In diesem Beitrag möchte ich einige grundsätzliche didaktische Überlegungen zum Thema ‘Videoclips im Religionsunterricht’ sowie Erfahrungen mit einer Unterrichtseinheit über den Videoclip zum Earthsong von Michael Jackson darstellen.
1. Zur didaktischen Arbeit mit Videoclips
Das Interesse der Religionspädagogik richtet sich in letzter Zeit vermehrt auf die tatsächliche Religiosität von Jugendlichen. Untersucht werden dafür v.a. zeitgenössische Codierungen von Religion in den Produkten der Jugendkultur wie etwa Rockmusik, CD-Cover mit religiösen Zeichen und Symbolen oder Graffiti. Zunehmend geraten auch die Medien im engeren Sinne ins Blickfeld: So werden etwa Rituale in Fernseh- und Nachrichtensendungen untersucht oder religiöse Elemente und Zeichen in der Werbung. Ein in diesem Zusammenhang bisher wenig beachtetes Medium ist das des Musikvideoclips. Zwar gibt es zu diesem Thema viele soziologische und medienpädagogische Untersuchungen, aber wenige religionspädagogische. In diese Lücke ist in allerjüngster Zeit der Medienexperte Andreas Mertin gestoßen und hat mehrere religionspädagogische Veröffentlichungen zum Thema vorgelegt. Er kann zum einen zeigen, dass sich die Themen der Videoclips v.a. in vier große Blöcke zusammenfassen lassen, nämlich 1. Liebe, Sexualität, Partnerschaft und Ehe, 2. soziale Themen wie Ethik, Moral, Werte, Drogen, Gewalt und Gerechtigkeit, 3. Religion und Spiritualität und 4. Sinnfragen. Zum anderen zeigt er konkrete Wege auf, wie man sich im Religionsunterricht der Frage nach religiösen Botschaften in Videoclips zuwenden kann.
Videoclips sind phänomenologisch kurze Filme, in denen ein Musikstück mit unterschiedlichen visuellen Elementen präsentiert wird, intentional Werbefilme, die zum Kauf einer Platte mit dem dem Clip zu Grunde liegenden Lied animieren sollen, und kategoreal ‘als eigene Kunstgattung’ (A. Mertin, Videoclips im Religionsunterricht S.15) anzusehen, denn ihr Werbecharakter schließt nicht aus, ‘daß in ihnen entsprechend den jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ein ästhetisches Ideal verwirklicht wird.’ (K. Neumann-Braun, Viva MTV! S.13).
Neuere Untersuchungen zur Nutzung von Medien durch Kinder und Jugendliche haben ergeben, dass 94% der Jugendlichen (14 bis 19 Jahre) mehrmals in der Woche fernsehen und dass von diesen 94% wiederum 85% Musikvideos sehen (vgl. K. Neumann-Braun, Viva MTV!, S.326f.). Man kann also davon ausgehen, dass 79,9% (85% von 94%) der Jugendlichen regelmäßig Musikvideos sehen. Jedoch ergibt sich daraus noch keine Notwendigkeit und Rechtfertigung dafür, Videoclips im Unterricht zu behandeln. Hier besteht die Gefahr, allzu schnell aus der Begeisterung über die Einsicht in Neigungen und Verhaltensweisen Jugendlicher Konsequenzen für den Unterricht abzuleiten. Eine Rechtfertigung und eine Notwendigkeit lässt sich vielmehr erst unter einer von folgenden zwei Bedingungen finden:
- wenn sich herausstellen sollte, dass Videoclips, welches Thema auch immer sie thematisieren, sich religiöser Formen, Zeichen und Symbole bedienen. – Denn der heutige Religionsunterricht thematisiert Religion, und zwar in verschiedenen Ausprägungen (etwa auch Islam, Judentum, Okkultismus, philosophische Religiosität), jedenfalls nicht nur eine kirchlich-dogmatische Form von ihr. Und dies ist in der Tat der Fall.
- wenn sich herausstellen sollte, dass Videoclips Träger von Inhalten werden, die für den RU sowieso schon, nicht erst, seit sie auch vom Medium Videoclip besetzt werden, von Bedeutung sind. Und auch genau dies ist der Fall, nach Mertin zumindest in ungefähr jedem zehnten Clip. Insofern hat Mertin Recht, wenn er sagt, es sei ‘die Auseinandersetzung mit diesem Medium sinnvoll, weil hier zeitgenössische Codierungen jener Themen vorgenommen werden, die auch im Unterricht [sc. im Religionsunterricht] eine Rolle spielen.’ (A. Mertin, Die religiöse Welt der Video-clips, S.21).
