Schule und Kirche – zwei Welten für sich?
Eine Erinnerung: "Gestern um halb sieben fuhr ich auf Schulinspektion nach Hassleben… Alle Kinder prangten im Festschmuck… Rechts sitzen immer die Jungs und links die Mädchen… Gelernt hatte sie alle was; auf die Frage, wer durch den Garten des Paradieses floss, sagte einer "Die Schlange“ was jedenfalls eine malerische Anschauung war."1. Bis vor gut 100 Jahren war die Schule größtenteils eine kirchliche Institution. Auch nachdem das "Allgemeine Preußische Landrecht" von 1794 die Schule als staatliche Angelegenheit definiert hatte, blieb doch bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die geistliche Schulaufsicht bestehen, die fachliche und disziplinarische Unterordnung der Lehrer unter die Pfarrer – was die Beziehungen zwischen Lehrern und Pfarrern für lange Zeit belastet hat.
Diese Zeiten sind vorbei, aber vorbei sind auch die Zeiten, in denen Gemeinde und Schule, Lehrer und Pfarrer in einem Atemzug genannt wurden. Schule und Gemeinde scheinen heute zwei Welten für sich zu sein. Für diese Entwicklung sind mehr noch als theoretische ganz praktische Gründe ausschlaggebend. Nur eine Minderheit von Lehrerinnen und Lehrern arbeiten noch in einer Schule, die in der Kirchengemeinde liegt, in der diese Lehrer auch wohnen. Gerade im Ruhrgebiet, in dem ich lebe, ist die Mobilität von Lehrern ungeheuer hoch. Dass 30, 50, 70 Kilometer bis zum Arbeitsplatz Schule gefahren werden, ist keine Seltenheit. In jeder Konfirmandengruppe sitzen heute Schülerinnen und Schüler aus mindestens drei, nicht selten fünf oder mehr Schulen. Eine Gemeinde – viele Schulen. Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer hat es heute nicht mehr mit der einen Volksschule in der Gemeinde zu tun, sondern mit ein oder zwei Grundschulen und drei, vier oder sechs weiterführenden Schulen. Wie soll man da so einfach nebenher noch als Gesprächspartner zur Verfügung stehen?
Szenenwechsel: Die Beziehungen zwischen Schule und Kirche sind auf Länderebene durch Staatskirchenverträge geregelt – in Niedersachsen durch den "Loccumer Vertrag" von 1955, in NRW fast 30 Jahre später 1984. Hier ist u.a. das Zusammenwirken beim Religionsunterricht, in der Lehrerausbildung, bei Lehramtsprüfungen, in der kirchlichen Lehrerfortbildung, bei der Erstellung von Lehrplänen, bei der Genehmigung von Unterrichtsbüchern oder bei der Ersatzschulfinanzierung geordnet. All dies sind Fragen, die in der Regel nur von einigen wenigen Schulspezialisten in den Landeskirchenämtern und Pädagogischen Instituten überblickt werden, die aber von Pfarrern und Lehrern vor Ort gar nicht wahrgenommen werden.
Insgesamt hat sich die Partnerschaft zwischen der Kirche und der schulischen Administration sehr bewährt. Grundsätzlich gibt es ein spürbares Wohlwollen gegenüber den kirchlichen Angelegenheiten auf Seiten des Ministeriums und der Schulämter, obwohl wir seit einigen Jahren auch das Aufkommen einer jüngeren Riege meist konfessionsloser Schulaufsichtsbeamter beobachten, die die Kirche als Interessengruppe und kirchliche Gesprächspartner als Lobbyisten einstufen.
Hat sich die Partnerschaft grundsätzlich bewährt, so möchte ich aber doch auf drei aktuelle Probleme hinweisen:
- Wir erleben zurzeit den Abbau der Schulaufsicht und die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Schule. Die Schulaufsicht war aber ein wichtiger Faktor in der Sicherung des Religionsunterrichts in den Schulen. Wer erfährt nun vom Unterrichtsausfall? Wir haben Sorge, dass nun jenseits der Hochglanzerklärungen zwischen Ministerium und Kirche nicht mehr gewährleistet sein könnte, dass das Fach Religion seinen Stellenwert an der einzelnen Schule behält. Welche Schulleiter werden nicht lieber einen Englisch- als einen Religionslehrer oder einen Religionslehrer mit Zweitfach Latein nur in Latein einsetzen?
