1. Grundlagen religionspädagogischer Arbeit in der Grundschule
1.1 Veränderte Grundschule
1.2 Religion als Dimension des Lernens und Lebens
1.3 Religiöses Interesse der Kinder
2. Situationen, Orte und Zeiten für religiöses Lernen in der Grundschule
2.1 Religion im Fachunterricht
2.2 Religion im rhythmisierten Schultag
2.3 Religion im Schulleben
2.4 Religion an außerschulischen Lernorten
2.5 Personelle Integration der verschiedenen Bereiche religiösen Lernens
3. Religion in der Grundschule lehren
3.1 Lernformen und Lernkultur entwickeln
3.2 Die eigene Rolle reflektieren
3.3 Leistungen des Unterrichts und der Kinder beurteilen
3.4 Mit Eltern arbeiten
4. Unterstützung und Begleitung der Religionslehrkräfte in der Grundschule
4.1 Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung
4.2 Forschung und Praxis
4.3 Entlastung und Schutz vor Überforderung
Schlusswort: Dank und Ermutigung
Vorwort
Die neuere Schulentwicklung ist geprägt von Lernansätzen, in denen sich traditionelle Schulfächer zugunsten von Lernfeldern beziehungsweise Lernbereichen öffnen und reformpädagogische Methoden an Gewicht gewinnen. Dazu gehören fächerübergreifendes Lernen und für die einzelne Schule die Möglichkeit, individuelle Schulprogramme zu erstellen. In der Grundschule ist die Einführung neuer Bildungs- und Lernkonzepte am weitesten fortgeschritten. In dieser Situation will die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf den konstruktiven pädagogischen Beitrag hinweisen, den der Evangelische Religionsunterricht zur Schulentwicklung leistet. Auch über den Fachunterricht hinaus ist Religion eine Dimension des schulischen Lernens und Lebens, die in einem Bezug zur Mitverantwortung der Kirchen für die religiöse Bildung in der Schule steht.
Wer heute den Klassenraum betritt, hat immer häufiger getaufte und ungetaufte Kinder vor sich, deutsche und ausländische, Kinder unterschiedlicher Familiensituationen und kultureller Herkunft; nur ganz wenige kommen aus kirchlich eng verbundenen Familien. In diesem Zusammenhang hat die Schule eine wichtige doppelte Aufgabe: Sie hat zum einen die Schülerinnen und Schüler mit den prägenden historischen Kräften und christlichen Traditionen der deutschen und europäischen Kultur vertraut zu machen. Die Schule hat zum anderen das Zusammenleben von Menschen anderer Länder, Kulturen und Religionen zu fördern. Neben der Vorschulerziehung bietet die Grundschule den Rahmen dafür, dass Kinder unterschiedlicher Herkunft einander in Offenheit und Aufgeschlossenheit begegnen, Gemeinsamkeit entdecken und lernen, mit ihrer Verschiedenheit umzugehen.
Für viele Kinder ist der konfessionelle Religionsunterricht in der Grundschule die erste Begegnung mit Christentum und Religion überhaupt. Dieser Unterricht hat eine große Akzeptanz und wird - zumindest in den westlichen Bundesländern - nahezu flächendeckend erteilt. Fast alle evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schüler nehmen an ihm teil und darüber hinaus etliche andere, die keiner Konfession oder einer anderen Religion angehören. Allerdings ist die religiöse Bildung nicht nur auf den Religionsunterricht zu beschränken.
Dieser Text wurde von Fachleuten aus den Pädagogisch-theologischen Instituten der Landeskirchen (ALPIKA), dem Comenius-Institut der EKD, der Konferenz der Referentinnen und Referenten für Bildungs-, Erziehungs- und Schulfragen in den Gliedkirchen der EKD (BESRK) und der Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend erarbeitet. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat ihn dankbar und zustimmend entgegengenommen. Ich wünsche unserer Stellungnahme bei den Verantwortlichen und allen Beteiligten in Staat und Kirche, Schule und Gemeinde hohe Aufmerksamkeit und Verbreitung. Der Rat dankt allen, die sich für den Religionsunterricht und die religiöse Bildung in der Grundschule einsetzen, besonders den Religionslehrerinnen und Religionslehrern, denn Kinder haben ein Recht auf Religion - auch in der Grundschule.
Hannover, im Dezember 2000
Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Die Grundschule hat sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert. Neue Konzepte des Lehrens und Lernens in der Grundschule wurden entwickelt und werden jetzt in der Breite umgesetzt. Welche Rolle spielt dabei die Beschäftigung mit religiösen Themen? Wie kann den immer neuen Fragen der Kinder nach Gott und den Geheimnissen des Lebens im Schulalltag inner- und außerhalb des Religionsunterrichts nachgegangen werden? Welche Qualifikation und Unterstützung brauchen diejenigen, die Religion in der Grundschule unterrichten?
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich zur Religion in der Schule sowie zur Lebenssituation von Kindern in vier Texten grundlegend geäußert:
- Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift (1994),
- Aufwachsen in schwieriger Zeit. Kinder in Gemeinde und Gesellschaft (1994),
- Im Dialog über Glauben und Leben. Zur Reform des Lehramtsstudiums Evangelische Theologie / Religionspädagogik. Empfehlungen (1997),
- Religiöse Bildung in der Schule. Kundgebung (1997).
In diesen Texten hat die EKD viele Elemente der neueren Schulentwicklung ausdrücklich begrüßt. Sie liegen im Interesse eines »Perspektivenwechsels« (EKD-Synode 1994), der die eigene Sicht der Kinder und Jugendlichen wahrnimmt und ernst nimmt. In der Grundschule werden zur Zeit innovative Sozial-, Lern- und Arbeitsformen eingeführt, die für das gesamte Schulwesen eine Schrittmacherfunktion haben. Deswegen nimmt die evangelische Kirche zur religionspädagogischen Arbeit in der Grundschule jetzt gesondert Stellung. Gleichzeitig will sie die grundlegenden Perspektiven der oben genannten Texte für eine einzelne Schulform konkret veranschaulichen.
1. Grundlagen religionspädagogischer Arbeit in der Grundschule
1.1 Veränderte Grundschule
Die heutige Grundschulreform geht auf Impulse zurück, die die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihren "Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule" von 1994 beschreibt und bündelt. Die KMK verweist auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: "Die Kinder von heute kommen mit gewandelten und sehr unterschiedlichen Erfahrungen zur Schule. Zugleich ist im Bewusstsein der Eltern die Bedeutung der Schule als Vermittlerin von Lebenschancen gestiegen. Die Veränderung der Familienstrukturen, ein vielfältiges Spektrum von Lebensformen und Erziehungsvorstellungen verbunden mit einer erweiterten Mitwirkung der Eltern, das Zusammenleben mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, ein wachsendes Bewusstsein für ökologische Fragen, der Einfluss der Medien - all dies stellt die Grundschule ebenso vor neue Aufgaben wie die wachsende Bereitschaft, im Rahmen des Möglichen auch Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Grundschule zu unterrichten."
