Konfirmandinnen und Konfirmanden entdecken die Lebensperspektive des Alters
Auf die Frage: "Wenn ein Mensch alt wird, dann ..." ergänzte die 13jährige Silke spontan: "... dann gehört er zum alten Eisen und rostet so vor sich hin". Nach diesem Bild vom Altwerden eines Menschen ist der letzte Abschnitt in diesem Leben ein einziger Verfallsprozess – leben nur noch, um langsam zu zerfallen. So sagte aus derselben Konfirmandengruppe der 14jährige Peter: "Altwerden lohnt sich nicht. Da ist doch nichts mehr los." Unwidersprochen blieben diese Aussagen nicht. Kathrin erwiderte: "Meine Oma ist noch nicht verkalkt. Die macht eben was los."
Von solchen Aussagen von Konfirmandinnen und Konfirmanden ist dieser Entwurf für den Konfirmandenunterricht angestoßen und angeregt worden. Ein alter Mensch, mit dem nichts mehr los ist und ein alter Mensch, der noch etwas los macht – von diesen gegensätzlichen Bildern sind viele Jugendliche mitbestimmt in ihrer Sicht von einem alten Menschen und zugleich auch in ihrer Perspektive, einmal selber ein alter Mensch zu werden. Deutlich wurde mir bei den oben genannten Aussagen von Konfirmandinnen und Konfirmanden über das Alter auch, wie sehr die eigenen Vorstellungen vom Alter geprägt sind durch das unmittelbare Erleben eines alten Menschen in der eigenen Familie oder in der unmittelbaren Umwelt. Deutlich wurde außerdem, wie die in unserer Gesellschaft vorherrschende Verdrängung des Altwerdens ("immer jung, frisch und dynamisch") und die damit verbundene Verdrängung des Todes ein Altwerden als nicht mehr "lohnenswert" erscheinen lassen.
In den hier vorgelegten Anregungen zum Konfirmandenunterricht sollen nach der Frage, wer ist denn nun ein alter Mensch, die Lebens(vor)bilder aus der eigenen Familie und Gesellschaft in ihrer Unterschiedlichkeit vor Augen geführt werden. Wichtig sind dann vor allem die unmittelbaren Begegnungen von Jung und Alt, in denen Erfahrungen miteinander gemacht werden können, die das Leben im guten Sinne "bereichern" in einem wechselseitigen Verhältnis. Dass das Älterwerden nicht nur ein passiv hinzunehmender Prozess, sondern zugleich auch eine Gestaltungsaufgabe für das ganze Leben sein kann, dies soll zum Abschluss in den Blick kommen.
1. Schritt:
Ein alter Mensch – wer ist das?
Arbeitsmaterial:
- Zur Vorbereitung dieses Themas sollte die/der Unterrichtende aus Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren z. B. von diakonischen Einrichtungen oder Pflegeheimen, Modekatalogen usw. Bilder sammeln, auf denen ein alter Mensch/alte Menschen zu sehen sind. Als Vorbereitung auf den Unterricht ist es dabei hilfreich, sich selber zu fragen: Warum habe ich diese Bilder ausgewählt? Welche Lieblingsbilder habe ich? Welche Bilder finde ich abschreckend?
- Behauptungen zum Thema "Altsein" auf Karten schreiben. Die hier genannten Beispiele können ergänzt werden; wichtig ist, die Vielfalt möglicher Behauptungen zu beachten.
Gestaltungsvorschläge
- Im Unterrichtsraum trifft sich die Gruppe in einem Stuhlkreis. In der Mitte liegen Bilder, auf denen alte Menschen zu sehen sind. Die Zahl der Bilder sollte doppelt so groß sein wie die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden und die/der Unterrichtende suchen sich aus den Bildern ein Bild heraus, das ihnen besonders aufgefallen ist. Für die Auswahl sollte genügend Zeit gelassen werden. Die/der Unterrichtende könnte dabei auf Bemerkungen, Zwiegespräche oder Kurzkommentare bei dem Auswahlprozess achten und sich für ein anschließendes Gespräch dazu Notizen machen als mögliche Impulse für das Gespräch.
- Jede Konfirmandin und jeder Konfirmand stellt das ausgesuchte Bild kurz vor. Dies geschieht in zwei Schritten: zunächst wird das Bild für alle sichtbar hochgehalten und kurz beschrieben, was zu sehen ist. Anschließend sagt jede und jeder, warum sie/er dieses Bild ausgewählt hat. Zum Schluss stellt auch die/der Unterrichtende das ausgewählte Bild vor.