- Fortbildung wird Sache der Fortbildungsplanung der eigenverantwortlichen Schule. Welchen Stellenwert hat dabei das Fach Evangelische Religion? "Fachliche Fortbildung organisieren die Lehrerinnen und Lehrer in eigener Verantwortung", stand in einem ersten Referentenentwurf des NRW-Ministeriums. In allen Bundesländern wird zzt. schulinterne statt schulexterner, Schulentwicklungsfortbildung statt fachlich-fachdidaktischer Lehrerfortbildung favorisiert. Diese Weichenstellungen der Ministerien bringen die kirchliche Lehrerfortbildung gegenwärtig unter Druck.
- Nach den Staatskirchenverträgen hat die Kirche in Konsequenz von Art. 7.3 GG das Recht, bei den mündlichen Lehramtsprüfungen anwesend zu sein. Bei den Bachelor-Studiengängen wird die Lehramtsprüfung am Schluss durch die vorherigen Modulabschluss-Prüfungen ersetzt. Statt einer größeren vier kleinere Prüfungen. Keiner kann es schaffen, bei allen Prüfungen anwesend zu sein. Wird hier ein nicht unwichtiger Passus aller Staatskirchenverträge durch die Praxis nicht ad absurdum geführt?
Noch einmal ein Szenenwechsel: Kirche und Schule: zwei Welten! Dennoch gibt es Beziehungen. Am wirkungsvollsten werden sie durch konkrete Personen wahrgenommen: bei uns in Westfalen beispielsweise durch knapp 400 Schul- und Berufsschulpfarrerinnen und -pfarrer und vor allem durch ca. 10.000 Religionslehrerinnen und -lehrer. Religionslehrer sind zwar keine kirchlichen Angestellten, aber sie unterrichten in der Regel mit kirchlicher Bevollmächtigung (Vokation), vor allem aber repräsentieren sie für die Schüler und oft auch für die Kollegen, ob sie das wollen oder nicht, den christlichen Glauben und die Kirche. Ja, für viele Schülerinnen und Schüler sind sie die ersten greifbaren und erlebbaren Vertreter des Christentums, für nicht wenige auch die letzten. Das macht in einer missionarischen Situation, in der wir uns längst befinden, u. a. den Stellenwert der Arbeit von Religionslehrerinnen und -lehrern aus. Gemessen daran haben aber viele Lehrer, und wohl nicht zu Unrecht, den Eindruck, in der Kirche nicht genug beachtet und gewürdigt zu werden.
Die Schule als konkreter Fall kirchlicher Bildungs- und Weltverantwortung
An keinem Ort kommen jeden Tag so viele Menschen zusammen wir in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Jeden Vormittag sind es neun Millionen Schülerinnen und Schüler und ca. 780.000 Lehrerinnen und Lehrer.2 Nimmt man die Hochschulen noch hinzu, so kann man sagen: Fast 20 Prozent aller Einwohner Deutschlands, jeder fünfte, lebt, lehrt, lernt täglich in öffentlichen Bildungseinrichtungen. Wenn die Kirche bei den Menschen sein will, nirgendwo kann sie es mehr sein als hier. Die Präsenz der Kirche in der Schule ist das elementarste Beispiel kirchlicher Weltverantwortung.
Schule und Kirche, das sind zwei große Institutionen in unserer Gesellschaft, die in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind und miteinander kooperieren bzw. kooperieren sollten. Faktisch profitiert dabei die Kirche mehr von der Schule als umgekehrt. Denn in keinem Land sind die Chancen für eine Präsenz der Kirche in der Schule besser als in Deutschland. Die Schule ist der einzige nichtkirchliche und doch öffentliche Raum, im dem Religion und christlicher Glaube regelmäßig und institutionell thematisiert werden. Jede Woche wird in Deutschland an etwa 30.000 Schulen Religionsunterricht erteilt, von staatlichen Lehrkräften, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften. Das ist ein Modell, um das uns viele Kirchen anderer Länder beneiden. Der Staat beschränkt die religiöse Unterweisung nicht auf kirchliche Räume, sondern bietet jungen Leuten unter Mitwirkung der Kirchen an, im neutralen Raum der Schule eine eigene religiöse Haltung zu finden, auszudiskutieren und einzuüben. Für die Kirche ist das eine riesige Chance, ihre Bildungsverantwortung auch im öffentlichen, im nichtkirchlichen Raum wahrzunehmen. Haben wir diese Chance in der Kirche wirklich begriffen?