Als Inhalte grundlegender Bildung benennt die KMK: „Bildung ist ein offener, handlungsorientierter, lebenslanger Prozess. Dadurch sollen die Menschen befähigt werden, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben und Probleme sachlich angemessen nach demokratischen Grundsätzen zu lösen, Verantwortung zu übernehmen und die Folgen eigenen Handelns zu bedenken. Dieser Prozess beginnt im Vorschulalter und wird in der Grundschule zielgerichtet fortgesetzt.
Die Grundschule leistet im Rahmen ihres Erziehungsauftrages auch einen Beitrag zu einer grundlegenden Wertorientierung, indem sie bei den Kindern Selbst- und Welterkenntnis anbahnt, sie schrittweise zu Urteilsfähigkeit und zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln hinführt. Sie soll den Schülerinnen und Schülern helfen, eigene Standpunkte und Werthaltungen zu gewinnen, die für die Persönlichkeitsentwicklung und für eine verantwortliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erforderlich sind.“
Die Bundesländer haben in unterschiedlicher Weise damit begonnen, die Empfehlungen der KMK umzusetzen. Auf diesem Hintergrund entwickeln Grundschulen - im Interesse der unterschiedlich begabten und sozialisierten Kinder und in Aufnahme ihrer Lebenswirklichkeit - rhythmisierte Formen des Lebens und Lernens, des Spielens und Arbeitens, der Anstrengung und Entspannung. Sie stellen sich durch ein vielfältiges Angebot differenzierter Lernchancen der Herausforderung, die kindliche Lernfreude zu entwickeln, Neugier auf Wissen und Erfahrung zu stützen, die individuelle und soziale Identität zu stärken sowie normative Orientierungen zu ermöglichen und Kompetenzen zu vermitteln. Viele Schulen integrieren Kinder mit Behinderungen. Eine Herausforderung sind Entwicklungen wie die familien- und bildungspolitisch gewollte "verlässliche Grundschule", "volle Halbtagsschule", "Schule von acht bis eins" oder auch Ganztagsschulen.
Die pädagogische Arbeit ist geprägt von Lernansätzen, in denen sich traditionelle Schulfächer zugunsten von Lernfeldern bzw. Lernbereichen öffnen und reformpädagogische Methoden an Gewicht gewinnen. Die Integration von Kindern unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft und die Differenzierung der Lernangebote sind leitende Prinzipien der Arbeit an Bildung und Erziehung in der Grundschule.
Nahezu alle Bundesländer erweitern den Gestaltungsspielraum der einzelnen Schule durch die Möglichkeit, in einem bestimmten Rahmen individuelle Schulprogramme zu erstellen. Jede Schule entwickelt auf diese Weise ein orts- und situationsspezifisches pädagogisches Konzept und realisiert es verantwortlich. Diese Profilierung und ihre Darstellung im Schulprogramm wird die Unterschiede zwischen den Schulen verstärken, aber auch transparenter und nachvollziehbarer machen.
1.2. Religion als Dimension des Lernens und Leben
Die KMK skizziert in ihren Empfehlungen von 1994 Lernbereiche, die neben und mit den traditionellen Fächern den Unterricht strukturieren sollen (Spracherziehung, Mathematische Erziehung, Medienerziehung, Ästhetische Erziehung, Umgang mit Technik, Bewegungserziehung, Fremdsprachenbegegnung, Umwelt und Gesundheit, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit). Obwohl der Religionsunterricht als Fach benannt wird, findet er sich in den Lernbereichen nicht ausdrücklich wieder - wohl auch deswegen, um in die Kompetenzen der Religionsgemeinschaften bei der Ausgestaltung des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG nicht einzugreifen.
Religion ist ein impulsgebender, integrierender und komplementärer Bereich schulischer Bildung und Erziehung:
- Religiöse Bildung gibt den nicht-ersetzbaren, grundlegenden Impuls, die beiden aufeinander bezogenen substantiellen Aufgaben der Grundschule wie jeder Schule, die Einführung in die Kultur und die Bildung der Person, zu vertiefen. Sie hilft den Kindern, sich in der pluralen Vielfalt möglicher Lebensentwürfe zurechtzufinden und eine eigene Identität zu entwickeln, die religiöse Orientierung und ethische Urteilsfähigkeit einschließt.
- Religiöse Bildung trägt zur Integration von Schule und Lebenswelt bei, indem sie die sozialen Umgangsformen und menschlichen Beziehungen innerhalb der Schule sowie zwischen der Schule und der Welt der Erwachsenen in das Licht religiöser Traditionen rückt, zum Beispiel durch religiöse Feste, Feiern und Rituale.
- Religiöse Bildung ergänzt komplementär zu Sichtweisen aus anderen Fächern oder Lernbereichen die Erschließung der Lebenswirklichkeit im Zeitfluss von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft. Bei einem christlich-konfessionellen Religionsunterricht ergeben sich die komplementären und integrierenden Wirkungen, weil sich die Gegenstände des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts ohnehin weitgehend überschneiden und weil auch die Verbindungen zu anderen Fächern nahe liegen, sofern Religion und Leben, christlicher Glaube und Alltag, Kirche und Gesellschaft aufeinander verweisen.
Dieser dreifache Beitrag der religiösen Bildung zum "Haus des Lebens und Lernens" gehört in das Schulprogramm jeder einzelnen Schule. Die verantwortliche Gestaltung des schulischen Miteinanders ist eine grundlegende Voraussetzung demokratischer Systeme. Bestimmte Formen des Schullebens können durch die religiöse Dimension auf einen Begründungszusammenhang zurückgeführt werden, der sich selbst wiederum in konkreten pädagogischen Konzepten und Formen niederschlägt.
Die Kultur, die unsere Lebenssituation prägt, verdankt sich mit ihren freiheitlichen Überzeugungen wie ihrem sozialen, diakonischen Verantwortungsbewusstsein gerade auch christlich begründeten Überzeugungen. Es ist darum unverzichtbar, die in unserem Kulturkreis wirksame biblisch-christliche Tradition in der Grundschule schwerpunktmäßig zu thematisieren. Diese Aufgabe ist mit der Behandlung von Inhalten anderer Religionen und Kulturen zu verbinden. Interreligiöses Lernen hat Respekt vor dem Andersartigen einzuüben sowie Gemeinsames und Unterscheidendes zu verdeutlichen.
