Katharina von Bora und die Zeit der Reformation: Werkgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit am Beispiel von Luthers Klosterkritik

von Michael Wermke / Jutta Petereit

 

Eine Unterrichtseinheit zum Zusammenhang von Theologie und Biographie in der Sekundarstufe I

Die Reformationszeit als Thema in Klasse 7 und 8

Zu den Zielsetzungen des evangelischen Religionsunterrichts in Gymnasien der Klassen 7 und 8 gehört es, Gestalten und Zeugnisse des christlichen Glaubens aus Geschichte und Gegenwart kennen zulernen und sie in ihrer Zeit und Umwelt zu verstehen. Damit verbunden soll die gegenwärtige Situation der Kirche als historisch gewachsen verstanden werden. Die Niedersächsischen Rahmenrichtlinien für den evangelischen Religionsunterricht sehen für die Klasse 7 oder 8 als thematischen Schwerpunkt zu diesem Zweck im Rahmen des Leitthemas "Kirche im Mittelalter" die Behandlung der Ziele und Wirkungen der Reformation vor.

Die Klosterkritik, die Luther in seiner Schrift Ursach und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen übt, bietet für diese Anforderungen gute Erarbeitungsmöglichkeiten. Anhand von Luthers Rechenschaftsbericht über die Flucht der Nonnen lernen die Schüler Luthers und damit den reformatorischen Glauben in seinem historischen Kontext kennen. Die Lehre der Rechtfertigung aus dem Glauben allein wird an Luthers Begründung der Richtigkeit der Klosterflucht anschaulich. Der lebensgeschichtliche Kontext, in dem diese Schrift steht, macht die Bedeutsamkeit der Rechtfertigungslehre für die Menschen damals deutlich, da dieser Weg des christlichen Glaubens denjenigen Nonnen, die das Klosterleben als ein Korsett von Verboten empfanden, aus ihren Lebens- und Glaubensnöten helfen konnte.

Kirchengeschichtlich kommt somit Luthers Kritik am mittelalterlichen Klosterleben und am damit verbundenen Frömmigkeitsideal sehr hohe Bedeutung zu, da die darauf folgenden Austritte zu einer breit angelegten Säkularisierung des Alltagslebens in vielen deutschen Territorien führten. Das weltliche Leben erhielt eine neue Wertung: Nicht mehr im besonderen Werk und Leben des Mönchs oder der Nonne, sondern im auch "normalen", alltäglichen Leben ist der göttliche Auftrag zu erfüllen.

Die Beschäftigung mit Luthers Schrift, in der er das Klosterleben, insbesondere das Keuschheitsgelübde einer theologisch begründeten Untersuchung unterzieht, stößt damit ins Zentrum seiner Rechtfertigungslehre vor. Mit deren Thematisierung werden seine theologischen Erkenntnisse über die Gerechtigkeit Gottes behandelt, deren kirchengeschichtliche Folgen, die Konfessionen, bis heute vorhanden sind. Grundelemente des evangelischen Glaubens werden bei der Behandlung dieser Thematik klar.

Die Beschäftigung mit dem Keuschheitsgelübde, am dem der Reformator seine Kritik am klösterlichen Leben entfaltet, knüpft auch an Fragen und Diskussionspunkte der modernen Gesellschaft an. Die Forderung, den Zölibat für die katholischen Priester aufzuheben bzw. den Priestern die Eheschließung zu erlauben, steht in engem Zusammenhang mit Luthers Einschätzung des Keuschheitsgelübdes. Denn das Problem, dass das von der Kirche auferlegte Gebot von vielen Priestern und Ordensangehörigen nicht eingehalten wird, löst immer wieder - damals wie heute - heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit aus. Während es aber im 16. Jahrhundert überwiegend ein theologisches bzw. religiöses Problem darstellte, wird heute mit psychologischen Begründungen, mit Hinweisen auf die Anforderungen des modernen Lebens und die Selbstbestimmung des Menschen gegen das Zölibat argumentiert, die theologisch begründete Kritik wird in der öffentlichen Meinung meist nicht berücksichtigt. Anhand eines historischen Zeugnisses, wie es die lutherische Schrift darstellt, können Schüler zum einen erkennen, welche Gültigkeit die reformatorische Erkenntnis heute hat. Darüber hinaus können sie mit ihren im Unterricht erworbenen Kenntnissen zu aktuellen gesellschaftlichen Diskussionspunkten theologisch begründet Stellung beziehen.