Wenn ich eine erste Antwort darauf wagen darf: Mir scheint, dass diese Chance in der EKD durchaus begriffen worden ist. Seit der Denkschrift "Identität und Verständigung" von 1994 sind etwa 15 weitere Denkschriften, Studien, Stellungnahmen und Erklärungen des Rates der EKD erschienen. Schule und Bildung genießen hier einen hohen Rang. Man kann geradezu von einem Bildungs-Jahrzehnt sprechen.
Das sieht aber auf der Ebene der Kirchenkreise durchaus anders aus. Bei den gegenwärtigen Spardiskussionen geraten die funktionalen Dienste überall unter Druck. Mediatheken und Schulreferate, zentrale Unterstützungsfaktoren für evangelische Lehrer und für den Religionsunterricht, stehen zur Disposition. Pfarrer, deren Stellen in den Gemeinden nicht mehr finanziert werden können, werden an die Schulen abgegeben, nicht aus Hochschätzung, sondern weil sie dort refinanziert werden. Das alles ist nicht immer nur Ausdruck echter finanzieller Not, sondern oft auch Folge einer innerkirchlichen Konzentration auf die Gemeinde und eines Rückzugs aus der Öffentlichkeit.
Schule und Kirche konkret: Lehrer/innen und Pfarrer/innen
Anders als etwa vor hundert Jahren werden Lehrer und Pfarrer heute nicht mehr in einem Atemzug genannt, haben sie auch untereinander nicht mehr so viel Kontakt wie früher.
Tendenziell weiß man wenig voneinander. Die gegenwärtigen Veränderungen in der Schule gehen an den meisten Pfarrern vorbei. Und von den Veränderungen im Pfarrberuf oder von den gegenwärtigen organisatorischen Umbrüchen in der Kirche und in den Gemeinden bekommen die meisten Lehrer nichts mit. Dabei haben Lehrer und Pfarrer vergleichbare Berufe – Berufe mit Profession, die ohne existentielles Engagement, ohne Leidenschaft für die Sache, ohne elementares Interesse an den Menschen – und bei Lehrern an den Schülern gar nicht auszuüben sind. Wer hier in erster Linie an einer geregelten Arbeitszeit interessiert ist, an einer sauberen Trennung von Arbeit und Freizeit, der hat seinen Beruf verfehlt – als Pfarrer und als Lehrer!
Beide haben, ob sie das wollen oder nicht, einen Beruf mit Vorbildfunktion, können nicht neutral predigen oder neutral unterrichten, haben die Pflicht, eine Überzeugung zu haben und sind in ihrer Berufsausübung Zeugen oder Bürgen eines humanen, demokratischen und sinnvollen Lebens. "Lehrersein heißt zeigen, was man liebt und was einem wichtig ist", sagt Fulbert Steffensky. Einen Lehrer, der seinen Schülern erklärt, das Leben ist sinnlos und an der herrschenden Ungerechtigkeit in der Welt kann man eben nichts ändern, kann ich mir nicht vorstellen. Erst recht nicht als Religionslehrer. "Ich muss viel mehr von mir hergeben als in einem anderen Fach", sagt eine Religionslehrerin. Und ein Kollege: "Die Kinder merken, ob ich hinter dem stehe, was ich sage. Ich kann das nicht so nüchtern vermitteln wie meinetwegen Mathematik." Zu Recht werden Religionslehrer im Unterricht auch nach ihrem eigenen Glauben und Standpunkt gefragt. "Nennen sie ihren Standpunkt, sind sie nicht selten Kritik ausgesetzt. Heranwachsenden reiben sich an einer durchgehaltenen Standpunkthaftigkeit. Aber genau diesen Prozess der Auseinandersetzung brauchen sie, um im Wechsel von Ja und Nein herauszufinden, was schließlich ihre eigene Überzeugung sein kann."3
Dabei sind Religionslehrer nicht der verlängerte Arm der Kirche in der Schule. Anders als für Pfarrer ist für Religionslehrer eine kritisch-loyale Einstellung mit einer gewissen Distanz zur Kirche für ihre Arbeit unerlässlich, wie auch die niedersächsische Religionslehrerbefragung gezeigt hat.4 Um nicht missverstanden zu werden: Sie brauchen auch eine Rückbindung zur Kirche, und mit der Vokation sagt ihnen die evangelische Kirche auch ihre Unterstützung zu. Doch Religionslehrer sind eben keine Angestellten der Kirche, sie brauchen eine gewisse reflektierte Distanz, um den Dialog mit den Schülern und mit den eigenen Kollegen führen zu können, um ihre eigene Berufsmotivation hoch halten zu können und um die eigene Arbeit im Rahmen des Bildungsauftrags der Schule leisten zu können.