Auf der Grundlage der beschriebenen Aufgaben verfolgt die evangelische religionspädagogische Arbeit an der Grundschule folgende Ziele:
- Die Kinder sollen biblisch-theologisches Grundwissen erwerben und die Tradition und Sprache des christlichen Glaubens kennen lernen;
- sie sollen erkennen, wie die Religion ihre Lebenssituationen, -aufgaben und -probleme betrifft, und lernen, Unterschiede religiöser Herkunft wahrzunehmen und zu respektieren;
- ihnen soll ein Raum der Besinnung gegeben werden, in welchem sie nach Sinn und Bedeutung fragen, Leid, Angst und Trauer äußern sowie Sehnsucht und Hoffnung ausdrücken können, um so die spirituelle Dimension des Lebens zu spüren;
- der Religionsunterricht soll die religiöse Urteilsfähigkeit der Kinder entwickeln und Handlungs- und Wertorientierungen vermitteln.
Um das umfassende Aufgabenfeld religiöser Bildung in der Grundschule wahrzunehmen, ist ein hohes Maß an kollegialer Kommunikation und Kooperation im Schulalltag notwendig. Die religionspädagogischen Fachkräfte sind daran interessiert, im Schulleben präsent zu sein, sich an der Entwicklung der pädagogischen und kommunikativen Kultur einer Schule aktiv zu beteiligen und die religiöse Dimension schulischer Bildung praktisch in den Allgemeinbildungsauftrag zu integrieren (vgl. 2.2 und 2.5).
Die Situation an ostdeutschen Grundschulen fordert besonders heraus. Dass Religion eine Dimension des schulischen Lernens und Lebens ist, trifft dort verstärkt auf Unverständnis. Zwischen den Kirchen und den Konfessionslosen stehen hohe sprachliche, kulturelle und auch emotionale Barrieren, die religionspädagogisch bedacht werden müssen. Wenn Religion in der Schule thematisiert wird, geschieht das meist ausschließlich im Religionsunterricht und eventuell im Ethikunterricht. Dabei richten sich an den Religionsunterricht divergierende Erwartungen. Er soll einerseits konfessionell beheimaten und andererseits religionskundlich informieren und kulturell bilden. Daher müssen Konzepte entwickelt werden, die
- eine pointierte Aufgabenteilung zwischen den gewachsenen Formen kirchlicher Arbeit mit Kindern (u. a. Christenlehre) und dem schulischen Bildungsauftrag des Religionsunterrichts ermöglichen,
- eine Situation der Konfessionslosigkeit reflektieren, die sich bereits über mehrere Generationen erstreckt,
- über den Religionsunterricht Schülerinnen, Schüler und Eltern einladen, Urteile und Vorurteile über Religion und christlichen Glauben zu prüfen, die durch die bis heute fortwirkenden DDR-Ideologien geprägt worden sind.
1.3. Religiöses Interesse der Kinder
Die religionspädagogische Arbeit in der Schule nimmt Mädchen und Jungen als Subjekte des Lernens ernst. Kinder haben ein religiöses Interesse, über das sie anders als Erwachsene ganz unbefangen kommunizieren wollen. Das zeigt sich in der Beliebtheit des Religionsunterrichts in der Grundschule bei den Schülerinnen und Schülern, die empirische Untersuchungen nachweisen. Während der ersten Schuljahre werden Geschichten und Symbole für die Orientierung des Kindes wichtig. Die Kinder sind dabei offen für viele biblische und religiöse Geschichten, die sie gern hören oder sehen, nachspielen und mitvollziehen. Mythologische Aussagen werden noch nicht zum intellektuellen Problem, sie gehören zum faszinierenden Material der Geschichten und werden in der Regel wörtlich und direkt verstanden. Wenn Kinder religiös denken, entwickeln sie oft eine Weltsicht, in der alles noch miteinander zusammenhängt.
Wenn Kinder vom Leiden auf dieser Welt erfahren oder wenn sie gar selbst durch schwere Krankheit betroffen sind, stehen sie so wie Erwachsene auch hilflos vor der Frage, warum das so ist und ob Gott helfen kann. Kinder wissen mehr oder weniger, dass man zu Gott betet. Aber: »Woher wissen wir wirklich, wenn wir beten, dass wir zu Gott sprechen?« (eine Grundschülerin). Diese Zweifel berühren das Zentrum des christlichen Glaubens, und sie nehmen vorweg, was später die religiöse Problematik vieler Jugendlicher ausmacht.
Kinder brauchen in der Begegnung mit Erwachsenen einen Freiraum für ihre eigenen Erfahrungen und Deutungen, nicht nur Korrektur oder Belehrung. Erwachsene sollten erkennen, dass die Kinder selbständig ihre eigene Religion entwerfen. Hierbei verwenden sie zwar, was sie vom Christentum beziehungsweise den anderen Religionen sehen und hören, aber nie übernehmen sie einfach nur, um sich damit zu begnügen. Dafür sind sie viel zu sehr aktive Erkunder ihrer sie immer wieder neu überraschenden Welt und eigenständige Entdecker von möglichen Antworten auf die Rätsel, die sich ihnen auftun. Jedes Kind entwickelt gleichsam seine eigene Theologie; dies ist zumindest sehr wahrscheinlich dort der Fall, wo in einer Gesellschaft insgesamt noch von Gott die Rede ist und es Ausdrucksformen von Religion gibt. Darum ist es unerlässlich, dass die Interessen und die Rechte der Kinder auch in diesem Bereich geachtet werden und Religion in die Lerndimensionen der Grundschule einbezogen wird.
Situationen, Orte und Zeiten für religiöses Lernen in der Grundschule
Die im Folgenden beschriebenen Situationen, Orte und Zeiten, in denen religiöses Lernen in der Grundschule stattfindet, sind sorgfältig zu unterscheiden und zu gewichten. Dabei geht es nicht zuletzt um den verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich von positiver und negativer Religionsfreiheit. Eine besondere Gelegenheit, Religion in der Schule zu thematisieren und zu vertiefen, bietet zweifellos der konfessionelle Religionsunterricht. Dennoch können und sollen religiöse Fragen, Inhalte und Elemente in der Schule auch außerhalb des Religionsunterrichts einen Platz haben. Erst dann wird Religion zu einer wirklichen Dimension des Lernens und Lebens. Die Art und Weise, in der das geschieht, muss keineswegs nur religionskundlich-distanziert ablaufen. Selbst ein religiöses Ritual wie ein ökumenisch ausgerichtetes Gebet in der Schule (in der Klasse oder klassenübergreifend) kann nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur religiösen Bildung zählen, wenn es - wie für jeden Schulunterricht selbstverständlich - frei von Zwang und Indoktrination durchgeführt wird und den Schülerinnen und Schülern Raum für eine innere Distanzierung lässt.