 

Werkgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit am Beispiel von Luthers Klosterkritik

Die insbesondere in den drei sogenannten reformatorischen Hauptschriften geführte Auseinandersetzung Luthers mit Rom mündete schließlich in die Kritik an den Mönchsgebilden, die er hauptsächlich in der im Herbst 1521 entstandenen Schrift De votis monasticis iudicium formulierte. Dort - wie auch immer wieder in seinen Predigten - prangerte der Wittenberger Reformator auf der Basis seiner theologischen Erkenntnisse die ungläubige, sich auf Werke und auf das Gesetz verlassende und eigensüchtige Existenz der Mönche an. Diese Schrift gab schließlich vielen Mönchen und Nonnen ein gutes Gewissen und machte ihnen Mut, das Kloster zu verlassen.

Die durch Luther ausgelösten Austritte aus den Klöstern brachten viele Probleme wie das der Versorgung, der Unterkunft und der Zukunftsplanung ihrer ehemaligen Bewohner mit sich, die an ihn herangetragen wurde und die er nur mit Hilfe einflussreicher Politiker und begüterter Bürger lösen konnte. Immer wieder also musste er seine theologischen Wegbegleiter, aber auch Landesfürsten und Bürger darauf hinweisen, dass es sich bei dem Klosteraustritt "um ein frommes Werk handele, Menschen aus der Gefangenschaft des Teufels zu helfen".

All diese Umstände veranlassten Luther zu seiner Schrift Ursach und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen (s. M 16) . Konkreter Anlass war die Flucht der neun Nonnen - darunter Katharina von Bora - aus dem Kloster Marienthron bei Nimbschen in Sachsen. Unter maßgeblicher Beteiligung Luthers, der die Flucht organisierte, waren die Ordensfrauen am 4. April 1523 in der Nacht zum Ostersonntag von dem Torgauer Kaufmann Leonhard Koppe mit einem Planwagen aus dem Kloster herausgeholt worden. Nur wenige Tage nach diesem spektakulären Ereignis - es war vermutlich das erste Mal, dass der Klosteraustritt von Nonnen öffentlich bekannt gemacht wurde - schrieb Luther seinem Freund Koppe einen Brief, der aber für die Veröffentlichung bestimmt war und vermutlich noch im April unter dem o.g. Titel gedruckt wurde. Darin übernimmt Luther die volle Verantwortung für die Befreiungstat des Torgauers, über die nun auch die Öffentlichkeit unterrichtet werden sollte.

Die Publizierung diente dem Anliegen, die Beispielhaftigkeit der Flucht herauszustellen und darüber hinaus der üblen Nachrede einen Riegel vorzuschieben. Adlige wie auch bürgerliche Familien, die Angehörige im Kloster hatten, sollten diesem Beispiel folgen. Im Anschluss an diesen Appell begründet Luther eingehend die Berechtigung der Befreiungstat: Zum einen werde den in die Klöster gestreckten Mädchen mit der Ehelosigkeit ein oft unerträgliches Los zugemutet. Zum anderen gehe es im Kloster nicht um das Wort Gottes, was allein schon ein schwerwiegender Grund zum Austritt sei. Darüber hinaus werde mit den Gelübden, die häufig gegen die eigene Überzeugung oder ohne das Wissen um ihre Bedeutung abgelegt würden, das Leben und der Dienst für Gott erzwungen.

Ein solcher "Gottesdienst" sei aber vergebens. Zudem widerspreche gerade das Keuschheitsgelübde der Schöpfung Gottes. Denn nach der Schrift, dem Wort Gottes, sei es die Bestimmung der Frau, Kinder zu bekommen. Abschließend führt Luther als Grund für den Klosteraustritt an, dass auch durch Beten gottwidrige Gelübde nicht eingehalten werden könnten. Am Ende seines Schreibens werden die neun entflohenen Nonnen namentlich aufgeführt mit dem Aufruf, es ihnen gleichzutun, wenn bei weiter Klosterangehörigen der dringende Wunsch bestehe, ihr Kloster zu verlassen. Diejenigen aber, die sich für das Leben als Nonne berufen müssten, die sollten, so Luther, im Kloster bleiben.

