Im Mai dieses Jahres erscheint der im Herbst 2003 in den deutschen Kinos angelaufene Spielfilm “Luther” als Video. Viele Schulklassen und Gemeindegruppen haben den Film bereits gesehen. Nun besteht die Möglichkeit, den Film auch vor Ort im Unterricht einzusetzen und zur Grundlage für eine ausführliche Beschäftigung mit der Gestalt Luthers und der Reformation zu machen. Aus diesem Anlass wird der Film noch einmal ausführlich vorgestellt und kritisch gewürdigt.
Drei große Gestalten der Christentumsgeschichte sind durch ihre Verfilmung in vergangenen Jahren einem breiten Publikum wieder neu bekannt gemacht worden. Neben der umstrittenen Verfilmung der Passion Jesu von Mel Gibson, die nicht erst in diesem Frühjahr für viel Aufsehen und Diskussionen gesorgt hat, waren dies die Lebensgeschichte Dietrich Bonhoeffers, eindruckvoll inszeniert vom Kanadier Eric Till mit dem Titel “Bonhoeffer – die letzte Stufe” (2000)1 sowie ebenfalls vom Regisseur Eric Till der mittlerweile von fast 3 Millionen Kinobesuchern gesehene Film “Luther” (2003), mit dem der englische Schauspieler Joseph Fiennes das Kinobild des jungen Luthers für Jahre geprägt haben dürfte. Woher das große Interesse für die Gestalt Luthers kommt, ist schwer zu sagen. Das Ergebnis der verqueren ZDF-Sendung “Unsere Besten”, in der Luther hinter Konrad Adenauer im letzten Jahr bekanntlich den zweiten Platz belegte, mag den weiterhin großen Bekanntheitsgrad Martin Luthers im Bewusstsein der bundesrepublikanischen Gesellschaft illustrieren, liefert selbst jedoch keine wirkliche Begründung für die verbreitete Offenheit, ja Sympathie, mit der man der Gestalt Luthers zur Zeit vielerorts begegnet. Vermutlich ist es eine Mischung aus dem Bedürfnis nach einer geschichtsbezogenen Vergewisserung der eigenen kulturellen Herkunft sowie einer marktgerechten Inszenierung populärreligiöser Unterhaltung.
Filminhalt
Eric Till, gefragt nach dem Grund und der Intention für seinen Lutherfilm2, unterstreicht, dass Luther zwar bekannt sei, aber die meisten Menschen nur sehr wenig über ihn und seine Zeit wissen. Außerdem stoße man bei Luther auf “Hoffnung und Mitgefühl”. Im Blick auf die Vielfalt möglicher Lutherdarstellungen habe man “versucht, keinen Aspekt seiner Persönlichkeit zu ignorieren … Mein Wunsch war es, den Mann Luther zu erforschen. Ich habe dabei jemanden entdeckt, der auch Fehler hat, der schwach ist, unsicher, aggressiv, der Anstoß erregt, der menschlich ist. Viele dieser Facetten werden in der gängigen Literatur über Luther, gerade wenn sie von Theologen verfasst worden sind nicht beleuchtet. Mit unserem Film sind wir hingegen darauf bedacht, einen menschlichen Charakter zu zeichnen.”3
Dieser Zielsetzung folgend gelingt es Till, ein spannendes Panorama von Bildern zu entfalten. Sowohl die Person Luthers als auch die zentralen Ereignisse der Reformation werden nicht zuletzt durch die hervorzuhebenden schauspielerischen Leistungen von Joseph Fiennes (Luther), des kürzlich verstorbenen Sir Peter Ustinow (Friedrich der Weise ) und Bruno Ganz (Johann von Staupitz) überaus anschaulich inszeniert, auch wenn die eine oder andere Szene etwas holprig und kulissenhaft daherkommt. So ist der Inhalt des Films schnell erzählt:
Die Geschichte beginnt im Jahr 1505. Der junge Martin Luther wird, wie man es aus vielen Lutherbiographien in der eigenen Phantasie selbst vor Augen hat, von einem gewaltigen Unwetter überrascht. Dem Tod nur knapp entronnen, bricht er sein gerade aufgenommenes Jurastudium ab und wird Mönch im Augustiner-Eremiten-Kloster bei Erfurt. Der von Anfechtungen und Selbstzweifeln gequälte Luther wird von seinem Mentor und Beichtvater Johann von Staupitz 1510 auf eine Reise nach Rom geschickt. 1511 übergibt Staupitz Luther seinen theologischen Lehrstuhl in Wittenberg. Hier findet Luther nach intensivem Bibelstudium ein neues Verständnis von Gottes Gnade und Barmherzigkeit.
