Das in Kürze beginnende Jahr 2000 weckt unterschiedliche Gedanken und Erwartungen. Sie schwanken zwischen hochgespannten Hoffnungen und düsteren Katastrophenszenarien. Dazwischen liegt auf einer anderen Ebene die Suche nach dem besonderen “Event”; das für den Silversterabend geplante große Feuerwerk in Berlin steht dafür als symbolträchtiges Ereignis, um den Beginn des neuen Jahrhunderts und des neuen Jahrtausends angemessen zu feiern.
Die wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften wecken die Erwartung auf weiteren Fortschritt. Allerdings ist in den letzten Jahrzehnten auch die Ambivalenz des Fortschritts und die Grenze des Machbaren deutlicher als früher zum Bewusstsein gekommen. So verwundert es nicht, dass auf der anderen Seite Befürchtungen vor künftigen Katastrophen oder ausgesprochene Endzeitstimmungen sich ausbreiten.
Apokalyptik – Faszination und Gefahr
Das Stichwort von der “Apokalypse” hat neue Aktualität gewonnen. Zwischen der ursprünglichen Apokalyptik, die ihren Höhepunkt in der Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament hatte, und apokalyptischen Motiven in gegenwärtiger Zeitdeutung besteht allerdings ein erheblicher Unterschied. Das Wort “Apokalypse” lässt heute vor allem an Krisen und Katastrophen bis hin zur Zerstörung der Erde denken. “Im Gegensatz zu religiöser Apokalyptik fehlt die Hoffnung auf die neue Welt. Es gibt Endzeitbewußtsein ohne Erwartung neuer Zeit” .
Die Bibel selbst enthält Traditionen der Apokalyptik (z.B. im Buch Daniel, in der “synoptischen Apokalypse” Mk. 13 par. und vor allem in der Offenbarung des Johannes). Im Kern besteht jedoch zwischen der biblischen Botschaft und wesentlichen Momenten der Apokalyptik ein erheblicher Unterschied. Das wird bereits daran deutlich, dass im Neuen Testament die Versuche, den Zeitpunkt für das Weltende und das endgültige Kommen des Reiches Gottes anzugeben, nachdrücklich abgewiesen werden. In dem Mk. 13, 32 überlieferten Jesuswort heißt es: “Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater”.
“Wann kommt das Reich Gottes?” Die Antwort, die Jesus auf diese Frage gibt, ist besonders aufschlussreich für seine Botschaft und das in ihr begründete Verständnis der Zeit: “Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch!” (Luk. 17, 20f). Auch hier wird deutlich gesagt: Der Zeitpunkt für das Kommen des Reiches Gottes lässt sich nicht berechnen. Vielmehr wird die bereits gegenwärtige Erfahrung angesprochen: “die Gottesherrschaft ist in euren Erfahrungsbereich eingetreten” . Im Reden und Tun Jesu wird den Menschen die Gottesherrschaft zur gegenwärtigen Wirklichkeit.
Die Apokalyptik unterscheidet zwischen der gegenwärtigen Weltzeit und der kommenden Zeit Gottes. Die Gegenwart wird damit zur bloßen Vorzeit des zukünftigen Heils. In der Verkündigung Jesu dagegen erstreckt sich die Gottesherrschaft von der Zukunft bis in die Gegenwart herein. Damit wird die Gegenwart zur entscheidenden Zeit. “Nach Jesus ist es gerade die Qualität der Gegenwart, die zur Hoffnung auf die universale Güte der Zukunft berechtigt.
Anlaß zur Hoffnung auf die Gottesherrschaft gibt das Fragment des Guten im Jetzt” .
Aufgrund dieser am Neuen Testament gewonnenen Erkenntnisse sollte man vorsichtig sein, apokalyptische Motive zur Deutung geschichtlicher Ereignisse wie der Jahrtausendwende heranzuziehen. Der christliche Glaube enthält kein geheimes Wissen, zu welchem Zeitpunkt die Vollendung des Reiches Gottes kommen wird. Nimmt man die Intention der Botschaft Jesu ernst, dann ist die Frage nach dem Zeitpunkt gerade überholt. Darüber hinaus ist der christlichen Botschaft keine Gesamtdeutung der Geschichte zu entnehmen, so dass es nicht möglich ist, in diesem Rahmen dem neuen Jahrtausend eine besondere religiöse Qualität zuzusprechen.
