Die Straße zum Himmel als Weg zur Mitte? – Bewegende Bausteine zur Frage nach dem größten Gebot

von Siegfried Macht 

 

Auf die Frage nach dem höchsten Gebot antwortet Jesus in den synoptischen Evangelien (Mt 22,34 ff - Mk 12,28 ff und Lk 10,25 ff) mit der Zusammengehörigkeit von Gottes- und Nächstenliebe. In diesen beiden ist das ganze Gesetz im dialektisch doppelten Wortsinn “aufgehoben”. Mit dieser Antwort hilft Jesus der Verwirrung der nicht “schriftgelehrten” Zuhörer, die sich in der Vielfalt der Auslegungen des mosaischen Gesetzes kaum noch zurechtfinden konnten. Geschickt begegnet er aber damit auch dem womöglichen Charakter einer Fangfrage seiner gelehrten Gegner (so Mt 22,35b) und vermeidet die Abwertung der anderen Gebote und Regularien: Nichts an Gottes Wort ist “unwichtig”, sondern wer diese beiden Gebote hält, der hält die anderen auto-matisch mit.

Die folgenden Bausteine sollen helfen, diesen Gedanken in vielfältiger Gestal-tung zu vertiefen. Dabei soll insbeson-dere der Weg zur Kreismitte durch die Reflektion von Tanz, Lied und Erzäh-lung als symboldidaktische Entspre-chung zur Antwort Jesu qualifiziert werden. Gleichzeitig soll aber auch gezeigt werden, dass es bei der oft esoterisch bzw. diffus anmutenden Überhöhung der Mitte per se in medita-tiven Tänzen nicht bleiben muss.


Tanzbeschreibung

Version A
Aufstellung im Kreis mit Blick zur Mitte und zu zweit durchgezählt, ungefasst,
Schrittmaß ist die halbe Note.

Refrain
Takt
1 + 2 Einser: 4 Schritte zur Kreismitte (Zweier warten)
3 + 4 Einser: 4 Schritte rückwärts in Ausgangsposition zurück
5 - 8 Zweier wie Einser Takt 1 - 4, mit dem letzten Rückwärtsschritt
schon ein wenig zum ersten Part-ner der folgenden “englischen Kette” wenden:

Strophen
Die Einser wenden sich zum rechten, die Zweier dementsprechend zum linken Nachbarn.
Die Paare reichen sich kurz die rechte Hand, lösen aber sofort wieder, um jeder für sich in Schlangenlinie über die Kreisbahn zu wandern, dem jeweils Entgegenkommenden abwechselnd die rechte oder linke Hand reichend. (Mit je 2 Schritten wird ein neuer Partner erreicht;
der 7. Partner ist der letzte, für den Platzwechsel mit ihm stehen 4 Schritte zur Verfügung um die Front wieder zur Mitte auszurichten)
Die Strophe evtl. wiederholen, um der Kette genügend Zeit zur Entfaltung zu geben. Nun kann der siebte Partner (mit 4 Schritten) so umwandert werden, dass nach einer halben Drehung jeder in der Gegenrichtung weiterläuft. In dieser Richtung wird nun (sich zuerst die linke Hand gebend) wieder bis zum 7. Partner gewandert (mit 4 Schritten Platzwechsel und Front zur Mitte aus-richten).

Version B: Vereinfachung
Wenn mit jüngeren Kindern die für die Strophen vorgeschlagene Kette zu schwer fällt, bietet sich die folgende Variation an: Die Paare drehen sich 4 Takte rechtsarmig, dann 4 Takte links-armig. Zu dieser “Handtour” reichen also beide einander die erhobene rechte Hand, den Arm im Ellbogen rechtwinklig abgewinkelt. So umwandern sich beide bis jeder wieder auf seinem Platz steht. Dann dasselbe in Gegenrichtung und mit erhobenen aneinander gelegten linken Händen.
Vor dem Richtungswechsel (mit dem 8. Schritt) wird in die Hände geklatscht. Anschließend evtl. Wiederholung der Strophe und dann erst weiter mit dem Refrain (so auch auf der CD).