Und genau so, mit dieser Distanz, sind sie für die Kirche unglaublich wertvoll. Darum ist es letztlich nicht wirklich verständlich, warum die Kontakte auch zwischen Religionslehrern und Pfarrern meist so zufällig sind und beide Berufsgruppen eher nebeneinander her arbeiten. Religionslehrer und Pfarrer sind in unserer Gesellschaft zurzeit die Personengruppen, die am ehesten zur Tradierung des Christentums beitragen. Allein das sollte verbinden. Ich fürchte aber, dass viele Pfarrerinnen und Pfarrer das nicht so sehen. Sie betrachten sich nach wie vor als Haupttradenten des Christentums in der Gesellschaft. Religionslehrer stehen für sie nicht auf gleicher Augenhöhe – ein Verhältnis etwa wie zwischen Gymnasiallehrern und Grundschullehrern. Das ist es, was auf Seiten der Religionslehrer immer wieder Misstrauen hervorruft und die Kommunikation erschwert. Pfarrer sollten mehr auf die Lehrer zugehen, sie ins Presbyterium einladen, mit ihnen das Gespräch suchen, die Fachkonferenz ins Gemeindehaus einladen… – sie sind organisatorisch eher in der Lage, den ersten Schritt zu tun.
Schule und Kirche konkret: Religionsunterricht und Konfirmandenarbeit
Erstens: Obwohl der Religionsunterricht keine kirchliche, sondern eine staatliche Veranstaltung ist, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass er eine der Säulen der Volkskirche ist. Dass auch heutige Jugendliche mit Namen wie Moses, Kain, Jesus und Maria noch etwas anfangen können, dass etliche der Zehn Gebote nach wie vor bekannt sind und die religiöse Frage bei vielen Jugendlichen noch nicht verstummt ist, das ist angesichts der geringer gewordenen religiösen Sozialisation in den Familien auch ein wesentliches Verdienst der abertausend Religionslehrer, die sich in ihrem Beruf Tag für Tag engagieren.
Anders als der Gottesdienst erreicht der Religionsunterricht gut 90 Prozent eines evangelischen Jahrgangs – und das meist zweimal die Woche und über viele Jahre. Es ist ganz wesentlich der Religionsunterricht, der in Deutschland nach wie vor für eine Ansprechbarkeit der Bevölkerung für die religiöse Dimension gesellschaftlicher Fragen sorgt. Daher ist die Akzeptanz dieses Religionsunterrichts in der Bevölkerung, wie die letzten Umfragen gezeigt haben, auch relativ hoch.
Gefahren drohen dem Religionsunterricht z. Zt. nicht durch fehlende Akzeptanz bei Lehrern und Schülern, nicht durch hohe Abmeldezahlen, kaum durch politische Absichten, den Religionsunterricht in weiteren Bundesländern durch einen Werteunterricht zu ersetzen, sondern eher durch die Tendenz, im Rahmen eines verkürzten Bildungsverständnisses wenige Kernfächer auf Kosten von Religion, Kunst und Sport zu stärken. H. G. Rolff, langjähriger Leiter der Dortmunder Schulforschungsstelle und bisher in Sachen Religion eher unverdächtig, sagte letzte Woche: In einer erkennbar auf kognitive, vergleichbare und zentral messbare Leistungen setzenden Schule droht ein Wertevakuum. Das Fach Religion sei aber zu wertvoll, als dass es durch falsche bildungspolitische Weichenstellungen einfach zur schulischen Verfügungsmasse degradiert werden dürfte.