- In einer zweiten Gesprächsrunde werden die ausgesuchten Bilder dahingehend befragt, welche Antwort ein Bild auf die Frage gibt: Wer ist ein alter Mensch? Diese Frage wird auf einen weißen Papierbogen geschrieben und in die Mitte des Stuhlkreises gelegt (bei Öffnung des Stuhlkreises könnte auch eine Tafel genutzt werden). Die Konfirmandinnen und Konfirmanden beantworten diese Frage jeweils auf dem Hintergrund und aus der Perspektive des von ihnen ausgewählten Bildes. Die Bilder könnten nun auf einem Papierbogen befestigt werden, und die dazu gefundene Antwort könnte unter dieses Bild dazugeschrieben werden.
- Es werden mehrere Kleingruppen gebildet und jede Gruppe erhält eine Sammlung mit Behauptungen zum Thema "Altsein". Je eine Behauptung sollte auf einer Karte stehen. Die Sammlungen von Karten sind für die Gruppe gleich. Folgender Arbeitsauftrag wird an die Gruppen gegeben:
Alle Karten sollen bearbeitet werden.
- Mischt die Karten und legt sie mit der Schrift nach unten auf einen Stapel auf den Tisch.
- Eine oder einer beginnt und hebt die oberste Karte ab, liest die Behauptung vor und benennt, was für diese Aussage spricht. Die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen können dazu Fragen stellen, die von der/dem jeweiligen Karteninhaberin/Karteninhaber beantwortet werden müssen.
- Anschließend zieht die/der nächste Teilnehmerin/Teilnehmer die nächste Karte und verfährt genauso damit, wie die/der Vorgängerin/Vorgänger.
- Im Plenum berichten die Konfirmandinnen und Konfirmanden von den Behauptungen, deren Begründungen und möglichen Anfragen. Im Vergleich mit den anderen Kleingruppen könnte zusammengestellt werden, welche Aussagen Zustimmung bzw. Ablehnung erfahren haben.
Behauptungen zum Thema "Altsein"
Wenn ein Mensch alt wir, dann gehört er zum alten Eisen | Wer alt wird, der ist weg vom Fenster |
Ein alter Mensch kann seinen Lebensabend genießen | Ein alter Mensch muss nicht mehr lernen |
Wenn man alt wird, dann wird man immer einsamer | Wenn man alt wird, wird man abgeschoben ins Altenheim |
Erst, wenn man alt geworden ist, versteht man das Leben | Wer im Alter glücklich sein will, der muss schon als junger Mensch dafür übern |
Altwerden lohnt sich nicht, denn da ist ja nichts mehr los | Je älter man wird umso mehr ist man auf die Hilfe con anderen angewiesen |
Wenn Kinder, Eltern und Großeltern unter einem Dach wohnen, kann man zufrieden alt werden | Alte Menschen sind oft verständnisvoller gegenüber Kindern als deren Eltern |
Im Alter kann man all sein Wünsche verwirklichen, zu denen man während der Arbeitszeit nicht gekommen ist | Um so oller, um so doller |
2. Schritt
Ein alter Mensch in meiner Familie
Arbeitsmaterial:
- Zu dieser Einheit soll jede Konfirmandin und jeder Konfirmand Lieblingsfotos von den Urgroßeltern und Großeltern zum Unterricht mitbringen.
- Erzählung: "Das kann Opa doch nicht machen" (von Wolfgang Pauls) M 1
Gestaltungsvorschläge
- Jede Konfirmandin/jeder Konfirmand stellt ein Lieblingsfoto von den Urgroßeltern bzw. Großeltern vor und erzählt dazu, wann und wo dieses Foto entstanden ist.
- In einer zweiten Gesprächsrunde soll jede/r eine Geschichte erzählen, in der eine besondere Begebenheit mit den Großeltern – lustig oder traurig – enthalten ist. Hier könnten neben schönen Erinnerungen und lustigen Begebenheiten auch die Erfahrungen von Krankheit, Pflege, Sterben und Tod der Großeltern erzählt werden. Die/der Unterrichtende sollte zunächst nach "besonderen Erlebnissen" fragen und dabei die Richtung offen lassen, so dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden selber darüber entscheiden können, welche Erlebnisse sie in der Gruppe erzählen mögen.
