Schnecken, Fische und ein Twix – Filme zum Thema Freundschaft und Liebe

von Steffen Marklein

 

Filme ermöglichen im Unterricht eine intensive Annäherung an ein Thema. Neben der Identifizierung mit einzelnen Rollen ermöglicht die mediale Darstellung zugleich eine kritische Distanznahme, durch die eigene Verhaltensmuster und Rollenvorstellungen hilfreich reflektiert werden können.

Das Thema „Freundschaft und Liebe“ bildet nach wie vor einen wichtigen Schwerpunkt im Religionsunterricht des Sekundarbereichs I.1 Es ist bei Schülerinnen und Schülern sehr beliebt. Es wird häufig von ihnen vorschlagen und gewählt. Gleichzeitig verbindet sich mit dem Thema nicht nur bei Lehrkräften, sondern häufig auch bei den Schülerinnen und Schülern eine gewisse Unsicherheit und Sprachlosigkeit. Ein Thema, das in besonderem Maße Vertrauen und Offenheit voraussetzt, erfordert eine Gesprächs- und Klassenatmosphäre, die gegebenenfalls den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin schützt. Eine erfolgreiche Unterrichtsgestaltung hängt in hohem Maße davon ab, ob es gelingt, eine vertrauensvolle Unterrichtsatmosphäre her-zustellen.

Die theologische Einordnung des Themas „Freundschaft und Liebe“ kann sich zum einen an schöpfungstheologischen Aussagen über den Menschen (1.Mose 1;2 u.a.) orientieren, zum anderen wird sie Erfahrungen von Schuld und Vergebung reflektieren. Hierzu werden besonders die Erzählungen der neutestamentlichen Überlieferung zu bedenken sein, wie z.B. Johannes 8,1ff. (Jesus und die Ehebrecherin) und Matthäus 26,69ff. (Petrus verleugnet Jesus).

Im Folgenden werden drei Filme vorgestellt, die das Thema „Freundschaft und Liebe“ aus verschiedenen Gesichtspunkten beleuchten.
Alle vorgestellten Filme sind beim Ev. Medienverleih in Hannover auszuleihen: Haus kirchlicher Dienste, Fachgebiet Büchereiarbeit und Medienverleih, Telefon: 0511/ 1241-501, www.kirchliche-dienste.de


Anmerkung
1. Vgl. Dietmar Peter: … dein ist mein ganzes Herz. Das Thema „Liebe, Partnerschaft und Sexualität“ im Religionsunterricht. Arbeitshilfen Sekundarstufe I 9, Loccum 2004.

  


Schneckentraum

Deutschland 2001
Kurzspielfilm, 15 Min.
Regie und Drehbuch: Iván Sáinz-Pardo
FSK: o.A.


Inhalt und Gestaltung
Die etwa 20-jährige Julia verliebt sich bei einem Cafébesuch in den etwa gleichaltrigen Olivier. Ohne dass sie miteinander geredet haben, findet Julia heraus, dass Olivier in einem Buchladen arbeitet, den sie von nun an häufig aufsucht. Bei jedem Besuch kauft sie ein Buch, das sie sich von Olivier einpacken lässt. Auch Olivier scheint an Julia Interesse zu finden, doch keiner von beiden wagt es, mit dem anderen darüber zu sprechen.

Eines Tages nimmt sich Julia vor, Olivier zum Kaffeetrinken einzuladen. Sie steht vor dem Zimmerspiegel in ihrer Wohnung, schminkt sich und übt die Worte, mit denen sie Oliver ansprechen möchte.

