Konfirmation als öffentliche Darstellung mündigen Christseins – Zur Theologie der Konfirmation im Anschluss an die neue VELKD / EKU-Konfirmationsagende

von Michael Meyer-Blanck 

 

1. These: Konfirmation als öffentliche Darstellung mündigen Christseins

Die Konfirmation ist und bleibt eine der spannendsten Fragen für Kirche und Praktische Theologie. Denn kaum sonst differiert das Erleben der kirchlichen Funktionsträger und der Teilnehmenden so stark. Wie die empirischen Umfragen zeigen, ist die Konfirmandenarbeit eine der erfolgreichsten Veranstaltungen der Kirche – obwohl viele Unterrichtende und Konfirmierende sie als so mühsam empfinden. Vielleicht hängt ja auch beides zusammen: Hier müht man sich wirklich umeinander, um die fremde Heimat Kirche die einen, um die eher fremden Gemeindeglieder die anderen. Man will trotz der Mühe nicht voneinander lassen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Konfirmation selbst. Ihr gelingt, was wenigen kirchlichen Anlässen gelingt: Sie zieht die Leute an. Sie ist vieldeutig und damit anschlussfähig für verschiedenste religiöse und kirchliche Verständnisse. Und sie leistet das, was die Plausibilität von Kasualien generell ausmacht: Sie stellt den jeweiligen Menschen, in diesem Falle die Jugendlichen, in den Mittelpunkt von Gottesdienst.

Von der Theorieebene der Praktischen Theologie her gesehen kann gesagt werden: Die Theologie der Konfirmation umgreift das individuelle, das gesellschaftliche und das kirchliche Christsein1, ohne dass für eine der drei Ebenen einseitig optiert würde. Es geht um die Religionsmündigkeit des Individuums, um deren öffentliche gesellschaftliche Darstellung in der Kirche, durch die Kirche, mit Hilfe der Kirche.

Daraus folgt: Die Konfirmation als öffentliche Darstellung des Christseins verträgt keine psychologisch-individuelle, keine gesellschaftliche und keine kirchliche Verengung. Es ist vielmehr das Spannungsfeld dieser drei Bereiche, welches die Konfirmation so spannend macht – für alle Beteiligten.

Dies gilt tendenziell für alle Kasualien. Doch die Konfirmation markiert keinen individuellen Lebenseinschnitt. Von daher ist sie die Kasualie der Sozialität und Individualität und speziell der religiösen Sozialität und Individualität, abgesehen vom individuellen Lebenslauf. So ist die Konfirmation bekanntlich die einzige Gruppenkasualie. Es geht weniger um die religiöse Sinndeutung für den eigenen Lebensweg (wie in der Taufe), für die Partnerwahl und Lebensweitergabe (Trauung) oder für die Erfahrung menschlicher Begrenztheit (Bestattung), sondern um die eigene religiöse Individualität als solche, in der Gruppe, in der Familie und Gesellschaft. Diese mehrfach bestimmte Individualität wird in der Konfirmation als mündig im Verhältnis zur Institution Kirche durchdacht und durchgespielt.

Abgekürzt könnte man auch sagen: Konfirmation ist die Kasualie der Kirchlichkeit.2 Das ist ihr Spezifikum. Dem werden alle Konfirmationsverständnisse nicht gerecht, die die kirchlichen Faktoren zugunsten der individuellen und sozialisationsbegleitenden Faktoren abschwächen wollen. Umgekehrt: Die Konfirmation kann nicht exklusiv vom Katechumenat, auch nicht vom KU und seinen Lerninhalten her verstanden werden. Sie hat für die Familien ihren Sinn in sich. Dem werden alle Konfirmationsverständnisse nicht gerecht, die den Charakter der Konfirmation als Kasualie abschwächen wollen.