Erinnerung – und noch mehr
Das Ereignis der Jahrtausendwende lässt die Frage nach der Zukunft aktuell werden; zugleich aber geht es um geschichtliche Erinnerung; denn schließlich ist das geschichtliche Ereignis der Geburt Jesu die Grundlage für die Zeitrechnung, nach der nun das Jahr 2000 bevorsteht. Bekanntlich gibt es dafür keine genauen Angaben im Neuen Testament; keine neutestamentliche Schrift überliefert das Jahr und den Tag, an dem Jesus geboren ist. Im 4. Jahrhundert wurde in Rom das Fest der Geburt des Erlösers auf den 25. Dezember festgesetzt. Im 6. Jahrhundert unternahm dann der Mönch Dionysius Exiguus den Versuch, das Geburtsjahr Jesu zu ermitteln und damit den Anfang der christlichen Zeitrechnung festzulegen. Dabei sind allerdings einige Fehler und Ungenauigkeiten unterlaufen. Wie man heute allgemein annimmt, ist Jesus wahrscheinlich bereits einige Zeit vor dem errechneten Jahr 0 geboren – zwischen 7 und 4 v.Chr.
Die neutestamentlichen Überlieferungen haben kein Interesse an genauen biographischen Daten. Sie betonen jedoch sehr nachdrücklich, dass Jesus als Mensch unter Menschen gelebt hat. Die Geschichte seines Lebens und Wirkens ist mit den Zusammenhängen der Weltgeschichte verflochten. Dies bringt der Evangelist Lukas in den bekannten Worten am Beginn der Weihnachtsgeschichte zum Ausdruck: “Es begab sich aber, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging....” (Luk. 2,1) – in dieser geschichtlichen Situation wird Jesus geboren.
Lukas beschränkt sich allerdings nicht auf den Bericht historischer Fakten; sondern er erzählt dieses Ereignis in seiner Bedeutung für die Menschheit. Seine Erzählung ist ein Stück Verkündigung – “Evangelium”, also gute Nachricht. Entsprechendes lässt sich beim Evangelisten Matthäus beobachten. Matthäus überliefert im Rahmen seiner Geburtsgeschichten die Erzählung vom Stern, durch den die Weisen aus dem Morgenland das Kind in Bethlehem finden – damit tritt die unscheinbare Geburt als die Sternstunde für die Welt in Erscheinung. Diese Erfahrungen der frühen Christen waren der Grund, dass in späterer Zeit die Geschichte Jesu und speziell seine Geburt zum Anfang der christlichen Zeitrechnung wurde. –
Jesus hat als Gestalt die Geschichte Spuren hinterlassen; von ihnen geht eine vielfältige Wirkungsgeschichte aus; die Zeitrechnung, die bis zu den heutigen Kalendern maßgebend ist, ist dafür nur ein Beispiel. So wichtig ist es, diese Wirkungsgeschichte Jesu in unserer heutigen Lebenswelt wahrzunehmen, so ist doch zugleich zu beachten, dass sich im Sinne des Neuen Testaments die Bedeutung Jesu nicht in seinen geschichtlichen Nachwirkungen erschöpft. Vielmehr kommt ihm in der Perspektive des Glaubens noch eine Bedeutung ganz anderer Art zu. Dies wurde bereits bei den Geburtsgeschichten der Evangelien angesprochen. Es soll jetzt an einer zentralen Aussage des Paulus aus dem Galaterbrief aufgezeigt werden. Diese Einsichten ergeben dann zugleich einen wichtigen Ansatzpunkt für die Bedeutung der christlichen Botschaft angesichts der Jahrtausendwende.
Die “Fülle der Zeit” – das Christusgeschehen
Es ist ein Zusammenhang, in dem Paulus grundlegende Einsichten des christlichen Glaubens sehr prägnant und konzentriert zur Sprache bringt.
“Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
damit er die, die unter dem Gesetz waren, befreite,
damit wir die Sohnschaft empfingen.
Weil ihr nun Söhne (und Töchter) seid,
hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gegeben,
der da ruft: Abba, lieber Vater!” (Gal. 4,4-6).
- In der jüdisch-christlichen Tradition haben Zeit und Geschichte besondere Bedeutung. Charakteristisch ist dabei der Unterschied zu einer zyklischen Weltauffassung, in der es um die Wiederholung des Gleichen geht. In der Geschichte gibt es das Unerwartete, das Neue. So kann Paulus hier von unterschiedlichen Zeiten sprechen. Es gibt Zeiten der Vorbereitung, die auf ein besonderes Ereignis hinführen. So gewinnt mit dem Kommen Jesu die Zeit eine besondere Qualität: Die Zeit war “erfüllt”.