Nun könnte eingewandt werden, Codierungen jener Themen kämen doch überall vor, etwa in der Bibel, in Gesangbuchliedern, in Romanen, in Schulbüchern. Warum also gerade Clips behandeln? Man darf vermuten, dass Clips den Schülerinnen und Schülern als Medium vertraut sind und sie sich in ihnen zu Hause fühlen, so dass sie ihnen nicht fremd und von außen kommend anmuten (wie eben die Bibel, ein Schulbuch etc.), so dass sie uns in eine glückliche Lage versetzen, da sie anscheinend eine ideale Verbindung zwischen Situation und Tradition herstellen: Sie kommen aus der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler, aus ihrer ‚Situation‘, und greifen gleichzeitig selber biblische Themen, die ‚Tradition‘ auf! Ob den Schülerinnen und Schülern dies bewusst ist und ob die in den Clips ausgedrückte Religiosität evtl. ihre eigene ist, muss aller erst untersucht werden und ist nicht von vornherein klar. Die Erlangung von Reflexionskompetenz bezüglich dieses ihnen wohlbekannten Gegenstandes ist ein Ziel meiner Unterrichtseinheit.
Bestimmte Standardeinwände gegen die Verwendung von Videoclips, wie z.B., die Clips gehörten in die Privatsphäre der Schülerinnen und Schüler, einzelne Stars seien für sie Idole und stark besetzte Figuren, Clips daher nicht für eine schulische Verwendung geeignet, oder die Schülerinnen und Schüler könnten dieses Vorhaben womöglich als Anbiederung von Seiten der Lehrkraft empfinden, aber auch grundsätzliche medienkritische Überlegungen wie die Neil Postmans, Bildung müsse heutzutage, wolle sie gut gemacht sein, Spaß machen, dadurch werde Unterricht aber tendenziell in Unterhaltung umgewandelt, sind m.E. durchaus ernst zu nehmen, führen das Vorhaben aber nicht ad absurdum, sondern sollten lediglich zu gezielten methodischen Beschränkungen führen: Zum einen sollte kein ganz aktueller Clip gewählt werden, da hier die Gefahr der
Idolisierung stärker ist als bei einem etwas älteren, zum zweiten sollte man durch eine konkrete und inhaltliche Analyse des Clips deutlich machen, dass es nicht um Anbiederung und Unterhaltung geht, zum dritten sollte im Unterricht nicht apologetisch argumentiert werden, sondern die Schülerinnen und Schüler sollen ihre eigenen Erfahrungen mit religiösen Botschaften in Clips machen. Und schließlich können, wo es passt, medienkritische Äußerungen der Schülerinnen und Schüler verstärkend aufgenommen werden.
2. Der Clip zum Earthsong von Michael Jackson als Beispiel religiös fundierter Videoclips
Dem Clip liegt folgender Liedtext zu Grunde:
What about sunrise, what about rain, what about all the things, that you said we were to gain? What about killing fields, is there a time, what about all the things, that you said was yours and mine? Did you ever stop to notice, all the blood we've shed before, Did you ever stop to notice the crying earth the weeping shores? Aaaaaaaaah Aaaaaaaaah What have we done to the world? Look what we've done! What about all the peace, that you pledge your only son? What about flowering fields, is there a time, what about all the dreams, that you said was yours and mine? Did you ever stop to notice, all the children dead from war? Did you ever stop to notice, the crying earth the weeping shores? Aaaaaaaaah Aaaaaaaaah I used to dream, I used to glance beyond the stars. Now I don't know where we are, although I know we've drifted far, Aaaaaaaaah Aaaaaaaaah Hey, what about yesterday (what about us), what about the seas (what about us), the heavens are falling down (what about us), I can't even breathe (what about us), what about the bleeding earth (what about us), can't we feel its wounds (what about us), what about nature's worth (ooo, ooo), it's our planet's womb (what about us), what about animals (what about it), we've turned kingdoms to dust (what about us) what about elephants (what about us), have we lost their trust (what about us), what about crying whales (what about us), we're ravaging the seas (what about us), what about forest trails (ooo, ooo), burnt despite our pleas (what about us), what about the holy land (what about it), torn apart by creed (what about us), what about the common man (what about us), can't we set him free (what about us), what about children dying (what about us), can't you hear them cry (what about us), where did we go wrong (ooo, ooo), someone tell me why (what about us), what about babies (what about it), what about the days (What about us), what about all their joy (what about us), what about the man (what about us), what about the crying man (what about us), what about Abraham (What was us), what about death again (ooo, ooo), do we give a damn? Aaaaaaaaah Aaaaaaaaah |