Das bereits bei seinem Besuch in Rom mit viel Zweifeln beobachtete Ablassgebaren der Kirche führt Luther bald in einen offenen Konflikt mit Papst Leo X. (Uwe Ochsenknecht). Die Ablassbriefe, die der Finanzierung des Neubaus des Petersdoms dienen und die durch den Dominkaner-Mönch Johann Tetzel (Alfred Molina) bis nach Sachsen gelangen, werden von Luther 1517 mit seinen 95 Thesen als zweifelhafte Praktiken der Kirche scharf kritisiert. Als Luther dem von Rom geforderten Widerruf widersteht, wird er exkommuniziert. 1521 muss er sich auf dem Reichstag zu Worms vor Kaiser Karl V. (Torben Liebrecht), dem mächtigsten Herrscher seiner Zeit, verantworten. Die berühmten Worte Luthers “Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir” fokussieren in eindrücklicher Inszenierung das Bild eines suchenden Luthers, der mit der Wahrheit des Evangeliums ringt und der alles andere als selbstsicher und von sich überzeugt auftritt. Auf der Rückreise nach Wittenberg wird Luther im Auftrag des Kurfürsten Friedrich des Weisen entführt und auf der Wartburg in Schutzhaft genommen. Die hier in Angriff genommene Übersetzung der Bibel wird zu einer wichtigen Voraussetzung für die Ausbreitung der Reformation. Im Film mit großem Ernst gezeichnet, zählt sie gleichzeitig zu den bedeutendsten kulturgeschichtlichen Leistungen Luthers im deutschen Sprachraum. Als es in Wittenberg unter der Führung Karlstadts (Jochen Horst), Luthers ehemaligem Professor, zu Ausschreitungen kommt, kehrt Luther als Junker Jörg verkleidet in die Stadt zurück und beendet die Unruhen. Doch die bereits an anderen Orten beginnenden Bauernaufstände lassen sich trotz Luthers Mahnungen nicht mehr aufhalten. Hunderttausende werden von den deutschen Landesherren niedergemetzelt, wobei Luther sich auf die Seite der Obrigkeit stellt und sie zu einem harten Durchgreifen zur Sicherung der Ordnung ermutigt. Als er jedoch durch die Leichenfelder schreitet und mit eigenen Augen sieht, was seine Lehren angerichtet haben, fällt er in tiefe Verzweiflung.
Noch im gleichen Jahr, 1525, begegnet Luther Katharina von Bora (Claire Cox), die ihn zur Heirat überredet. Als die in vielen Briefen bezeichnete “meine Käthe” wird sie zur starken Frau an Luthers Seite, die ihm in den dramatischen Ereignissen dieser Zeit Trost und Beistand gibt4. Ziel- und Höhepunkt des Films ist der vom Kaiser 1530 nach Augsburg einberufene Reichstag. Wenn er auch selbst nicht anwesend ist, sondern sich zunächst geheim auf der nahe gelegenen Veste Coburg aufhält und später nach Wittenberg zurückkehrt, so beeinflusst Luther die Ereignisse doch maßgeblich. Er beschwört die Landesherren eindringlich, ihrem Glauben treu zu bleiben, wollen sie die Reformation nicht zum Scheitern verurteilen, und so bieten diese am Ende dem Kaiser mutig die Stirn, indem sie sich “lieber den Kopf abschlagen lassen” wollen, als ihren Glauben und Gottes Wort oder Luthers Lehren abzuschwören. Melanchthon (Lars Rudolph), Luthers im Film sonst leider nur sehr versteckt auftretender Freund und Weggefährte, überreicht dem Kaiser das Glaubensbekenntnis der Protestanten, das zum ersten Mal öffentlich verlesen wird. Von nun an ist die Reformation nicht mehr aufzuhalten5.
