Spiel oder Ernst? – Die Kirchenpädagogik zwischen christlicher Liturgie und schulischem Unterricht

von Michael Meyer-Blanck

 

Auch von kirchenfremden Menschen, besonders von Jugendlichen, wird der Kirchenraum als ein besonderer Ort beschrieben. Heiner Barz zählte ihn in seiner Studie zur jugendlichen Religion 1992 darum zu den "auratischen Orten". Die Ruhe in der Kirche wird als wohltuend empfunden; hier könne man "sich sammeln" und sich "über wichtige Dinge Klarheit verschaffen". Dazu aber gehört auch, dass die Kirchen von vielen nicht primär als Gotteshaus empfunden werden, sondern stärker als ein "Ort der Selbstbegegnung". Kirchen bieten das Gefühl, "dass ich mir ganz nahe bin" (Barz 1992, 58). Diese besonders von kirchenferneren Jugendlichen geschilderten Empfindungen machen die große Chance aus. Kirchen sind nicht nur Orte der Kultur, sie sind auch Orte der Religion. Sind sie aber auch Orte, an denen der christliche Glaube erlebt wird? Und vor allem: Sind Kirchen auch Orte, an denen dem Glauben an Christus zielgerichtet nachgespürt werden soll? Das ist die Frage, vor der man steht, wenn man nicht zum Gottesdienst einlädt, sondern zu kirchenpädagogischen Veranstaltungen mit Kindergarten- und Schülergruppen, mit Reisegruppen und Erwachsenenseminaren.


1. Die Kirchenpädagogik zwischen Unterricht und Gottesdienst

Den in der Vorbereitung dieses Treffpunktes genannten "Zwiespalt" möchte ich nur negativ, sondern auch und sogar stärker produktiv verstehen. Die Kirchen als Orte des Lernens führen vor Augen, welchen Chancen und welchen Schwierigkeiten das religiöse Lernen in stark gemischten Gruppen überhaupt ausgesetzt ist. Im Klassenraum kann man sich mit einer allgemein plausiblen ethischen Grundorientierung darüber hinweg helfen: Wir als Klasse haben das gemeinsame Interesse und jeder bringt etwas von seiner religiösen Prägung mit im Sinne des Miteinanders. Im Kirchenraum hingegen liegt das Unübersehbare einer konkreten Religionsgemeinschaft. So wenig wie es eine interreligiöse Religionsgemeinschaft gibt, gibt es eine interreligiöse Kirche. Die Kirchenpädagogik hat zunächst einfach das schlichte Verdienst, diese Realität spürbar werden zu lassen. Der Zwiespalt, in den man mit der Kirchenpädagogik gerät, führt vor Augen, dass weder der interreligiöse Weg noch der Weg der Religionsvermeidung sinnvoll ist - einfach deswegen, weil beides nicht der Realität entsprechen würde und damit im Bildungszusammenhang Fehlinformationen verbreiten würde. Ich werde unten darauf zurückkommen.