Eine kurze Beschreibung des Clips liefert Mertin (Videoclips im RU, S.89-91), ein vollständiges storyboard mit einer kurzen verbalen Beschreibung aller Szenen Gerd Buschmann (Der Sturm Gottes zur Neuschöpfung, S.188). Der Clip behandelt auf religiös-emotionale Weise das Thema ‚Der Umgang des Menschen mit der Schöpfung‘ und übermittelt die Botschaft, dass es zur Rettung der Erde eines Eingriffes von der Größenordnung eines göttlichen Sturmes bedarf: Nach friedlichen Bildern eines ‘locus amoenus’ (G. Buschmann S.189) mit Vögeln und Affen, der auf das Paradies und das Urteil des Schöpfers ‘Siehe, es war sehr gut’ (Gen 1,31) anspielt, walzt eine Planierraupe alles nieder, evtl. eine moderne Wendung des Sündenfalls (Gen 3). In der nächsten Szene sieht man nur noch verbrannte Erde und Michael Jackson, wie er durch dieses apokalyptische Szenario geht und es singend beklagt, was an die alttestamtentliche Gattung der Klagelieder des Einzelnen erinnert. Es folgen Bilder, die den unverantwortlichen Umgang des Menschen mit der Schöpfung zeigen, von gewilderten Elefanten über Regenwaldrodung zu Bürgerkriegsfamilien mit gelegentlichen Rückblenden als Erinnerung an bessere Zeiten. Nun fällt Michael Jackson auf die Knie, eine allgemein-religiöse Geste, die auch im AT oft begegnet, etwa in Ps 22. Die anderen gezeigten Menschen, allesamt Opfer des unverantwortlichen Tuns (nicht gezeigter) anderer Menschen, tun es ihm gleich – die Klage des Einzelnen wird zur Klage des Volkes. Sie greifen in die Erde und flehen zum Himmel, eine Aufnahme der allgemein-religiösen Vorstellung der ‚Mutter Erde‘ und der allen Religionen eigenen Haltung des flehenden Bittgebetes. Dadurch wird ein Sturm heraufbeschworen, der letztlich dazu führt, dass alle Zerstörungen rückgängig gemacht werden, ein Aufgreifen des Motivs des Erscheinens und Eingreifens Gottes im Sturm (vgl. etwa Ez 37,5 oder Jes 32,15): Der Bürgerkriegstote steht wieder auf, eine Anspielung auf die Vorstellung der Auferstehung der Toten, dem Elefanten wachsen wieder Stoßzähne, Abgase kehren rückwärts in die Fabrikschlote zurück. Während dieser Restitutionsvorgänge, die evtl. die biblische Verheißung einer neuen Erde aufnehmen (vgl. etwa Apk 21,1.5) steht Michael Jackson in Kreuzeshaltung (!) zwischen zwei Bäumen, wodurch er sich symbolisch zum neuen Messias stilisiert, und wird immer ekstatischer, eine Anspielung auf die Ekstase prophetischer Mittler im AT (vgl. etwa 1.Sam 10,6). Nicht ganz eindeutig ist sowohl im Clip wie auch im Text des Liedes, welche Rolle Gott zugeschrieben wird: Einerseits wird Gott, der im Lied durchgängig der Adressat des Pronomens ‚you‘ ist, mit kritischen Fragen konfrontiert, als wolle der Text sagen, Gott habe ausgedient, seine Versprechen nicht gehalten, andererseits ist er im Clip möglicherweise der Urheber des Heil bringenden Sturmes.
Wegen des zugleich ansprechenden und wichtigen Themas, seiner vielen einfach zu entdeckenden religiösen Elementen, aber gerade auch wegen seiner problematischen Seiten wie der Selbststilisierung des Sängers scheint mir der Clip hervorragend für eine Verwendung im Religionsunterricht geeignet.
Mertin geht von der Prämisse aus, dass Videoclips im Religionsunterricht im Wesentlichen eine Enrichment-Funktion [Einstieg, Vertiefung oder Zusammenfassung] zukomme, so dass sie die Durchführung eines Themas bereichern und ergänzen (vgl. A. Mertin, Videoclips im RU, S.22). Nach dieser Konzeption hätte man zuerst ein vorgegebenes Thema und würde daraufhin nach einem geeigneten Clip zu diesem Thema suchen. Buschmann nennt einige solcher Themen, in deren Kontext er sich den Clip zum Earthsong vorstellen könnte: ‘Unser Umgang mit der Erde’, ‘Schöpfung, Sündenfall, Urgeschichte’, ‘Zukunft’, ‘Prophetie’, ‘Jesus Christus’, ‘Wunder’, ‘Gebet’ (G. Buschmann S.194). Nun hält es Mertin aber bei wenigen Clips auch für möglich, sie als eigenes Thema für den Religionsunterricht zu verwenden. Und dies scheint auch grundsätzlich am sinnvollsten zu sein: Der Videoclip sollte als Zentralmedium, nicht als illustrierendes Medium fungieren. Er wäre gar nicht ernst genommen, wenn man lediglich formal feststellte, dass in ihm überraschenderweise auch religiöse Botschaften vorkommen, diese dann aber gar nicht inhaltlich näher untersuchte: Dabei stehen zu bleiben, den Schülerinnen und Schülern stolz nachzuweisen, dass in Clips Religion vorkomme, Religion also – entgegen dem allgemeinen Augenschein – doch sehr wichtig sei, was die Religionslehrkraft auch immer schon gewusst habe, wäre ein rein apologetisches Unterfangen. Daher soll der Clip als Ausdruck eines eigenen thematischen und religiösen Standpunktes ernst genommen werden und seine Themen und religiösen Botschaften in einem weiteren Schritt genau analysiert und auf ihren Gehalt und ihre Bedeutung befragt werden.