Das Schreiben ist vor dem Hintergrund der reformatorischen Erkenntnis über die Gerechtigkeit Gottes zu sehen. Danach ist nicht die Gerechtigkeit eines - im juristischen Sinne - gesetzmäßigen Reagieren auf die Lebensweise des Menschen, sondern die dem Sünder voraussetzungslos und unverdient sich schenkende Gerechtigkeit Gottes gemeint. Somit erlangt der Mensch nicht durch gute Werke, sondern allein durch die Gnade Gottes, die nur im Glauben empfangen werden kann, seine Rechtfertigung.

Geprägt ist Luthers Klosterkritik, die in dieser Schrift im Zusammenhang mit der Flucht der Nonnen geübt wird, von dem Gegensatz von Werkgerechtigkeit einerseits und Glaubensgerechtigkeit andererseits, dem Gegensatz von Gesetz und Gnade.

Geleitet von seinem Frauenbild, nach dem die Frau als schwach gilt, prangert Luther das unmenschliche Schicksal der Mädchen an, die sich im Kloster mit der Einhaltung des Keuschheitsgelübdes konfrontiert sähen und diese Auseinandersetzung kaum bewältigen könnten: (Frauen und Mädchen) werden doch ynn den hohisten kampff gestellet: Nemlich umb die jungfrawschafft zu streytten, da kaumet und gar selten auch die ihenigen bestehen, die mit gottis wort allenthalben gerust (...) sind. Er konstatiert schließlich den unbarmherzigen und grausamen Umgang mit den jungen Frauen und verurteilt mit Emphase, die seinen ganzen Zorn spüren lässt, all diejenigen - Eltern und Geistliche - die den Frauen dieses Leben im Kloster zumuten: O der umbarmhertzigen eldern und freunden, die mit den yhren so grewlich und schrecklich faren, o der blinden und tollen Bisschoff und Ebten, die hie nicht sehen noch fulen, was dye armen seelen leiden und wie sie verterben. Theologisch gesehen, entspricht diese Zustandsbeschreibung der Nonnen im Kloster dem Zustand des Menschen, der unter dem Gesetz steht. Am Gesetz seine Sündhaftigkeit erkennend, kämpft er ständig gegen diese an und versucht damit, das drohende Gerichtsurteil Gottes positiv zu beeinflussen. Allerdings lebt dieser Mensch in ständiger Gewissensnot, da er letztlich nicht sicher sein kann, alle Gebote eingehalten zu haben.

Die tatsächlichen Konsequenzen, die das Leben mit Gelübden für die Nonnen und ihrer Beziehung zu Gott hat, lassen sich aus der theologischen Begründung der Klosterflucht herleiten: Denn wissentlich ists, das ynn klostern, sonderlich nonnen klostern Gottis wort teglich nicht gehet und am meysten ortten nymer mehr, sondern sich nur blewen und treyben mit menschen gesetzen und wercken. Luther macht hiermit deutlich, dass durch den Zwang zur Einhaltung der Gelübde der Mensch gerade im Kloster auf sich selbst bezogen ist und im Tun guter Werke nur um sich selbst kreist. An die Stelle der Schrift, die allein - nach dem reformatorischen Prinzip sola scriptura - Quelle des Glaubens und der einzige Zugang zu Gott sein soll, ist gerade in den Nonnenklöstern die Beschäftigung mit den Gelübden ins Zentrum des klösterlichen Lebens gerückt.

Ist damit allein schon die Besonderheit des geistlichen Standes theologisch widerlegt, so geht Luther in seiner Argumentation gegen das Kloster noch einen Schritt weiter: Denn es ist solch gelubd eben so viel als got verleugnen, weyl wyr alle tzu gottis wort verpunden sind. Das Bemühen, die klösterlichen Gelübde einzuhalten, führt nicht nur von Gott weg, sondern zu einer regelrechten Verleugnung der Gnade Gottes und des Glaubens, welchen allen (sola fide, sola gratia) der Mensch seine Rechtfertigung verdankt und durch welche allein der Mensch Zugang zu Gott findet.