Wie sich unterschiedliche Situationen und Inhalte religiösen Lernens aufeinander beziehen lassen, kann ein Beispiel verdeutlichen: Wenn eine Schülerin morgens mitteilt, dass die Großmutter gestorben ist, und sagt, jetzt glaube sie nicht mehr an Gott, hat das, was der Stundenplan vorsieht, für eine Weile zurückzustehen. Im Gesprächskreis erhält das Mädchen Gelegenheit, sich auszusprechen, und es hilft ihr, wenn die anderen ruhig werden und zuhören oder spontan religiöse Vorstellungen entwickeln, was nach dem Tod sein wird. Am Ende einer solchen unvorhergesehenen Aussprache bemerkt das betroffene Kind, dass es "mehr wissen möchte über den Tod und danach, vielleicht aus der Bibel. Machen wir das in Religion?" Die Schülerin schließt ihre Suche nach Antworten nicht ab. Sie wünscht, dass ihr Thema im Religionsunterricht aufgegriffen wird. Religiöses Lernen in offenen Situationen und im Fachunterricht verweisen aufeinander.
2.1 Religion im Fachunterricht
Fächerübergreifender Unterricht und Lernen in Projekten machen Fachunterricht also nicht überflüssig; setzen ihn vielmehr als Raum systematischeren Lernens voraus. Der evangelische Religionsunterricht in der Grundschule soll als Fachunterricht in der Regel im Umfang von zwei Wochenstunden stattfinden; manche Schulen haben Modelle entwickelt, wie diese Unterrichtszeit teilweise in überunterrichtliche Vorhaben eingebracht werden kann.
Im Fachunterricht ist eine elementare Einführung in das Christentum evangelischer Prägung möglich und notwendig, die sich am Verstehen der Kinder orientiert. Sie ist nicht nur deswegen notwendig, weil der Religionsunterricht gemäß Art. 7 Abs. 3 GG in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften zu erteilen ist, wozu entsprechende Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien gehören, sondern auch, weil sie dem zu entsprechen hat, was die Eltern erwarten, wenn sie ihr Kind an einem evangelischen Religionsunterricht teilnehmen lassen. Für Religion im Fachunterricht sprechen vor allem ebenso mehrere pädagogische und theologische Gründe. Es gilt für ihn pädagogisch:
- Das Kind lernt, in Zusammenhänge einzuordnen, was spontan oder auch intentional gelenkt im rhythmisierten Schulalltag in verschiedenen Situationen stattfindet (vgl. 2.2).
- Es kann das, was bei fächerübergreifendem Unterricht oder Projekten nur in bestimmten Aspekten eine Rolle spielt, ansatzweise als Teil eines eigentümlichen, nämlich religiösen Ganzen erkennen.
- Bei spontanen religiösen Lerngelegenheiten, wenn etwa Kinder plötzlich eine religiöse Frage aufwerfen (s.o.), kann dieser meist nur vorläufig nachgegangen werden. Die Kinder wissen und verstehen, dass der Religionsunterricht der Ort ist, das Thema gründlicher von verschiedenen Seiten zu besprechen und zu vertiefen.
Religionsunterricht ist als Fachunterricht ebenso theologisch geboten, wobei sich diese Gründe ebenfalls mit pädagogischen verbinden: - Religion ist - bereits für Kinder - ein eigenes Phänomen (vgl. 1.3). Religion betrifft für sie in unserem Kulturraum Gott, das Gespür für Gottes Nähe und Wirken, bis hin zu einer persönlichen Gottesbeziehung, aber auch früh begleitet von Fragen.
- Im Fachunterricht erkennen Kinder klarer, was es überhaupt mit Religion als einem eigenen Erfahrungsbereich menschlichen Lebens auf sich hat. Dort tritt ihnen Religion konturierter vor Augen. Religiöse Gefühle, Erfahrungen und Einsichten gehen nicht in sozialem, ethischem und ästhetischem Lernen auf, obwohl sie darauf ausstrahlen.
- Religionsunterricht ist als evangelischer Fachunterricht sachgemäß, weil es ein Christentum reformatorisch-protestantischer Prägung eigener Art gibt und schon die Grundschule das Individuelle der christlichen Konfessionen und der Religionen (Judentum, Christentum, Islam) würdigen sollte.
- Wie bei einem Glaubens-"Dialog" zwischen Erwachsenen fördert ebenso das ökumenische und interreligiöse Lernen in Kindheit und Jugendalter nur dann entsprechende Gesprächs- bzw. Pluralismuskompetenzen, wenn in spezifischer konfessioneller und religiöser Bestimmtheit gelehrt wird. Evangelische "Identität" schließt die Bereitschaft wie Fähigkeit zu "Verständigung" ein (s. EKD-Denkschrift 1994).
- Bildung vollzieht sich in der fruchtbaren Spannung zwischen dem (möglichen) Eigenen und dem Anderen und Fremden. Wer wahrnimmt und erkennt, erkennt "etwas" als unterschieden von "anderem": In der Differenz tritt das eine gegenüber dem anderen je eigentümlicher hervor, und auch das Gemeinsame wird nun nicht verschwommen, sondern klarer erkennbar.
Die Fähigkeiten, die im Religionsunterricht als Fachunterricht im Einzelnen erworben werden können, sind unter anderem folgende:
- Kinder lernen biblische Geschichten als Elemente christlicher Tradition und Anhalt christlichen Glaubens kennen, die zusammen mit anderen, aus dieser Tradition mitbestimmten Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart Wege der Lebensdeutung und verantwortlichen Handelns zeigen.
- Kinder entwickeln eine Sprache, mit der sie ihr eigenes Fühlen und Denken ausdrücken und die Beziehung zu anderen Menschen wie überhaupt zu dem, was sie in ihrer Lebensumgebung beobachten und verarbeiten müssen, gestalten können.
- Kinder reden miteinander und drücken gestalterisch aus, was sie fühlen, imaginieren, wünschen oder fürchten. Durch Malen, Singen, Gestalten, Tanzen und Rollenspiele kann das Symbolverständnis der Kinder angebahnt werden.
- Kinder werden nicht zuletzt in charakteristische Formen religiösen Lebens eingeführt (wie Singen, Beten, Lesen, Danken, Klagen und Bitten), die Religion und Religiosität von innen spürbar werden lassen.
Der Fachunterricht hat darüber hinaus besondere Situationen und Phasen zu gestalten. Dazu gehören:
Anfangsunterricht 1. Schuljahr
In der Schuleingangsphase geht es vor allem darum, die verschiedenen Kinder einer Klassengemeinschaft sozial zu integrieren sowie gemeinsam Regeln des Zusammenlebens und -lernens zu entwickeln und einzuüben. Auch unter diesem Gesichtspunkt unterstützen sich die verschiedenen Lerngelegenheiten und -weisen. Die im Klassenverband vereinbarten Regeln, die dann in allen Fächern gleich gelten, sollten in diesen nicht nur immer wieder erinnert und gestärkt, sondern sie können im Religionsunterricht eigens aus religiöser Perspektive bedacht und begründet werden. Bei dieser Schuleingangsphase, in der sich die Kinder in den Klassenverband einfinden sollen und die im ersten Schulhalbjahr unterschiedlich lange dauern kann, sollten die christlich-konfessionellen Unterschiede zugunsten eines gemeinsamen Religionsunterrichts zurücktreten, obwohl sie bereits in diesem Alter erlebt werden. Der Anfangsunterricht in Religion braucht eine stärkere evangelisch-katholische Kooperation.