Als sie den Buchladen betritt, herrscht eine seltsam veränderte Atmosphäre. Die Pianistin steht versonnen am Fenster anstatt wie sonst auf dem Flügel zu spielen und auch Oliver ist nicht da. Julia erfährt von einem älteren Herrn, dem Besitzer des Ladens, dass Oliver bei einem Autounfall tödlich verletzt wurde. In einigen Tagen sei die Beerdigung. In ihrer Wohnung öffnet Julia traurig die Bücher, die sie in der Buchhandlung gekauft, aber nie ausgepackt hat. Sie bemerkt, dass Oliver in jedes Buch eine kleine Nachricht geschrieben hat, die zusammen eine berührende Liebeserklärung darstellen. Im letztgekauften Buch findet sie die Worte: „Ich liebe dich.“ Eines der Bücher trägt den Titel „Schneckentraum“.

Der in schwarzweiß gedrehte Film ist von der Eröffnung bis zu seinem tragischen Schluss linear-chronologisch aufgebaut. Er wird ganz aus der Sicht von Julia erzählt. Einige filmische Ellipsen verknappen den Handlungsverlauf.

Die Bildgestaltung beschreibt eine Alltagsgeschichte, in der behutsame Distanz einhergeht mit einer starken Nähe, die sich besonders in der Natürlichkeit der Figuren und ihrer Probleme widerspiegelt.

Von großer emotionaler Ausdruckskraft ist die Musik des Films. Nach einer unheilsschwangeren Auftaktmusik wechselt die Musik durch verschiedene heitere und melancholische Momente, ohne dass das Ende vorauszusehen ist. Zusätzlich werden von dem aus Spanien stammenden, in Deutschland ausgebildeten Regisseur zwei spanischsprachige Lieder verwendet. Sie verstärken mit ihren Melodien den Grundcharakter des Films. Die Texte der Lieder weisen zwar Parallelen zu Filmhandlung auf, doch sind sie keine Voraussetzung für das inhaltliche Verstehen des Films.

Der Film besitzt kein Happy-End, doch schadet dies der langsam sich entwickelnden Sympathie für die Geschichte nicht. Gerade der traurig-tragische Schluss macht die Tragweite der gezeigten Problematik sichtbar, wobei der/die Zuschauende nicht zuletzt dank der schönen Musik doch eher ermutigt wird, in einer ähnlichen Situation andere Konsequenzen zu ziehen als es im Film geschieht.


Interpretation und Unterricht
Der Film erzählt zunächst eine alltägliche Liebesgeschichte mit zwei „normalen“ jungen Menschen. Ihre Lebenssituation besitzt nichts Spektakuläres, ihre Beschäftigungen und ihre äußeren Erscheinungen sind unauffällig. Damit entspricht Schneckentraum inhaltlich wie formal kaum den Bildern von jungen Menschen, wie sie in Werbung, Video-clips oder anderen gängigen Fernsehfilmformaten gezeigt werden. Statt in grell-bunten Farben und mit flotten Sprüchen wird eine Schwarzweiß-Geschichte erzählt, in der es sehr ruhig, unauffällig, ja introvertiert und schüchtern zugeht.

Unübersehbar gibt es ein Kommunikationsproblem zwischen Julia und Oliver, und dies nicht erst im Laufe einer Liebesgeschichte, sondern bereits in ihrem Vorfeld. Bereits der Versuch, eine emotionale Übereinkunft anzutesten, wird zum Problem. „Nicht der Verlauf einer Liebe wird zum Konfliktfall, sondern bereits der Versuch, dem anderen emotional näher zu kommen.“2

In der Beziehung übernimmt Julia die Initiative. Ihre Blicke dominieren den Film lange Zeit. Doch die nonverbale Kommunikation gerät an ihre Grenzen. Offensichtlich ist sie nur bedingt tauglich, das Interesse an der anderen Person auch als Herzensangelegenheit kenntlich zu machen. „Auch Liebe auf den ersten Blick bedarf irgendwann eines verbalen Bekenntnisses zu ihr.“3

Das Handeln Julias ist von einer (normalen) Schüchternheit gekennzeichnet, die ein direktes Gespräch zunächst unterbindet. Erst als Julia innerlich stark geworden ist, verwandelt sie sich auch äußerlich und nimmt sich vor, Oliver anzusprechen und so ihrer emotionalen Zuneigung zu folgen. Oliver hat von Beginn an die Sprache als Kommunikationsmittel ihrer Liebesbeziehung gewählt. Doch allein als Schrift in den verpackten Büchern bleibt sie lange – zu lange – ungelesen.