Filminterpretation
Will man Eric Tills Lutherfilm angemessen interpretieren, tut man gut daran, ihn an seinen selbst formulierten Absichten und Zielen zu messen. Es handelt sich nach eigenem Bekunden nicht um einen historischen Dokumentationsfilm oder ein “Biopic”, also eine Verfilmung biographischer Grunddaten einer berühmten Person. Vielmehr soll der Film auf der Grundlage historischer Ereignisse zunächst “eine Geschichte erzählen, möglichst interessant, einzigartig und voller Überraschungen”. Die Gestalt Luthers könne dabei bis heute als ein bewundertes Vorbild an großer persönlicher Stärke, Kraft und Unmittelbarkeit gelten6. Auf diesem letztlich didaktisch motivierten Hintergrund ist es erforderlich wie legitim, von historischen Details im Einzelfall abzusehen, um die Erzählhandlung stringent und mit Spannung inszenieren zu können. In einem ersten Schritt sollen deshalb filmästhetische Gesichtspunkte benannt werden. Anschließend werden einige der dargestellten kirchenhistorischen Ereignisse genauer beleuchtet. Einige grundsätzliche Anmerkungen zur theologischen Bewertung des Films schließen einen dritten Teil ab.
Zur Filmästhetik
Folgt man den Äußerungen von Kinobesuchern, so zeichnet der Film ein beeindruckendes Gesamtportrait Martin Luthers und seiner Zeit. Neben der schauspielerischen Leistung Joseph Fiennes, der durch seine smarte Rolle im Film “Shakespeare in Love”(1998) vielen Zuschauern bekannt sein dürfte, gelingt es Tills einfühlsamer Regie, ein Lutherbild zu zeichnen, das sich wohltuend von den bisweilen feisten Klischees älterer Lutherfilme abhebt7. Luther erscheint als engagierter, mithin modern anmutender junger Held, der beispielsweise in seinen Wittenberger Vorlesungen und Predigten auf unkonventionelle Weise Menschen zu überzeugen und ins eigene Nachdenken zu bringen weiß. Dass diese Darstellung nicht nur Tills Absicht entspricht, sondern auch der der Filmproduzenten8, unterstreicht Alexander Thies von der Berliner NFP: “… wir haben den Film machen können, den wir machen wollten. Einen emotionalen, spannenden Film für das breite Publikum, der den jungen Luther zeigt und damit vor allem auch junge Menschen anspricht.” 9 Gleichzeitig werden im Film verschiedene Erzählstränge und Episoden entwickelt, die die dramatische Gesamtspannung exemplarisch verstärken und vertiefen. So verändert sich beispielsweise das verständnislose Verhältnis zwischen Luther und seinem Vater. Auch das Einzelschicksal der verarmten Frau Hanna und ihrer behinderten Tochter rührt tief in der dramatischen Umbruchsituation der spätmittelalterlichen Gesellschaft und deren religiösen Grundlagen.
Zahlreiche Aufnahmen des Films entstanden an historischen Schauplätzen, auch wenn beispielsweise Luthers Aufenthalt auf der Wartburg zusätzlich an tschechischen Orten gedreht wurde oder die berühmte Reliquienkammer Friedrichs des Weisen in einem Münchener Filmstudio nachgebaut werden musste. Robert Fraisse, der französische Kameramann, merkt in einem Interview an, dass er neben den klaren Vorgaben der Historie, ihren Sets und Kostümen darum bemüht war, in Anlehnung an die Malerei des 17. Jahrhunderts, insbesondere an Veermeer und Rembrandt, deren künstlerischem Ausdruck zu folgen. Es sei das immer seitlich auf die Menschen und Gegenstände fallende natürliche Licht gewesen, das diese Maler fasziniert habe. Ihrem Vorbild folgend solle der Film an ein Gemälde erinnern. In der rötlich-dunklen Erdigkeit und Schattierung mancher Filmeinstellungen wie beispielsweise beim Tod Leos X., beim Gespräch Spalatins (Benjamin Sadler) mit Friederich dem Weisen oder in der Studierstube Luthers auf der Wartburg lässt sich dieses Bemühen von Fraisse wiedererkennen und nachempfinden.