Man könnte fragen, ob nicht vorsichtiger zu sprechen sei von der Konfirmation als Darstellung lediglich des volkskirchlichen Christseins. Aber damit wäre nicht ernst genommen, dass sich die Mehrzahl der Kirchenglieder durchaus als Christen verstehen wollen, auch wenn sie sich nicht den von hauptamtlich Mitarbeitenden erwünschten Beteiligungsformen anpassen wollen. Wenn wir es bei den konfirmierten Gemeindegliedern nicht mit Christen zu tun hätten, müssten wir sie ehrlicherweise exkommunizieren. Wenn wir es nur mit volkskirchlichen, aber nicht mit wirklich bekennenden Christen zu tun hätten und daran nichts ändern könnten, müssten wir mehrere Stufen des Christseins, der Mündigkeit und Gemeindebeteiligung überlegen, was die Konfirmationstheologie seit dem 19. Jahrhundert immer wieder versucht, aber nach dem Scheitern aufgegeben hat.

Wenn wir es aber bei den zu Konfirmierenden und den Konfirmierten mit Christen zu tun haben, wozu bekanntlich immer das Zurückbleiben hinter dem Anspruch gehört, den das bedeutet, dann können wir nur deren Christsein ernst nehmen. Das heißt: Wer zum KU kommt, lässt sich auf Kirche als Institution der Kommunikation der religiösen Sinndeutung ein. Wer sich konfirmieren lässt, will im Rahmen der kirchlichen Sinndeutung individuell vorkommen und institutionell akzeptiert sein. Niemand tritt einem Verein bei, der ihm sagt, dass er eigentlich den Vereinszweck in seiner ganzen Tragweite gar nicht verstehen und vertreten könne und auch gar nicht müsse; er trete ja letztlich gar nicht in einen Fußballklub ein, sondern nur in eine Gemeinschaft, die ihm als einem der Sozialisationsbegleitung bedürftigen Individuum eine Heimat bieten wolle, aber für Fußball könne und brauche er keine Verantwortung zu übernehmen, das machten die Experten. Kurz: Ein Konfirmationsverständnis, das die Jugendlichen nicht mit der Kirchlichkeit überfordern will, entspringt letztlich dem Klerikalismus einer Pastorenkirche. Denn als vollgültig gilt in einem solchen Verständnis in letzter Konsequenz nur die Theologie der Amtsträger.

Konfirmation gewinnt jedoch ihre Kraft aus der Mündigkeit der Jugendlichen, aber aus einer Mündigkeit, welche in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit dargestellt wird. Es muss aber auch einen Inhalt der Mündigkeit geben, sonst landet man bei der Aporie der Jugendweihe. Dieser Inhalt aber ist das Christsein. Ohne die Voraussetzung des Christseins hat die Kasualie Konfirmation keinen Sinn.3

Voraussetzungen müssen jeweils klar sein. Sie können einen vereinnahmenden oder einen ausschließenden Charakter haben. Sie können aber auch für eine klare Kommunikation sorgen. Ich plädiere darum für die Annahme mehrerer grundlegender Voraussetzungen: Konfirmanden und Eltern wie den kirchlich Verantwortlichen geht es um die Menschen, um ihre Religion und um die Organisation, die beides aufeinander bezieht. Bei allen Unterschieden ist dies als das gemeinsame Interesse vorauszusetzen. Dieses gemeinsame Interesse ist es, welches Kasualgottesdienste – im Gegenüber zum Sonntagsgottesdienst – allgemein so plausibel macht.

 

2. Das Konfirmationsverständnis in der bisherigen praktisch-theologischen Literatur

Die Konfirmation ist vieldeutig und damit anschlussfähig für unterschiedlichste religiöse und kirchliche Verständnisse. Die Diskussion der Theoretiker der Konfirmation ist in den letzten Jahrzehnten jedoch vielfach von der Suche nach einer eindeutigen Sicht und damit von mehreren Entgegensetzungen bestimmt gewesen.4 Um diese Entgegensetzungen zu überwinden, dürfte es hilfreich sein, die Oppositionen kurz idealtypisch zu benennen. In der Diskussion wurden immer wieder gegeneinandergestellt:

  1. Anthropologische und theologische Bestimmungen der Konfirmation (religionsphilosophisch-fundamentaltheologischer Gegensatz);
  2. Segenstheologische und christologische Akzentuierung der Konfirmation (systematisch-theologischer Gegensatz);
  3. Gemeindekirchlich-rechtliche und volkskirchlich-gesellschaftsdiakonische Sicht der Konfirmation (ekklesiologischer Gegensatz);
  4. Didaktische ("katechetische") und liturgische ("sakramentale") Deutung der Konfirmation (praktisch-theologischer Gegensatz).