Eines der Bücher, in dem Oliver seine Liebesbotschaft hinterlassen hat, trägt den Titel „Schneckentraum“. Dieser kann sinnbildlich für die Situation von Oliver und Julia verstanden werden. Beiden gelingt es nur sehr langsam, die Fühler auszustrecken. Vorsichtig und vielleicht aus Angst vor Enttäuschung zieht man sich schnell in das eigene Schneckenhäuschen zurück, ja muss am Ende erfahren, dass die angestrebte Liebe zum anderen nur ein Traum bleiben kann.

Der Film eignet sich, u.a. Themen wie Liebe, Erste Liebe, Freundschaft, Schüchternheit, Einsamkeit und Kommunikation mit Jugendlichen zu besprechen.

Die Emotionalität sowie das tragische Ende des Films erfordern zunächst eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Inhalt und der filmästhetischen Inszenierung des Films. Behutsam wird man von hier aus das Geheimnis von Liebe, Kommunikation und Vertrauen aufgreifen können. Weibliche und männliche Rollenverhalten und -klischees lassen sich charakterisieren und miteinander vergleichen, Handlungsalternativen können diskutiert oder auch eigene Erfahrungen emotionaler Hemmnisse und Unsicherheiten thematisiert werden.

Diskutiert werden kann auch die Aussage der Schauspielerin Dorkas Kiefer, die als Jurorin des Films zu folgendem Urteil kam: „Die Botschaft von Schneckentraum ist einfach, aber wichtig: Mach einfach, was du fühlst, und denk nicht erst drüber nach, ob es richtig ist.“4

Bei der Vorführung des Films sollte darauf geachtet werden, dass der musikalische Nachspann nicht vorzeitig abgebrochen wird.


Anmerkungen
2. Vgl. Klaus-Peter Heß, a.a.O., 7.
3. Ebd.
4. Ebd., S. 10.

Literatur
Klaus-Peter Heß: Arbeitshilfen Schneckentraum, Katholisches Filmwerk Frankfurt a.M. o.J., u.a. mit Übersetzungen der spanischen Liedtexte, entnommen aus hwww.filmwerk.de

 

 

OUT NOW
Deutschland 2005
Kurzspielfilm, 20 Min.
Regie: Sven J. Matten
FSK: 12 J.


Inhalt und Gestaltung
Tom ist 16 Jahre alt und steht kurz vor seinem Coming Out. Er lebt in einem kleinen bayrischen Ort, wo er von seinen Klassenkameraden in der Schule als Schwächling und Außenseiter schikaniert wird. Lediglich Vanessa steht zu ihm, die wegen ihrer dunklen Hautfarbe ebenfalls von einigen Mitschülern verspottet wird. Im Gegensatz zu Vanessa tritt Tom jedoch schüchtern und ängstlich auf.
Am Kiosk verhält er sich verunsichert und zögerlich: „Einen Twix – bitte.“ Eine andere Welt eröffnet sich Tom in der Anonymität der Chaträume, in denen er seine Gefühle und Ängste zu formulieren und zu äußern weiß. Abgeschirmt vor den Augen der Mutter und anderen neugierigen Blicken ist ihm der Kontakt im Chat eine wichtige Stütze, die ihm wenigstens etwas Selbstbewusstsein und Sicherheit bei seinen Entscheidungen gibt. Im Ringen um seinen eigenen Weg und die Anerkenntnis seiner eigenen sexuellen Gefühle entdeckt er bei einem Diskobesuch zufällig zwei Klassenkameraden, Nikias und Erdogan, wie diese miteinander schlafen. Beide sind über die Entdeckung sehr erschrocken. Einen von ihnen erkennt Tom als seinen Chatpartner, mit dem er sich bisher vertrauensvoll ausgetauscht hat. Am nächsten Tag spricht Tom offen einen Jungen an, in den er sich schon längere Zeit verliebt hat, den Jungen vom Kiosk.