Widerspricht die Regelung des Klosterlebens durch die Gelübde den reformatorischen Erkenntnissen über die Gerechtigkeit Gottes, so steht überdies das Keuschheitsgelübde dem Schöpfungsauftrag und damit der Schrift, in der sich Gottes Wort offenbart, diametral entgegen: (...) wie wol man sich ditzer ursach schier schemen mus, so ists doch fast der grossisten eyne, kloster (...) zu lassen: (...) Denn eyn weybs bild ist nicht geschaffen, jungfraw tzu seyn, sondern kinder zu tragen wie Gen. 1 Gott sprach nicht alleine tzu Adam, sondern auch zu Heva ‘seyt fruchtbar und mehret euch’(...) Bestimmung der Frau ist es aus theologischer Sicht nicht, sich selbst Enthaltsamkeit aufzuerlegen, sondern Kinder zu bekommen, wie zudem die Anatomie des weiblichen Körpers beweise.

In seiner Gnade schenkt Gott als Schöpfer seinem Geschöpf das Leben und alles, was der Mensch vor ihm sein und wirken kann. Somit ist die Frau, die ein Leben in Keuschheit führt oder keine Kinder bekommen kann, von Gott für dieses Leben erwählt und somit auch mit einer besonderen Gnade Gottes beschenkt worden.

 

Katharina von Bora und die Zeit der Reformation

Im Rahmen der Unterrichtseinheit über ‘Katharina von Bora’ wird anhand der Biographie von Luthers Ehefrau die Zeit der Reformation behandelt. Die wichtigsten Lebensabschnitte Katharinas dokumentiert eine Wandzeitung, die die Schüler weitestgehend eigenständig und in Freiarbeit im Verlauf der Unterrichtsreihe erstellen. Hierzu gehört auch eine Landkarte mit den wichtigsten Lebensstationen der Katharina von Bora. Der didaktische Schwerpunkt liegt in der theologischen Erschließung der Zeit und der Biographie Katharinas, wobei die Hintergründe für ihre Klosterflucht 1523 im Mittelpunkt stehen.

Ausgehend von einer ‘Phantasiereise’ (M 1) lernen die Schüler zunächst die Zeit und Lebensverhältnisse des ausgehenden Mittelalters kennen, die die Menschen damals prägten. Darauf kann die Beschäftigung mit Katharina von Boras Kindheit erfolgen (M 2-3), die durch den Klostereintritt der damals Sechsjährigen ein jähes Ende fand. Um der Bedeutung dieses ihr künftiges Leben bestimmenden Ereignisses (M 7-9) im einzelnen nachzugehen, werden in den vorangehenden Stunden die Stellung der Frau im Mittelalter sowie das Leben im Kloster thematisiert ( M 4-6). Neben der sozialen Funktion, die das Kloster als Versorgungsinstitution für unverheiratete Frauen erfüllte, stehen vor allem die religiösen Implikationen im Mittelpunkt der Stunden. Die Schüler gewinnen dabei Einsichten in die religiöse Haltung der Menschen im Mittelalter, die sich, den strafenden Richtergott fürchtend, durch fromme Werke von ihrer Sündhaftigkeit freikaufen wollten (M 10-11).

Im Zusammenhang mit der Flucht Katharina von Boras werden Luther und seine reformatorischen Erkenntnisse behandelt (M 12-16). Zum Abschluss der Unterrichtseinheit sollen die Schülerinnen und Schüler einen fiktiven Dialog zwischen Katharina und ihren Kindern entwerfen, in dem sie die Ereignisse und Hintergründe ihrer Flucht aus dem Kloster Revue passieren lässt (M 17).

Die Quellenlage über Katharina von Bora ist recht schmal. Bis auf das Buch von Martin Treu, Katharina von Bora, o.O. (Wittenberg) 1992, 2. Auflage, sind neuere wissenschaftliche Arbeiten über Katharina schwer greifbar. Den literarischen Biographien von Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, und von Asta Scheib, Kinder des Ungehorsams, München 1996, sind nur mit größter Vorsicht zu benutzen. Sie verarbeiten z.T. historisch ungesicherte Legenden über Katharina, die insbesondere ihren Vater und das Leben im Kloster in ein sehr schlechtes Licht stellen (vgl. M 2 mit M 3, M 7).

