dieser Gott
    -  zornig und streng ist,
    - bedrohlich und strafend ist.
  • Stell dir vor, ein Christ würde einem Menschen, der eine Klage wie in Psalm 88 anstimmt, einen Brief schreiben. Was würde darin stehen? (Anforderungsbereich III)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen finden Worte des Verstehens, des Trostes und der Ermutigung für den Psalmbeter. Darüber hinaus beschreiben sie einen Gott, der den Menschen im Leid nahe ist.
  • Stell dir vor, das Bild von Francis Gruber würde in einer Discothek, in einer Kirche, in einem Rathaus, in einem Krankenhaus, in einer Polizeistation, in einer Schule, in einer Parteizentrale etc. hängen. Beschreibe, was sich dadurch verändern würde. (Anforderungsbereich III)
    Erwartungshorizont: Die Schüler/innen nehmen die Veränderung der Situation an verschiedenen Orten durch das Bild sensibel wahr und beschreiben und problematisieren die Veränderung.

Deutlich wird, dass sich die Anforderungsbereiche nicht immer trennscharf den Kategorien I bis III zuordnen lassen. Die Unterscheidung wurde auf Grund einer subjektiven Einschätzung vorgenommen, jedoch nicht auf Validität geprüft. Ebenso ist eine genaue Zuordnung von den vorange- gangenen Themen des Religionsunterrichts und den Schwerpunkten der einzelnen Unterrichtseinheiten abhängig.
 

Zur Gewichtung der Anforderungsbereiche
Neben allen Regelungen ist das Prüfungsverständnis der prüfenden Lehrkraft für die Durchführung der mündlichen Prüfungen grundlegend. Eine Veränderung des Verständnisses von Lernen muss zwangsläufig auch zu einer Reform des Prüfens führen. So kommt es weniger darauf an, möglichst viel angelerntes Wissen im Rahmen einer Prüfung abzufragen. Vielmehr geht es um die Fähigkeit des Nachweises der Kompetenz zur sinnvollen Anwendung von verfügbarem Wissen, um Aufgaben entsprechend zu beurteilen und zu lösen. Für die Fachkonferenzen bedeutet dieses eine Verständigung über anzuwendende Beobachtungs- und Beurteilungsraster, die den Schülerinnen und Schülern transparent zu machen sind. Voraussetzung ist allerdings, dass die genannten Kompetenzen vorher Bestandteil des Unterrichts waren und Räume zur Einübung bereitgestellt wurden. Einzuräumen ist, dass damit ein strukturelles Spannungsverhältnis zwischen Bildung und Kompetenzentwicklung einerseits und objektivierenden Prüfungsverfahren (Reproduktion fachspezifischen Fertigkeiten und Wissens) entsteht. Allerdings sollten sich Unterrichtende des Faches Religion bewusst machen, dass dort, wo nur das gelernt wird, was der Religionsunterricht an reinen Fakten vermittelt, wesentliche Interpretations- und Verstehenszusammenhänge verloren gehen. Daher gilt den oben genannten Anforderungsbereichen II und III eine besondere Aufmerksamkeit. Die Gewichtung der einzelnen Teilanforderungsbereiche im Rahmen der Benotung ist von der Fachkonferenz festzulegen.8
 

Erfahrungen der Unterrichtenden
Wie eingangs erwähnt wird die Durchführung von mündlichen Prüfungen von den meisten niedersächsischen Religionslehrerinnen und -lehrern an Haupt- und Realschulen ausdrücklich begrüßt. Insbesondere nachstehende Gründe werden dabei genannt9:

  • Die Prüfungen werden als Bereicherung des eigenen schulischen Handelns angesehen: Prüfung als neuer Erfahrungsraum für die Unterrichtenden; Prüfung macht Spaß (gilt für beide Parteien); positive Reaktionen der Schülerinnen und Schüler, Bestätigung für Schüler und Lehrer; Erweiterung der Methodenkompetenz auf Schüler- und Lehrerseite; Schülerinnen und Schüler entwickeln durch die Prüfung neues Selbstbewusstsein; Prüfung wird rückblickend von den Schülerinnen und Schüler als eine wichtige Erfahrung eingestuft; vielfach werden neue Stärken der Schülerinnen und Schüler entdeckt.
  • Die Prüfungen dienen den Schülerinnen und Schülern als Lernfeld zur Einübung von Selbstständigkeit: Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit zur Präsentation von zu Hause Erarbeitetem; Schülerinnen und Schüler lernen eigenständiges Erarbeiten
  • Die Prüfungsergebnisse sind – auch entgegen manchen Erwartungen – überraschend positiv.
  • Die von den Schülerinnen und Schülern vorgeschlagenen Prüfungsthemen sind interessant und vielfältig.


Daneben werden die nachstehenden negativen Faktoren benannt:

  • Auf Seiten der Schülerinnen und Schüler: schlechte Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler; unvorbereitete oder schüchterne Schülerinnen und Schüler erschweren die Durchführung der Prüfung; redegewandte Schülerinnen und Schüler sind im Vorteil; schwache Schülerinnen und Schüler wählen verstärkt das Fach (Evangelische) Religion für die mündliche Prüfung; das Fach wird unterschätzt; fehlende religiöse Sozialisation; manche Schülerinnen und Schüler sind sehr unsicher bei der Themenwahl.
  • Im Blick auf die Themen des Faches Evangelische Religion: Abgrenzung zur Deutschprüfung ist schwierig; Eingrenzung des Themas ist in manchen Fällen schwierig (z.B. Sterbehilfe, Familie).
  • In Bezug auf die Organisation: Fehlende Evaluation nach den Prüfungstagen; Störungen während der Prüfung; Vorbereitung (Absprachen, Zeitaufwand).
  • Hinsichtlich der Bewertung: zu geringe Gewichtung der mündlichen Prüfung im Rahmen der Gesamtbenotung; Vergleichbarkeit der Zensuren innerhalb der Schule ist bei mangelndem Austausch innerhalb der Fachkonferenz nicht gegeben; Kollegen mit strengen Bewertungs- maßstäben haben weniger Prüfungen (weniger Arbeit).