Zur Methodik
Es bietet sich an, jede Strophe (wie auf dem korrespondierenden Tonträger “Kinder tanzen ihre Lieder”, Bonifati-us-Vlg., Paderborn) nach dem Prinzip “Vorsänger - Alle” zu wiederholen. Auf der CD ist nach dem Gesang der Solis-tin dazu jeweils eine instrumentale Strophe eingefügt, zu der die Tanzen-den echoartig einstimmen können.

Um das Klatschen genau “auf den Punkt zu bringen”, empfiehlt es sich ebenfalls dem Gesang der Solistin zu lauschen: Der Klatscher folgt nun (quasi als akustisches Satzzeichen) jeweils zur Hälfte und am Ende der Strophe in der Pause (und nicht auf die jeweils noch gesungene letzte Silbe). Hilfreich ist auch die Vorstellung, dass wir eigentlich weniger abschließend als auftaktig klatschen: Der Klatscher sollte als Beginn der neuen Einheit empfunden werden.


Ein Rätsel für gute Ohren

Für besonders sensible Hörerinnen und Hörer und alle, deren Gesangbuchkenntnis (EG) noch nicht völlig verkümmert ist, können wir auch eine kleine Hörübung beim zweiten Durchgang versuchen: “Wer erkennt den Choral, der für die abschließende Flötenoberstimme Pate gestanden hat?”
(Es handelt sich um “Die güldne Son-ne”, vgl. Takt 5 - 12 von EG Lied Nr. 449)


Zur Symbolik

Dass die Straße zum Himmel “nicht geradeaus” führt, lässt sich am Ende des Refrains der Melodieführung ab-lauschen, die ebenfalls einen Bogen um die “gerade Lösung” macht. Statt des (nach dem Leitton “fis”) zu erwartenden Grundtones “g” geht die Stimmführung “in die Tiefe”, harmonisch ist die aufzulösende Spannung des Quartvorhaltes hinzugesetzt.
Wer nach biblischen Belegen für solch “krumme” Wege sucht, denke z.B. an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 29 - 37). Auch da ist der “gerade” Weg nicht der “(ge)rechte”, obwohl ihn zwei wohl direkt vom Tempel aus nehmen ... Der Dritte erst, der verachtete Fremde, ist zu jener gefährlichen Abweichung bereit, die dem unter Räuber Gefallenen das Leben rettet.

Auch die schlichte Schrittfolge kann in ihren Raumwegen zeichenhaft er-schlossen werden: Der Weg (aus dem Kreis) zur Mitte zeugt von der Suche des Menschen nach Gott und dem eigenen Ich. Auf den Weg zur Mitte folgt der Rückweg, die Umkehr ist ihm quasi eingeschrieben, sie gehört zum Prozess des Findens wie zum Um-Gang mit dem Gefundenen. Wer Kraft geschöpft hat aus diesem Brunnen (vgl. Joh 4,7 - 15), der sollte sich auf den Weg machen um weitergeben zu können, was durch Teilung nicht weniger wird.

Zwar steht die Mitte für den Ort der Gottesbegegnung, dies darf jedoch weder topographisch noch esoterisch missverstanden werden:
 