Aber auch wenn wir an konfessionell völlig homogene Gruppen denken, hat die Kirchenpädagogik etwas Besonderes, dann eben keinen "Zwiespalt", aber ein "Zwischen". Die Kirchenpädagogik steht zwischen Unterricht und Gottesdienst. Dies macht ihren besonderen Charme aus. Es handelt sich weder einfach um Unterricht, noch um eine Museumsbesichtigung, noch um Liturgie. Es ist ein Spannungsfeld von alledem, das der jeweiligen Setzung von Schwerpunkten offen steht. Im Kirchenraum kann man sich den christlichen Glauben "in Stein" einmal unverbindlich ansehen. Nicht nur ein Gebäude, sondern die Gotteserfahrung wird für Kinder und Jugendliche zur Besichtigung freigegeben. Der Gottesdienst selbst kann als fremd und bedrängend erlebt werden. Er verschließt sich ja auch einer unmittelbaren Auseinandersetzung im Vollzug. Die Liturgie steht in großen Zeiträumen und Zusammenhängen. Die individuellen und aktuellen Fragen treten in den Hintergrund. Das ist der prinzipielle Unterschied zum Unterricht: Im Mittelpunkt der gottesdienstlichen Feier steht nicht die Haltung des Fragens, sondern die Haltung des Schauens, Einstimmens und Mitvollziehens. Gerade jugendlicher Religiosität mit der Suche nach dem individuell Überzeugenden und mit dem Alltagswissen, dass man sich gerade als Jugendlicher an anderen orientieren muss, erscheint Liturgie als überindividuelle Ordnung grundsätzlich problematisch, jedenfalls bezogen auf die eigene Lebensphase. Klassisch dazu ist die Äußerung einer 19-jährigen jungen Frau: "[…] ich kann mich noch nicht auf diesen Gott konzentrieren, der so in der Kirche halt stattfindet oder da auch gepriesen wird." (Comenius-Institut 1993, 193) Unterricht muss von daher die Distanzierungsmöglichkeit von Liturgie und überhaupt von gemeinschaftlich festgelegten Formen in Rechnung stellen (das dürfte analog auch für schulische Veranstaltungen und Feste gelten). Das "noch" in der zitierten Äußerung könnte darauf hinweisen, dass die kirchliche Form von Liturgie nicht grundsätzlich abgelehnt, aber späteren Lebensphasen zugeordnet wird. Insofern kann Liturgie auch im Unterricht vorkommen, aber nicht in der Haltung des Mitfeierns ("Preisen"), sondern in der Haltung des Betrachtens und evtl. des eigenen Experimentierens. Problematischer als der Lerninhalt dürfte generell eine Lernhaltung sein, die das Einstimmen fordert. Im Grunde wird von der jungen Frau das Prinzip der Bildung als individuelle Annäherung an Sachverhalte eingefordert.

Die besondere Chance des Kirchenraumes ist es in diesem Zusammenhang, dass er als solcher "zwischen den Liturgien" steht. Er ist der Raum nach der Liturgie und vor der Liturgie. Hier kann man Liturgie der jeweiligen Glaubensgemeinschaft didaktisch angemessen, nämlich in Ausschnitten und experimentell betrachten, außerhalb des Ernstes eines öffentlichen Gottesdienstes. Die Kirchenpädagogik hat mit dem Raum der Liturgie zu tun und nicht mit der Liturgie selbst. Das macht sie weniger bedrängend. Sie ermöglicht eher die Distanznahme. Sie ist eher für schulische und kulturelle Zusammenhänge geeignet (etwa in Citykirchenprojekten).

Denn der Kirchenraum ist auch Teil der allgemeinen Kultur eines Ortes. Daran haben auch diejenigen Anteil, die sich nicht mehr oder noch nicht Liturgie und Glauben zugehörig fühlen wollen oder können oder die Muslime und nicht Christen sind. Das Besondere der Kirchen als "auratischen Orten" (so die Barz-Studie) liegt in ihrer über-individuellen und überzeitlichen Ausstrahlung. Gerade indem man sich klein vorkommt, erlebt man, was es heißt, von sich selbst abzusehen und sich auf große Zusammenhänge zu beziehen. Kirchen sind Räume, in denen der Glaube von anderen, teilweise von vielen Generationen imaginiert werden kann. Die Gebrauchsspuren stellen eine Verbindung her zur Geschichte des Glaubens in der Zeit und machen einen selbst zu einem Teil dieser Geschichte.

Wenn im Dom von Siena jährlich für einen Monat die Fußbodenmosaike von ihrer Holzabdeckung befreit und der Betrachtung zugänglich sind, dann kann man den Abrieb durch den jahrhundertelangen Kirchgang sehen. Für das kunsthistorische Auge ist der Abrieb ein Verlust, den man gerade noch rechtzeitig gestoppt hat; für das Auge des Glaubens hingegen handelt es sich eher um einen angemessenen Gebrauch, dessen Spuren hineinstellen in das Singen, Beten und Hören der die Zeiten und Kulturen übergreifenden Gemeinde. Vieles in Siena wie bei uns heute mag nicht so recht ernsthaft und mit menschlicher Eitelkeit durchmischt gewesen sein. Aber gerade dieser Gedanke ruft die biblische Einsicht ins Gedächtnis, dass die Kirche nicht heilig ist durch die Heiligkeit ihrer Mitglieder. Solche Einsichten bringen intensivierend zur Sprache, was auch ohne kirchenpädagogische Vertiefung bereits als "auratisch" empfunden wird.