Der Film schildert in einer realistischen Alltagsumgebung die Ängste und Gefühlslagen eines schwulen Jugendlichen. Die erzählte Geschichte ist klar in einzelne Situationen und Szenen gegliedert. Dabei übernimmt die Kamera deutlich die Perspektive von Tom. Die unterschiedlichen Empfindungen und Gefühle Toms werden dabei in intensiven Bildern wahrnehmbar. In den erzählenden Teilen bewahrt die Kamera eine klare beschreibende Distanz.

Unterbrochen wird die äußere Geschichte von vier kurzen Nahaufnahmen, die in verschwommenen Bildern nackte Körper von zwei sich liebenden Jugendlichen zeigen. Die in Zeitlupe gezeigten Aufnahmen erinnern an Traum- oder Phantasiesequenzen, ohne dass sich diese eindeutig Tom zuordnen lassen.

Die unterlegte Musik des Films bleibt im Ganzen zurückhaltend. Sie wirkt ruhig und unauffällig. Spannung und Dramatik werden stattdessen an einigen Stellen durch elektronische Klänge und Geräusche erzeugt, was besonders für die Traum- und Phantasiesequenzen gilt.


Interpretation und Unterricht
OUT NOW thematisiert zunächst die Ängste und Gefühlswelt eines 16-jährigen Jugendlichen, der aufgrund seiner Homosexualität von seinen Altersgenossen ausgegrenzt und diskriminiert wird. Weder in der Schule bei seinen Lehrern oder Klassenkameraden noch in seinem Elternhaus findet Tom eine Person, mit der er über sich und seine Gefühle reden kann. Die einzige Ausnahme ist Vanessa, die er aber durch sein gewalttätiges Verhalten ihr gegenüber als einzige Freundin fast verliert. Kommunikation und Verständnis findet Tom im Chat des Internets. Hier blüht er im wahrsten Sinne des Wortes auf, kann lachen und sich so zeigen, wie er ist. Entsprechend ist er traurig oder enttäuscht, wenn das Gespräch im Chat einmal ausfallen muss. Er erfährt im Chat die Ermutigung und Hilfe, die er an anderen Stellen seines Lebens vermisst.

Für das Selbstbewusstsein und die eigene Rollenidentität ist die Anerkenntnis und Zugehörigkeit in einer Gruppe von Gleichaltrigen wichtig. Dies kann jedoch zu einem Gruppendruck führen, der bis zu Gewaltbereitschaft und gesellschaftlicher Ausgrenzung aufgrund von Vorurteilen reicht. Ist Tom bereits einer solchen Ausgrenzung zum Opfer gefallen, versuchen sich Nikias und Erdogan dem durch ihr opportunistisches Verhalten zu entziehen. Als Tom in der Dusche verprügelt wird, hält sich Nikias erstmalig zurück, weil er sich selbst in der möglichen Rolle des Opfers erkennt.
Tom wächst im Laufe der Geschichte unverhofft Mut zu. Seine Selbstisolierung wird endgültig aufgebrochen, als er das hilflose Doppelspiel seines Chatpartners Nikias durchschaut. Plötzlich berühren sich Chat und Wirklichkeit in einer Weise, die ihn sein eigenes Versteckspielen aufgeben und ihn seine eigene Bedürfnisse folgen lassen. Aus dem „Anderssein“ erwächst mutig ein eigenes Ich.

Der Film eignet sich, um mit Jugendlichen Themen wie Homosexualität, Liebe, Einsamkeit, Umgang mit Minderheiten, Toleranz und Kommunikation zu diskutieren. Dabei sollte Sensibilität gegenüber dem Anderen entwickelt und gefördert werden. Neben der aufmerksamen Beschreibung Toms wird insbesondere das Rollenverhalten der verschiedenen Personengruppen (Klassenkameraden, Freunden, Lehrern und Eltern) zu betrachten sein. Mögliche Ursachen und Handlungsalternativen können gut durch Rollenspiele, Standbilder u.ä. erarbeitet werden.

