'Kill me later' eine Unterrichtsstunde mit einem etwas anderen Actionfilm

von Evelyn Schneider

 

Als Kurzspielfilm von 9 Minuten Dauer bietet sich "Kill me later" hervorragend für den Unterricht an. Inhaltlich knüpft der Film an Hauptthemen wie Tod und Leben, Verzweiflung und Hoffnung an und eröffnet die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens. Die vorgeschlagene Unterrichtsstunde geht dabei methodisch in zwei Richtungen der Filmarbeit im Unterricht. Zum einen zielen Aspekte der Filmanalyse darauf ab, die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu fördern und eine emanzipierte Rezeption von Filmmedien anzubahnen. Zum anderen sollen Aspekte der Filmverarbeitung und –interpretation dazu führen, dass sich Schülerinnen und Schüler schwierigen Lebensthemen wie Suizidgedanken, Verzweiflungstaten, Hoffnungslosigkeit öffnen, ohne dabei in den Druck persönlicher Bekenntnisse zu geraten. Der Film leistet hier gute Gedankenanstöße, positive Antworten zu finden.

 

Zum Inhalt des Films

Auf dem Dach eines Hochhauses versucht eine junge Frau sich zum Sprung in die Tiefe zu überwinden. Mit einer kleinen Flasche Whiskey trinkt sie sich einige Schlucke Mut an, den Rest des Getränks verwendet sie als Startlinie, von der sie nun, wie zum Weitsprung, Anlauf nimmt. Während dieser Szene kündigt sich schon in Bild und Ton eine neue Dramatik an: Ein junger Bankräuber flüchtet vor der Polizei auf eben dieses Hochhausdach. Er greift die Frau kurz vor ihrem Absprung in den Tod und nimmt sie als Geisel, um seine Freiheit zu erpressen. Dabei wirkt sein mit einer Pistole unterstützter Befehl "Komm mit, oder ich leg dich um" angesichts einer Lebensmüden absurd. Ihr Widerwille ist nicht als Angst vor dem Tod, sondern vor der Verlängerung des Lebens zu erkennen. So kommt es zu dem grotesken Versprechen des Geiselnehmers, seine Geisel später zu töten, wenn sie ihm zur Flucht verhilft. Sie beschließen diesen absurd kaltblütigen Vertrag miteinander, der paradoxerweise eine positive Veränderung zur Folge hat: Er schafft eine erste menschliche Beziehung, stiftet Gefühle von Angewiesensein und Einander-Vertrauen-Müssen, weckt das Interesse am anderen. Mit der Beziehung kehrt ein Stück Lebensmut der Frau zurück, gepaart mit der Angst um das eigene Leben, aber auch um das des Gefährten. Ihr Solidaritätsgefühl zeigt sich deutlich, als der Bankräuber auf der Flucht seine Pistole verliert. Der Verlust dieses auf das Ungleichgewicht zwischen beiden hinweisenden Symbols lässt den Vertrag nicht zerbrechen. Längst zählt nicht sein Inhalt, sondern der Geist des Vertrauens, in dem er geschlossen wurde, und auch der Bankräuber erkennt den Wert des neuen Bündnisses. Die Verzweiflung einer Selbstmörderin wird zu neuer Hoffnung und die Skrupellosigkeit eines Verbrechers wandelt sich in Mitgefühl. Die letzten Szenen drücken die Kraft der Beziehung symbolträchtig aus: Sie teilen miteinander das zweite Fläschchen Whiskey, das "Lebenswasser" (s. u.), das die Frau vorher noch verschütten wollte. Für einen kurzen Moment wirft der Anblick der leeren Flasche die Frau in ihre Verzweiflung zurück, bis ihr Gefährte mit "neuem Atem" Wärme und Leben in das Fläschchen zurück pustet. In diese tiefe Gemeinschaft fällt ein Schuss. Der junge Mann wird durch das rohe Geschoss niedergestreckt. Alles weitere bleibt offen.