Es gehört zur Professionalität des Regisseurs und verdankt sich wohl nicht zuletzt seiner Erfahrung im Genre temporeicher Krimis wie der Miniserie “To Catch a Killer” , dass es auch in seinem Luther-Film kurzweilig und spannend zugeht. Rasant schnelle Filmschnitte präsentieren die Lebensstationen Luthers, an vielen Stellen begleitet von unterhaltsamen, bisweilen auch komischen Dialogen, in denen auf Luthers eloquente Schlagfertigkeit, aber auch seinen nachweisbaren, oft selbstironischen Humor angespielt wird. In der großen Geschichte verbergen sich viele kleine Geschichten, die in ihrer Tragik und Komik bisweilen unauflösbar miteinander verwoben sind. Nur so gelingt es, eine Balance zu halten zwischen Konzentration und Entspannung, zwischen Aufmerksamkeit und Beiläufigkeit. In einem dieser frei erfundenen Dialoge spottet Luther über den Ablass, er habe “für einen Gulden seinen Großvater aus dem Fegefeuer geholt”, aber seine Großmutter müsse leider weiterschmoren. Der Ablasshändler kontert: “So viel Gnade für so wenig Geld.” Doch keiner hört mehr zu. So schnell verändert sich die Welt.10
Zur historischen Authentizität
“Die Geschichtsbuchhalter werden uns eine Rüge erteilen …”, so wurde bereits im Vorfeld von Christian Stehr, einem der Produzenten, geurteilt.11 Auch wenn “Luther” ein Spielfilm und nicht ein Dokumentarfilm ist, muss sich die Darstellung an den verifizierbaren historischen Ereignissen messen lassen, will sie sich nicht dem Vorwurf der Verzerrung und gar konfessionellen Ideologisierung aussetzen. Auch wenn natürlich niemals eine Inszenierung den Anspruch von Objektivität beanspruchen kann, ist es unter der Prämisse einer den historischen Kenntnissen weitgehend folgenden Darstellung für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Film unerlässlich, die Filmdramaturgie und Interpretation mit den historischen Ereignissen zu vergleichen. Dies gilt um so mehr, wenn der Film selbst ausdrücklich die Absicht mitverfolgt, über Personen und Geschichtsereignisse schlicht zu informieren und so die Kenntnis über Luther und die Reformation bei den Zuschauern zu vergrößern. Es sollen einige Punkte herausgegriffen werden, die ggf. auch im Unterricht durch einen Vergleich von Film und Quellenzeugnissen fruchtbar gemacht werden können.
Der Film beschränkt die Darstellung auf die Zeit von 1505 bis 1530. Er interpretiert die Ereignisse der Reformation letztlich aus dem Wirken eines Mannes, dessen zeitgeschichtliche Bedeutung mit den Geschehnissen von 1530 im wesentlichen abgeschlossen ist. Über die Jugend Luthers wie seine späteren Lebensjahre erfahren wir nichts. Ein großer Teil seiner Enttäuschungen und Verbitterungen einschließlich seiner unsäglichen Hetzschriften gegen die Juden und andere vermeintliche Gegner der Reformation bleiben unerwähnt. Der Film folgt so streng seinem eigenen dramatischen Aufbau, der Ereignisse auswählt, verkürzt, umstellt oder auch in selbst erdachten Szenen anschaulich zu machen versucht.