Selbstverständlich haben die Konfirmationstheorien in Geschichte und Gegenwart Aspekte von allen vier Gegensatzpaaren. So lässt sich etwa eine theologisch-christologisch-rechtliche Konzeption (bis etwa 1965) von einer anthropologischen, segenstheologischen und gesellschaftsdiakonischen Konzeption unterscheiden (dafür stehen etwa die Arbeiten von Walter Neidhart). Andererseits ist gerade die traditionelle Sicht der evangelischen Konfirmation eher didaktisch und katechetisch geprägt (wie es wiederum der KU-Reformdebatte ab etwa 1970 entspricht). Die vier von mir aufgestellten Gegensatzpaare können jedoch von heuristischem Wert für eine Orientierung im Dickicht der Konfirmationsdeutungen sein.

Die Entgegensetzung von didaktisch-katechetischem und liturgischem Konfirmationsverständnis ist eine breite, jahrhundertealte protestantische Strömung, die im gemeindepädagogischen Aufbruch der letzten Jahrzehnte besonders an Auftrieb gewonnen hat. Das Gewicht wurde gegen das katholische Firmsakrament ganz auf die Katechismusprüfung verlegt, mit der Trennung von Katechetik und Religionspädagogik im 20. Jahrhundert dann immer mehr auf den Unterricht (bzw. ab etwa 1980 auf die "Konfirmandenarbeit"). Konsequent zu Ende gedacht wurde diese Position von den DDR-Kirchen, die im Gegenüber zur staatlichen Jugendweihe die "Entsakramentalisierung" der Konfirmation durch das Konzept des "konfirmierenden Handelns" verwirklichen wollten. So formulierte der "Facharbeitskreis Konfirmation" 1971:

"Konfirmation ist nicht punktuell, sondern als Prozess zu verstehen. Dafür bietet sich der Begriff konfirmierendes Handeln an […]. Handeln gilt im Sinne des Gesamtkatechumenats Getauften und Ungetauften und erstreckt sich über verschiedene Altersstufen eines Menschen."5

Eine Loccumer Examensarbeit zum 2. theologischen Examen wählte dafür einmal den treffenden doppeldeutigen Titel "Die Konfirmation zur Strecke gebracht". Genau dies war das Anliegen der Konfirmationsreform in der DDR-Zeit. Diese konsequente Gewichtsverlagerung weg von der Konfirmation ist in sich schlüssig, aber zu sehr von den kirchlichen Fragen nach der Konfirmationstheologie und zu wenig von den Fragen der Lebensübergänge und deren liturgischer (ritueller) Gestaltungsbedürftigkeit her gedacht. Von daher sollte der Begriff "konfirmierendes Handeln" zwar als fruchtbar festgehalten, aber neu definiert werden (dazu s. unten).

In Westdeutschland ist besonders über den Taufbezug der Konfirmation diskutiert worden. Ein Beispiel: Christian Grethlein hatte 1988 vorgeschlagen, das erste Jahr Konfirmandenarbeit mit den Konfirmandentaufen im Rahmen eines Gemeindefestes (zu einem jährlich festen Termin) abzuschließen, weil so die Taufe nicht von der Konfirmation – wie so oft – marginalisiert werde.6 Neidhart kritisch dazu: "die Konfirmanden sind darüber zu bloßen Objekten einer korrekten Tauftheologie geworden"7. Neidhart seinerseits gab den Taufbezug nahezu auf, indem er formulierte: "Fragen des Menschseins haben dann Vorrang vor Fragen des Christseins." (207) Diese Prioritätensetzung von Menschsein vor Christsein ist jedoch kaum hilfreich, da es doch gerade um deren Beziehung geht.