Mit diesem Zugriff auf den Clip ist ein bestimmter religionspädagogischer Ansatz verbunden, nämlich der phänomenologische. Ohne diesen in extenso darstellen zu können, lässt sich die Grundidee seiner Anwendung in der Religionspädagogik mit Peter Biehl so beschreiben: Der Ansatz ‘beabsichtigt, auf Phänomene hinzuweisen, wie sie ‚sich selber geben‘, ohne dass sich positive oder negative Vorurteile und Erklärungen dazwischenschieben.’ (P. Biehl, Der phänomenologische Ansatz, S.41) Im Zusammenhang mit religiösen Botschaften in Clips hieße dies, sich diesen Botschaften unbefangen zu nähern, ohne sie im Horizont einer kirchlich-dogmatischen Fassung des Christentums zu bewerten. Gewährsmann für Biehl ist neben Edmund Husserl nun Paul Tillich, der in seiner Systemtischen Theologie in der Tat einen phänomenologischen Ansatz zu Grunde legt (vgl. etwa Systematische Theologie Bd.1, S.129-131). In Tillichs Gefolge empfiehlt auch Horst Albrecht, ‘die Religion der Massenmedien als eigenständige Größe zu begreifen, und ihre Gestalt unmittelbar an der Gegenwart abzulesen, und das heißt ..., sich der Religion empirisch zu nähern.’ (Die Religion der Massenmedien, S.140f.).
3. Erfahrungen in einem Unterrichtsversuch
Es soll nun eine sechsstündige Unterrichtseinheit über den Videoclip zum Earthsong beschrieben und über Erfahrungen, die ich damit in einem Religionsgrundkurs des 12. Jahrgangs gemacht habe, berichtet werden.
In der ersten Stunde wird ohne jedwede Nennung eines Themas oder Erläuterungen ein Film und eine anschließende Phase für Spontaneindrücke angekündigt; der Clip und zunächst auch nur der Clip (nicht etwa auch der Liedtext) soll wegen des phänomenologischen Ansatzes im Zentrum stehen. Die Schülerinnen und Schüler können Spontaneindrücke nennen und Vermutungen über die Intention des Clips anstellen. In dem von mir durchgeführten Unterrichtsversuch entdeckten die Schülerinnen und Schüler sehr schnell die meisten religiösen Elemente, hatten allerdings auch Vorbehalte gegenüber der Ernsthaftigkeit des ganzen Clips und vermuteten ideologiekritisch, alle eingesetzten Stilmittel dienten letztlich nur dem Verkauf der Platte. Um in der nächsten Stunde eine ausführliche Analyse des Clips im Hinblick auf seine religiösen Botschaften durchführen zu können, sollen die Schülerinnen und Schüler anschließend selber Erschließungsfragen und Sehaufträge für die nächste Stunde formulieren. Dadurch wird ein selbstbestimmteres Arbeiten und Lernen ermöglicht, als es der Fall wäre, wenn die Analysefragen von der Lehrkraft gestellt würden.
In der zweiten Stunde kann man evtl. Hinweise zur phänomenologischen Methode geben: Zwar ist es richtig, dass die religiösen Botschaften in dem Clip wohl dem Zweck dienen, den Absatz der entsprechenden Platte zu steigern. Dies setzt jedoch voraus, dass religiöse Anspielungen und Botschaften genau dazu beitragen, also bei den Konsumenten entsprechende Bedürfnisse vorhanden sind. Daher lohnt es sich, die Anspielungen und Botschaften zu analysieren und zu verstehen. Das Hauptthema der zweiten und dritten Stunde (möglichst Doppelstunde) ist dann nach dem nochmaligem Sehen des Clips und der Lektüre des Liedtextes die genaue Analyse mit Hilfe der von den Schülerinnen und Schülern selber erarbeiteten Sehaufträgen und Fragestellungen. Die Lehrkraft kann die gesammelten Fragen zu Themenblöcken bündeln, evtl. behutsam ergänzen und als Arbeitsblatt verteilen, so dass die Analyse in arbeitsteiliger Gruppenarbeit geschehen kann. Folgende vier Gruppen wären z.B. denkbar:
1. Clip und Liedtext 1. Auf welche religiösen Botschaften wird im Text angespielt? 2. Wer ist im Text mit dem Pronomen ‚you‘ angesprochen? 3. Auf welche Ereignisse der Welt wird angespielt (welche Länder, welche Konflikte)? |
2. Thema und Inhalt des Clips 1. Was ist (knapp und präzis formuliert!) das eigentliche Thema des Clips? 2. Wie ist der Clip aufgebaut? (Wie folgen die Sinnabschnitte aufeinander?) 3. Welche Botschaft (knapp und präzis formuliert!) will der Clip transportieren? Was ist der Antrieb / die Motivation für das Thema des Clips? |
3. Die Rolle der Hauptfigur im Clip 1. Welche Tätigkeiten vollführt Michael Jackson nacheinander? Wodurch kommt der Umschwung zustande? 2. Welche Elemente deuten auf eine Stilisierung zum Messias? 3. Wird eine Begründung für das Messias-Sein gegeben? |
4. Religiöse Zeichen und Symbole im Clip 1. Welche Zeichen und Symbole treten auf? 2. Was bedeuten sie in der Religion / in dem Kontext, aus dem sie stammen? 3. Wofür werden sie im Clip jeweils eingesetzt? |
Nach der Gruppenarbeit können die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig ihre Ergebnisse präsentieren, z.B. mit Hilfe von OH-Folien. Es kann sich eine Zuspitzungsphase anschließen, in der sie anhand ihres zusammengetragenen Materials nun einzelne knappe religiöse Botschaften heraus filtern und diese in Seins- oder Sollenssätzen formulieren. Z.B. hat die Aufnahme des biblischen Symbols Paradies im Clip offenbar die Funktion, die Botschaft zu vermitteln ‚Der Mensch hat die Natur schuldhaft zerstört.‘ Und das Auslösen des Sturmes durch Michael Jackson soll evtl. die Botschaft vermitteln ‚Wenn jeder Mensch sich engagiert, ändert sich etwas.‘ In meinem Unterrichtsversuch schloss sich hier eine interessante Diskussion an, in der die Schülerinnen und Schüler über den Sinn des Gebetes und die Theodizeefrage diskutierten – was um so erstaunlicher war, da dies gar nicht geplant war – und zu beeindruckenden Ergebnissen kamen. So wurde heraus gearbeitet, dass der Sinn des Gebetes nicht darin bestehen könne, Menschen in Passivität zu versetzen, sondern darin, ihnen durch ein erneuertes Gottesverhältnis neue Kraft zu bringen. Besonders erstaunlich und beeindruckend waren die Ansätze zu einer Antwort auf die für Schülerinnen und Schüler in diesem Alter so wichtige Theodizeefrage. Eine Schülerin sagte: ‘Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, Gott alles Elend dieser Welt vorzuwerfen. Einmal sind an einigen Dingen auch wir mitschuldig; und außerdem ist Gott ja nicht verpflichtet, immer der ‚liebe‘ Bilderbuch-Gott zu sein.’