 

2. Die Kirchenpädagogik als Unterricht und Gottesdienst: Fünf Modelle

Der besondere Charme der Kirchenpädagogik ist das "zwischen". Es kann eine reine Kirchenführung sein, in der der Glaube im Gestus der Information und Erzählung aus fremden Zeiten und Zusammenhängen zur Sprache kommt: "Früher kamen die Menschen hierher, wenn" oder auch: Wenn am Sonntag die Gemeinde hier Gottesdienst feiert, dann..." Die Kirchenpädagogik kann aber auch zum Religionsunterricht werden: Wir sehen uns ein Altarbild an, wir lesen eine Grabinschrift und schlagen in der Altarbibel nach, wir gestalten selbst ein Kirchenfenster als Glasmalerei. Und schließlich kann die Kirchenbegehung zur Liturgiedidaktik werden: Wir verteilen die verschiedenen Verse eines Psalms, suchen verschiedene Orte im Kirchenraum und sprechen von dort die Psalmverse; wir teilen uns in zwei Gruppen im Chor und führen den Psalm dann responsorisch aus, zunächst gesprochen, dann gesungen.

Die didaktische Frage ist demnach eigentlich nur: Wie viel Kirchenführung, wie viel Religionsunterricht, wie viel Liturgiedidaktik soll die Kirchenbegehung sein? Die allgemein richtige und allerdings auch zu einfache Antwort lautet: Das hängt von der Gruppenzusammensetzung und von der Kirchenpädagogin ab. Mit einer mehrheitlich muslimischen Grundschulklasse wird man keinen jüdisch-christlichen Psalm singen. Ebenso wenig wird man mit einer mehrheitlich christlichen Oberstufengruppe darauf verzichten, wenn man das Ganze richtig einführt. Wie aber gewinnt man die richtigen Kriterien dazu über die eigenen Vorlieben hinaus (wobei allerdings gerade diese eine berechtigte wichtige Rolle spielen)?

Dem will ich jetzt noch etwas nachgehen. Dazu möchte ich die Kirchenpädagogik von ihren beiden Prägungen her nacheinander betrachten und innerhalb dieser Bereiche einige Unterscheidungen treffen. Als eine besonders drängende Frage erweist sich in der Gegenwart die inhomogene Zusammensetzung der Lerngruppen. Man muss zwar gar nicht von einer "multireligiösen" Zusammensetzung sprechen. Eher haben wir es mit drei Gruppen zu tun: Christen in verschiedenen Abstufungen der Kirchennähe, Muslime und dezidiert sich als konfessionslos Bezeichnende. Diese drei Gruppen sind eine Herausforderung fast weniger für den RU, weil dieser in der Regel konfessionell organisiert werden soll. Ein echtes Problem ist die Prägung durch diese drei so verschiedenen Gruppen allerdings bei Schulfeiern und bei Schulgottesdiensten. Lebenssituationen in der Schule bringen Menschen bisweilen näher zueinander als das gemeinsame religiöse Bekenntnis. Das gemeinsam Erlebte verlangt trotz der unterschiedlichen weltanschaulichen Voraussetzungen eine intensivierte, verdichtete Darstellung: Geteilte Freude, die Hoffnung auf Unterstützung und Schutz des Lebens oder auch ein zu verarbeitendes Unglück brauchen die Unterbrechung des Alltags und eine nicht nur Tätigkeit, Organisation und Hilfe, sondern auch deren Unterbrechung durch gemeinsames Feiern. Wie soll man solche Feiern gestalten?