In diesem Zusammenhang führt eine Differenzierung weiter. Nach meiner Einschätzung sollten wir künftig einen grundsätzlichen, systematisch-theologischen Taufbezug von einem praktischen und liturgischen unterscheiden. Als Ausweis der Rechtfertigung und der Zugehörigkeit zu Christus ist die Taufe die Grundlage allen kirchlichen Handelns. Das gilt auch für die Trauung, für die Diakonie und für den Umgang mit kirchlichen Finanzen. Aber das heißt nicht, dass die Taufe in allen diesen Zusammenhängen explizit thematisch im Mittelpunkt der kirchlichen Kommunikation stehen müsste. Ähnlich kann man es vielleicht auch vom Taufbezug der Konfirmation sagen: Der Taufbezug ist grundsätzlich gegeben, dieser muss darum aber nicht im Mittelpunkt der Gestaltung des Konfirmationsrituals stehen. Diesen Gedanken verfolgt implizit das aktuelle Arbeitspapier "Auf dem Weg zu einem Konfirmationsverständnis für das 21. Jahrhundert" der EKU (im Entwurf). Dort heißt es richtig, es könne die "unmittelbare Ableitung der Konfirmation aus der Taufe aufgegeben und die Konfirmation als selbstständige Kasualie unter Berücksichtigung des Taufsakraments begründet und entfaltet" werden.8

Das würde die Taufe in den Entdeckungszusammenhang stellen, ohne ihren Begründungszusammenhang aufzugeben, aber auch ohne den zwingenden Schwerpunkt der Taufe im Realisierungszusammenhang. Kurz: Für die Kasualie Konfirmation ist das grundsätzliche und praktische Wie des Taufbezuges jeweils neu zu formulieren und nicht von vornherein deduktiv theologisch festzuschreiben. Damit sind dann Taufe und Konfirmation als unterschiedliche und situativ aufeinander zu beziehende Kasualien von jeweils eigenem Gewicht zu verstehen und zu gestalten.

 

3. Das Konfirmationsverständnis in der neuen Agende III,6 der VELKD/EKU

Die Agende sucht die geschilderten Gegensätze bewusst zu überwinden und formuliert in den Erläuterungen zum Konfirmationsgottesdienst:

"Auf jeden Fall ist für Konfirmandinnen und Konfirmanden, für Eltern und Gemeinde, einschließlich der hauptamtlich Verantwortlichen, die Mischung und Verbindung von theologischen und anthropologischen Motiven charakteristisch. Für die Gestaltung von Gottesdienst und Predigt am Konfirmationstag kommt es darauf an, die Spannung zwischen theologischen und anthropologischen Motiven nicht einseitig aufzulösen." (140)

Damit ist der Entgegensetzung A, die ich eben genannt habe, explizit widersprochen. Ich will das kurz auch an den drei anderen idealtypischen Entgegensetzungen zeigen. Zu Punkt B, segenstheologische und christologische Akzentuierung: Der segenstheologische Schwerpunkt ist festgehalten, indem darauf hingewiesen wird, dass der Segen für die Konfirmandinnen und Konfirmanden auch denjenigen Gemeindegliedern verständlich ist, die sich weniger am kirchlichen Leben beteiligen (ebd., mit dem Hinweis auf die verbreitete Bezeichnung der Konfirmation als "Einsegnung"). Daneben aber ist die individuelle Aneignung des kirchlichen Bekenntnisses ein wichtiger Aspekt der Konfirmation. Auf das Taufbekenntnis bezogen heißt es (ebd.):

"Daneben soll Gewicht auf die eigenen Glaubensaussagen der Konfirmandinnen und Konfirmanden in Verbindung mit dem Einstimmen in das apostolische Glaubensbekenntnis gelegt werden. Die Jugendlichen antworten damit auf den Zuspruch, der ihnen durch die Taufe und durch das Vertraut werden mit der biblischen Botschaft gegeben wurde. Die eigene Antwort der Konfirmandinnen und Konfirmanden passt gut zu dem neuen Status als ein Jahrgang Jugendlicher in der Kirchengemeinde. Sie sind nun nicht mehr Kinder. Sie übernehmen damit Verantwortung für Leben und Glauben in der jeweiligen Gemeinde und in der Kirche als ganzer."