  • Wenn auch die Bibel um besondere Orte der Offenbarung weiß, so ist es andererseits gerade deren Vielfalt (Bergspitze, Brunnen, Wasserfurt, Wüste usw.), die keinen Ort als Be-rührungspunkt von Himmel und Erde absolut setzt. Vielmehr ist es die älteste biblische Überlieferungsschicht, deren Rede vom mitziehenden Gott sich solch topographischer Verortung ebenso entzieht wie die spätere apokalyptische Rede von der “kommenden Zeit”, in der “weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem” sondern “im Geist und in der Wahrheit” Anbetung stattfinden wird (vgl. Joh 4,20 - 24).
  • Im übrigen ist das esoterische Missverständnis der Überhöhung besonderer Orte schon den Jüngern Jesu nicht unbekannt: Die synoptischen Evangelien (vgl. Mt 17,1 - 8; Mk 9,2 -8 und Lk 9,28 - 36) berichten von der Verklärung Jesu auf einem “hohen Berg” und der darauffolgenden “Erscheinung” von Mose und Elia vor den Augen dreier auserwählter Jünger. Petrus ist von diesem “übersinnlichen” Eindruck derart begeistert (bzw. nach Mk 9,6 eher verängstigt, dass ihm nichts anderes einfällt als der Vorschlag, hier doch Hütten zu bauen (auch für die dadurch möglicherweise festzu-haltenden Mose und Elia) und zu bleiben. Das Lukasevangelium kommentiert dies fast entschuldi-gend mit “er wußte nicht, was er sagte.” (Lk 9,33) So folgt denn auch alsbald der “Abstieg” und (Mt 17,9 ff bzw. Mk 9,9 ff) ein Gespräch, das, anstatt Verklärung und Erscheinung nachzuhängen, die bevorstehende Passion anspricht (als hätten schon die Evangelisten ein Gespür für das mangelde Verständnis von Kreuz und Auferstehung in den Spielarten esoterischer Christologie).

Nach biblischem Zeugnis geht es nicht um das Festhalten besonderer Erfah-rungen an energiereichen Orten, son-dern um die gemeinschaftsstiftende Mitteilung solcher Erfahrung. Später wird es die Gegegnung mit dem Aufer-standenen sein, die keine(r) für sich allein behalten kann: Der biblische Gott läst sich nicht zur Privatsache machen. Dem Weg zur Mitte folgt der Rückweg wie der Alltag dem Feiertag. Der Weg zu Gott läuft weiter, geht über, mündet in den Weg zum Nächsten und führt wieder zu Gott zurück um nicht in die Sackgasse von Auszehrung und Hel-fersyndrom zu führen. “Die Straße zum Himmel” lässt meinen Raumweg zwar just zum Wortlaut “Himmel” in der Mitte des Kreises ankommen, erinnert aber auch daran, dass eben diese Straße “vor meinem Haus” beginnt: Im Alltag, in jedem Moment, an jedem Ort und in jedem Menschen (meinem “Nächsten”) kann Gott mir näher sein, meiner mehr bedürfen, mich mehr segnen denn je.

So zeigt der Tanzweg in seiner Dreitei-ligkeit (zur Mitte, Rückweg, Drehung mit dem Partner) was nicht auseinanderfallen darf: Die Bibel kennt keine anzustrebende Selbstfindung ohne Gottesbegegnung; Mission und Diakonie, Liebe zu Gott und zum Nächsten gehören ihr untrennbar zusammen.

Der dazu befreite Mensch muss sich nicht mehr um sich selber drehen, ihm ist der Nächste an die Seite gestellt, um den sich zu drehen letztendlich viel befriedigender ist - worauf das Klat-schen in der Partnerbewegung (der Vereinfachung) als Fingerzeig gedeutet werden darf.

Wer die komplexe Fassung mit (engli-scher ) Kette tanzt, erlebt ein weiteres: Immer rechts und links abwechselnd kommen uns Menschen entgegen ... Wie gehen wir mit ihnen um? Zahlrei-che Fernseh- und Kinofilme, vor allem auch diverse Computerspiele kennen den Typ des sich durchkämpfenden Helden. Was da nach rechts und links verteilt wird sind Schläge, wenn es harmlos kommt ... Das Leben, so lehrt uns der Game-Boy, ist ein Dschungel, nur wer die meisten Affen, Ufos und sonstigen Gegner abschießt, kommt durch. Die Bewegung der Kette vermit-telt die gegenteilige Erfahrung: Nur wenn alle einander die Hand geben, sich rechtzeitig “be-greifen” und an der entscheidenden Stelle (Platzwechsel mit dem 7. Partner) zur Umkehr bereit sind, gelingt das Ganze.