In der letzten Zeit arbeiten verschiedene Gruppen an dieser Frage. Zwar ist die Kirchenpädagogik gerade kein Gottesdienst, dennoch können die in diesem Zusammenhang getroffenen Unterscheidungen weiterhelfen. An die folgenden Möglichkeiten für Schulfeiern ist zu denken, von denen ausgehend dann auch an ein Konzept für liturgische Räume zwischen den Liturgien entwickelt werden kann. Es sind dabei vier Möglichkeiten zu unterscheiden. Ich hoffe, dass diese vier Modelle, die aus der Reflexion über religiöse und multireligiöse feiern abgeleitet sind, die nötigen Reflexionshilfen an die Hand geben um zu entscheiden, was für die jeweilige Situation, für die jeweilige Gruppe und für die eigene Person am besten passt. Dass es eine allgemeine, immer passende Lösung nicht geben kann, liegt auf der Hand.
 

2.1 Erste Möglichkeit: Verzicht auf religiöse Fragen
Man klammert die Fragen aus und spricht bei einem Fest nur über einen weltlichen Anlass (Sommer, Schuljahresbeginn, Entlassung; bei Trauerfällen oder Unglücken spricht man über die Personen und über ihr Leben. Gott hingegen ist keine Frage.

Übertragen auf die Kirchenpädagogik würde das heißen: Die Religion der Kirchenpädagogin und der Schüler(innen) bleibt außen vor. Man spricht über die Kirche und über die Gottesdienste als Angelegenheiten der anderen, aber nicht der versammelten. Religion ist eine Sache einer fremden Kultur, ebenso wie bei einem Besuch der Tut-Anch-Amun-Ausstellung zur Zeit in der Bonner Museumsmeile. Der Vorteil ist die Vermeidung von Vereinnahmungen oder gar Verletzungen. Man bleibt auf Diatanz zur Liturgie und zum Religionsunterricht. Die Gefahr ist die Langeweile, wie man sie von lediglich sachlichen und wenig in der Sache engagierten Führungen in Schlössern kennt. Die Sehenswürdigkeiten werden nicht durch ein sachliches Interesse integriert und drohen in viele Fakten zu zerrinnen.
 

2.2 Zweite Möglichkeit: Religiöse Fragen als Fragen und nicht als verschiedene Antworten
Bezogen auf schulische Feiern ist dieses das Modell der "Religiösen Feiern" ohne Bezug zu einer bestimmten Religion. Es wird gefragt nach dem Glück und nach Gott, nach grundsätzlichen Lebensthemen, die in religiösen Feiern zwar nicht gemeinsam beantwortet, aber doch gemeinsam gestellt werden können. Die drei klassischen Fragen Kants nach der Ethik, nach der Erkenntnistheorie und nach dem Grund menschlicher Hoffnung ("Was soll ich tun?", "Was kann ich wissen?", "Was darf ich hoffen?") sind mit der Vernunft gegeben. Zwar hat nicht jeder Mensch Religion, aber jeder Mensch ist in Auseinandersetzung mit Fragen begriffen, die von den Religionen thematisiert werden. Jeder Mensch muss sich mindestens mit den drei Fragen nach dem (glücklichen oder unglücklichen) Zufall, nach der Schuld und nach dem Tod auseinandersetzen und damit empirische, ökonomische, ganz allgemein kausale und wissenschaftliche Denkmuster überschreiten. Gerade die Frage nach dem Glück führt den Mensch an solche Grundsatzfragen heran.