Damit ist auch schon der ekklesiologische Bezug (Punkt C) angesprochen. Die Agende sucht auch den institutionellen Aspekt zu thematisieren, ohne dass eine Festlegung auf einen bestimmten Beteiligungsmodus getroffen würde. Der Institutionenbezug evangelischen Christseins ist nicht normierbar, aber er ist auch

nicht beliebig. Er wird aber mit der Konfirmation in die Mündigkeit der Konfirmierten gestellt. Dies ist mit dem Ausdruck "Verantwortung" gemeint. Verantwortung übernimmt jeder, der nicht austritt, wählt, bisweilen den Gottesdienst besucht. Die Übernahme von Verantwortung ist eine andere als bei denjenigen, die aktiv mitarbeiten. Die moralische und kirchliche Engführung auf bestimmte Verhaltensweisen, die immer zur Unehrlichkeit von Konfirmationsgelübden geführt haben, wird darum von der neuen Agende explizit zurückgewiesen:

"Mit ihrer Antwort nehmen die Jugendlichen das Bekenntnis, das Eltern und Paten bei ihrer Taufe gesprochen haben, auf. Die Antwort ist kein Gelübde zu einem bestimmten christlichen Verhalten in der Zukunft, sondern ein aktuelles Bekennen, das den Willen zum ‘Bleiben und Wachsen‘ einschließt." (141)

Dem vierten Gegensatz (Punkt D), demjenigen zwischen einer liturgisch-"sakramentalen" und einer didaktischen Auffassung von Konfirmation, ist durch die Agende als solcher widersprochen. Konfirmandenarbeit ist wesentlich auch Liturgiedidaktik. Dies herausgestellt und praktisch umgesetzt zu haben, ist ein wichtiger Fortschritt der neuen Agende.

Die KU-Konzepte seit 1970 haben sich darum verdient gemacht, Jugendlichen zum eigenen Verstehen zu helfen statt zur bloßen Anpassung an überkommene gemeindliche Praxis. Aber das ist doch auch nicht alles. Denn das Verstehen ist nur ein Teil des Glaubens. Ich habe immer wieder formuliert: Liturgie und Diakonie sind das Spezifikum des KU gegenüber dem schulischen RU. In der Schule wird Wissen als gesellschaftliche Qualifikation kommuniziert, in der Gemeinde wird Glaube in seinen verschiedenen Gestalten kommuniziert, und zwar ebenfalls mit einem gesellschaftlichen Bezug, gerade als Glaube. Darum will ich noch einiges über die Agende hinaus sagen, zuerst zum Konfirmationsverständnis, dann zum Gesellschaftsbezug.

 

4. Erste Weiterführung: Konfirmation als Prozess über das 7. und 8. Schuljahr hinaus

Die neue Agende bezieht den Prozessgedanken nur auf die beiden Konfirmandenjahre im 7. und 8. Schuljahr. Damit ist aber die in der DDR-Diskussion um den Katechumenat erreichte Weite letztlich wieder auf die beiden Jahre während der Pubertät verengt. Der vorgezogene KU zur Grundschulzeit bietet da bessere Möglichkeiten.

Schon 1992 hatte ich vorgeschlagen, die Konfirmation von ihren schwerwiegenden Problemen durch Entzerrung zu entlasten, indem man das sonstige konfirmierende Handeln durch Segenshandlungen im Kindergarten, im Einschulungsgottesdienst und am Ende der ersten KU-Phase (KU-4 am Ende des 4. Schuljahres) in die Reflexion einbezieht.9 Gerade die Akzentuierung einer kinderorientierten Phase der Konfirmandenarbeit mit Eltern im 4. Schuljahr und einer jugendorientierten Phase der Konfirmandenarbeit im 8. Schuljahr macht das möglich. Auch für eine entspanntere Sakramentendidaktik bieten sich so gute Möglichkeiten; so kann am Ende von KU-4 die Abendmahlszulassung wirklich gefeiert werden. Die Konfirmation beinhaltet dann die Verantwortungsübernahme für das Abendmahl als Gestalt gemeindlichen Lebens. Der Katechumenat ist vorbei, und künftig müssen die Konfirmierten selbst mit der Freiheit der Sakramentsteilnahme umgehen, während sie im KU-8 noch als Gruppe im Jugendalter damit erneut vertraut werden müssen. Der Unterschied des KU-4 Abschlusses und des KU-8-Abschlusses (Konfirmation) kann im einzelnen so beschrieben werden:

 

Der konfirmierende Gottesdienst am Ende der Grundschulzeit (KU-4):

Auch im Abschlussgottesdienst von KU-4 kann schon religiöse Mündigkeit ansatzweise öffentlich dargestellt werden. Die Vorkonfirmandengruppe legt für und mit der Gemeinde den gemeinsamen Glauben aus. Auch das Konfirmationsgelübde kann einen Sinn haben – allerdings nicht von Seiten der Kinder, sondern durch bestimmte Gemeindevertreter. Die Gemeinde kann – durch Mitarbeitende und Älteste – versprechen, für die Kinder in den kommenden Jahren da zu sein, sie etwa im Gottesdienst bewusst und freundlich aufzunehmen und für sie zu beten. Die Eltern können versprechen, die Kinder in den kommenden Jahren punktuell in der Gemeinde und zum Gottesdienst zu begleiten. Dieses Versprechen müsste – um realistisch, überschaubar und einhaltbar zu sein – mit den Eltern erarbeitet werden. Das frühere "Konfirmationsgelübde" könnte so konkretisiert und neu definiert werden als Versprechen, das nicht die Kinder geben müssen, um eine Voraussetzung zu erfüllen, sondern welches die Gemeinde gibt, um ihre Kinder zu stärken. Dazu gehört notwendigerweise auch die Teilnahme am Abendmahl, das als Stärkung und Wegzehrung die Gemeinde als ganze immer wieder neu auf den Weg bringen soll.

 

Die Konfirmation als vierter Schritt konfirmierenden Handelns:

Bei der Konfirmation mit 14 Jahren geschieht dann sachlich nichts schlechthin Neues – nur dass die Situation aufgrund des Lebensalters der Konfirmandinnen und Konfirmanden qualitativ verschieden ist. Die Annäherung an Lehre und Praxis der Gemeinde und der Umgang mit anderen Gemeindegliedern hat sich nun stark verändert: Eine Umorientierung von den Eltern zu den gleichaltrigen bzw. etwas älteren Jugendlichen und die kritische Auseinandersetzung mit Bekenntnis, Bibel und mit dem Alltag der Kirchengemeinde sind wichtig geworden nicht nur für die Jugendlichen selbst, sondern auch für die Gemeinde, die ohne die Anfragen der nachwachsenden Generation auf der Stelle treten würde.

Die Antwort der Jugendlichen muss und wird darum kritisch ausfallen. Wiederum können Gemeindevertreter "versprechen und geloben", offene Gemeinde bleiben zu wollen, welche zwar verbindlich am Bekenntnis zum dreieinigen Gott festhält, aber nicht unbedingt an ihrer eigenen gerade herausgebildeten Sozialgestalt, also an der realen Praxis der Gemeindearbeit. Projekte der Konfirmandinnen und Konfirmanden aus dem diakonischen Bereich (Flüchtlinge und Arme in der Gemeinde, "3.-Welt"-Laden-Arbeit) können Anfragen an die reale Auslegung des Bekenntnisses formulieren helfen. Die mündige Aneignung der Bekenntnisaussagen, welche die Gestalt protestantischen Christseins ist, wird öffentlich dargestellt. Die Jugendlichen zeigen, wie sie das Evangelium deuten. Damit erweisen sie der Kirche auch einen Dienst. Konfirmation ist so nicht nur eine Dienstleistung der Kirche für die Jugendlichen. Es gilt auch umgekehrt. So wird der dogmatische Satz, die Kirche sei "creatura evangelii"10, praktisch.

 

5. Zweite Weiterführung: Privater Glaube – Konfirmation als Gesellschaft

Grundsätzlich gilt es eine abgrenzende Betrachtung zu überwinden: Hier der Glaube – nur in der Kirche; dort die Gesellschaft – außerhalb der Kirche. Was folgt aus dieser Neuorientierung für das gemeindliche Handeln?