Das schwierigste religionspädagogische Problem im Zusammenhang dieses Projektes stellt sich in der vierten Stunde: Kann man dem Clip einen biblischen Text oder gar mehrere gegenüberstellen? Und wenn ja: wie? Grundsätzlich wäre es ja auch möglich, die Unterrichtseinheit nun zu beenden. Allein, es wäre die Chance vertan, die Einsichten über Religiosität in Clips zurückzubeziehen auf biblisch begründete Religiosität. Hier lauert allerdings eine Gefahr: Würde man jetzt z.B. die biblische Schöpfungsgeschichte lesen, erhielten die Schülerinnen und Schüler wahrscheinlich den Eindruck, nun lasse die Lehrkraft ‚die Katze aus dem Sack‘ und zeige ihnen, wie es eigentlich ‚richtig‘ sei. Sie gewännen den Eindruck, der Clip solle nun gleichsam an der Norm der Bibel gemessen werden. Die bisherigen Vorschläge in der Literatur zur Vermittlung von Videoclip und biblischer Tradition sind nicht hinreichend: So fällt z.B. die Anleitung Hans Günther Heimbrocks eher dürftig aus: ‘Aber es lohnt den Versuch, sie [sc. die biblischen Traditionen] von den Grundthemen [sc. die in modernen Medien wie Videoclips angesprochen werden] her neu ins Spiel der eigenen Weltbildklärung von jungen Menschen zu bringen.’ (Gelebte Religion im Klassenzimmer?, S.255). Und Mertin nennt zu vielen der in seinem Buch besprochenen Clips zwar Bibeltexte und Fragestellungen, über die Art und Weise ihrer didaktischen und methodischen Einbindung sagt er aber wenig. Zu einem Clip der Sängerin Madonna schlägt er der Lehrkraft lediglich vor, zu sagen: ‘Ich behaupte einmal, Madonnas Clip ist eine lebendige und anschauliche Umsetzung von Jesaja 42,7 und Matthäus 25,35ff. Was haltet ihr von dieser Behauptung?’ (Like a sign, S.121, Anm. 78.). Ein solches Vorgehen würde sich m.E. massiv der oben beschriebenen Gefahr aussetzen.
Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet es sich daher eher an, dem Clip einen solchen Bibeltext gegenüberzustellen, der weniger konfrontierend als vielmehr paralleliserend wirkt: Die Schülerinnen und Schüler sollen durch die Gegenüberstellung von Clip und Text nicht beurteilend vergleichen und den Clip an der Norm der Bibel messen, sondern im Sinne der phänomenologischen Methode erfahren, dass es auch andere Medien gibt, die solche religiösen Themen wie der Clip behandeln. Daher muss der auszuwählende Text möglichst ein ähnliches Thema haben wie der Clip, in unserem Falle also Zerstörung und Rettung der Erde und wie der Clip dramatisch und szenisch gegliedert reiches Bildmaterial präsentieren. Auf der Suche nach einem solchen Text trifft man auf einen auch von Mertin zur Gegenüberstellung mit dem Clip zum Earthsong vorgeschlagenen Text, nämlich Jesaja 24,1.3-6; 25,6-9. Dieser Text wirkt fast wie ein Drehbuch und ist daher in seiner Struktur dem Clip ähnlich.