Evangelische Religion in Kooperation mit Katholischer Religion und Ethik
Auch über den Anfangsunterricht hinaus sollte im Interesse der Kinder die Zusammenarbeit mit anderen Fächern als besondere Chance religiöser und ethischer Erziehung aufgesucht und ausgestaltet werden, wo immer es möglich ist. Das kann im Rahmen einer "Fächergruppe" geschehen (vgl. "Identität und Verständigung"), themen- und projektbezogen, in Bezug auf Lernsituationen im Schulleben und im außerunterrichtlichen Bereich. Die von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland 1998 beschriebenen Formen der Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht reichen von thematischen Absprachen über ein Zusammenwirken der Fachkonferenzen und gemeinsame Unterrichtsprojekte bis hin zu Formen des gemeinsamen Unterrichts von evangelischen und katholischen Religionslehrkräften.
Die Möglichkeiten der Kooperation unterscheiden sich erheblich je nach den örtlichen Bedingungen. Sie sind deshalb in vielfältig unterschiedlicher Weise zu entwickeln und zu erproben und werden gegenwärtig in einzelnen Projekten auch wissenschaftlich erforscht.
Interreligiöses Lernen
Im schulischen und außerschulischen Alltag begegnen Kinder Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Herkunft. Eine zunehmend multikulturelle und multireligiöse Lebenssituation erfordert Orte und Zeiten, in denen diese Situation zum besseren gegenseitigen Verständnis thematisiert, erhellt und in ihren möglichen Konfliktstrukturen aufgeklärt werden kann. Dafür sind im evangelischen Religionsunterricht Freiräume und eventuell Kooperationsphasen einzuplanen und durch Modellversuche praktisch zu erproben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass vielerorts der konfessionelle evangelische oder katholische Religionsunterricht bereits eine bestimme Integrations- und Dialogfunktion übernommen hat, weil an diesem Unterricht besonders in der Grundschule oft Schülerinnen und Schüler anderer Konfession oder Religion beziehungsweise religiös nicht gebundene teilnehmen.
Innere Differenzierungen
Die heterogene Zusammensetzung von Schulklassen und Lerngruppen erfordert einerseits ein integrierendes, andererseits ein nach den jeweiligen Lernvoraussetzungen differenzierendes didaktisches Vorgehen. Darum sind Beispiele und Modelle zu entwickeln, wie beispielsweise Kinder mit besonderem Förderbedarf angemessen in den Unterricht zu integrieren, wie intellektuell anspruchsvolle Kinder zu fördern sind, ohne dass sie sich langweilen, oder wie mehr Geschlechtergerechtigkeit auch im Religionsunterricht zu realisieren ist.
2.2 Religion im rhythmisierten Schultag
Religiöses Lernen findet - spontan oder intentional gelenkt - im rhythmisierten Schultag auch außerhalb des Fachunterrichts in verschiedenen Situationen statt. Wie am Eingang dieses Kapitels geschildert, muss in jeder dieser Situationen die Balance zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit gewährleistet sein. Die Kinder sollten sich frei aussprechen dürfen, ohne dass andere weltanschaulich-religiös bedrängt werden. Um diese Situationen verantwortlich zu gestalten, ist ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz und Sensibilität in religiösen Fragen erforderlich, welches Religionslehrkräfte von ihrer Ausbildung her in besonderer Weise mitbringen. Ihre - wenigstens zeitweise - Beteiligung an den folgenden Formen und Gelegenheiten ist sinnvoll und von daher inhaltlich und organisatorisch zu regeln (vgl. 2.5):
Offener Anfang / Gleitzeit
Viele Grundschulen gehen dazu über, den täglichen Schulanfang zeitlich so zu öffnen, dass Kinder "gleitend" ankommen und sich zunächst individuell unterschiedlich im Klassenraum zurechtfinden können - mit Spielen, in Arbeitsecken, mit der Erledigung von Fürsorgepflichten - bevor der strukturierte gemeinsame Unterricht beginnt. Die Lehrkräfte haben Zeit, mit den Kindern informell zu kommunizieren und individuelle Befindlichkeiten wahrzunehmen. Dabei können religiöse Fragestellungen einfließen (vgl. 1.3 und das Beispiel am Anfang von Kap. 2.).
Gemeinsame Rituale
Ein klassen- oder auch schulöffentliches Ritual zu Beginn einer Schulwoche ist geeignet, inhaltlich, sozial und emotional auf die Woche einzustimmen, Erwartungen zu wecken, Pläne offenzulegen und besonderer Ereignisse zu gedenken. Am Wochenschluss kann das Ritual zur Besinnung, zur Auswertung und zum Feedback beitragen; einige Schulen nutzen den Wochenabschluss für die Veröffentlichung und Würdigung von Lernergebnissen. Religiöse Ereignisse und Themen können einbezogen werden.
Das gemeinsame Frühstück, die Feier von Geburtstagen ("Viel Glück und viel Segen auf all' deinen Wegen"), das Gedenken an kranke Kinder bieten weitere Gelegenheiten zu Andacht und Feier, Spiritualität und Stille, in denen die religiöse Dimension anklingen kann.
Freiarbeit
Freiarbeit ist eine individualisierende Form selbständigen Lernens. In den Klassen gibt es Lese- und Mathematikecken, Arbeitsateliers, Forschungswerkstätten und verschiedentlich bereits PC-Stationen, die die Jungen und Mädchen zunehmend selbständig nutzen. Diverse religionspädagogische Wissens- und Lernspiele, Text- und Geschichtenbücher, Bilder, Tonkassetten, CDs und CD-ROMs sind für Freiarbeit und selbständiges Lernen gut geeignet. Kinder wollen sich auch zu religiösen Fragen und Bereichen kundig machen, wenn attraktive und verschiedenartige Arbeitsmaterialien in einer anregenden Lernumgebung bereitstehen.
Flexible Lernzeiten und fächerübergreifender Unterricht
Viele Grundschulen haben den Schultag in zeitlichen Blöcken von 60 bis 90 Minuten strukturiert, um die Lernzeiten im Wechsel mit Pausen flexibler für die jeweiligen inhaltlichen Aufgaben der Lernbereiche nutzen zu können. So wird es möglich, Unterricht in thematischen Epochen durchzuführen und dabei die fachspezifischen Anteile aufeinander zu beziehen. Die Beteiligung der Religionslehrkräfte ist häufig inhaltlich naheliegend: zur Ausgestaltung eines Teilaspekts, einer bestimmten Phase oder auch zur Konzeption einer Epoche.