Die Vertreter der Gemeinde einschließlich des Pfarramts müssen im Verlauf der Kasualie Konfirmation auch zum Ausdruck bringen können, dass sie den Glauben der Gemeinde ernst nehmen und "Glauben" generell nicht naiv mit der eigenen (implizit normativ gesetzten) sozialen Praxis identifizieren. Die Familie als ein Ort gelebten Glaubens ist zu fördern und mit Vertrauen zu behandeln. Denn es gibt auch Glauben außerhalb gemeindepädagogischer Prozesse. Aber es gilt auch die andere Seite: So wie es Glauben außerhalb der Parochie gibt, so ist auch die Kommunikation von Glauben als solche bereits gesellschaftsrelevant.

Lange Zeit ist man jedenfalls implizit davon ausgegangen, Gesellschaft und Kirche seien zwei getrennte Bereiche, deren Verbindung besonders gesucht werden müsse. Die Gesellschaft wurde außerhalb der Kirchenmauern verortet und die Kirche, so meinte man, müsse sich erst an den Ort der Gesellschaft begeben, um gesellschaftlich "relevant" fungieren zu können (Ernst Lange). Dahinter stand und steht der Gedanke, die Kirche sei nicht Teil der Gesellschaft, sondern ein ausgegrenzter Bereich.

Betrachtet man die Kirche aber (mit Niklas Luhmann) als Organisationssystem in der Gesellschaft, das der Gesellschaftsfunktion Religion dient (wie die Familie der Emotion, die Wirtschaft dem Warenverkehr, die Erziehung dem Wissen), dann ist die Kirche Gesellschaft und braucht ihr Kommunikationsmedium nicht verlassen, um Gesellschaft zu werden. Nach Luhmanns11 Theorie der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft ist überall da Gesellschaft, wo kommuniziert wird, wenn auch in den unterschiedlichen Funktionssystemen mit verschiedenen Kommunikationsmedien. Die Wirtschaft kommuniziert Geld, die Wissenschaft Wissen, die Familie Liebe und die Religion Glaube.

Die Stärke der Konfirmation ist gerade die Kopplung des Religionssystems mit anderen Funktions- und Organisationssystemen: An erster Stelle mit der Familie, aber auch mit dem System Schule, mindestens mit den zum Teil noch jahrgangsweisen Freistellungen bei Freizeiten oder am Tag nach der Konfirmation. Aber auch die Kopplung mit dem Wirtschaftssystem, etwa durch Geschenke der örtlichen Geschäfte, ist zu nennen.

Selbstverständlich ist hier anzumerken, dass es dabei extreme Unterschiede zwischen Stadt und Land und erst recht zwischen Ost- und Westdeutschland gibt. In Ostdeutschland ist die strukturelle Kopplung von gesellschaftlichem Jugendritual, Familie und Wirtschaft an die Jugendweihe übergegangen und wird zum Teil noch – wie eh und je – von den Schulen gefördert. In Ostdeutschland ist der Privatglaube offensichtlich ebenso säkularisiert wie der öffentliche Glaube. 2001 wurden in Ostdeutschland ca. 90.000 Kinder jugendgeweiht. Die Humanisten und Freidenker sind allerdings eher auf dem Rückmarsch. Das Familiäre ist der eigentliche Inhalt der Jugendweihe. Kirchenkritik als solche ist irrelevant geworden. 90% aller Jugendweihen werden vom Verein "Jugendweihe Deutschland" durchgeführt, der bundesweit nur 250 Mitglieder hat (Schwerpunkt der Mitglieder in Sachsen, sonst eher Nachwuchsmangel).12

Auch das so oft in Gegensatz zum Glauben gebrachte Konfirmationsgeld sollte unter dem Gesichtspunkt der Kopplung betrachtet werden. Es verbindet die religiöse Mündigkeit mit der wirtschaftlichen über dessen Kommunikationsmedium Geld und muss kein Gegensatz zum Glauben sein, ebenso wenig wie beim Pfarrer, der ja auch nicht kostenlos konfirmiert und trotzdem gläubig ist. Die Mehrdeutigkeit der Konfirmation wird an dem Faktor Geld deutlich sichtbar. Von daher gesehen kann diese oft beklagte Mehrdeutigkeit gerade als typisch für eine gesellschaftlich gut verankerte Einrichtung betrachtet werden, ohne dass deswegen das eigentliche Kommunikationsmedium Glaube verloren gehen oder auch nur Schaden nehmen muss.