 

Gestaltungselemente des Films

Bereits der Titel erweckt Assoziationen zu US-amerikanischen Filmen nach Actionmanier. Auch die verwendeten Motive (Verfolgungsjagd, skrupelloses Gangstertum, Macht und Gewalt) ähneln diesem Genre. Aber "Kill me later" steht im deutlichen Kontrast zu herkömmlichen Actionfilmen und die Motive, wie Gewalt, Verbrechen und Tod, erscheinen hier unter anderer Perspektive. Statt zu verherrlichen, übt der Film z. B. durch irrwitzige oder groteske Dialoge Kritik. (Nach dem Vertrag sagt sie: "Hast du schon mal einen umgebracht?" Er: "Nein." Sie schaut ihn entrüstet an, daraufhin er: "Aber ich würde es tun, wenn ich müsste.") Der Film lässt durch menschliches Miteinander Skrupellosigkeit und Hoffnungslosigkeit besiegen und zeigt, dass rohe Gewalt immer, auch wenn sie von den "Guten" ausgeübt wird, lebensverachtend und zerstörend ist.

Der Film ist reich an Bildersprache:

  • Die Pistole ist Todessymbol und Zeichen des herrschenden Ungleichgewichts zwischen beiden Protagonisten. Sie drückt den Eigennutz aus, mit dem der Vertrag geschlossen wird, sie ist Symbol der Macht.
  • Die Mauer/der Dachabsatz bildet ein Hindernis in beiderlei Richtung: Sie ist Schwelle zum Tod und zugleich zu neuem Lebensmut.
  • Das Fläschchen mit Whiskey: Whiskey heißt Lebenswasser. Es ist Symbol für die Kostbarkeiten des Lebens, die gemeinsam genossen oder vergossen werden können.
  • Der Atem: Atem ist Zeichen des Lebens und der Lebendigkeit. Mit seinem Atem pustet der junge Mann Leben, Wärme und Nähe in das leere Fläschchen und weist mit der abdeckenden Hand darauf hin, wie flüchtig das ist.
     

Ein weiteres Ausdruckmittel im Film sind die Kameraeinstellungen. Mit ihnen wird z. B. die entstehende Beziehung zwischen Geiselnehmer und Geisel unterstützt. Immer mehr wird der Betrachter in die Beziehung hineingenommen, am stärksten in der Nahaufnahme der vorletzten Szene. Das Gegenteil leistet die Kamerafahrt der ersten Szene. Sie beginnt mit der Froschperspektive und es braucht eine Weile, bis der Betrachter die Szene begreift und erkennt, dass eine Frau sich umbringen will. Besondere Distanz schafft dann die Aufnahme der Frau von hinten, wenn man sie spielerisch auf der Mauer wippend wahrnimmt, die Welt zu ihren Füßen.
Die Dialoge sind einfach und klar und regen fast alle zum Mitreden an. Die Ausdrucksweise in den Dialogen bewegt sich zwischen einem sehr derben und einem sehr mitfühlenden Extrem. Hierin wird der innere Entwicklungsprozess der Hauptpersonen widergespiegelt.

 

Der Film im Unterricht

Auch wenn der Film Extremsituationen darstellt, ist davon auszugehen, dass Schülerinnen und Schüler die zugrunde liegende seelische Verfassung kennen: die scheinbare oder wirkliche Ausweglosigkeit, die beide Darsteller verkörpern, der eine auf der Flucht vor seiner Tat, die andere aufgrund von Verzweiflung. Die Schülerinnen und Schüler wissen aber auch, wie tragend Beziehung sein kann, und sei sie noch so flüchtig und kurz. Auf diese Weise wirft der Film Fragen auf, die Schülerinnen und Schüler bewegen und beschäftigen:

  • Habe ich ein Recht auf Freitod?
  • Was macht ein Leben lebenswert?
  • Was, wenn ich schuldig werde?
     