Fachübergreifende Unterrichtsepochen müssen kooperativ vorbereitet werden. Es kann sich bei manchen Themen als nützlich erweisen, Eltern in die Vorbereitungen einzubeziehen und didaktische Wahlmöglichkeiten einzuplanen, damit die Auseinandersetzung mit religiös-christlichen Aspekten grundsätzlich optional bleibt.
Lernen in Projekten
Die Übergänge zwischen themenorientierter Freiarbeit, fächerübergreifendem Unterricht und Lernen in Projekten sind fließend, bei unterschiedlichen Freiheitsgraden für selbständiges Arbeiten. Projektunterricht ist die Form, bei der die Schülerinnen und Schüler den weitesten Spielraum für Entscheidungen haben: sie wählen einen inhaltlichen Schwerpunkt, die Zielsetzung und Methode der Bearbeitung, ihre Sozialpartner und die Form der Darstellung von Ergebnissen. Die Beteiligung von Religionslehrkräften an der Entwicklung und Ausgestaltung von Projektunterricht ist häufig sachlich notwendig, sozial erwünscht und pädagogisch bereichernd.
Arbeitsgemeinschaften
Wahlpflichtige und wahlfreie Lernangebote gehören zum selbstverständlichen Repertoire vieler Schulen. Dadurch wird den Kindern Gelegenheit gegeben, besondere Interessen zu entwickeln und Fähigkeiten zu erproben, spezifische Themen kennen zu lernen oder sich mit Tätigkeiten zu befassen, für die es sonst keinen Raum gibt. Auch in diesem Feld sollten religionspädagogisch akzentuierte Wahlmöglichkeiten angeboten werden (z. B. ein Erzählzyklus biblischer Geschichten, ein Erkundungsvorhaben bei der Diakonie oder in der Kirchenmusik, die Begegnung mit Menschen, die von ihrem Glauben erzählen).
Religion im Schulleben
- Feste und Feiern sind wichtige Ereignisse des Zusammenlebens und -lernens und unverzichtbarer Bestandteil der Schulkultur. Zu solchen Gelegenheiten des Innehaltens, der Nachdenklichkeit, der Fröhlichkeit und ritualisierten Würdigung gehören unter anderem christliche Andachten und Schulgottesdienste, Morgenfeiern und Gedenktage, zu denen alle Schülerinnen und Schüler (und ggf. Eltern) unabhängig von ihrer religiösen und weltanschaulichen Herkunft eingeladen sind und sich nach Möglichkeit auch aktiv beteiligen können.
- Schule öffnet sich nach außen zu Begegnungen mit Menschen aus anderen Lebensbereichen. So gibt es in einigen Bundesländern gemeindepädagogisch orientierte Angebote (z. B. als "Evangelische Kontaktstunde"), die eine besondere Beziehung zwischen Schule und Kirchengemeinde herstellen. Sie ermöglichen den Kindern, religiöses Leben kennen zu lernen und mit Zeugen des christlichen Glaubens zusammenzutreffen.
- Die Gestaltung des Schullebens ist von einer einverständigen und intensiven Zusammenarbeit der Beteiligten abhängig. Hier gewinnt eine christliche Elternarbeit an Bedeutung, die über die verbreiteten Formen der ausgleichenden oder stützenden Zuarbeit bei Hausaufgaben, Hilfs- und Betreuungsdiensten etc. hinaus Eltern am Schulleben konkret beteiligt, zum Beispiel bei der Mitgestaltung von Feiern und Gottesdiensten. Solche Aufgaben können helfen, Unsicherheiten und Verlegenheiten im Blick auf die religiöse Erziehung der eigenen Kinder zu überwinden.
Eine besondere Chance, Bezüge zur gelebten Religion außerhalb der Schule zu stiften, bieten Besuche und Erkundungen von
- Kirchenräumen und -veranstaltungen,
- diakonischen Einrichtungen,
- Friedhöfen,
- Synagogen, Moscheen und Gebetsräumen
sowie Begegnungen mit den Menschen, die dort leben oder arbeiten.
Für eine nachbarschaftliche Zusammenarbeit von Grundschule und Kirchengemeinde ist es notwendig, dass die jeweiligen Verantwortlichen aktiv aufeinander zugehen und gemeinsam dazu beitragen, die außerschulischen Lernorte für das religiöse Lernen der Kinder fruchtbar zu machen.
Für die Entwicklung von integrierten Lehr- und Lernformen ist es wichtig, dass sich alle Lehrkräfte einer Klasse darüber verständigen, welche Lernbedürfnisse der Kinder sie beobachten, und wie diese Bedürfnisse einzuschätzen und zu berücksichtigen sind. Diese gemeinsame Abstimmung bildet die Basis für gezielte und differenzierende Lernangebote und einfühlsame Unterstützung. In diesem Prozess hat die Klassenlehrerin, die mehrere Stunden am Tag mit denselben Kindern verbringt, eine hervorgehobene Stellung. Wenn die Klassenlehrerin zugleich Fachlehrerin für Religion ist, ergeben sich sowohl für die religions- als auch für die allgemeinpädagogische Arbeit besondere Chancen. In einigen Bundesländern unterrichten Klassenlehrerinnen und -lehrer Religion ohne Fakultas/Vokation. Sie werden ermutigt, die Unterstützung der Kirche zu suchen, um sich unterrichtsbegleitend fortzubilden und die Lehrbefähigung für Religion zu erwerben (vgl. 4.1). Die Fachlichkeit des Unterrichts in Religion ist eine unabdingbare Voraussetzung für das religiöse Lernen in der Grundschule.
Wenn kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stundenweise Religionsunterricht in der Grundschule erteilen, sind besondere Anstrengungen erforderlich, ihre Arbeit zu integrieren und Fremdheit zu überwinden. Gerade in den neuen Bundesländern sind die kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine wesentliche Stütze religionspädagogischer Arbeit in den Schulen. Die Distanz zum alltäglichen Schulbetrieb birgt einerseits gewisse Chancen (Reiz des Neuen und der Fremdheit, Unbelastetheit bezüglich kontinuierlicher Erziehungsaufgaben), andererseits darf es nicht dazu kommen, dass die "Gastrolle" eine systematische und verbindliche Zusammenarbeit behindert, so dass die religiöse Erziehung nicht in das Allgemeinbildungskonzept der Grundschule einbezogen werden kann. Noch schwieriger ist es, wenn in Minderheiten- oder Diasporasituationen der Fachunterricht in Religion in klassen-, jahrgangs- oder gar schulübergreifenden Lerngruppen stattfindet. Hier sollten die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Möglichkeiten, über den Fachunterricht hinaus Religion in die Grundschule einzubringen, wenigstens punktuell und exemplarisch angestrebt werden. Jahrgangsübergreifender Unterricht, der nur zwei, allenfalls drei Jahrgänge umfasst, kann dagegen aufgrund seiner Altersheterogenität pädagogisch anregend sein, wie schon Reformpädagogen betont haben.