Neben kleinen Episoden und freien Dialogen, die der Lebendigkeit und dem Fluss der Erzählung dienen, ist es zunächst Luthers berühmtes “Turmerlebnis” (1513), das im Film zwar nicht erwähnt wird und doch eine eigene Interpretation erfährt. Aus Luthers eigenen Zeugnissen wissen wir, wie befreiend sich die in dieser Zeit gewonnene religiöse Erkenntnis auf sein weiteres Lehren und Handeln ausgewirkt hat.12 Doch auf das landläufige Bild eines bei Kerzenschein über den Römerbrief gebeugten Luthers, der in tiefer Nachtstunde plötzlich die rettende Einsicht von Gottes Barmherzigkeit hat, wird bewusst verzichtet. “Jeden Drehbuchschreiber, der so etwas verzapft, sollte man in die Wüste schicken”, lassen sich die Filmemacher zitieren.13 Stattdessen veranschaulicht der Film die fundamentale Grundeinsicht der Reformation in der fiktiven Episode des erhängten Handwerkersohnes. Luther hebt selbst ein Grab für den Selbstmörder aus und wagt es, ihn im Beisein einer staunenden Menschenmenge auf dem Friedhof zu bestatten, ein Akt, der zeichenhaft Gottes Gnade über die Gnade der Kirche stellt, historisch so jedoch niemals vorstellbar gewesen wäre. Gleichzeitig erscheint Luther in dieser Szene als ein Mann, der nicht im Gebet und in der Einsamkeit seines Bibelstudiums, sondern letztlich in der Begegnung mit Menschen seine theologischen Einsichten gewinnt und festigt.
Eine ebenfalls unhistorische Begebenheit ist Luthers Übergabe seiner Bibelübersetzung an Friedrich den Weisen. Luther ist Friedrich dem Weisen in seinem ganzen Leben nie begegnet! Auch wenn die Szene einschließlich der grandiosen Komik Sir Peter Ustinows zu den eindrücklichsten des Films gehört, dient sie doch allein der Würdigung und Aufwertung Luthers wie seiner großen kulturellen Leistung, die er mit der Bibelübersetzung in der Tat vollbracht hat. Dass die Bibelübersetzung in großen Teilen letztlich das Werk eines Teams war, zu dem besonders auch Melanchthon wesentlich beigetragen hat, sei nur am Rande erwähnt.
Als letztes Ereignis seien die Bauernkriege erwähnt, die im Film nur als Rückschau dargestellt werden. Ob es aus Rücksichtnahme auf die amerikanischen Geldgeber geschehen sei, die das Bild Luthers möglichst unbeschadet haben erhalten wollen, wie einige böse Zungen behauptet haben, muss genauso offen bleiben wie die Vermutung, man habe weder Geld noch Lust gehabt, die grausamen Ereignisse in einer breiteren Weise als geschehen darzustellen. Auch wenn letztere Vermutung gerade auch im Blick auf ein junges Zuschauerpublikum plausibel erscheinen kann, zumal Darstellungen von Gewalt und Krieg in den Medien ausreichend präsent sein dürften, so bleibt Luthers Rolle in den Bauernkriegen trotzdem eigentümlich blass, ja, und man wird sich, bei aller Differenzierung, angesichts der tatsächlichen Geschehnisse und der vorhandenen Quellen nur schwerlich mit dem verzweifelten Satz Luthers “Ich habe Blut an den Händen, ich treibe Keile zwischen die Menschen” zufrieden geben können. Gerade einem Film, der zwischen Macht und Gewissen seinen Weg sucht, ist an dieser Stelle mehr kritische Vertiefung, ja Verantwortung zuzumuten.
Zur theologischen Bewertung
Ein historischer Spielfilm wie Tills “Luther” steht vor einer doppelten Schwierigkeit: Er vermittelt im Medium des Films nicht nur Profan- , sondern auch Kirchengeschichte. Ihre Bedeutung lässt sich sachgemäß jedoch nur unter theologischen Kategorien begreifen, die sich wiederum einer zur Objektivität neigenden Darstellung wie der des Films entziehen.
Gerhard Ebeling schreibt: “Die Kirchengeschichte ist das, was zwischen uns und der Offenbarung Gottes in Jesus Christus steht. Sie steht dazwischen trennend und verbindend, verdunkelnd und erhellend, belastend und bereichernd. Nur durch sie hindurch erreicht uns das Zeugnis von Jesus Christus.”14 Stimmt man dieser Definition zu, so erschließt sich auch die Reformationsgeschichte nur im Zeugnis von Widerspruch und Freiheit. Selbst weltpolitische und kulturgeschichtliche Leistungen müssen dieses Nadelöhr durchschreiten, sollen sie sachgemäß über Vergangenheit und Gegenwart Auskunft geben.