Das sehr empfehlenswerte Buch von Eva Zeller, Die Lutherin. Spurensuche nach Katharina von Bora, Stuttgart 1996, dürfte für Schülerinnen und Schüler der Sek. I zu schwer sein. Das für die Klassen 5/6 bestimmte Unterrichtsmodell "Wie geht’s weiter mit Käthe?". Katharina von Bora - Freiheit heißt in Anfechtung leben. Eine Anregung zum Erzählen. Sek. I, 7./8. Jahrgang, von Christine Süßkraut-Kropp in: Religion heute, 16/Dez. 1993, S. 230-269, ist vor allem biographisch-historisch orientiert. Sie kann dazu dienlich sein, den weiteren Lebenslauf Katharinas an der Seite ihres Mannes Martin Luther mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten. Ein Gemälde der Katharina von Bora findet sich als Farbfolie in: Michael Wermke (Hg.) Den Reformationstag gestalten II, Loccum 1996.


Materialteil

Werkgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit am Beispiel von Luthers Klosterkritik - Katharina von Bora und die Zeit der Reformation-Lerneinheit: Reise in das Mittelalter
M 1 Einstimmung in eine andere Zeit (aus: Religion heute 16/ Dez. 1993, S. 235, überarbeitet)


Lerneinheit: Katharinas Eintritt in das Kloster
M 2 Katharinas Kindheit und Jugend - historische Hintergründe (aus: Treu, S. 6ff. Auszüge)

M 3 Katharina wird abgeschoben (aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, S. 11ff.)


Lerneinheit: Das Leben im Kloster
M 4 Aus dem Mönchsleben (aus: Möckmühler Arbeitsbogen Nr. 72, Kloster)

M 5 Frömmigkeit im Mittelalter (aus: Umberto Ecco, Der Name der Rose, München 19863, S. 60f.)

M 6 Frauen im Kloster Marienthron (aus: Martin Treu, Katharina von Bora, o.O. (Wittenberg) 19962, S. 11ff.)


Lerneinheit: Katharina im Kloster Brehna und Marienthron
M 7 Katharinas Leben als Novizin im Kloster Brehna (aus: Sachau, S. 14f.)

M 8 Von der Demut (aus: Sachau, S. 40f.)

M 9 Vom Gelübde (aus: Sachau, S. 39f.)


Lerneinheit: Katharina hört von Luther
M 10 Der wahre Weg zu Gott?! (aus: Sachau, S. 48f.)

M 11 Der Ablasshandel


Lerneinheit: Katharinas Flucht aus dem Kloster
M 12 Katharinas Flucht - historische Hintergründe (aus: Treu, S. 14f.)

M 13 Katharina flieht aus dem Kloster (aus: Sachau, S. 66ff.)

M 14 Martin Luther: Brief an seinen Vater Hans Luther

M 15 Brief des Klosterbruders Timotheus (Jutta Petereit)

M 16 Martin Luther: Brief an Leonhard Koppe’ (überarbeitet)

M 17 Katharina im Gespräch mit ihren Kindern


Anhang: Zeittafel
(aus: Treu, S. 88f.)  

 

Lerneinheit: Reise in das Mittelalter 

M1 
Einstimmung in eine andere Zeit

Die Schülerinnen und Schüler werden durch eine Phantasiereise in die mittelalterliche Welt versetzt; die Gedanken sollen auf eine mittelalterliche Stadt mit ihren Bauten und auf die Menschen gelenkt werden. Es ist wichtig, bei der Phantasiereise möglichst im Kreis zu sitzen und vorher eine kurze Stillephase einzuhalten. Eine leise musikalische Untermalung kann hilfreich sein. Im Anschluss findet ein Gespräch über die ‘Beobachtungen’ der Schülerinnen und Schüler statt.