In der Frage der konfessionellen Kooperation sind wir im Westen leider nicht so weit wie in Niedersachsen, wo man für diese Kooperation ein geregeltes Verfahren vereinbart hat, wie immer das vor Ort in den Schulen umgesetzt wird. Nach meinen Erfahrungen ist die katholische Kirche überall dort kaum zu Zugeständnissen bereit, wo sie in der Mehrheit oder auch gleich stark ist. Darum hat sich, wie wir alle wissen, in vielen Schulen längst eine Praxis etabliert, in der Religionsunterricht im Klassenverband erteilt wird. Meine Position ist: Bei einem grundsätzlichen Plädoyer für einen konfessionellen Religionsunterricht habe ich aber nichts gegen einen gemeinsamen Religionsunterricht einzuwenden, der von der gemeinsamen Fachkonferenz vorbereitet und durchgeführt wird.
Zweitens: Die Konfirmandenarbeit hat ihren Ort in der Gemeinde. In ihrer Relevanz für den kirchlichen Bildungsauftrag ist sie gar nicht zu überschätzen. Noch immer sind die Erinnerungen an die eigene Konfirmandenzeit für ein normales Kirchenmitglied vermutlich der stärkste Einzelfaktor für die spätere Einstellung zur Kirche. Zugleich ist der Konfirmandenunterricht ein gesellschaftlich wertvolles Fossil, das eigentlich unter Artenschutz gestellt werden müsste. Wo gibt es das sonst noch in der Gesellschaft, dass Sonderschüler und kluge Gymnasiastinnen, Luxuskinder und Armutskinder über längere Zeit in einer Gruppe zusammen sind, gemeinsam auf Freizeiten fahren, sich gegenseitig aushalten und aufeinander Rücksicht nehmen müssen? Das ist soziales Lernen par excellence! Auch deswegen darf es m. E. im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung keinen schulformbezogenen Konfirmandenunterricht geben.
Gute Konfirmandenarbeit ist nie einfach gewesen, sie stellt hohe Anforderungen an die Unterrichtenden. Gegenwärtig wird diese Arbeit, wegen der scheinbar schwierigen Konfirmanden, wegen gestiegener Arbeitsbelastungen im Pfarramt, von vielen als eine besondere Belastung empfunden. Unübersehbar ist zurzeit eine Tendenz zur Verkürzung der Unterrichtszeit und zur Absenkung der Ansprüche im Konfirmandenunterricht. Als ob es PISA nicht gegeben hätte.
Doch der Konfirmandenunterricht lebt von der Qualität pädagogischer Arbeit. Kurzfristige Erlebnis-Highlights bringen im Blick auf den Aufbau langfristig wirksamer Bindungen bei den Konfirmanden gar nichts. Wichtiger als das Schielen nach neuen und kürzeren Modellen bleibt die Orientierung an wichtigen inhaltlichen und pädagogischen Standards.
Nach einer Zeit einer oft eher modischen Orientierung an zudem nicht selten nur halb verstandener Erlebnis- und Handlungsorientierung braucht der Konfirmandenunterricht in der nächsten Zeit vor allem eine pädagogische Profilierung.
Drittens schließlich: Zwischen Religionsunterricht und Konfirmandenarbeit herrscht, leider muss man es so sagen, tendenziell heute eher Beziehungslosigkeit. Man weiß oft nicht viel voneinander. Aktuelle Religionsbücher sind den meisten Pfarrerinnen und Pfarrern unbekannt. Umgekehrt kennen die meisten Religionslehrerinnen und -lehrer auch keine Bücher oder Lehrpläne zum Konfirmandenunterricht. Vom tatsächlich erteilten Religionsunterricht in den weiterführenden Schulen vor Ort, vom etwaigen Unterrichtsausfall, von besonderen Projekten weiß man in der Regel in den Gemeindegremien wenig oder nichts. Das hat auf kirchlicher Seite nicht nur etwas mit der Arbeitsbelastung von Pfarrern, sondern auch mit der oft feststellbaren Selbstgenügsamkeit von Gemeinden zu tun, weil man glaubt, mit sich selbst genug zu tun zu haben.
Schule und Kirche konkret: Die neuen Kooperationsfelder Ganztagsschule, Schulseelsorge, Diakonie- und Sozialpraktika
Hatte der Deutsche Bildungsrat schon 1970 die "Einführung von Schulversuchen mit Ganztagsschulen"5 empfohlen, so gehen 2005 gerade einmal 12,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland auf eine Ganztagsschule – und diese machen etwa 23 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen aus. Wie allgemein bekannt befinden wir uns damit in Deutschland im internationalen Vergleich in einer Sonderposition. Eine Sonderposition, mit der inzwischen auch die Eltern nicht mehr einverstanden sind. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung votierte vor zwei Jahren bei einer Repräsentativbefragung für die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule.