Man wird den Lutherfilm deshalb nicht allein an seinen dogmatischen Richtigkeiten theologisch bemessen können. Hierzu standen theologische Fachleute dem Regisseur und den Filmproduzenten bereits zur Seite. Vielmehr bleibt die Frage nach einem authentischen Gesamtzeugnis evangelischer Freiheit und Überzeugung.15 So sympathisch und modern uns Luther als couragierter Einzelkämpfer gegen jede Form übermächtiger Institutionen und Autoritäten im Film entgegentritt, so kritisch muss der Einwand formuliert werden, dass es Luther dabei nicht um eine allgemeine Wahrheit, sondern um die Wahrheit und Freiheit des Evangeliums gegangen ist. Die Frage nach dem gerechten Gott macht Luther dabei zu einer wirklichen “Lebensfrage[ ], die den Menschen ganz betrifft, die Denken und Handeln, Seele und Leib, Lieben und Leiden umfasst”16, und die ihn deshalb bis an sein Lebensende nicht losgelassen hat. Mithin bleibt es die Fremdheit in Luthers theologischem Denken und Fühlen, die in heutiger Sicht weder übersehen werden noch in ihrer zeitgebundenen Anstößigkeit den Graben der Geschichte zuschütten darf. Zu dieser Anstößigkeit gehört u.a. das spätmittelalterlich apokalyptische Weltbild Luthers, ohne das Luthers Gottesverständnis als anhaltender Kampf zwischen Gott und dem Antichristen unverständlich bleiben muss. Allein als karikierende Folie einer neu aufbrechenden Zeit kann sie uns in das ernsthafte Ringen der politischen und religiösen Kräfte jener Zeit nur schwer einführen.
Auf diesem Hintergrund stellt der Lutherfilm auch Fragen an das ökumenische Gespräch der Gegenwart, ist er doch selbst deutlich dazu angetan, das “evangelische Profil” der protestantischen Kirchen zu betonen.17 Entgegen der eigentümlichen Darstellung des Papstes (Uwe Ochsenknecht), der – böse gesprochen – bisweilen an ein zu groß geratenes Baby im Ornat erinnert, so wird zumindest neben dem machtbewussten Gesandten Girolamo Aleander (Jonathan Firth) der scharfsinnige Kardinal Cajetan (Mathieu Carrière) als nachdenklicher, überlegter, ja im Streitgespräch in gewissem Sinn ebenbürtiger Zeitgenosse Luthers charakterisiert und gewürdigt. Ob dies freilich schon reicht, unter den Konfessionen die Verantwortung für eine letztlich gemeinsame Geschichte der Kirche zu stärken, wird niemand ehrlich behaupten können. Trotzdem bleibt, wie Kardinal Lehmann es ausdrückt, Luther ein “prophetischer Reformer in der Kirche”, der im Zuge weiterer ökumenischer Gespräche zu-mindest “für das Verständnis der grundlegenden Botschaft Jesu Christi ‚unser gemeinsamer Lehrer’ (Kardinal Jan Willebrand) werden”18 könne. Es erscheint lehrreich, den Film “Luther” ruhig einmal mit den hoffentlich ebenfalls selbstkritischen Augen der anderen Konfessionen zu betrachten.
Didaktische und religionspädagogische Perspektiven
Unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte erscheint es überaus lohnend, mit dem Film “Luther” in Schule und Gemeinde zu arbeiten. Konfirmandengruppen, nach einem Filmbesuch zum Inhalt befragt, waren ohne Probleme in der Lage, die wichtigsten Ereignisse und Stationen aus Luthers Leben wiederzugeben.19 Außerdem konnten sie grundlegende politische und religiöse Konflikte des Films benennen und diskutieren. Der Film eignet sich mit einer kurzen Einführung somit gut, zentrale Fragestellungen der Reformation zu erarbeiten. Die Anschaulichkeit und Dramaturgie des Films ist für Lerngruppen motivierend, auch wenn die Gesamtlänge des Films (121 Minuten !) alle Unterrichtenden vor die üblichen Schwierigkeiten eines Schulalltags stellen.20 Neben der Einbeziehung in eine Projektarbeit oder eine gottesdienstliche Feier ist es durchaus denkbar, zunächst nur einzelne Abschnitte zu zeigen und zu behandeln, auch wenn dabei die versteckten Erzählfäden des Gesamtfilms nicht aus dem Blick verloren gehen sollten.