- Jesus von Nazareth ist für Paulus wie für das ganze Neue Testament eine konkrete Gestalt der Geschichte. Paulus beschränkt sich aber nicht auf die Mitteilung dieser historischen Tatsache; vielmehr beschreibt er vor allem die Bedeutung dieses Ereignisses aus der Sicht des Glaubens; Paulus deutet das Christusgeschehen mit den Worten: “Gott sandte seinen Sohn.”
- Wenn im Urchristentum Jesus als der “Sohn” bezeichnet wird, dann kommt darin zum Ausdruck: Er ist nicht aus den menschlichen oder welthaften Maßstäben, er ist nur von Gott her zu verstehen. Dabei bezeichnet der Würdetitel “Sohn” keine naturhafte Qualität, sondern vielmehr die ungebrochene Einheit, in der Jesus mit Gott lebt, und den einzigartigen Auftrag, den er – von Gott gesandt – wahrnimmt.
- Jesus hat ganz am menschlichen Leben teil. Darum geht es, wenn Paulus sagt: Jesus ist “geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan.” Mit dem “Gesetz” ist im Bereich Israels die Tora gemeint, also die göttliche Weisung, die sich in den Geboten konkretisiert. Im Heidentum gibt es in entsprechender Weise Forderungen, die der Mensch in seinem Leben verwirklichen soll. Wenn Paulus sagt, Christus ist “unter das Gesetz getan”, dann hat er damit vollständig an der menschlichen Lebenssituation teil.
- Die entscheidende Aussage besteht nun darin, dass Paulus verkündigt: Jesus ist dazu von Gott gesandt, “damit er die, die unter dem Gesetz waren, befreit.” Die Gefahr des Gesetzes besteht darin, dass die Menschen versuchen, das Gesetz möglichst vollkommen zu erfüllen und sich so durch ihr Tun vor Gott selbst zu rechtfertigen. Der berechtigte Anspruch des Gesetzes wird damit zu einem Fluch. Die grundlegende Gewissheit des Paulus lautet demgegenüber: “Christus hat uns befreit von dem Fluch des Gesetzes” (Gal. 3, 13). Die Befreiung erfolgt nicht durch Selbsterlösung und nicht durch die Abschaffung des Gesetzes, “sondern durch die Veränderung des Gottesverhältnisses ereignet sich die Freiheit” - durch die Aufnahme in die “Sohnschaft”, d.h. die Glaubenden leben vor Gott nicht mehr wie Unmündige, auch nicht mehr wie Sklaven, sondern wie erwachsene Söhne und Töchter.
- Diese neue Existenzweise bleibt nicht äußerlich; vielmehr werden die Menschen im Innersten von ihr bestimmt: Gott hat “den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gegeben”. Erfüllt vom Geist Jesu Christi leben die Glaubenden in der vertrauensvollen Verbundenheit mit Gott, den sie – wie Jesus – als “Abba, Vater” anrufen können.
Die verschiedenen Aussagen dieses Abschnittes zeigen, was für die christliche Grunderfahrung wesentlich ist: Sie bezieht sich auf die einmalige Geschichte Jesu, aber eben nicht einfach als Erinnerung an etwas längst Vergangenes, sondern in der Erfahrung: der Geist Jesu Christi wirkt in unseren Herzen.
Kritik am Zeitgeist
Auf der beschriebenen Grundlage nimmt Paulus eine kritische Auseinandersetzung vor. Er kritisiert eine religiöse Strömung, die offenbar in der Gemeinde von Galatien Anklang gefunden hat und stellt in diesem Zusammenhang die Fragen: “Nachdem ihr Gott erkennt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid, wie wendet ihr euch dann wieder den schwachen und dürftigen Mächten zu, denen ihr von neuem dienen wollt?” Ihr haltet bestimmte Tage ein und Monate und Zeiten und Jahre” (Gal. 4,9f). Historisch ist im Einzelnen diese religiöse Strömung nicht mehr genau erkennbar. Wahrscheinlich wird “das Gefühl einer unentrinnbaren Abhängigkeit des Lebens von personifizierten Weltmächten” mit im Spiel gewesen sein, verbunden mit der Angst vor dem Schicksal und dem Versuch, den Gang der Ereignisse irgendwie mit zu beeinflussen.
Es ist erstaunlich, dass in einer völlig anderen geschichtlichen und kulturellen Situation wie an der gegenwärtigen Jahrtausendwende sich bestimmte Züge dieser existentiellen Empfindungen ebenfalls erkennen lassen. So gewinnen aber auch für diese Situation die Einsichten des Paulus eine neue Relevanz – in einer etwas freien Paraphrase seiner Worte: warum starrt ihr gebannt auf die Zahl 2000 wie auf ein magisches Datum? Warum erfaßt euch die Furcht vor Krisen und Katastrophen? Warum schwankt ihr zwischen den Träumen von einer schönen neuen Welt und den Befürchtungen eines Endes mit Schrecken?