Jesaja 24, 1.3-6 und 25, 6-9 24 1 Siehe, der HERR macht die Erde leer und wüst und wirft um, was auf ihr ist, und zerstreut ihre Bewohner. [...] 3 Die Erde wird leer und beraubt sein; denn der HERR hat solches geredet. 4 Das Land verdorrt und verwelkt, der Erdkreis verschmachtet und verwelkt, die Höchsten des Volks auf Erden verschmachten. 5 Die Erde ist entweiht von ihren Bewohnern; denn sie übertreten das Gesetz und ändern die Gebote und brechen den ewigen Bund. 6 Darum frisst der Fluch die Erde, und büßen müssen's, die darauf wohnen. Darum nehmen die Bewohner der Erde ab, so dass wenig Leute übrigbleiben. 25 6 Der HERR Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. 7 Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. 8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat's gesagt. 9 Zu der Zeit wird man sagen: ‘Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.’ |
Auf eine ausführliche Analyse des Textes verzichte ich und nenne die wesentlichen Vergleichspunkte:
Text und Clip sind szenisch gegliedert und dramatisch aufgebaut. Beide leben von der Imaginationskraft der Bilder und sind Träger und Ausdrucksmedium für bestimmte religiöse Botschaften: In beiden Medien wird ein Szenario von der Verwüstung der Erde sowie ein Umschwung geschildert. Der Clip sieht die Schuld und Wirkursache für den beklagenswerten Zustand allein beim Menschen, der Text hingegen sieht die Schuld zwar ebenfalls beim Menschen, die Wirkursache jedoch bei Gott.
Der Text des Liedes vermittelt die religiöse Botschaft, Gott tue nichts für die Menschen und verhindere die Zerstörung der Erde nicht, während der Bibeltext Gott sehr wohl eine Tätigkeit zuschreibt, nämlich (wegen der Schuld der Menschen) selber die Zerstörung herbeizuführen (!). Der Umschwung im Clip wird zwar metaphysisch dargestellt, hat aber doch eher eine ethische Aussagerichtung, während Jes24f den Umschwung direkt und ausschließlich Gott zuschreibt.
Diesen Zusammenhang zwischen Clip und Text sollen die Schüler und Schülerinnen möglichst selber entdecken. Daher wird der Text ohne Einleitung vorgelesen und nach einem stummen Impuls auf ihre Reaktionen gewartet. Ob sie den Zusammenhang entdecken, ist nicht gewiss, da Schülerinnen und Schüler bekanntlich, sobald sie im schulischen Kontext einen Text vorgelegt bekommen, geradezu darauf konditioniert sind, Standardfragen zu beantworten wie ‚Was steht denn da so drin?‘ - ‚Was will der Autor wohl sagen?‘ - ‚Was ist die Hauptthese in dem Text?‘. Hier kann man auf die Wirkmächtigkeit der Bilder hoffen, sowohl der des Clips als auch der des Bibeltextes. Sobald die Schülerinnen und Schüler eine erste Ähnlichkeit namhaft machen, kann die Frage nach weiteren Ähnlichkeiten und Unterschieden gestellt werden. In meinem Unterrichtsversuch wussten die Schülerinnen und Schüler in der Tat zunächst nicht, worum es gehen sollte und begannen ein im Grunde beliebiges Gespräch, indem sie den Text philologisch–hermeneutisch traktierten. Sie hatten den Clip und seine Bilder mehr oder weniger zu den Akten gelegt. Eine Schülerin antwortete auf die Frage, ob es Bezüge zum Clip gebe: ‘Ja, dass am Anfang des Bibeltextes die Erde leer und wüst ist und am Ende, nachdem der Herr alle Tränen abgewischt hat, gesagt wird ‚Lasst uns jubeln über sein Heil.‘ Aber das ist ja ein typischer Text, wie er auch sonst in der Bibel steht.’ In diesem Beitrag sehe ich einen Wendepunkt dieser Stunde: Er zeigt exemplarisch, wie Schülerinnen und Schüler sich daran gewöhnt haben, dass in der Bibel allerlei steht, dass es aber gewissermaßen a priori unbedeutend ist, was in der Formulierung ‘Aber das ist ja ein typischer Text, wie er auch sonst in der Bibel steht’ zum Ausdruck kommt. Aber durch die Gegenüberstellung mit einem anderen, den Schülerinnen und Schülern ‚unverdächtigen‘ Medium, das ähnliche Botschaften transportiert, kann sich ein neuer, unerwarteter Zugang zu den Inhalten von Bibeltexten ergeben.
Es ist sinnvoll, diesen unerwarteten Zugang nun auch für einen produktiven Umgang zu nutzen: Am besten wäre es, wenn die Schülerinnen und Schüler nun selber einen Clip zu Jes24f drehen würden, was aber sehr aufwendig werden kann. Das didaktische Interesse bleibt jedoch auch gewahrt, wenn man überhaupt einen produktiven Umgang mit dem Text wählt, wobei die didaktische Leitidee dabei ist, dass eine Analogie entsteht: So wie ausgehend vom Liedtext des Earthsong der Clip entstanden ist, können die Schülerinnen und Schüler ausgehend vom Text Jes24f etwas produzieren mit dem Ziel, zu erfahren und zu erleben, dass die Betrachtung und Deutung der Gegenwart Ausgangspunkt für das Entwerfen von sprechenden Bildern ist. So können sie etwa selber ausdrücken, welche Ereignisse der Welt sie als ‚leer und wüst‘ (so der Text an der Stelle 24,1) empfinden. Sie sollten nach ihren künstlerischen Vorlieben selber die Art eines produktiven Umganges wählen, etwa einen farblich-künstlerisch (z.B. Collagen, Bilder, storyboards), einen musikalisch (z.B. eigene Kompositionen, neue Texte auf bekannte Melodien) oder einen körperlich (z.B. Standbilder, szenisches Spiel) akzentuierten produktiven Umgang. Durch dieses handlungs- und produktionsorientierte Vorgehen können sie einen anderen als nur kognitiven Zugang zu den in Clip und Bibeltext angesprochenen Themen gewinnen, Selbständigkeit erfahren und einüben, sich dadurch eher mit dem Gegenstand identifizieren und sich ihrer Interessen bewusster werden.