Von der bereits erwähnten Stiftung Lesen sind zum Film umfangreiche thematische Anregungen erarbeitet worden. Spannend erscheint u.a. das Thema “Biografischer Film”, mit dem auch in höheren Klassen das hermeneutische Problem von Filminszenierung und Geschichte erarbeitet werden kann. In ähnlicher Weise könnte auch der Vergleich mit älteren Lutherfilmen eine spannende Herausforderung darstellen.21 Ob es hilfreich, ja für Schülerinnen und Schüler überhaupt möglich und erstrebenswert ist, die Person Luthers zu einem bewunderten Vorbild zu stilisieren, erscheint fraglich. Luthers Ringen freilich um einen Gottesglauben, der Verstand und Liebe, Hoffnung und Trost, Freiheit und Verantwortung beieinander hält, – dieses Ringen kann bis heute eine Herausforderung für die Gestaltung einer eigenen christlichen Lebens- und Glaubenspraxis sein. Dabei sind es vielleicht eher die unscheinbaren Äußerungen des Reformators, allen voran seine Briefe, die uns einen tiefen persönlichen Einblick geben können in sein Glaubens- und Theologieverständnis, als seine vielen berühmten Schriften wie “Von der Freiheit eines Christenmenschen” oder “Vom unfreien Willen”.22 Anknüpfend an die Emotionalität des Films ließe sich der starke, aber auch immer wieder fragende und zweifelnde Charakter Luthers erarbeiten und mit dem eigenen Verständnis von Glaube und christlicher Existenz konfrontieren.
In diesen Tagen erscheint der Film “Luther” bei Matthias-Film in Stuttgart als Videokassette. Er kann über den Medienverleih der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers ausgeliehen werden (Tel.: 0511/1241-403). Gleichzeitig erscheint im Handel eine DVD-Home-Edition. Außerdem wird von Matthias-Film in Stuttgart im Spätherbst eine DVDedukativ erscheinen. Neben dem Film wird sie zusätzliches Bildmaterial enthalten sowie umfangreiche Unterrichtshilfen, die z.Z. unter der verantwortlichen Konzeption von Professor Jörg Thierfelder und Dieter Petri erarbeitet werden.23 Die DVDedukativ wird einschließlich der Lizenz zur öffentlichen Vorführung im Bereich der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers über die Medienverleihe kostengünstig zu erwerben sein.
Literatur
Oswald Bayer, Martin Luther Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2004.
Gerhard Ebeling, Kirchengeschichte als Auslegung der Heiligen Schrift, in: ders., Wort Gottes und Tradition, Göttingen, 2.Aufl. 1966, S.9-27.
Gerhard Ebeling, Luthers Seelsorge an seinen Briefen dargestellt, Tübingen, 1999.
Heiko A.Oberman, Luther: Mensch zwischen Gott und Teufel, Berlin, 2.Aufl. 1983.
Ulrike Pagel-Hollenbach, “Bonhoeffer - die letzte Stufe”. Unterrichtsbausteine zu einem biographischen Spielfilm in: Loccumer Pelikan 2/2001 S.79-90.
Friedrich Schorlemmer, Hier stehe ich – Martin Luther, Berlin, 2.Aufl. 2003.
Friedemann Schuchardt, Luther – semper reformanda – Multimedia, in: Klaus-Dieter Felsmann (Hg.), 7. Buckower Mediengespräche, kopaed Verlag München, 2004 S.119-126.
Stiftung Lesen, Luther. Ideen für den Unterricht, Mainz, 2003.
Michael Wermke, Katharina von Bora und das Wagnis der evangelischen Freiheit, in: Loccumer Pelikan 3/1999 S.139-142.