Der Kirchenraum wäre nach diesem Modell als ein ort des Fragens zu erschließen - so etwa wie das die Jugendlichen beschreiben, die Kirchen als "auratische Orte" bezeichnen. In diesem Zusammenhang könnte man sogar Sätze aus Psalmen verwenden, die dem Fragen und den Ängsten von Menschen Ausdruck geben, etwa wie Ingo Baldermann das in seiner Psalmendidaktik getan hat: Die Arbeit über Psalm 69, 3 "Ich versinke in tiefem Schlamm" oder Psalm 8, 5 "Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkest und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?" kann an die Empfindungen heranführen, die Menschen mit Kirchen verbinden: Empfindungen der Angst und Zuflucht in Lebensnöten einerseits oder des Glückes andererseits. Kirchen sind in diesem Sinne orte der Frage nach Gott, die auch als solche erschlossen werden können. Das vereinnahmt weder muslimische noch konfessionslose Kinder. Der Vorteil dabei ist, dass man das religiöse Potenzial des Raumes nicht verschenkt, dass man aber auch nicht seinen christlichen Standortvorteil unangemessen ausnutzt. Der Nachteil ist eine gewisse Allgemeinheit - schließlich ist eine Kirche ja der Ort der christlichen Religion. Da diese aber auch mit ganz allgemeinen menschlichen Fragen zu tun hat, ist diese Grundorientierung auf jeden Fall angemessen, auch wenn sie nicht alles zur Sprache bringt.
 

2.3 Dritte Möglichkeit: "Liturgischen Gastfreundschaft"
Eine bestimmte Gruppe bereitet in der Schule einen Gottesdienst vor und lädt die anderen dazu ein. Dieses ist das Modell der "Liturgischen Gastfreundschaft", das besonders von interreligiösen Gesprächskreisen (Christen und Juden, Christen und Muslime) entwickelt wurde aufgrund der menschlichen Verbundenheit, die auch das Markieren von Differenzen ermöglicht und erfordert. Dieses Modell bedeutet übertragen auf einen Schulgottesdienst ein klar erkennbares christliches (oder auch muslimisches, je nachdem) Profil, aber unter besonderer Rücksichtnahme. Das ergibt sich sofort aus dem Begriff der Gastfreundschaft: Man versteckt das Eigene nicht, betont es aber auch nicht, um den Gast nicht zu verschrecken. In diesem Modell wird das Bekenntnis zur eigenen Gotteserfahrung ihren Platz haben. Doch wird das so erfolgen, dass alle wissen, was gemeint ist, wobei man jedoch auf den anderen - eben als Gastgeber - besondere Rücksicht nimmt. So wird man trinitätstheologische Formeln (wie etwa das Gloria Patri) nicht eigens betonen. Das Bekenntnis wird in diesem Falle nicht versteckt, aber es ist mehr implizit wirksam als explizit ausformuliert.

Für die Kirchenpädagogin würde das bedeuten, dass sie christliche Gesten und Zeichen, ja auch Liturgieelemente wie Segensformeln oder Liedstrophen anbieten kann, wenn sie diese als ihre eigenen kenntlich mach und niemanden zum Mitmachen nötigt. Das gemeinsame Singen eines Kanons "Lobet und preiset ihr Völker den Herrn" etwa wird auch Muslime nicht verletzen. Auch ein "Herr, erbarme Dich" kann unter dieser Haltung nichts bedrängendes haben (aus dem Ev. Gesangbuch sind etwa Nr. 178. 9 [Ukraine] oder 178.10 [Kirchentag] oder auch 181.6 "Laudate omnes gentes" in diesem Sinne gut zu verwenden). Man kann einladen mitzusingen, um dem Klang und dem Glauben der Menschen in diesem Raum nachzuspüren unter der Voraussetzung, dass nicht mitgemacht werden muss.

Der Vorteil dieses Modells ist es, dass es der realen Person der Kirchenpädagogin am ehesten entspricht. Sie lädt als Christin Gruppen dazu ein, ein christliches Gotteshaus zu besuchen. Sie lädt auch dazu ein, diese Haus so zu erfahren, wie es gedacht ist. Sie macht aber gleichzeitig kenntlich, dass sie um die anderen weiß, die nicht Chris-ten sind und dass sie auf dies explizit Rücksicht nimmt. Der Nachteil dieses Modells ist, dass man bis nahe an die Grenze des Möglichen geht und dass man missverstanden werden kann oder dass man wegen der Kompliziertheit der Situation alles zerredet, anstatt den Raum sprechen zu lassen oder dass man schlicht unsicher wird. Dieses Modell ist wahrscheinlich das schwierigste, aber wohl auch das am meisten ange-messene. Denn die Kirchenpädagogin lädt ja tatsächlich ein in eine den anderen fremde, ihr selbst aber vertraute Welt, fast könnte man sagen: Die Kirchenpädagogin lädt ja immer ein in "ihr" Haus. Die anderen sind Gäste. Dieser Status lässt sich nicht überspielen. Dann kann man ihn auch gleich annehmen und nutzen.
 