Religion in der Grundschule lehren
Die Fülle der Aufgaben des Unterrichts in Religion und des religiösen Lernens erfordert von den Unterrichtenden Kompetenzen, die in ihrer Grundausbildung zumeist nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben und die erst jetzt allmählich Eingang in Studien- und Prüfungsordnungen finden (vgl. auch "Im Dialog über Glauben und Leben", EKD 1997):
Der Religionsunterricht hat in der Regel eine didaktisch und methodisch anspruchsvolle Lernkultur entwickelt, die einen überzeugenden Beitrag zur reformierten Grundschule liefern kann. Weil Religionsunterricht auf Einverständnis und Akzeptanz durch Kinder und Eltern angewiesen ist, braucht er eine kommunikative und dialogische Struktur. Er strebt eine handlungs- und erfahrungsorientierte Beteiligung der Kinder an und unterstützt sie, sich mit religiösen Grundfragen eigenständig auseinander zu setzen. Dies sind wichtige Elemente eines Schulprogramms. Methodisch ist der Religionsunterricht von vielfältigen Lern- und Arbeitsformen geprägt: Erzählen und Lesen; Hören und Wahrnehmen; Spielen und Darstellen; Malen und Gestalten; Singen, Musizieren und Tanzen; Erkunden und Erforschen; Meditieren und Stille üben; Reflektieren und Diskutieren; Menschen begegnen und annehmen; Medien nutzen; Erproben, Abwägen und kritisch Beurteilen etc.
Die eigene Rolle reflektieren
Es gehört zu den wichtigen Aufgaben der Religionslehrkräfte, die Kinder zu beobachten und zu verstehen, um sie in ihrer religiösen Entwicklung fördern zu können. Dies gelingt dann angemessen, wenn die Lehrkräfte ihre Funktion in der Schule in Relation zur eigenen persönlichen und beruflichen Biographie reflektieren und ausgestalten. Es schließt ein, dass die Lehrenden mit ihrer eigenen religiösen Herkunft umzugehen lernen und ihr Glaubensverständnis in einer Weise zu erkennen geben, die die Schüler und Schülerinnen nicht einengt, sondern ermutigt, selbständig nach dem Glauben zu suchen.
Die Reflexion des eigenen Handelns und seiner ständigen Verbesserung gehört zu den berufsspezifischen Grundfertigkeiten. Möglichkeiten dazu sind zum Beispiel das Führen eines Lehrertagebuchs, der gezielte Austausch in kollegialen Gruppen oder die Nutzung von Supervision.
Die Fähigkeit, mit Kolleginnen und Kollegen zu kooperieren, gemeinsame Arbeit zu initiieren und zu koordinieren, mit Eltern zusammenzuarbeiten, an außerschulischen Lernorten Begegnung mit gelebter Religion zu ermöglichen, erfordert ausgeprägte Fähigkeiten zur Kommunikation, Kooperation und zum Projektmanagement.
Die Beurteilung der Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler ist nicht nur ein Zugeständnis an die Regeln eines "ordentlichen" Lehrfachs, sondern auch eine Chance, die eigene Wirksamkeit zu überprüfen und über sie Rechenschaft abzulegen. Die Leistungsbeurteilung der zu Unterrichtenden ist eine wichtige Aufgabe und zugleich ein Dilemma.
Was Kinder im Religionsunterricht erfahren und lernen, wie sie ihr eigenes religiöses Selbst- und Weltverständnis klären und auf welche Angebote des Unterrichts sie dabei zurückgreifen, lässt sich am besten in Form von verbalen Beurteilungen dokumentieren, die kürzere Zeitphasen (Lernentwicklungsberichte) und längere (Lernbiographien) umfassen können. Sie spüren der Wirksamkeit religionspädagogisch gestützten Lernens nach, nehmen Feedback von den Schülern und Schülerinnen auf und nutzen Erträge des Unterrichts für weiteres Lernen.
Neben individuellen Formen der Leistungsbeurteilung sind auch kollektive Formen zu entwickeln, zum Beispiel ein Gruppen- bzw. Klassentagebuch, das für die Kinder einsehbar und von ihnen mitgestaltet festhält, mit welchen Fragen und Themen sich die Klasse im Religionsunterricht beschäftigt hat.
Religionsunterricht ist darauf angewiesen, dass Eltern diesen Unterricht wünschen und sich durch ihn in ihren eigenen Erziehungsbemühungen gestärkt fühlen. Religionslehrer- und -lehrerinnen laden Eltern zu Gesprächen über religiöse Erziehung ein, thematisieren Religion auf Klassenelternversammlungen und werben manchmal auch für eine Beteiligung am Religionsunterricht. Häufig wünschen gerade solche Eltern eine religiöse Erziehung ihrer Kinder durch die Schule, die der Kirche fern stehen oder die sich selbst nicht als Christen begreifen; zugleich fürchten sie eine kirchliche Vereinnahmung. Diese Ambivalenz gilt es anzusprechen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit zu überwinden. Elternarbeit erfordert erwachsenenbildnerische Kompetenzen.
Manchmal äußern Eltern für sich selbst einen grundlegenden Bedarf nach Wissen und Kenntnissen über evangelische bzw. christliche Religion. Die Lehrenden wären überfordert, wenn sie dem allein nachgehen müssten. In Kooperation mit kirchlichen Erwachsenenbildungsträgern wäre hier eine wichtige religionspädagogische Arbeit zu leisten, die den schulischen Religionsunterricht flankierend unterstützen kann.
Unterstützung und Begleitung der Religionslehrkräfte in der Grundschule Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung
Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Religionslehrkräften in der Grundschule braucht unterschiedliche Formen, um für den Beruf zu qualifizieren und die berufliche Tätigkeit zu fördern.
Die Integration der religiösen Dimension in die Arbeit der Grundschule ist in entscheidendem Maß davon abhängig, wieweit es gelingt, verständlich, glaubwürdig und überzeugend in Dialoge zu treten, Verhandlungsarbeit zu leisten und an beispielhaften Konkretionen das Gemeinte zu realisieren. Kirchliche Einrichtungen der Lehrerfortbildung
- tragen zur fachlichen, didaktisch-methodischen und diagnostisch-wahrnehmenden Qualifizierung bei.
- begleiten und beraten die Unterrichtenden und ermöglichen ihnen den Zugriff auf Ressourcen.
- unterstützen die Entwicklung personaler Kompetenzen durch geeignete Angebote entsprechend den Anforderungen an die eigene Person.