Der verbreiteten Unsicherheit und den verständlichen Sorgen stellt Paulus eine andere Gewissheit gegenüber: Wir sind nicht einem dunklen, unbarmherzigen Schicksal ausgeliefert. Unsere grundlegende Erfahrung mit Jesus Christus gibt uns eine andere Gewissheit: Er zeigt uns Gott und seine grenzenlose Liebe als den letzten Grund aller Wirklichkeit. Seine lebendige Kraft, sein “Geist” wirkt in unseren Herzen. Deshalb leben wir nicht in der Furcht, sondern im Vertrauen, nicht in der Resignation, sondern in der Hoffnung. Diese Gewissheit erschließt sich von ihm her, der in der “Fülle der Zeiten” in die Welt gekommen ist; und es ist jetzt die Frage, ob unsere Zeit, ob unser Leben etwas von der Fülle der Zeiten widerspiegelt.
“Jetzt ist die Zeit der Gnade”
Die Beziehung von Geschichte und Gegenwart wird an dem folgenden Wort des Paulus besonders deutlich: “Denn er spricht (Jesaja 49, 8): Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen. Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!” (2. Kor. 6,2)
Die Aussage wird besonders deutlich, wenn man beachtet, welche Worte der griechischen Sprache Paulus verwendet. Im Blick auf die Zeit ist zu unterscheiden zwischen dem Zeitverlauf (griechisch: chronos) und einem besonderen Zeitpunkt (griechisch: Kairos). “Kairos” bedeutet der günstige Augenblick, die rechte Zeit. In diesem Sinne ist für Paulus das Kommen Jesu in der Erfüllung der prophetischen Verheißung der “Kairos”, die Wende der Zeit, die Sternstunde. Dabei schließt Paulus die Geschichte Jesu mit der Gegenwart seiner Zeitgenossen in einem “Jetzt” zusammen: “Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils.” Das gilt nicht nur für die Zeit des Urchristentums, sondern grundsätzlich für alle Generationen. Der Bezug zur Geschichte Jesu ist kein erinnernder Rückblick; vielmehr wird der “Kairos” als gegenwärtig erfahren – als Gegenwart des Ewigen in der Zeit. Für Paulus gehört beides untrennbar zusammen – der Bezug auf die einmalige Geschichte Jesu und die Vergegenwärtigung. Die Christusbotschaft hat einen unverwechselbaren geschichtlichen Ursprung, und sie spricht zugleich unmittelbar in das Leben von Menschen hinein. Diese doppelte Perspektive von Geschichtsbezug und Vergegenwärtigung ist dann auch wichtig, wenn es um die Frage nach der heutigen Bedeutung der christlichen Botschaft geht, der Botschaft, die einen nüchternen Realismus und zugleich eine befreiende Hoffnung enthält.
“Die Hoffnung macht aus dem Ende ein Ziel”
Vor einiger Zeit ist ein beachtenswerter Dialog zwischen Umberto Eco und Carlo Maria Montini erschienen . Eco nennt im Blick auf die Jahrtausendwende das Stichwort “Apokalypse”, das über die Jahrhunderte hin bei vielen Menschen Faszination, Furcht und Hoffnung ausgelöst hat. Die Apokalypse als Erwartung des Endes wird heute angesichts drohender Zerstörungen und Katastrophen auch von Menschen erwartet, die das biblische Buch nie gelesen haben. In diesem Zusammenhang schreibt Eco: “Ich wage nun die Behauptung, dass der Gedanke an ein Ende der Zeiten heute typischer für die Welt der Nichtgläubigen als für die der Christen ist,”......”die Welt der Nichtgläubigen tut so, als ignoriere sie es, aber sie ist zutiefst von ihm besessen” .
Dieser Einschätzung stimmt Carlo Maria Montini in seiner Antwort zu. Er betont zugleich: Wenn die Apokalypse aus christlicher Sicht gelesen wird, enthält sie nicht nur die Ankündigung des Endes, sie enthält zugleich ein Versprechen. Von Jesus Christus her erscheint die Geschichte in einem spezifischen Licht; es geht um eine dreifache Überzeugung:
- “Die Geschichte hat einen Sinn und eine Ausrichtung...”