Du stehst schon vor dem alten Stadttor, in der Mauer, die um die Stadt sich zieht -
du siehst von weitem die hohen Türme der Kirchen und der Bewachung -
du trittst nun durch das Tor und stehst ganz unvermutet in einer alten Stadt -
kleine Häuser säumen die Straße, das Pflaster grau und muggelig -
du siehst noch Spuren der alten Wagen und Karren-
Fachwerk, wie ein Muster an den Fassenden -
die Fenster winzig - die Türen niedrig -
die Straße endet auf dem großen Platz -
er ist so riesig im Verhältnis zu den kleinen Häusern, die du bisher sahst.
Du siehst Menschen auf dem Platz,
Frauen mit langen Kleidern und Hauben
auf dem Kopf. Kinder, die ihren Müttern zur Hand gehen.
Ein Bauer treibt gerade ein Schwein zum Verkauf.
Auch arme Bauersleute mit zerrissenen Kleidern siehst du.
Das Rathaus, ein prächtiger Bau, der Turm hoch und schlank -
die Giebel fein verziert- der ganze Platz gesäumt von großen Häusern der Bürger -
die Turmglocke schlägt zur Mittagsstunde- wenig Leute nur noch um dich herum.
Du gehst weiter, kommst über viele kleine Plätze, wo Brunnen stehen -
am Ende deiner Stadtdurchquerung auf einer kleinen Anhöhe ein großes Schloss -
du siehst noch, wo einst der Wassergraben es umschloss -
alte, hohe Bäume, du bist sicher, 
dass sie Jahrhunderte alt sind und viel gesehen haben -
der Stadtwall, schmal und dunkel, zieht sich um die ganze Stadt herum.
In der Ferne siehst du ein Kloster. Ob es wohl ein Mönchs- oder Nonnenkloster ist?
Du überlegst, was die Nonnen oder Mönche zu dieser Stunde wohl gerade tun. Ist es Gebetszeit?
Dein Blick fällt in das liebliche Tal, in dem ein kleiner Fluss sich windet -
alte Mühlen stehen am Rande des Ufers.
Am Horizont sind Wälder, dunkelgrün -
Der Himmel ist strahlend blau - der Tag ist hell und schön -
du bist im Park und ruhst dich aus-
sitzt auf der Bank, an die Platane gelehnt, und siehst auf die Stadt auf der einen Seite -
zum Tal auf der anderen Seite.
Du bist ganz ruhig, gelöst, entspannt -
Der Tag war schön und dir ist wohl.

(aus: Religion heute 16/Dez. 1993, S. 235, überarbeitet)

 

Lerneinheit: Katharinas Eintritt in das Kloster 

M 2 
Katharinas Kindheit und Jugend - historische Hintergründe

Katharina von Bora wurde am 29. Januar 1499, einem Dienstag, geboren. Das Jahr überliefert ein Brief des Erasmus von Rotterdam, der einem Freund im Juni 1552 mitteilt, Luther habe eine sehr schöne, aber völlig mittellose Nonne geheiratet, die jetzt 26 Jahre alt sei. Das genaue Datum geht auf eine heute nicht mehr aufzufindende Silbermedaille zurück, die Johann Andreas Glück 1733 vorlag. Angeblich soll sie Katharina als ein Geschenk Luthers um den Hals getragen haben. Der Vater hieß Hans von Bora, die Mutter, nach der Katharina benannt wurde, war eine geborene von Haubitz oder Haugwitz. Beide Geschlechter waren in vielen Zweigen im mitteldeutschen Raum weit verbreitet, so dass der Geburtsort der Katharina, aus dem dann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Linie der von Boras hervorgeht, nur erschlossen werden kann. Sie kam wohl im Gut Lippendorf südlich von Leipzig zur Welt. Die materiellen Verhältnisse des Hans von Bora waren bescheiden.

Die materielle Bedrängnis des Hans von Bora vergrößerte sich noch durch seine Kinderschar. Nachzuweisen sind mindestens drei Brüder und wahrscheinlich eine Schwester, Maria genannt. Katharinas Mutter starb vor 1505, da ihr Vater in diesem Jahre eine zweite Ehe mit einer Margarethe einging. Aus einer kleinen späteren Notiz entnehmen wir, dass sich Katharina zu dieser Zeit schon im Benediktinerkloster Brehna aufhielt. Offensichtlich sah sich der verwitwete Vater nicht in der Lage, das kleine Mädchen im eigenen Hause aufzuziehen. Zwar liegt der Zeitpunkt verhältnismäßig früh, aber die Erziehung jugendlicher Adliger außerhalb des eigenen Heimes ist durchaus nicht ungewöhnlich. Alle in der Literatur vorgetragenen Erzählungen über eine böse Stiefmutter sind reine Spekulation. Sicher ist nur, dass der wirtschaftliche Niedergang der Familie weiter voranschritt.