In der fünften Stunde meines Unterrichtsversuches (einer Doppelstunde) machten sich die Schülerinnen und Schüler beherzt ans Werk und arbeiteten in Gruppen oder alleine an ihren Produkten, die sie in der sechsten Stunde präsentierten und kommentierten, indem sie die an einer Pinwand befestigten Produkte wie in einem Museum betrachteten und anschließend Eindrücke und Fragen ausgetauschten.
4. Auswertung
Zusammenfassend lässt sich über die Arbeit mit Videoclips im Religionsunterricht Folgendes sagen: Obwohl den Schülerinnen und Schülern das Medium Videoclip sehr vertraut ist und sie keine Schwierigkeiten mit der Rezeption haben, ist den meisten von ihnen nicht bewusst, dass Clips religiöse Botschaften transportieren. Aufgrund ihrer Fähigkeiten im Umgang mit dem Medium können sie aber, wenn es im Unterricht gefordert wird, religiöse Elemente erkennen und benennen. Über die so entdeckten religiösen Botschaften in Videoclips sind sie selber erstaunt.
Insgesamt sind Schülerinnen und Schüler durch Clips überdurchschnittlich motiviert, sich mit religiösen und christlichen Themen zu beschäftigen und tun es auf recht selbstbestimmte Weise, was darin gipfeln kann, dass sie sogar selber Themen ansteuern, die nicht geplant sind. Diesen erstaunlichen Befund möchte ich mit dem Begriff des Katalysators beschreiben: Der Clip wirkt gewissermaßen als ein Katalysator, indem er die Schülerinnen und Schüler motiviert, eigenständig religiöse Themen anzusteuern, die ihnen persönlich wichtig sind, und zu diesen Themen Erkenntnisse evoziert, die sie auf andere Weise vermutlich nicht so eigenständig und von innen her erlangen würden! Sollte diese Katalysatorfunktion auch bei anderen Clips anzutreffen sein, wäre dies nun allerdings eine kaum zu überschätzende Eigenschaft von Videoclips: Denn von welchen traditionellen Medien des RU könnte man dies ebenfalls sagen? Gewiss können Schülerinnen und Schüler in der Regel einen Text zusammenfassen und seine Aussage erheben, Argumente für oder gegen eine von der Lehrkraft vorgetragene These nennen, oder Personen auf einem Kunstbild beschreiben, aber das alles lässt sie meistens unberührt – nicht so bei Videoclips! Sie sind die eigenen Medien der Jugendlichen, in ihnen sind sie zu Hause, fühlen sich dem Lehrer überlegen und interpretieren sie im Horizont ihrer eigenen religiösen Fragestellungen, indem sie sich selber auf die Suche nach Themen machen, die ihnen in den Clips angesprochen zu sein scheinen und die sie bewegen. Die Rolle des Lehrers kann sich in einem solchen Fall darauf beschränken, den Schülerinnen und Schülern die Deutungskompetenz zu verleihen, überhaupt religiöse Elemente und Botschaften in Clips zu entdecken, wie Mertin zutreffend beschreibt (vgl. Videoclips im RU, S.17).
Die Schülerinnen und Schüler glauben aber, dass die religiösen Botschaften nicht immer ernst gemeint sind und vermuten daher ‚ideologiekritisch‘ hinter der Verwendung religiöser Elemente eher kommerzielle Interessen, die sie verurteilen. Leuchtet ihnen der religionsphänomenologische Zugang nicht hinreichend ein, empfinden sie die Frage nach religiösen Botschaften in Clips als obsolet, weil man mit ihr jedenfalls nicht die intentio auctoris trifft. Den Clips haftet also selbst immer schon eine gewisse Ambivalenz an. Genau dies dürfte die Grenze der Leistungsfähigkeit von Clips im Religionsunterricht sein: Man findet zwar immer wieder religiöse Elemente oder Stellen, weiß aber auch, dass sie nicht immer ernst gemeint sind. Das ist unter motivationalen Gesichtspunkten gesehen unbefriedigend und sogar verwirrend. Wenn Mertin also sagt, man könne anhand von Clips über ‘religiöse Fragen ... jedenfalls ebenso gut ... diskutieren, wie an den ... Werken der Kunstgeschichte’ (A. Mertin, Videoclips im RU, S.14), ist das auf den ersten Blick zwar richtig, unterschlägt aber, dass ‘religiöse Fragen’ nicht losgelöst von ihren Trägern betrachtet werden können. Das Medium Clip gibt in Wahrheit wegen seiner mehrdeutigen Intentionen bereits eine gewisse Richtung der Diskussion, nämlich eine ideologiekritische, vor. Diese hat zur Folge, dass den Schülerinnen und Schülern der Blick darauf verstellt wird, ob die im Clip explizierte Religiosität ihre eigene sein könnte. Es sieht so aus, als lehnten sie die Thematisierung von Clips im Unterricht nicht etwa schon deswegen ab, weil sie zu ihrem Freizeitbereich gehören, sondern sie werden erst dann misstrauisch, wenn die Religionslehrkraft in ihre Freizeitbeschäftigung mehr Religion hinein lesen will, als sie es gewohnt sind und als ihnen plausibel ist – sie meinen sich in dem Medium besser auszukennen als die Lehrkraft und unterstellen ihr daher eine gewisse ‚Überinterpretation‘.