- Dieser Sinn weist über die Geschichte hinaus; er ist “Gegenstand der Hoffnung”
- “Die Geschichte ist der ethische Ort, an dem sich die... Zukunft des Abenteuers der Menschheit entscheidet”
Der Gedanke an ein Ende weckt allenfalls Angst oder Furcht, veranlasst zum Rückzug auf sich selbst oder zur Flucht in eine andere Zukunft, wie sie in der apokalyptischen Literatur ausgemalt wird. “Die Hoffnung macht aus dem Ende ein Ziel.”
Deshalb gilt: “Damit ein Nachdenken über das Ende uns aufmerksam werden lässt für die Zukunft wie für die Vergangenheit ... ist es notwendig, dass dieses Ende ein Ziel ist, dass es den Charakter eines endgültigen Wertes hat, der Licht wirft auf die Kräfte der Gegenwart und ihnen Bedeutung verleiht” .
Was ist zu feiern?
Die römisch-katholische Kirche feiert 2000 das “Heilige Jahr”. Bereits in der 1986 veröffentlichten Enzyklika heißt es: “Was, ‚in der Fülle der Zeit‘ durch das Wirken des Heiligen Geistes geschah, kann heute nur durch sein Wirken im Gedächtnis der Kirche neu erwachen. Durch sein Wirken kann all dies Gegenwart werden in der neuen Phase der Geschichte des Menschen auf dieser Erde: Im Jahr 2000 nach Christi Geburt” . Dieser Ansatz ist dann zu einem Festprogramm für die Jahre vor der Jahrtausendwende entwickelt worden. Der Papst bezieht sich auf die prophetische Verheißung vom Gnadenjahr des Herrn (Jes. 61), von der Jesus bei seiner Antrittspredigt in Nazareth sagt: “Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren” (Luk. 4, 21). Dieses Gnadenjahr wird dann aber zusammengebracht mit dem Geburtsjahr Jesu Christi. Bedeutsam ist, dass “Johannes Paul II die Milennarfeier der Geburtstagsmemoria (Christi) widmet, sie also... auf die Ursprungsvergegenwärtigung ausrichtet” .
Die evangelische Tradition kennt keine heiligen Jahre. Dennoch hat auch die Evangelische Kirche in Deutschland einen “evangelische(n) Beitrag im Zusammenhang der bevorstehenen Jahrtausendwende vorgelegt: “Das verbindende Motto für alle Aktivitäten und Initiativen der evangelischen Kirche im Zusammenhang der Jahrtausendwende lautet: ‚Unsere Zeit in Gottes Händen‘”. Angesichts von Ängsten und Hoffnungen, angesichts der Fremdheit und Faszination des Kommenden will das Motto “Verheißung und Gelassenheit vermitteln” .
Damit sind drei Aspekte für den evangelischen Beitrag zur Jahrtausendwende wichtig: .
- die Feier der Geburt Jesu Christi
- die Ermutigung der christlichen Botschaft angesichts einer Schwellensituation
- die orientierende Kraft der christlichen Botschaft angesichts der Zukunft.
Da der Protestantismus von seinem Ursprung her gegenüber heilsgeschichtlichen Selbstdeutungen der Kirche kritisch eingestellt ist, wird seine Aufgabe eher darin bestehen “zur Nüchternheit zu mahnen und ....den Tag danach zu bedenken, wenn der ...Festrausch vorbei ist und es zu ebener Erde in grauer Normalität weitergeht” . Umso mehr kommt es darauf an, dass die christliche Botschaft im neuen Jahrtausend ihre Überzeugungskraft entfalten kann. Die “Sternstunde” des Christusgeschehens will in der jeweiligen Gegenwart neu entdeckt und wahrgenommen werden: Jede geschichtliche Situation und jeder Augenblick ist unwiederholbar und hat daher eine einmalige Bedeutung. Jeder Mensch ist eine unverwechselbare Person; er oder sie hat – vor Gott dem Schöpfer und Erlöser – eine unverlierbare Würde, die nicht vom menschlichen Tun abhängig ist. Gerade diese Einsichten des Glaubens ermutigen dazu, Verantwortung wahrzunehmen und die Hoffnung auf das Ziel der Geschichte festzuhalten. Im Blick auf das neue Jahrtausend haben diese Perspektiven ihre unverzichtbare Bedeutung – und zwar nicht nur für die Christen, sondern für die Menschheit insgesamt. Deshalb schreibt Umberto Eco: “Nur wenn man einen Sinn für die Richtung der Geschichte hat (auch wenn man nicht an die Wiederkunft Christi glaubt), kann man die irdische Wirklichkeit lieben und – mit Nächstenliebe glauben – dass noch Platz für die Hoffnung ist”.