- Anschließend wird die Geschichte "Das kann Opa doch nicht machen" vorgelesen und miteinander besprochen. Bevor dabei auf Einzelheiten der Geschichte eingegangen wird, sollte jede/r die Möglichkeit bekommen, einen ersten Eindruck von der Handlung mitzuteilen. Danach könnte über das Für und Wider eines Aufenthaltes in einem Altenheim, über die eigene Entscheidung, in ein Altenheim zu gehen, und über die Auswirkungen auf die ganze Familie gesprochen werden. Hier wäre auch Raum für eigene Erfahrungen und Erlebnisse von Besuchen in Altenheimen und auf Pflegestationen oder von einem daheim zu pflegenden Angehörigen.
3. Schritt
Wenn die Alten mit den Jungen ...
Im Folgenden werden einige Möglichkeiten genannt, bei denen es um eine Begegnung und ein Miteinander von jungen und alten Menschen geht. Dabei könnten einzelne Aktionen von der ganzen Konfirmandengruppe vorbereitet und durchgeführt werden. Andere Aktionen könnten von Kleingruppen wahlweise und alternativ geplant und erlebt werden.
Miteinander singen
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden nehmen an einem Treffen der alten Menschen in der Gemeinde teil (Altengeburtstagstreffen, Seniorennachmittag, Altenkreis usw.). Bei diesem gemeinsamen Nachmittag lernen die Mädchen und Jungen die "alten" Lieder und die Alten die "neuen" Lieder kennen. Dabei singen z. B. die Konfirmandinnen und Konfirmanden eines ihrer Lieder vor, üben mit den alten Menschen die Melodie ein und singen dann das Lied gemeinsam. Vielleicht mögen von den alten Menschen die eine oder der andere auch erzählen, was sie mit ihren Liedern verbindet.
Besuch im Altenheim/Pflegeheim
Eine Konfirmandengruppe besucht – nach Absprachen mit der jeweiligen Einrichtung und nach Information über diese Einrichtung – ein Altenheim oder Pflegeheim in der näheren Umgebung. Welche Begegnungsmöglichkeiten gegeben sind, dies hängt von den örtlichen Gepflogenheiten ab.
Ein Nachmittag mit den Großeltern
Für einen Nachmittag am Wochenende treffen sich die Konfirmandinnen und Konfirmanden mit ihren Großeltern. Neben einem Austausch über den Konfirmandenunterricht damals und heute könnten alte und neue Lieder gesungen werden (das neue Evangelische Kirchengesangbuch könnte hier vertrauter werden), Spiele aus der Jugendzeit der Großeltern und Spiele der Konfirmandinnen und Konfirmanden könnten miteinander gespielt werden und anderes mehr. Ein gemeinsam vorbereitetes Abendessen und eine Andacht zum Schluss sollte dieses Miteinander abrunden.
Fotos – damals und heute
Alte Menschen in der Kirchengemeinde werden eingeladen, alte Fotos des Ortes oder Stadtteils zur Verfügung zu stellen. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden versuchen nun, die auf den Fotos gezeigten Plätze, Ortsansichten oder Standpunkte des damaligen Fotografen aufzufinden, um von hier aus ein Foto der gegenwärtigen Ansicht zu machen – mit gleicher Perspektive wie bei den alten Fotos. Ohne großen technischen Aufwand können von alten Fotos Dia-Aufnahmen angefertigt werden, die – zusammen mit den neuen Fotos – an einem gemeinsamen Treffen der alten und jungen Menschen der Gemeinde gezeigt werden. Hierzu werden natürlich besonders diejenigen alten Gemeindemitglieder eingeladen, die ihre Fotos zur Verfügung gestellt haben; sie können oft vieles aus der Geschichte des Ortes oder des Stadtteils erzählen.
Hilfe bei der Grabpflege
Alten Menschen in der Gemeinde wird das Angebot gemacht, dass eine Gruppe von Konfirmandinnen und Konfirmanden (max. 4 – 5) mit ihnen zusammen die Pflege eines Angehörigengrabes übernimmt. Unter Anleitung und helfenden Anweisungen des jeweiligen alten Menschen wird dann ein Grab gepflegt. Dies kann eine einmalige Aufgabe sein. Dies könnte auch eine Projektaufgabe für die Konfirmandinnen und Konfirmanden während ihrer Konfirmandenzeit sein; eine thematische Bearbeitung im Konfirmandenunterricht bietet sich an verschiedenen Stellen an, z. B. bei den Themen: "Tod und Leben", "Diakonie", "Jung und Alt in der Gemeinde".
Einkaufshilfe
Viele alte Menschen können zwar noch in ihren vertrauten Wohnungen leben, sind aber nicht mehr in der Lage, ihren Einkauf selber zu erledigen. Hier könnten die Konfirmandinnen und Konfirmanden für einen begrenzten Zeitraum eine Einkaufshilfe anbieten oder Botengänge übernehmen.