“Die Straße zum Himmel führt durch das Leben nur” - slalomartig tanzen wir über die Kreisbahn, folgen dem, “der auf der Spur” ist, um jeweils anschlie-ßend wieder zur Mitte zu wandern: “Die Straße zum Himmel beginnt vor mei-nem Haus” erinnert der Refrain mit seiner beruhigend einfachen Schrittfol-ge zwischen den mehr oder weniger geglückten “Handreichungen” der Strophen.

Der Himmel löst sich im Alltäglichen nicht auf, der Weg zur Mitte meint mehr als Ichfindung (aber die auch) und der in den Blick genommene Nächste ist das Korrektiv (nicht die Verhinderung) meiner Selbstverwirklichung.


Weg- und Kreisgedanke: Kein Widerspruch

Die obige Erinnerung an den mitzie-henden Gott Israels, den Befreier aus der Knechtschaft Ägyptens, den Schöpfer Himmels und der Erde weist ihn als Gott der Geschichte aus. Sym-boldidaktisch gesprochen korrespon-diert solcher Vorstellung die Linie mit Anfang und Endpunkt: Wenn auch ein Davor und Danach in Gottes Ewigkeit ruhen, so bleibt die Linie als Abbild der Historizität Gottes und seines je einma-ligen Handelns und seiner je originalen Geschöpfe als Gegenüber der Erstim-puls für einen gestalteten Raumweg in biblischer Tradition und verweist den Kreis als Zeichen des gleichbleibend Wiederkehrenden mit möglichen Asso-ziationen von Wiedergeburt usw. in den Zeichenkreis fernöstlicher Religiosität. Nicht zuletzt deswegen ist womöglich die Prozession der gestaltete Raumweg liturgischer Bewegung schlechthin.

Andererseits gehört es gerade zum nicht magischen und über weite Stre-cken entmythologisierenden Geist biblischer Überlieferung, dass Zeichen und Gestaltungsmomente (ebenso wie Orte) nicht per se diese oder jene Bedeutung haben müssen, sondern eine solche erst im jeweiligen Kontext erfahren, wenn auch durch Wiederholung bestimmte Deutungsmuster andere in den Hintergrund drängen können.

So ist etwa der Tanz um das goldene Kalb für Mose nicht etwa deswegen so verwerflich, weil er ein Kreistanz ist, sondern weil er um die falsche Mitte stattfindet: Um die zehn Worte Gottes hätte Moses wahrscheinlich gerne getanzt, egal mit welchen Figuren. Auch kennt die Bibel den “Reigen” (als Rundtanz) durchaus in positivem Kontext (vgl. Ps 30,12; Jer 31,3 und Lk 15,25, hier sogar in einem Gleichnis Jesu vom Reich Gottes).
Last not least begegnet der Kreis als Rad in einer der ausdrucksstärksten Visionen der Gegenwart Gottes (vgl. Hes 1,15) und begegnet als Kerzenrad und Grundriß des himmlischen Jerusa-lems immer wieder in der christlichen Kunst (obwohl die Offenbarung des Johannes diesbezüglich eindeutig von einem Quadrat spricht).

Noch einmal: Elementare geometrische Formen wie z.B. Linie, Kreis und Kreuz kommen in nahezu allen Kulturen und Religionen der Welt vor und erfahren erst im jeweiligen Deutungskontext ihre Spezifizität. Nordamerikanische Indianer und indische Hinduisten im Zeichen des Kreises zusammenzufassen wäre ebenso kenntnisreich wie in allen Kul-turen, in denen Kreuze begegnen, eine visionäre Christologie zu vermuten.

 

Wegsymbolik in einer Weihnachts-Predigt des 4. Jahrhunderts

Ohne aufzubrechen sieht man nichts

... Aber, wendest du ein, wozu brauchten sie überhaupt noch einen Stern, da ja jetzt der Ort bekannt war? Damit sie auch das Kind fän-den. Es gab nämlich sonst keine Anhaltspunkte, dasselbe zu erken-nen; es besaß ja keinen prächtigen Palast, noch war seine Mutter be-rühmt und bekannt.