2.4 Vierte Möglichkeit: Multireligiöser Gottesdienst
Bei einem multireligiösen Gottesdienst kommen Vertreter verschieden Religionen nebeneinander zu Wort, ohne dass sie jedoch gemeinsam beten. Das ist das Modell "nebeneinander beten", das auch von der EKD (EKD-Text 77, 2003) und von der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfe Nr. 170, 2003) propagiert wird. Diese Möglichkeit wird von einem interreligiösen Gottesdienst explizit unterschieden (auf diese theoretisch gegebene fünfte Möglichkeit komme ich darum nicht zu sprechen).

Übertragen auf das Modell der Kirchenpädagogik würde das bedeuten, dass eine evangelische und eine katholische oder auch eine christliche und eine muslimische Kirchenpädagogin zusammenarbeiten. Da man zwar nebeneinander beten, aber nicht nebeneinander führen kann, würde das bedeuten, dass dieselbe Gruppe - ähnlich wie im konfessionell-kooperativen RU - heute in einem Gotteshaus und dann in einem anderen ist, wobei im Idealfall beide Kirchenpädagoginnen an beiden Veranstaltungen teilnehmen würden. Das wäre eine gute Umsetzung von Kenntlichkeit ohne Vereinnahmung. Diesem Modell wäre der Vorzug zu geben, wenn es auch mit vielen praktischen Schwierigkeiten oder mindestens mit deutlicher Mehrarbeit verbunden ist. Damit bin ich bei der Bedeutung der Person der Kirchenpädagogin.
 

3. Religion zeigen im heiligen Raum - -Die Rolle der Kirchenpädagogin

Wenn man sie mit dem Religionsunterricht vergleicht, dann ist evangelische Kirchenpädagogik rechtlich und auch sachlich grundlegend dasselbe wie evangelischer Religionsunterricht. Bekanntlich wird dieser nicht - wie jedenfalls offiziell in der katholischen Kirche - von der "Trias" Lehre, Lehrer, Schüler her definiert, sondern es gilt: Zum evangelischen RU sind alle eingeladen, die daran teilnehmen möchten. Evangelischer RU ist definiert durch die evangelische Lehrerin und die evangelische Lehre. Wer daran teilnehmen möchte, lässt sich eben darauf ein, unter der Voraussetzung freilich, sicher zu sein, im Raum der öffentlichen Schule nicht verletzt, brüskiert oder gar zur Konversion genötigt ("missioniert") zu werden. Der evangelische RU missioniert nicht, aber macht sich selbst dennoch kenntlich. Der RU hat insofern eine "Mission", als er das evangelische Christsein im Original bietet und nicht in Selbstverundeutlichung, die letztlich Täuschung wäre. Der RU hat eine Mission, aber er missioniert nicht. An dieser kleinen Unterscheidung liegt alles. Analoges wird auch für die Kirchenpädagogik gelten können.

Denn auch mein Verständnis der Rolle der Religionslehrerin ist diejenige einer Führerin in fremde Welten. Das Großartige der christlichen Religion sollte im RU mehr gezeigt werden als direkt auf die eigenen Lebensvollzüge bezogen werden. Der RU-Lehrer ist nach meinem Verständnis weniger der verständnisvolle Lebenshelfer oder Problemlöser wie um 1970, aber auch nicht der Verkündiger wie um 1960; aber er ist auch nicht der plurale Informator. Der Lehrer oder die Lehrerin ist die kundige Reiseführerin in die fremde Welt der christlichen Religion. Sie wird niemanden vereinnahmen, aber auch nicht sich selbst verstecken. Das Kenntlichmachen des Eigenen vereinnahmt nicht, sondern hilft zur Orientierung hinsichtlich dessen, wie man "dran ist". Insofern ist das Markieren der eigenen Religion im pädagogischen Zusammenhang nicht vereinnahmend, sondern demokratisch. Weil die Pädagogin aber um die Kinder und Jugendlichen und um deren Suche nach Sinn weiß, wird sie die Lernenden weder bekehren noch belehren oder beglücken wollen, sondern ihnen durch eigene Begeisterung an der Sache etwas erschließen helfen. Gerade diese Rollenverständnis passt besonders gut auch für die Kirchenpädagogik, weil die Kirchenpädagogin ja etwas von einer Kirchenführerin hat.