Sieht man sich die Programme der einzelnen Bundesländer genauer an, dann wird deutlich, dass es hier durchweg um den Ausbau von "offenen Ganztagsschulen" geht, an der vormittags verbindlicher Unterricht stattfindet, während die Nachmittagsangebote auf freiwilliger Basis stattfinden. Offene Ganztagsschulen brauchen außerschulische Partner. Wie steht die evangelische Kirche zur Ganztagsschule? Schon 1958 hat die EKD-Synode in Berlin-Weißensee feierlich erklärt: "Die Kirche ist zu einem freien Dienst an einer freien Schule bereit." Diese Erklärung ist bis heute maßgeblich. Für die Ganztagsschule folgere ich daraus: Wenn Ganztagsschulen mehr als Halbtagsschulen dazu beitragen können, dass Kinder und Jugendliche in ihren Potentialen stärker gefördert werden, vielfältige Anregungen zur Bildung ihrer geistigen und körperlichen, kognitiven und kreativen Fähigkeiten erhalten, die Schule als emotionalen Rückhalt und als Ort verbesserter Chancengerechtigkeit erleben können, dann kann die Evangelische Kirche die Ganztagsschule nur unterstützen – um der Kinder und Jugendlichen willen – und von sich aus die Zusammenarbeit anbieten.
Vor einigen Jahren überwogen im kirchlichen Lager noch warnende Stimmen, die von gravierenden Belastungen für die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen durch die Ganztagsschule sprachen. Wird der Gestaltungsspielraum für kirchliche Angebote nicht allein schon im Blick auf die Zeitressourcen der Kinder und Jugendlichen viel enger? Auch wenn der zeitliche Spielraum etwas enger werden mag, glaube ich nicht, dass die Ansprechbarkeit der Kinder und Jugendlichen für kirchliche Angebote darunter leiden muss. Im Gegenteil! Ich sehe in der personalen Präsenz der Kirche in der Schule eher eine Chance für die Kinder- und Jugendarbeit. Sie muss nicht mehr warten, bis die Kinder und Jugendlichen kommen. Sie geht dorthin, wo die Kinder und Jugendlichen sind. Und zwar viel mehr und noch ganz andere als die, mit denen sie sonst in kirchlichen Räumen in Kontakt kommt. Gerade für die ansonsten sehr häufig schulform- und milieuspezifische kirchliche Jugendarbeit ist die Kooperation mit der Ganztagsschule eher eine Chance für eine nötige Neuorientierung ihrer Arbeit.
Für die beteiligte Kirchengemeinde aber ergibt sich durch die Zusammenarbeit mit der Schule eine deutliche Funktionssteigerung im kommunalen Bereich. Sie übernimmt Mitverantwortung, und zwar nicht für eigene Interessen, sondern für Kinder und Jugendliche – und dies wird auch öffentlich wahrgenommen.
Der Ruf nach Schulseelsorge wird gegenwärtig lauter – und zwar gerade von Schulen und von Lehrern. Ergebnisse der Jugendforschung zeigen die vielfältigen Belastungen von jungen Menschen heute. Sie werden verantwortlich gemacht für das Gelingen oder Scheitern der eigenen Biographie. Sie müssen selbst damit zurechtkommen, wie sie beispielsweise die Trennung ihrer Eltern bewältigen, wie sie einen Ausweg aus ihrer finanziellen Verschuldung finden, wie sie ihre Konsum-Ansprüche und ihre reale finanzielle Situation in Einklang bringen, wie sie die Vorstellung von ihrem Traumberuf aufgeben müssen und zufrieden sein können, irgendeine Lehrstelle zu bekommen.
Schulseelsorge ist Beziehungsarbeit. Sie kennt keine Sprechstunden und keine Therapie-Sitzungen. Die Kontakte finden direkt nach dem Unterricht, im Flur, auf dem Pausenhof, vor dem Lehrerzimmer oder am Telefon statt. Die Anlässe für ein Gespräch sind oft von der Schule bestimmt: eine schlechte Note, Fehlstunden, Ärger mit anderen Lehrern oder eine Frage zu etwas, das im Unterricht gesagt wurde. Bei genauerem Zuhören lässt sich dann aber oft eine größere Problematik erkennen.