In der Auseinandersetzung mit dem Film können Schülerinnen und Schüler lernen, was ein Mensch nur durch einen anderen (theologisch gesprochen: durch Zuspruch) erfahren kann: angenommen sein, unabhängig von seiner Tat geliebt (gemocht) sein, wieder angefüllt werden mit Lebensmut und Lebensatem. Der Film demonstriert, wie Menschen neue Wege finden, indem sie den Weg anderer mitgehen.

 

Zur Gestaltung im Unterricht:

Vorbereitung
Die Schülerinnen und Schüler erhalten am besten schon vor dem Klassenraum eine "Eintrittskarte" (M 1). Es sind ungewöhnliche Eintrittskarten, mit denen zugleich ein Arbeitsauftrag verknüpft ist: "Entdecken Sie den Gegenstand im Film: Wann, wie, was wird damit gemacht, welche Rolle spielt er?"
Damit werden die Schülerinnen und Schüler auf den Film eingestimmt und sie erhalten zugleich eine Beobachtungshilfe, um sich mit der filmischen Bildersprache auseinander zu setzen.

Filmvorführung2

Erarbeitung

Im spontanen Gespräch werden erste Beobachtungen gesammelt und die Bildersprache mit Hilfe der Gegenstände analysiert.

Vertiefung
Bevor der Film ein weiteres Mal gesehen wird, wird folgender Arbeitsauftrag erteilt: "Sehen Sie sich den Anfang des Films (bis dahin, wo der Bankräuber nach der Frau greift) und das Ende (wo beide in dem Unterschlupf sitzen) genauer an. Achten Sie vor allem auf die Kameraführung. Wie sind die Einstellungen und was bewirken sie beim Betrachter?"

M 1



Filmvorführung

Nach der Filmvorführung und dem Gespräch über die Wirkung der Kameraführung wird das Arbeitsblatt M 2 verteilt und die Funktion der Kameraeinstellungen3 mit den eigenen Wahrnehmungen verglichen. Dabei wird auch die Wirkung auf den Zuschauer reflektiert und die damit verbundene Intention des Regisseurs überlegt.
Neben der Möglichkeit, Elemente der filmischen Gestaltung wahrzunehmen, kann dieses Beobachtungskriterium eine inhaltliche Diskussion anbahnen. In der ersten Szene wird es die Frage nach dem Freitod und dem Recht auf Freitod sein, die Schülerinnen und Schüler beschäftigt. In meiner Erfahrung galt bei der Mehrzahl von ihnen dieses vermeintliche Recht als unangefochten: Wenn man sonst schon dulden muss, über die Maßen fremdbestimmt zu leben, kann einem niemand das Recht nehmen, selbst zu bestimmen, wann man sterben will. Die Schlussszene bietet Anlass zum Austausch über die Frage, wann eine Beziehung trägt.

 

M 2

Kameraperspektiven

Weit-Einstellung:
Sie situiert das Geschehen im Raume, indem sie den eigentlichen Ort der Handlung in ein weites Umfeld stellt, und erfüllt damit die Funktion einer allgemeinen Orientierung.

Totale:
Sie zeigt den Ort der Handlung im Überblick. Der Abstand ist aber so groß, dass der Zuschauer das Geschehen nur von ferne wahrnimmt und relativ unbeteiligt bleibt.

Halbtotale:
Sie konzentriert sich auf die Träger der Handlung, hält aber das Umfeld noch im Blick. Der Zuschauer bleibt in Distanz zum Geschehen.

Nah-Einstellung:
Sie umfasst Kopf, Schultern und Brust der menschlichen Gestalt. Gestik und Mimik erhalten einen hohen Stellenwert. Der Zuschauer ist unmittelbar betroffen.

Großaufnahme:
Sie zeigt bildfüllend den Kopf eines Menschen oder mit gleicher Eindringlichkeit ein anderes Objekt, dem eine hohe Bedeutung zukommt. Daraus folgt: sie ist außerordentlich expressiv und hat oft eine enthüllende Funktion.