Die Haltung ist dabei diese: Ich zeige etwas für jemand und ich kann das nur tun, indem ich im Zeigen mich selbst zeige. Wer etwas zeigen will, muss etwas davon kennen und es an Gegenständen aufzeigen können. Ein guter Führer (im Museum wie in der Kirche oder am Berg) muss in der Sache erfahren sein. Er verlangt aber nicht, dass die anderen schon ebenso erfahren sind und auch nicht, dass sie sich sofort für die Sache begeistern. Wer etwas zeigt, schließt das nicht aus, aber setzt das auch nicht voraus. Ich zeige dir etwas und du musst es nicht toll finden, aber ich zeige dir etwas, wozu ich selbst eine Beziehung habe. Diese Haltung ermöglicht es, auch die relativ fremde Welt des evangelischen Glaubens zu zeigen.

Ein Letztes: Dies erfordert es allerdings, dass ein solches Profil der Kirchenpädagogik im Gegenüber zu Schule und anderer Öffentlichkeit von vornherein deutlich gemacht wird, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Erkennbarkeit ist wichtig im Vollzug wie in der Öffentlichkeitsarbeit. Eine Kirchenführung ist eben etwas anderes als eine Firmenbesichtigung. Aber auch in einem Bergwerk kann es schmutzig werden. Und schon wer eine Brauerei besichtigt, muss damit rechnen, Bier zu riechen und wer das nicht mag, wird nicht mitkommen. So begegnen wir auch in der Kirche keiner bekenntnisfreien Architektur, sondern dem Werk von Menschen, die sehen und schmecken wollen, wie freundlich der Herr ist und die eine Kirche schufen unter der Voraussetzung, dass sie zu nichts anderem diene, als dass dort Christus mit den Seinen redet (wie das Luthers "Torgauer Formel" zum Ausdruck bringt). Das soll nicht triumphalistisch herausposaunt, aber erst recht nicht verschwiegen werden.
 

Literatur

  • Baldermann, Ingo: Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996.
  • Barz, Heiner: Postmoderne Religion am Beispiel der jungen Generation in den Alten Bundesländern, Opladen 1992.
  • Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen, Theologische Leitlinien, EKD-Text 77 (2003).
  • Kuhn, Elke (Hg.): Gott in vielen Namen feiern. Interreligiöse Schulfeiern mit christli-chen und islamischen Schülerinnen und Schülern, Gütersloh 1998.
  • Leitlinien für multireligiöse Feiern von Christen, Juden und Muslimen, Arbeitshilfe Nr. 170, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2003.
  • Meyer-Blanck, Michael: Liturgie und Ritual. Kirchlicher Gottesdienst oder Inszenierung von Religion durch Jugendliche? Neue Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Handlungsaufgaben für Religionsunterricht, in: Religiöses Lernen der Kirchen im globalen Dialog, hrsg. von E. Groß und K. König (Forum Religionspädagogik inter-kulturell Bd. 1), Münster 2000, 349-358.
  • Meyer-Blanck, Michael: Liturgie und Liturgik. Der evangelische Gottesdienst aus Quellentexten erklärt, Gütersloh 2001.
  • Meyer-Blanck, Michael: Religion zeigen im heiligen Raum. Kirchenraumpädagogik und Liturgiedidaktik, in: Die Christenlehre 56 / 2003 Heft 2, 4-7.
  • Religion in der Lebensgeschichte. Interpretative Zugänge am Beispiel der Margret E., hrsg. vom Comenius-Institut Münster, Gütersloh 1993