Eine große Bedeutung hat die Kommunikation in Chat und in Internet. In jedem Fall sollte die Nutzung moderner Kommunikationsmittel thematisiert werden. Wie im Film dargestellt sind dabei Chancen und Grenzen aufzuzeigen.

Der Film enthält hilfreiches Zusatzmaterial in Form von Schülerinterviews einer 11. Klasse eines Gymnasiums in Oberstdorf/Bayern (ca. 6 Min.) sowie begleitende Arbeitsblätter. Insbesondere die Interviews mit den am Film beteiligten Schülerinnen und Schülern regen eigene Fragen und Antworten an („Um welches Thema geht es in dem Film für dich?“ „Handelt es sich um eine realistische Geschichte?“ „Wie hätten sich Erdogan und Nikias toleranter gegenüber Tom verhalten können? Warum haben sie es nicht getan?“ „Was ist deiner Meinung nach die Botschaft des Films?“ „Was kann deiner Meinung nach der Film in der Schule bewirken?“ „Glaubst du, dass ein Schwuler zu einem Vertrauenslehrer gehen würde, um sich zu ‚outen’?“ „Was würdest du gegen Diskriminierung und Intoleranz unternehmen?“ u.a.m.)


Literatur
Wunibald Heigl: OUT NOW Arbeitsblätter zum Film; entnommen am aus www.baysem.de/download/outnow_ arbeitsblaetter.pdf (zuletzt geprüft am 7.9.2007)

 

 

Fickende Fische
Spielfilm 107 Minuten
Deutschland 2001
Regie: Almut Getto
FSK: 12 J.


Inhalt und Gestaltung
„Ein Fisch und Ninas Unfähigkeit, auf ihren Inlineskates zu bremsen, bringen Jan und Nina schlagartig zusammen. Jan ist 16, schüchtern und ein Einzelgänger. Seine Leidenschaft ist die Unterwasserwelt, in die er am liebsten eintauchen würde, um seine Krankheit zu vergessen und seine überfürsorgliche Mutter abzuschütteln. Jans einziger Vertrauter ist sein Großvater, ein skurriler Kauz, der die Abenteuerlichkeit des Lebens zu schätzen weiß und als einziges Familienmitglied seinen Humor nicht verloren hat. Nina ist anders. Sie ist frech, spontan und steht auf eigenen Beinen. Ihre Mutter hat sich ins ferne Kenia abgesetzt, auf ihren Vater und ihren Bruder kann Nina nicht zählen. Nur ihre Freundin Angel, eine Mittfünfzigerin, die sich mit dem Verkauf von Erotikspielzeug über Wasser hält, hört ihr zu. Doch beide haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Zusammen brechen sie aus ihrem Alltag aus und genießen ihr Leben in vollen Zügen. Sie suchen ihr Paradies und sie wissen: Es ist dunkel, ruhig, nass und voller Fische. Um die brennende Frage zu beantworten, ob Fische wirklich Sex haben, übernachten Nina und Jan heimlich im Aquarium – mit ungeahnten Konsequenzen. Ihr kleines Paradies ist bedroht – durch die beengende Welt der Erwachsenen, Missverständnisse, Unsicherheiten und durch eine nicht mehr zu verdrängende Realität: Jan ist mit dem HIV-Virus infiziert“.5