Folgen also auch wir den Magiern,* und wenden wir uns soviel als mög-lich ab vom heidnischen Leben, auf dass wir Christus schauen können. Auch jene hätten ihn ja nicht gese-hen, wenn sie sich nicht so weit von ihrem Lande entfernt hätten. Lassen wir die irdischen Sorgen. Solange die Magier in Persien waren, sahen sie den Stern; nachdem sie aber Persien verlassen hatten, erblickten sie die “Sonne der Gerechtigkeit”; ja, sie hätten auch den Stern nicht zu sehen bekommen, wenn sie nicht mutig von dort aufgebrochen wären. Darum wollen auch wir uns erheben; und wenn auch alle sich fürchteten, eilen wenigstens wir zum Hause des Kindes! Wenn auch Könige, Völker, Tyrannen uns diesen Weg verstellen wollten, lassen wir deshalb nicht ab vom Gegenstand unserer Sehnsucht. So werden wir alle Hindernisse, die uns entgegenstehen, überwinden.

Wenn jene einen so weiten Weg genommen, um das neugeborene Kind zu sehen, was kannst dann du zu deiner Entschuldigung sagen, wenn du nicht einmal eine kurze Gasse weit gehen willst, um einen Kranken oder einen Gefangenen zu besuchen? Wir haben ja doch schon Erbarmen mit Ermatteten, Gefangenen, selbst mit Feinden; du aber hast nicht einmal Mitleid mit deinem Wohltäter und Herrn. Jene haben Gold dargebracht, du gibst kaum ein Stück Brot her. Jene sahen den Stern und freuten sich; du aber siehst Christus selbst, arm und entblößt, und es rührt dich nicht. Wer von euch, die ihr doch tausend und abertausend Wohltaten von Christus empfinget, hat schon um seinetwillen einen solchen Weg zurückgelegt, wie jene Barbaren, oder vielmehr wie jene Weisesten aller Weisen? Und was sage ich: einen so weiten Weg? Bei uns sind ja schon viele ... so verweichlicht, dass sie, um den Heiland in seiner geistigen Krippe zu sehen, nicht einmal eine Straße weit gehen wollen, ohne ihren Maulesel einzuspannen.

Johannes Chrysostomus (um 350 - 407), Matthäus-Kommentar 7,4.5.

* Chrysostomus meint die “Weisen aus dem Morgenland”

Jesus: Wegweiser, Weggefährte, Weg

In älteren Jahrgängen können ver-schiedene Deutungen der Rolle Jesu in Zusammenhang der Wegsymbolik benannt und reflektiert werden. Mit Hilfe einer Wortkonkordanz kann eine entsprechende Gruppenarbeit damit beginnen, biblische “Weg-Verse” im Allgemeinen und die Jesu im Besonderen zu sichten. Auf jeden Fall sollten auch aus dem Gedächtnis Weggeschichten mit hinzugezogen werden, die evtl. nicht direkt unter “Weg” in der Konkordanz auftauchen. (Wegbegleitung Gottes vom Exodus über die Wüstenwanderung bis zur Landnahme; Weg Jesu mit den Emmausjüngern).

Als optische Unterstützung der Ergeb-nispräsentation kann eine dreispaltige Tabelle mit folgenden Spaltenüber-schriften erarbeitet werden.

Weg weisen Weg be-gleiten Weg sein

Sinnvoll ist die Ergänzung der Tabelle auch um außerbiblische Wegverspre-chungen: Welcher Spalte rechnen wir die politischen, religiösen psychologi-schen u.a. Weg-Worte im Zeitalter der esoterischen und therapeutischen Lebensberatungsannoncen zu? Wohin weist die Suche nach neuen Werten: Werden Zeigefinger erhoben oder ganze Hände gereicht? Die Wegsymbolik mit ihren drei qualitativen Kategorien erweist sich hier als ausgesprochen fruchtbar für eine anregende Diskussion.