Schulseelsorge durch Schulfremde, die zu bestimmten Zeiten lediglich Sprechstunden anbieten, funktioniert nicht. Eine Schulseelsorgerin oder ein Schulseelsorger muss in den Unterricht eingebunden sein. Im Unterricht entsteht das Vertrauen, das Schüler brauchen, um den Kontakt zu suchen.
Ein Diakonie- oder Sozialpraktikum wird im Rückblick von nicht wenigen Schülerinnen und Schülern als das Angebot bewertet, von dem sie im Laufe ihrer Schulzeit am meisten profitiert haben. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet das Praktikum eine Möglichkeit, den eng gesteckten Rahmen schulischen Lebens zu verlassen und, vielleicht zum ersten Mal, eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben. Viele kommen aus dem Praktikum mit neuer Motivation für die Schule zurück und wirken erwachsener.
Dennoch geraten die Sozial- und Diakoniepraktika durch den gegenwärtigen Trend zur Konzentration auf Kernfächer und durch die überall stattfindende Schulzeitverkürzung z. Zt. erheblich unter Druck. Ein Praktikum in der Sek. II oder auch am Ende der Sek. I gilt inzwischen an vielen Schulen als "Luxus", den man sich nicht mehr leisten könne. Auch unter schulischen Gesichtspunkten ist dies mehr als kurzsichtig, denn Diakonie- und Sozialpraktika vermitteln neben Praxisbezug auch soziale und emotionale Kompetenzen, die in den klassischen Schulfächern heute kaum noch eingeübt werden können.
Ganztagsschule, Schulseelsorge sowie Diakonie- und Sozialpraktika sind wichtige Zukunftsfelder der Präsenz der Kirche in der Schule. Die Kirche ist gut beraten, hier zu investieren.
Schule und Kirche konkret: Schulgottesdienste
"Für allgemeinbildende Schulen und berufsbildende Vollzeitschulen, in deren Stundentafeln Religionslehre als Unterrichtsfach aufgenommen ist, wird Gelegenheit zum Schulgottesdienst gegeben. Dieser Schulgottesdienst erscheint in der Regel als eine erste Stunde im Stundenplan und tritt nicht an die Stelle einer der in den Stundentafeln vorgesehenen Unterrichtsstunde. Er darf einmal wöchentlich stattfinden."
Das ist der Kern des bis heute gültigen Erlasses des NRW-Kultusministeriums von 1965. Von den damit gebotenen Möglichkeiten wird in den Schulen und evangelischen Kirchengemeinden Westfalens ganz unterschiedlich Gebrauch gemacht.
Zu neuen Highlights unter den Kasualien haben sich überall die Einschulungsgottesdienste entwickelt. Die Kirchen sind voll, nicht nur die Eltern, oft begleiten auch die Großeltern und manchmal auch die Nachbarn die Kleine oder den Kleinen in die Kirche. Der Einschulungsgottesdienst, auch eine wichtige Schnittstelle zu den kirchlich Distanzierten sowie zur Generation der Dreißig- bis Fünfzigjährigen, verdient besondere Aufmerksamkeit und besondere Gestaltung.
Zu den bisher bekannten Anlässen für Schulgottesdienste, nämlich: Schuljahrsanfang und -ende, Erntedank und Reformation, Nikolaustag und Weihnachten, sind in den letzten Jahren neue Termine hinzugekommen: Aschermittwoch und Martinstag, das Schulfest und Schuljubiläen und vor allem das Ende der Schulzeit nach dem zehnten Schuljahr oder zum Abitur. Das sind Trends, die nicht in jeder Gemeinde erkennbar sind, aber doch landesweit.
Zu den eindruckvollsten Gottesdiensten, die ich in den letzten Jahren erlebt habe, gehören auffallend viele Schulgottesdienste. Das hat auch etwas mit der oft fehlenden handwerklichen Qualität des sonntäglichen Gottesdienstes zu tun. Ich bin dankbar, dass das neue EKD-Papier "Kirche der Freiheit" dieses deutlich angesprochen hat: "Es legt sich eine verhängnisvolle Unberührbarkeit über die gottesdienstliche Arbeit vieler Pfarrerinnen und Pfarrer."6 Das ist bei Schulgottesdiensten nicht möglich: Schülerinnen und Schüler äußern ihre Eindrücke und ihre Kritik spontan, direkt und unverblümt. Da muss man sich einfach bei der Vorbereitung besser anstrengen. Schüler und Jugendliche sind zuverlässige Indikatoren für einen zu abstrakten und lebensfernen oder für einen interessanten, die Lebenssituation der Zuhörer berührenden Gottesdienst. Ich bin überzeugt, dass der sonntägliche Gottesdienst gegenwärtig vom Schulgottesdienst lernen kann.