Kurz: Die Kirche erfüllt ihre gesellschaftliche Funktion, wenn sie das Medium Glauben kommuniziert und die Kopplungen zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen nicht als Schwäche, sondern als Stärke interpretiert. Die Konfirmation hat den Glauben zum Inhalt und dient gerade so der Gesellschaft als ganzer. Die Kirche hat die gesellschaftliche Funktion, Religion zu organisieren und darzustellen. Aus dieser Funktion ergibt sich für die evangelische Konfirmation folgerichtig die Aufgabe, mündiges Christsein öffentlich darzustellen.

 

Anmerkungen

  1. Dazu s. Dietrich Rössler, Grundriss der praktischen Theologie, Berlin/New York 21994 [1986].
  2. Dazu vgl. auch Wilhelm Gräb, Lebensgeschichten, Lebensentwürfe, Sinndeutungen. Eine praktische Theologie gelebter Religion, Gütersloh 1998, 279 mit seinem Eintreten für das "Ja" der Konfirmanden im Konfirmationsgottesdienst gerade als Verzug der religiösen Subjektivität. Dieses Argument ist umso bemerkenswerter, als Gräb in seinem Buch mit Kritik an einer kirchlich verengten Theologie nicht spart.
  3. "Andern wird freilich selbst manches wunderlich vorkommen; zum Beispiel, dass ich immer so rede, als gäbe es noch Gemeinden der Gläubigen und eine christliche Kirche; als wäre die Religion noch ein Band, welches die Christen auf eine eigentümliche Art vereinigt. Es sieht allerdings nicht aus, als verhielte es sich so: aber ich sehe nicht, wie wir umhin können dies dennoch vorauszusetzen. […] Vielleicht kommt auch die Sache wieder dadurch zu Stande, dass man sie voraussetzt", schrieb schon Schleiermacher in seiner Vorrede zur ersten Predigtsammlung: F. Schleiermacher, Predigten Bd. I, 10f., unpaginiert; SW II/1, Predigten neue Ausgabe, 1843, 6f.
  4. Ausführlich dazu meine Einführung in: Hans J. Milchner (Hrsg.), Konfirmation. Ansprachen, Gebete, Entwürfe (Dienst am Wort 80), Göttingen 1998, 15-34, dort 17-23.
  5. Zitiert nach: Eckart Schwerin, Evangelische Kinder- und Konfirmandenarbeit. Eine problemgeschichtliche Untersuchung der Entwicklungen auf der Ebene des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR von 1970-1980, Würzburg 1989, 73.
  6. Christian Grethlein, Taufe von Konfirmanden. Praktisch-theologische Perspektiven zu einem wichtiger werdenden Problem, in: KU-Praxis 24/1988, 20-26, dort 26.
  7. W. Neidhart im Kommentar zu den Konfirmationsthesen von Henning Luther, in: ThPr 27/1992, 207.
  8. Auf dem Weg zu einem Konfirmationsverständnis für das 21. Jahrhundert, Entwurfspapier der EKU, Abschnitt III (S. 4).
  9. Dazu s. M. Meyer-Blanck, Wort und Antwort. Geschichte und Gestaltung der Konfirmation am Beispiel der ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Berlin/New York 1992, 227-280.
  10. "ecclesia creatura est evangelii": Martin Luther, WA 2, 430.
  11. Dazu s. die Bonner Habilitationsschrift von Isolde Karle: Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Gütersloh 2001 (PThK 3).
  12. Dazu s. die aktuelle Studie der Ev. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Berlin, für Euro 2,50 zu erhalten über Tel. 030 / 283 95 211 oder über <http://www.ezw-berlin.de>.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2003

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