Detailaufnahme:
Sie bringt das denkbar kleinste Objekt – etwa den Mund oder die Augenpartie eines Menschen – bildfüllend vor das Auge und verleiht ihm dadurch ein Höchstmaß an Ausdruck und Intensität. Was sie intendiert, bringt prägnant eine Formel zum Ausdruck, die – in anderem Zusammenhang – Schiller geprägt hat: "Im kleinsten Punkte die größte Kraft." Das dramaturgische Gewicht, das ihr so zufällt, hat zur Folge, dass sie nur sparsam eingesetzt werden darf: Wer Superlative häuft, ebnet sie ein.

 

Vertiefung II

Um die verschiedenen Ebenen menschlicher Existenz, die der Film anspricht, eigens zu be- und verarbeiten, kann in vier Gruppen weitergearbeitet werden:

Gruppe 1
"Was hätte das Blatt wenden können? Schreiben Sie ein glaubwürdiges ‘Happy end’ der Geschichte."
Die Schüler setzen sich mit Fragen von Handlungsalternativen auseinander. Sie stellen sich Fragen nach Zufall/Schicksal/Vorsehung im Verhältnis zur menschlichen Freiheit.

Gruppe 2
"Was hat die Frau und den Mann je in diese Lage gebracht? Schreiben Sie eine Vorgeschichte oder zeichnen Sie einen kurzen kommentierten Lebensweg."
Die Schüler setzen sich mit der Frage von Kontingenzbewältigung auseinander.

Gruppe 3
"Stellen Sie sich vor, der Mann ist nur angeschossen und er überlebt. Ihm wird nach seiner Genesung ein Prozess gemacht. Die Frau wird als Zeugin geladen. Entwerfen Sie eine Gerichtsverhandlung."
Die Schüler setzen sich mit der Frage nach Schuld und Schuldvergebung auseinander und überlegen, welche Rolle das eigene Verhältnis zum Schuldigen dabei spielt.

Gruppe 4
"Die Frau steht auf dem Dach und zweifelt. Was geht in ihr vor? Lassen Sie ‘Engelchen und Teufelchen’ (Pro und Contra) zur Sprache kommen."
Die Schüler setzen sich mit der Frage nach Verzweiflung und Hoffnung auseinander und diskutieren die Frage nach dem "Recht" des einzelnen auf Freitod.

 

Anmerkungen

  1. Rigoll, Maria, Kill me later, 9 Min. Kurzfilm, Katholisches Filmwerk
  2. Verleihmöglichkeiten bestehen bei: LBS 8: (Niedersachsen) Niedersächsisches Landesinstitut für Fortbildung und Weiterbildung im Schulwesen und Medienpädagogik (NLI) Medienverleih, Richthofenstr. 29, 31137 Hildesheim, Tel.: 05121-708344, Fax: 05121-708349 oder E-Mail: nli@nibis.ni.schule.de und Internet www.nibis. ni.schule.de, oder LFD 5: (Niedersachsen) Landesfilmdienst Niedersachsen e. V. Medienpädagogisches Zentrum, Podbielskistr. 30, 30163 Hannover, Tel.: 0511-360556, Fax: 0511.667792, E-Mail: MPZ_Hannover@t-online.de oder Haus kirchlicher Dienste der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Archivstr. 3, 30169 Hannover, Tel.: 0511-1241-501
  3. Vgl. u. a. Dölf Rindlisbacher, Filmarbeit praktisch, Schweiz 1977. Weitere hilfreiche Bücher für die praktische Arbeit mit Filmen im Unterricht sind: Faulstich, Werner, Grundkurs Filmanalyse, W. Fink Verlag München, 2002. Eberle, Annette (Hg.), Filmschule – Anregungen – Methoden- Beispiele. Herausgegeben vom Bundesverband Jugend und Film e. V. (BJF) Frankfurt 1998. Ehlers, Ulrich; Hütte, Vera, Kino in der Schule. Herausgegeben vom Bundesverband Jugend und Film e. V. (BJF), Frankfurt 1998

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2005

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