Dabei gilt es herauszuarbeiten, daß sich in Jesu Handeln die schon alttestamentlich über die bloße Wegweisung hinausgehende Wegbegleitung Gottes manifestiert, der Sohn Gottes nun sogar Weg selbst wird (vgl.: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben” Jh 14,6). Die darin dialektisch “aufgehobene” Spannung von Weg und Ziel, Gesetz und Evangelium, Anspruch und Zuspruch usw. weist auf das Zentrum des christlichen Glaubens, symboldidaktisch gesprochen: Das Ziel selbst schlägt uns die Brücke über den Abgrund. Unser Weg ist deshalb das Ziel, weil das Ziel uns als Weg entgegenkam. Eine einseitige Beschränkung auf den Aspekt des Absolutheitsanspruches (den die junge Gemeinde Jesus mit Jh 14,6 zuerkennt) verkennt die Gestuftheit dieses Anspruches: Jesu Wegcharakter ist die qualitative Weiterführung von Wegweisung und Wegbegleitung, ist quasi die Einlösung des Versprechens “es ist ein Weg”. Jesus ist der Weg, der sich mit Füßen treten ließ, damit er gangbar wurde. Wenn die neutestamentlichen Quellen dem erhöhten Christus zujubeln, dann haben sie einen Herschaftsanspruch vor Augen, dessen diakonische Reinigung unübertreffbar ist.

“Niemand kommt zum Vater denn durch mich” (Jh 14,6): Es gibt viele Wege, sich Gott (als Monarch, Schöpfer ....) vorzustellen, aber nur einen auf dem Gott sich als Vater (“abba” = “Papa”) vorgestellt hat. Nur in dieser Beziehung ist ein zu Gott kommen ohne jenes todbringende Erschrecken möglich, vor dem sich noch die alttestamentlichen Propheten fürchteten: Die Nähe Gottes unverhüllt zu schauen ist unerträglich.

Vertiefung der Kreis-Symbolik im Märchen

Die oben bereits angesprochene Zu-sammengehörigkeit von Gottes- und Nächstenliebe lässt sich durch Erzählen des folgenden Märchens vorlaufend herausarbeiten oder nachbereitend vertiefen. Die Zuhörer sitzen im großen weiten Kreis, werden im weiteren Verlauf zu den Engeln des Märchens und nehmen die Bewegungsimpulse der Geschichte auf:


Warum die Engel Halleluja singen

Lange bevor die Sonne und der Mond, die Erde und die Sterne ge-schaffen wurden, waren bei Gott die Engel. Und weil viele der Engel gar nicht so recht wussten, was sie die ganze Ewigkeit tun sollten, ver-sammelten sie sich eines Tages um den Herrn des Himmels und baten ihn, dass er sich doch etwas von ihnen wünschen solle.

Der aber, als hätte er nur darauf gewartet, sprach: “Rückt alle ein wenig mehr zusammen, aber so, dass jeder jedem am nächsten steht”.

Also rückten sie alle einander näher, aber oh weh: Kaum rückte der eine seinem rechten Nachbarn näher, war er vom linken nur umso weiter entfernt. Und rückte er auf diesen zu, so musste er jenen allein lassen. Nachdem sie so eine Weile ratlos hin und hergegangen waren und in einem großen weiten Kreis um den Herrgott standen, sprach Gabriel:

“Nicht nach rechts oder links lasst uns gehen, sondern noch weiter auf den Herrn zu, so weit es irgend geht, so kommen wir auch uns ei-nander näher, dass es näher nicht geht.”

Und gesagt, getan fanden sie sich zum engsten Kreis und singen seit-dem ihr “Gelobt sei Gott” nicht etwa weil Gott des Lobes bedürfte, wie ein König, der sich zu rühmen auf die Tagesordnung setzt, sondern weil sie nirgendwie anders alle ei-nander so nahe kamen wie im Zu-gehen auf Gott.
 

aus: Macht, Siegfried. Jeder schweigt anders. Don Bosco Verlag, München 1995, 2. Aufl.