1508/09 jedenfalls brachte Hans von Bora seine Tochter im Kloster Marienthron in Nimbschen unter, nun nicht mehr als Pensionärin, sondern vorbestimmt für den geistlichen Stand. Auch über den Klosteraufenthalt der Katharina finden sich ebenso hartnäckige wie unbegründete Gerüchte. Äbtissin war Margarethe von Haubitz, möglicherweise eine leibliche Tante Katharinas von der mütterlichen Seite. Sicher eine Schwester ihres Vaters war Margarethe von Bora, die vielgeliebte Muhme Lene. Das zehnjährige Mädchen befand sich also praktisch bei seiner Verwandtschaft. Die Schulausbildung in Lesen, Schreiben, Singen und den Anfangsgründen des Lateins stellte durchaus ein Privileg für Mädchen am Anfang des 16 Jahrhunderts dar. Die klösterlichen Ordnungen, soweit sie überhaupt für die Schülerinnen galten, dürften eher das Gefühl des Behütetseins vermittelt haben.

Schwere körperliche Arbeit wurde den Nonnen und ihren Schülerinnen nicht abverlangt. Zwar sah die Regel des heiligen Bernhard von Clairveaux neben dem Gebet auch die Handarbeit vor, die dürfte sich jedoch auf leichte Gartenarbeit sowie Sticken beschränkt haben. Die neun adligen Schülerinnen der Klosterschule befanden sich also durchaus in einer günstigen Lage.

(aus: Martin Treu, Katharina von Bora. o.O. (Wittenberg) 19962, S. 6ff. Auszüge)

  1. Stelle den Lebenslauf der Katharina in einer Tabelle dar.
  2. Erläutere die Gründe des Hans von Bora, seine Tochter in ein Kloster zu bringen.
  3. Bewerte die Entscheidung des Vaters

 

M 3 
Katharina wird abgeschoben

Am letzten schönen Herbsttag des Jahres 1505 folgt Katharina dem Sarg ihrer Mutter. Sechs Jahre ist sie alt. Blumen, überall sind Blumen, ihr Duft ist betäubend, so anders als im Sommer, schwer, seltsam süß, ein wenig nach faulendem Obst und Staub, Katharina könnte ihn nicht beschreiben, aber er legt sich ihr auf die Brust wie eine schwere Last. Sie erlebt alles als einen dumpfen Traum; die vielen Menschen, Kerzen, Worte, Gesänge, den Weihrauch. Sie darf nicht reden, nicht weinen, nicht schreien. Ihr ahnt, sie wird es nie mehr dürfen.

Als sie am nächsten Morgen im rumpelnden Wagen sitzt, ist es November. Der Regen fällt leise, aber stetig auf den Rücken des Pferdes, den Mantel des Vaters, das knarrende, knirschende Lederzeug, auf die traurigen Weiden am Wegesrand. Nebel hängt zwischen ihren Zweigen. Grau, grau, alles ist grau. Wo sind die Blumen geblieben?

Durch Schlamm und Wasser des aufgeweichten Weges schleppt sich ein Krüppel auf einem Bein. Seine Kleider sind zerfetzt und schmutzig - flehend hält er dem Vater die hölzerne Bettelschale hin.

Aber Jan von Bora hat anderes im Kopf.

"Hüa!" ruft er unwirsch und lässt die Peitsche sausen. Die Augen des Bettlers sind weit geöffnet, sein Mund setzt zum Sprechen an - schon sind sie vorbei. Das Kind verschluckt ein Weinen. Einsam, verlassen, verstoßen fühlt Katharina sich, und könnte doch nicht erklären, warum - eine Ahnung ist in ihr, die Seele faltet sich zitternd zusammen. Der Wagen hält an.

"Komm, Käthe!" sagt der Vater.