- fördern die Entwicklung von kommunikativen, kooperativen und reflexionsorientierten Kompetenzen, um die Zusammenarbeit in einem Kollegium zu stärken und die religiöse Dimension von Bildung in das Allgemeinbildungskonzept der Schule zu integrieren.
- ermöglichen die Entwicklung von fächerverbindenden, projektorientierten Vorhaben mit religionspädagogischer Akzentuierung.
- unterstützen die praktische Arbeit, indem Materialien und Medien erarbeitet und bereitgestellt werden.
Daneben ist die Einbindung des Religionsunterrichts in die Angebote der staatlichen Fort- und Weiterbildungseinrichtungen dauerhaft zu sichern, zum Beispiel durch die Mitarbeit beim Aufbau und der Verwendung von didaktischen Werkstätten. Hier kann die Bedeutung des Religionsunterrichts für die Weiterentwicklung der Grundschulpädagogik besonders gut dargestellt werden.
4.2. Forschung und Praxis
Die erheblichen Unterschiede zwischen Lerngruppen, Klassen, Schulen, Regionen u.a. fordern eine Verständigung über Qualitätskriterien und Standards des Religionsunterrichts in der Grundschule. Die Aufgabe der Entwicklung von fachbezogenen Formen der (Selbst-)Evaluation ist bisher noch weitgehend unbearbeitet.
Lehrkräfte haben zeitlich, inhaltlich und persönlich die größte Nähe zur religiösen Entwicklung der Kinder in der Schule. In Zusammenarbeit mit ihnen als "reflektierte Praktiker" sollten unterrichts- und schulbegleitende Modellversuche und Pilotstudien durchgeführt werden. Die systematische Beteiligung der Religionslehrerinnen und -lehrer an der Erforschung und Entwicklung des Unterrichts (Lehrerforschung) ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die theoretische Reflexion religionspädagogischer Praxis wirksam mit deren Veränderung und Weiterentwicklung verknüpft werden kann. Was der Religionsunterricht in der Grundschule tatsächlich leistet, sollte durch empirische Forschungsprojekte transparent gemacht werden.
Die Durchführung religionspädagogischer Praxis- und Wirksamkeitsstudien kann ferner dazu beitragen, das Ansehen und die Akzeptanz des Religionsunterrichts zu fördern und die Position der Lehrenden zu stärken.
4.3. Entlastung und Schutz vor Überforderung
Die genannten Aufgaben, die religiöse Dimension von Bildung in Lernfelder, integrierende Unterrichtsformen und in das Schulleben einzubringen, stellen an die Religionslehrer- und -lehrerinnen viele Ansprüche. Diese stehen nicht selten unter einem Begründungs- und Rechtfertigungsdruck, der ihnen nicht allein aufgelastet werden darf. Insbesondere die kirchlichen religionspädagogischen Institute bieten Möglichkeiten der Entlastung und Unterstützung (vgl. 4.1). Sie können dadurch weiterentwickelt werden, dass sich die Einrichtungen stärker als bisher in den Diskurs mit Lehrkräften anderer Fächer einbringen, für die religiöse Dimension im Schulleben, bei Festen im Kirchenjahr, in Geschichte und Kultur sensibilisieren und schulische Kooperationen begleiten.
Die Vokation von Religionslehrkräften ist in den meisten Landeskirchen die verbindliche Form der Beauftragung für das evangelische Religionslehramt. Sie begründet ein gegenseitiges Verpflichtungs- und Vertrauensverhältnis. Zugleich ist sie ein Zeichen kirchlicher Wertschätzung für einen schwierigen pädagogischen Dienst im Schnittfeld von Kirche und Gesellschaft.
Schlusswort: Dank und Ermutigung
Die hohe Akzeptanz und Beliebtheit des Religionsunterrichts in der Grundschule (vgl. 1.3) gründet im Engagement der Lehrkräfte und ihrer Identifikation mit dem Fach. Es gelingt ihnen in beträchtlichem Maße, religiöses Interesse zu wecken und religiöse Bildungsprozesse zu initiieren. Diese persönliche Leistung wird in der Kirche anerkannt und dankbar gewürdigt. Zwar muss sich der Religionsunterricht von den Bildungszielen der Schule her begreifen; er hat nicht die Aufgabe kirchlicher Sozialisation. Dennoch ist der Kirche daran gelegen, dass in der Schule über konfessionelle Trennungen und gesellschaftliche Differenzierungen hinweg der Religionsunterricht Schülerinnen und Schüler befähigt, sich für die Lebensdeutungen und Hoffnungsperspektiven christlichen Glaubens zu öffnen.
In der heutigen Situation ist die Religionslehrerin oder der Religionslehrer in der Grundschule für die Kinder oft die erste bewusst wahrgenommene Person, die für sie Christsein repräsentiert und mit der sie als einzigem Ansprechpartner über Fragen des Glaubens und des Lebenssinns reden können. An die Religionslehrkräfte werden also nicht nur sehr hohe fachliche und didaktische, sondern ebenso erhebliche persönliche Anforderungen gestellt. Einerseits können sie für die Schülerinnen und Schüler zu bedeutungsvollen Erwachsenen werden, die in der Auseinandersetzung der Lebens- und Weltanschauungen wichtige Orientierungshilfen bieten. Andererseits spüren sie deutlich die Wirkungen von Säkularisierung, Pluralisierung und Modernisierung, die nicht selten ein einseitig funktionales Bildungsverständnis fördern, in dem der Unterricht in Religion keinen Platz mehr hat.
Im Rahmen ihrer Mitverantwortung für einen inhaltlich qualifizierten Religionsunterricht bietet die Kirche den Religionslehrerinnen und Religionslehrern an, sie in ihrer Arbeit zu vergewissern und zu begleiten. Gleichzeitig bittet die Kirche die Religionslehrkräfte, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen in die Kirche einzubringen.
"Lieber Gott beschütze meine Eltern und meine Geschwister ich bitte dich auch das mein Bruder in den Ferien Arbeit findet dafür bitte ich dich im Namen an Jesus Christus" steht auf dem Zettel von Anna an einer Gebetswand. Jesus stellt die Kinder in den Mittelpunkt und macht ihren Glauben den Erwachsenen zum Vorbild. Die Religionslehrkräfte in der Grundschule nehmen diesen Glauben der Kinder in besonderer Weise wahr. Es ist wichtig, dass sie die Perspektive der Kinder in die Kirche hineinvermitteln. Die Kirche braucht die Begegnung mit den Kindern, wenn sie in ihrem Glauben und Leben nicht verarmen soll. Sie dankt den Religionslehrerinnen und Religionslehrern darum in besonderer Weise dafür, dass sie den Reichtum pflegen und bewahren, der die Kinder für die Kirche sind.