Es ergibt sich daher die Konstellation einer Medaille mit zwei Seiten: Clips wirken motivierend auf Schülerinnen und Schüler, so dass sie anlässlich der Clips religiöse Themen ansteuern, die ihnen wichtig sind. Diese Themen sind aber nicht unbedingt die gleichen wie jene, die auch die Lehrkraft für die entscheidenden hält. Didaktisch ist es also geboten, abzuwarten, welche religiöse Themen die Schülerinnen und Schüler in dem Clip entdecken und wie sie darüber sprechen, und nicht so sehr den Schülerinnen und Schülern gegenüber zu behaupten, der Clip transportiere offenkundig diese oder jene Botschaft, die man systematisierend dogmatisch beschreiben könne. Denn wenn die Schülerinnen und Schüler die vom Lehrer benannten religiösen Botschaften mit dem ideologiekritischen Argument beargwöhnen, sie seien nicht ernst gemeint, könnte dies auch ein Hinweis auf einen ganz anderen Gedanken sein, den sie anders nicht ausdrücken können, nämlich dass sich die Religion der Clips einer solchen Systematisierung einfach entzieht. Das hat Albrecht richtig gesehen, indem er im Hinblick auf eine Theologie der Medien fordert, man müsse ‘ganz einfach darauf verzichten, ihre Inhalte in Analogie zu denen der Dogmatik oder der Systematik der christlichen Theologie zu formulieren. Versucht man das trotzdem, sind nicht nur die Erfolgsaussichten vage. Die Theologie steht sich dann bei der Wahrnehmung neuer Religion auch selbst im Wege.’ (Die Religion der Massenmedien, S.141).
Die in den Clips ausgedrückte Religiosität lässt sich auch mit der biblischen Tradition vermitteln. Die Schülerinnen und Schüler stellen immer wieder von selbst Bezüge her; die Gegenüberstellung des Clips und Jes24f in meinem Unterrichtsversuch fanden die Schülerinnen und Schüler höchst einleuchtend. Sie fühlen sich durch Clips auch dazu angeregt, ihre eigene Religiosität auszudrücken und durch die produktive Umsetzung sehen einige Schülerinnen und Schüler die Bibel plötzlich in einem anderen Licht: Eine Schülerin sagte, durch die Unterrichtseinheit habe sie eine völlig neue Sichtweise der Bibel gewonnen, indem sie gemerkt habe, dass sie ‘eine Quelle der Kreativität sein’ könne. Das zeigen auch drei exemplarische Produkte, die die Schülerinnen und Schüler in meinem Unterrichtsversuch angefertigt haben (vgl. die drei Beispiele im Anhang): In dem Entwurf eines storyboards (M1) ist im zweiten Bild ein entsetzter Mensch dargestellt, dem angesichts der im ersten Bild vielfältig dargestellten Zerstörung (zerstörtes Haus, Panzer, toter Mensch mit klaffender Kopfwunde, Behälter mit radioaktiver Ladung) offenbar die Nichtigkeit menschlichen Strebens deutlich wird, die hier symbolisiert wird u.a. durch ein Hakenkreuz, die Zahl p und den Ausspruch des von Goethes Faust beschworenen Geistes ‘Du gleichst dem Geist, den du begreifst.’ Im dritten Bild wird der Tod, dargestellt als schwarzer Sensenmann, im wahrsten Sinne des Wortes verschlungen, indem er gleichsam in einem Strudel hinab gezogen wird, und im vierten Bild veranstaltet der Herr, sehr traditionell dargestellt, ein Festmahl. Die Bilder M2 und M3 deuten offenbar die Bibelstellen ‘Der Herr wird den Tod verschlingen’ (Jes25,8) und ‘Der Herr macht die Erde leer und wüst’ (Jes24,1). Der Schüler verbindet hier die ihm vermutlich vertraute Ästhetik von CD-Covers mit einem alttestamentlichen Text zu ausdrucksstarken Bildern.
Als Zusammenfassung lässt sich daher kurz und knapp formulieren, dass die Arbeit mit Videoclips im RU ein sehr lohnendes Unterfangen ist.
Literatur
- Albrecht, Horst: Die Religion der Massenmedien. Stuttgart u.a. 1993.
- Biehl, Peter: Der religionsphänomenologische Ansatz in der deutschen Religionspädagogik, in: Heimbrock, H.G. (Hrsg.): Religionspädagogik und Phänomenologie, S.15 - 46.
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- Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen. Frankfurt/M. 1999.
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