Eine Schule lebt ganz wesentlich auch von einer guten Schulkultur. Es ist nicht egal, wie in einer Schule Advent oder Erntedank gefeiert wird, Feste veranstaltet oder die Angst vor einem drohenden Krieg verarbeitet werden. In manchen Schulen wird das fahrlässig unterschätzt. "Das Leben ohne Feste ist wie eine lange Wanderung ohne Gaststätten", sagt der griechische Philosoph Demokrit. Schulgottesdienste sind ein elementarer Teil einer guten Schulkultur, und ohne eine gute Schulkultur gibt es keine gute Schule.
Schluss: Schule und Kirche – was erwarten wir voneinander?
Die Schule ist nicht Kirche und die Kirche kann nicht Schule sein – dennoch verbindet beide Institutionen manches. Die Schule ist in erster Linie für die Schülerinnen und Schüler da und auch die Kirche existiert nicht um ihrer selbst willen, sondern hat den Auftrag, Gottes Liebe auszurichten "an alles Volk", und darunter auch an Kinder und Jugendliche. Es gibt eine große Schnittmenge zwischen Schule und Kirche, wenn man so will eine gemeinsame Sache, nämlich die Sorge um die Bildungs- und Lebenschancen junger Menschen und das Interesse daran, dass sie in Zukunft in einer einigermaßen gerechten Gesellschaft sinnvoll und solidarisch leben können. Auf dieses gemeinsame Interesse müssten sich Schule und Kirche verständigen können, hierin müssten sie zusammenarbeiten können – unter Absehen von aller eigenen Nabelschau und aller Beschäftigung mit sich selbst, mit Finanzkrisen und Lehrstandserhebungen, Gemeindefusionen und Schulstrukturdebatten.
Schule und Kirche – das war über viele Jahrhunderte eine sehr enge Beziehung, nicht nur zum Vorteil aller Beteiligten. Ein Ehepaar müssen wir nicht wieder werden, aber in fremden Welten müssen wir auch nicht leben. Ich meine, wir sollten gute Nachbarn sein. Das gilt für die Ebene Schule und Gemeinde. Nachbarn machen sich bekannt, sie leben nicht beziehungslos nebeneinander. Sie wissen voneinander. Sie drängen sich nicht gegenseitig auf, sie helfen sich aber schon mal aus mit Brot, Salz, Glühbirnen oder Werkzeug. Sie nehmen aneinander Anteil, sie packen auch mal gemeinsam an, um Missstände wegzuräumen, aber sie feiern und grillen auch schon mal zusammen und sind in Notzeiten zur Stelle.
Für die administrative Ebene zwischen Schule und Kirche bleibe ich beim Bild der Partnerschaft. Partner verhandeln auf Augenhöhe und tragen eine gemeinsame Verantwortung. Sie handeln möglichst einvernehmlich und ziehen sich nicht gegenseitig über den Tisch. Gegenüber der Schule müssen wir als Kirche darauf bestehen, dass wir kein Lobbyistenverband und auch nicht die Industrie- und Handelskammer sind. Auf der administrativen Ebene ist es der Kirche nicht untersagt, gegenüber der Schule durchaus auch wieder Selbstbewusstsein zu zeigen.
Anmerkungen
- Seidel, Heinrich Wolfgang: Drei Stunden hinter Berlin. Briefe aus dem Vikariat, Frankfurt 2003, S. 220 f.
- Die Zahlen in diesem Abschnitt habe ich den Angaben im Zahlenkompass 2006 des Statistischen Bundesamtes entnommen.
- Kirchenamt der EKD (Hg.): Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität, Gütersloh 1994, S. 58.
- Feige, A./Dressler, B./Lukatis, W./Schöll, A.: Religion bei Religionslehrer/innen, Münster 2001.
- Deutscher Bildungsrat: Empfehlungen der Bildungskommission. Strukturplan für das Bildungswesen, Stuttgart 1970, S. 154.
- Kirchenamt der EKD (Hg.): Kirche der Freiheit. Ein Impulspapier des Rates der EKD, Hannover 2006, S. 51.