Jung und Alt miteinander im Gespräch
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden treffen sich mit alten Menschen zum Gespräch. Es werden Tischgruppen gebildet mit jeweils 3 Jugendlichen und 3 alten Menschen. Jede Gruppe hat auf dem Tisch einen Stapel Karten mit Behauptungen zu "Die heutige Jugend" und "Altsein" (vgl. hierzu die erste Einheit dieses Entwurfes). Die Karten für die Behauptungen "Die heutige Jugend" werden mit den Karten "Altsein" gemischt und mit der Schrift nach unten auf den Tisch gelegt. Jede und jeder zieht nacheinander eine Karte und begründet, warum die jeweilige Behauptung zutreffend ist – auch wenn sie vielleicht der eigenen Meinung entgegensteht. Anschließend kann die eigene Meinung zur jeweiligen Behauptung geäußert werden. Auf diesem Wege kann ein Sich-in-andere-Hineinversetzen und eine wechselseitige Perspektivübernahme – ohne in vorgefertigten Meinungen stecken zu bleiben – bei Jung und Alt angeregt werden.
4. Schritt
Wenn ich einmal alt bin
Arbeitsmaterial:
- Seligpreisung eines alten Menschen M 2
- Lied: Selig seid ihr M 3
Gestaltungsvorschläge:
- Das Lied: "Selig seid ihr" wird geübt und miteinander gesungen. Der Text des Liedes kann miteinander besprochen werden unter Einbeziehung der Seligpreisungen im Matthäus-Evangelium 5, - Die "Seligpreisungen eines alten Menschen" werden gelesen und mit der Aufgabe verbunden: "Sucht euch eine dieser Seligpreisungen aus. Erfindet eine Geschichte von einem alten Menschen, für den diese Seligpreisung zutrifft. Schreibt die Geschichte auf."
- Die Geschichten werden in der Gruppe gelesen. Jede Geschichte könnte dabei mit der Frage verbunden werden: Wenn ich selber dieser alte Mensch wäre, was würde ich dann zu diesem Geschehen sagen? Was würde ich von den anderen beteiligten Menschen halten, was zu ihnen sagen?
- Anschließend werden die Konfirmandinnen und Konfirmanden dazu eingeladen, sich ihr eigenes Altsein vorzustellen. Dies geschieht auf dem Wege, dass jede/r einen Brief schreibt in einem selbstgewählten "hohen" Alter. Aus dieser Perspektive soll der eigene Lebensweg kurz beschrieben werden, es sollen die augenblicklichen Lebensbedingungen als nun alter Mensch geschildert werden und es soll benannt werden, was wichtig oder unwichtig war in dem bisherigen Leben. Eine mögliche Einleitung könnte sein: "Stellt euch vor, ihr wäret alt geworden und schaut auf euer Leben zurück. Schreibt einen Brief an euch selbst und erzählt darin, wie ihr wünscht, gelebt zu haben."
- Einige Briefe könnten zum Abschluss vorgelesen werden. Dabei sollten nur Briefe gelesen werden, die freiwillig vor der Gruppe gelesen werden mögen. Eine Kommentierung durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder die/den Unterrichtende/n sollte unterbleiben, denn es geht hierbei um persönliche Zukunftsentwürfe, die ja zugleich einen Einblick in die augenblicklichen Lebenswünsche darstellen können. Wichtig ist also nicht, wie "wahrscheinlich" ein solcher Lebensentwurf ist, sondern wichtig ist die eigene Entwicklung einer Lebensperspektive.