Der spannend erzählte mehrfach preisgekrönte Coming-of-age-Film hat nicht ohne Grund eine gute Filmkritik bekommen. Die Geschichte ist einfach und klar inszeniert. Doch ihr konventioneller Aufbau mündet nicht in kitschig-melancholischen oder auch moralischen Klischees. Gerade in seiner locker-leichten Atmosphäre bewahrt er die Ernsthaftigkeit, die der Film braucht, um Jugendliche emotional und thematisch anzusprechen. Bei der Gestaltung ihres Debütfilms habe sie sich an englischen Filmen orientiert, erklärte die Regisseurin Almut Getto in einem Interview mit Jenny Bleek. Darin liegen „Dramatik und Komik oft sehr nah beieinander“. Die beiden Jugenddarsteller Tino Mewes und Sophie Rogall tragen viel zum Gelingen des Films bei. Was zunächst noch als Unbeholfenheit und Unsicherheit daherkommt, entwickelt im Laufe des Films eine Dynamik, die seine Protagonisten gerade im Ringen um die eigene Zukunft und Freiheit zunehmend sympathischer erscheinen lässt.


Interpretation und Unterricht
Worum geht es in diesem Film? Ohne Frage ist Aids ein Thema des Films. Der frech-provozierende Titel, der einen deutschen Lieferanten bereits zum Ersatztitel „FiFi“ greifen ließ, kann als klare Botschaft verstanden: Nennt – so wie es Nina im Film spontan tut – die Dinge beim Namen und versteckt euch nicht hinter Anspielungen. Redet offen und ohne Angst! Doch hinter der Aidsfrage, die Jans Handeln und Denken von Anfang bis Ende prägt, verbirgt sich mehr: Als Nina beschlossen hat, trotz Jans Aidskrankheit mit ihm zusammen zu bleiben, warnt er sie: „Aufs Sterben warten, bringt dich um.“ Nina entgegnet: „Aufs Leben warten auch.“ Angesichts unterschiedlichster Formen von Lebensbedrohung und Tod gilt es, das Leben zu gestalten. Im umstrittenen Ende des Films entscheiden sich Nina und Jan für das Leben. Was zunächst wie ein Suizid aussieht, ist die allegorische Deutung einer Reife, die Nina und Jan erfahren haben. Beide fahren nach der Beerdigung von Jans Großvater mit dem Auto über eine Brücke, über deren Geländer der Wagen in hohem Bogen in die Tiefe eines Flusses stürzt. Saßen sie früher noch spielend im Auto auf einem fahrenden Autotransporter, so haben sie endlich das Steuer ihres eigenen Lebens in die Hand genommen, um im geliebten Element des Wassers symbolisch den Wandel eines neuen Lebensabschnitts zu beginnen.

Der Film, der im Unterricht mit Jugendlichen ab 15 Jahren eingesetzt werden kann, sich gleichfalls aber auch an Eltern und andere Erziehende wendet, bedarf in der Schule einer gewissenhaften Vor- und Nachbereitung. Es sollte genügend Zeit zur Verfügung stehen, den Film ganz zu zeigen. Dem kommt entgegen, dass der Film sehr gut fächerübergreifend behandelt werden kann. Der Titel des Films wird bei Jugendlichen zwar zunächst Neugier, nicht jedoch automatisch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Film motivieren. Es ist sinnvoll, verschiedene Beobachtungsaufgaben zu Themen des Films zu verteilen und damit die Schülerinnen und Schüler bereits inhaltlich an den Film heranzuführen. Besonders die Rolle des sozialen und familiären Umfeldes für die Beziehung von Jan und Nina kann dabei gut erarbeitet werden. Neben Freundschaft, Liebe, Sexualität und Aids gibt es weitere thematische Bezüge: Eltern-Kind-Beziehung, Leben und Sterben, Sinn des Lebens, Paradies, Kommunikation, Angst.

Ein Filmvergleich bietet sich an mit dem Film: Utopia Blues, 97 Min., Schweiz 2001, Regie: Stefan Haupt.


Literatur
Peter Weskamp: FICKENDE FISCHE. Arbeitshilfe, Zürich 2005. Bezug: Medienladen, Badenerstr. 69, CH-8026 Zürich, e-mail: info@medienladen.ch


Anmerkung
5. Entnommen: www.daserste.de/debut/film_dyn~id,ogmz1fxw998 oxfa1~cm.asp (7.9.2009).