Interessant ist, dass die negativen Nennungen nicht zu einer Ablehnung des Prüfungsgeschehens führen. Sie bilden vielmehr die Grundlage für weiterführende Diskussionen an den Schulen und in den Fachkonferenzen.
 

Resümee
Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit der Einführung mündlicher Prüfungen im Fach Evangelische Religion am Ende der Sekundarstufe I die Diskussion über das "Was" und das "Wie" des Lernens und Lehrens im Religionsunterricht in besonderer Weise zunimmt. Die vielleicht lange vernachlässigte Perspektive, dass Schulleistungen Leistungen der Schüler und der Schule sind, wird zwangsläufig durch die Einführung der mündlichen Prüfung ins Bewusstsein gehoben. Damit wird die in den Fachkonferenzen sonst eher im informellen Raum anzutreffende Kommunikation über fachspezifische Fragen in den Mittelpunkt gerückt. Die durch die Autonomie der Lehrerarbeit bewirkte Unsicherheit über den Erfolg der eigenen Tätigkeit, über Bewertungsmaßstäbe von Schülerleistungen und die ständigen Zweifel darüber, ob man auf der "Höhe der Zeit" sei, wird gleichzeitig verringert.

Dieses alles gelingt nur, wenn der Vergleich von Prüfungsleistungen nicht als "Munition" für Schuldzuweisungen gegenüber Kolleginnen und Kollegen verstanden wird sondern als Möglichkeit, neues Orientierungs- und Handlungswissen zu gewinnen. Gleichzeitig führen die Verständigung über die Standards des Religionsunterrichts, die Verfahren zur Überprüfung und Absprachen über die Beurteilung zu einer größeren Arbeitszufriedenheit innerhalb der Fachgruppe und letztlich zu einer Aufwertung des Faches innerhalb der Schule.





BU: Francis Gruber, Hiob
© Tate Gallery, London, 1944

 

M 2: Psalm 88

2 HERR, Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir.
3 Lass mein Gebet vor dich kommen, neige deine Ohren zu meinem Schreien.
4 Denn meine Seele ist übervoll an Leiden, und mein Leben ist nahe dem Tode.
5 Ich bin denen gleichgeachtet, die in die Grube fahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat.
6 Ich liege unter den Toten verlassen, wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen, derer du nicht mehr gedenkst und die von deiner Hand geschieden sind.
7 Du hast mich hinunter in die Grube gelegt, in die Finsternis und in die Tiefe.
8 Dein Grimm drückt mich nieder, du bedrängst mich mit allen deinen Fluten.
9 Meine Freunde hast du mir entfremdet, du hast mich ihnen zum Abscheu gemacht. Ich liege gefangen und kann nicht heraus,
10 mein Auge sehnt sich aus dem Elend. HERR, ich rufe zu dir täglich; ich breite meine Hände aus zu dir.
11 Wirst du an den Toten Wunder tun, oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken?
12 Wird man im Grabe erzählen deine Güte und deine Treue bei den Toten?
13 Werden denn deine Wunder in der Finsternis erkannt oder deine Gerechtigkeit im Lande des Vergessens?
14 Aber ich schreie zu dir, HERR, und mein Gebet kommt frühe vor dich:
15 Warum verstößt du, HERR, meine Seele und verbirgst dein Antlitz vor mir?
16 Ich bin elend und dem Tode nahe von Jugend auf; ich erleide deine Schrecken, dass ich fast verzage.
17 Dein Grimm geht über mich, deine Schrecken vernichten mich.
18 Sie umgeben mich täglich wie Fluten und umringen mich allzumal.
19 Meine Freunde und Nächsten hast du mir entfremdet, und meine Verwandten hältst du fern von mir.

 

Anmerkungen

  1. Rauschenberger, Hans: Zum Problem der schulischen Leistungskontrolle, in: Rauschenberger, Hans (Hg.): Erziehung im Wandel, Bd. 4. Leistung und Kontrolle, Weinheim 1999, S. 59
  2. Ebd. S. 61
  3. Die zentralen schriftlichen Prüfungen an Hauptschulen erfolgen in den Fächern Deutsch und Mathematik. An Realschulen sind in den Fächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache zentrale Abschlussarbeiten zu schreiben.
  4. Vgl. Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich I (SVBL 1/2004, S. 16).
  5. Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium: Fachbezogene Leistungsüberprüfungen für die Realschule, Schuljahrgang 10, Mündliche Überprüfungen. Hannover 2001, S. 9
  6. Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium. a.a.O., S. 88
  7. Vgl. Fischer, Dietlind/Elsenbast, Volker (Red.): Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung – Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I, Münster 2006, S. 24
  8. Die Vorgaben für die gymnasiale Oberstufe sehen zum Beispiel vor, dass der Schwerpunkt auf dem Anforderungsbereich II liegt und dass sich der Rest auf die Bereiche I und III verteilt.
  9. Die Aussagen sind Teilergebnis einer Tagung des RPI Loccum für Fachkonferenzleiterinnen und -leiter für das Fach Evangelische Religion im November 2003.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2007

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