M 1 Opa will ins Altenheim "Ich gehe ins Altenheim, und damit basta!" sagte Annis Opa und ließ die Faust aufs Tischtuch sausen, dass der Kaffee überschwappte. Von einer Sekunde zur anderen kam Leben in die alten Leute. Die Frau auf dem Sofa hob die Hand und winkte Anni jetzt deutlich zu. Von der anderen Seite des Raumes rief jemand: "Kind, Kind! Bleib doch hier Kind!" Und der Mann im Rollstuhl streckte unvermittelt die zittrige Hand nach Anni aus und fragte: "Bist du Grete? Meine Tochter Grete?" Dann riss er die Augen unnatürlich weit auf und rief mit gleichzeitig lauter und erstickender Stimme: "Nun seid doch mal still! Pack, altes Pack! Grete ist hier! Meine Grete! Sie ist nicht tot, meine Grete! Sie lebt! Ich hab’s euch doch gesagt!" Anni lief eine Gänsehaut über den Rücken. Hätte ihr Vater sie nicht am Arm gepackt und aus dem Raum gezogen, sie wäre Hals über Kopf geflohen. Grete, Grete – schallte es ihr durch den Kopf, als sie schon die Treppe zu den Zimmern im ersten Stock hochstieg. Gretel, Gretel. Hänsel und Gretel. Und ein wenig schämte sie sich, als sie mit einem unterdrückten wütenden Weinen im Hals dachte: Hexen sind das. Hexen und Teufel! Was Schwester Lisa sagte, hörte sie nicht: "Die alten Leutchen sind ganz narrisch auf Kinder. Das ist immer dasselbe." Das Zimmer war kleiner als Annis Zimmer. Und mit zwei Betten, zwei Kleiderschränken, zwei Regalen, zwei Sesseln und zwei Stühlen mehr als vollgestopft. "Zwei Betten? Ist das ein Doppelzimmer?" fragte Annis Mutter stirnrunzelnd. "Davon hast du uns ja gar nichts gesagt!" Während Opa wie ein beim Klauen ertappter Schuljunge den Teppichboden fixierte, antwortete Schwester Lisa kurz und bündig: "Eigentlich ja. Aber Herr Beck, der hier gewohnt hat, ist vorige Woche gestorben." Annis Vater stierte mit verbissenem Gesichtsausdruck aus dem Fenster, als wären die Hügel der malerischen Mittelgebirgslandschaft aus Beton und die Tannen aus Stacheldraht. "Sie gehen dann am besten", sagte Schwester Lisa zu Annis Mutter und hielt – wieder lächelnd – die Tür auf. "In einer Viertelstunde kommt der Bus. Wir machen heute eine Kaffeefahrt. Zur Katzbergmühle. Am besten, Ihr Vater fährt gleich mit; so lebt er sich am besten bei uns ein." Am besten, am besten, am besten! Anni beobachtete ihren Opa heimlich aus den Augenwinkeln. Ein wenig hilflos stand er neben seinem zukünftigen Bett und spielte verlegen mit dem Reißverschluss seiner Wolljacke. "Warum fragen sie ihn denn nicht, was am besten für ihn ist?" hätte sie die Schwester am liebsten angezischt, aber sie traute sich nicht. Annis Vater ging, ohne den Opa anzusehen, zur Tür hinaus und sagte mehr zu sich selbst als zu Anni und Annis Mutter: "Na, dann holen wir mal die Sachen aus dem Wagen." Auf der Rückfahrt herrschte lange Zeit Schweigen. Von Schwester Lisa halb neugierig, halb argwöhnisch beäugt hatten sie die vier Koffer, die beiden Taschen und den Armvoll Mäntel und Jacken in den ersten Stock hinaufgebracht. Annis Mutter hatte gleich alles einräumen wollen. Aber Opa hatte darauf bestanden, das nach der Kaffeefahrt selbst zu machen. Dann war er mit zum Eingang hinuntergekommen und hatte ihnen nachgewinkt, bis der Wagen in die Kurve beim Tannenwäldchen einbog. Der freundliche Alte saß nicht mehr auf der Bank. Endlich brach Annis Vater das Schweigen. "Nee, ehrlich, ’n Horrorfilm ist nichts dagegen! Wie will er es da bloß aushalten?" Annis Mutter bedachte ihn mit einem strafenden Blick, der so viel bedeuten sollte wie: "Nun sag doch nicht so was – das Ganze hat Anni schon genug mitgenommen!" Doch Anni atmete tief durch. Was ihr Vater sagte, tat ihr gut, denn er sprach damit ihre Gedanken aus. Fünf Minuten später schnäuzte sich Annis Mutter, und Anni versuchte, im Innenspiegel ihr Gesicht zu sehen. Weint sie? Wie zur Antwort auf diese unausgesprochene Frage sagte die Mutter so leise, dass Anni es auf dem Rücksitz fast nicht verstand: "Ich hab‘ ihm den Brieföffner in die Schublade gelegt." aus: Wolfgang Pauls, Das kann Opa doch nicht machen, Freiburg 1989 |
Seligpreisungen eines alten Menschen Selig, die Verständnis zeigen Selig, die begreifen, Selig, die zu wissen scheinen, Selig, die niemals sagen: Selig, die es verstehen, Selig, die mich erfahren lassen, Selig, die in ihrer Güte |
Selig seid ihr Text: F.K. Barth und P. Horst, Melodie: P. Janssens |