Gehorsam steht sie auf und vergisst gleich, ihre Füße zu bewegen. Vor ihr türmt es sich wie ein böser Traum: grauschwarze, metallisch glänzende Steine, zu grob, zu schwer, um von Menschenhand bewegt worden zu sein, wie es dem Kind scheint, erheben sich fugenlos zu Mauern und Türmen. Gibt es da eine Tür? Oh, dass es keine gäbe, bittet das Kind, dass kein Mensch je hineinkönnte, hineinmüsste!

"Komm", sagt der Vater ungeduldig, denn ihn erwartet zu Hause seine zweite Frau, "hier ist dein Kloster!"

Katharina reißt entsetzt die Augen auf, hebt abwehrend die Arme und schreit: "Nein, nein! Ich will nicht! Nach Hause, bitte, nimm mich mit nach Hause, Mutter, Mutter!"

Sie sinkt in sich zusammen, nur noch ein kleines zuckendes Bündel, wimmernd, flehend. Der Mann hebt sie auf und trägt sie durch eine Spitzbogenpforte hinein - es gibt einen Eingang. Katharina verliert das Bewusstsein.

(aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, S. 11ff.)

  1. Vergleiche die in diesem Romanauszug gemachten Angaben über Katharinas Lebenslauf mit den Angaben aus dem Text M 2. Was fällt auf?
  2. Beschreibe, wie das Verhalten des Vaters dargestellt wird. Vergleiche deine Ergebnisse mit M 2
  3. Versuche einen Dialog zwischen dem Vater und Katharina über ihren Klostereintritt zu schreiben, wie er vielleicht tatsächlich stattgefunden haben kann.

 

Lerneinheit: Das Leben im Kloster

M 4
Aus dem Mönchsleben

Im 4. Jahrhundert n.Chr. entstanden in vielen Teilen der Erde Klostergemeinschaften, sowohl Männer- als auch Frauenklöster. Menschen wohnten zusammen, um zu beten und zu arbeiten. Durch diese Lebensweise wollten sie Gott ihr Leben zur Verfügung stellen. Im 8. Jahrhundert lebten in Italien, Frankreich und Deutschland die meisten Klostergemeinschaften nach der Ordensregel des Benedikt von Nursia, nach der die Mönche gelobten, ihr Leben in Armut, Gebet, Ehelosigkeit, Gehorsam und Arbeit zu verbringen. Die benediktinische Regel bleibt für Jahrhunderte die bestimmende Ordensregel der Klöster.

Bei den mittelalterlichen Klosteranlagen fallen der geradlinige Grundruß und die schlichten Mauerwände auf. Bewusst verzichteten die Mönche - insbesondere die Zisterzienser - auf prunkvolle Ausstattung und kostbare bauliche Verzierungen in und an ihren Gebäuden. Ihre Frömmigkeit wollten sie durch ihre Art zu leben zum Ausdruck bringen, nicht durch pompöse Bauwerke. Bei aller Schlichtheit in Form und Material bewiesen die Klosterarchitekten an ihren Bauten viel Sinn für Schönheit.

Seit dem 10. Jahrhundert hatte die meisten Klöster eine vierflügelige Anlage: Kirche auf der einen Seite, und drei Wohntrakte rahmen einen viereckigen Innenhof ein, der vom Kreuzgang gesäumt ist. Er ist der Ort der Stille und des Gebets, wie ihn die benediktinische Regel vorschreibt.

Die Wohn- und Arbeitsräume werden Klausur genannt, das bedeutet soviel wie abgeschlossene, der Öffentlichkeit nicht zugängliche Gebäude. Das eigentliche Wohnhaus der Mönche befindet sich im Ostflügel; im oberen Stockwerk das Domitorium, der Schlafraum der Mönche. Unten finden sich Gäste- und Empfangsraum, das Kalefaktorium (Heizraum) und der Kapitelsaal. In diesem Saal versammelt sich die Klostergemeinschaft zu wichtigen Beratungen, zur Wahl des Abtes (Vorsteher) und zur Einweihung zukünftiger Mönche. Zum gemeinsamen Essen kommen die Mönche im Refektorium zusammen. Dieser hallenartige Raum ist mit einfachen Holztischreihen und Sitzbänken ausgestattet.

Natürlich muss das, was im Kloster auf den Tisch kommt, aufbewahrt und zubereitet werden. Hierzu gab es Küchen, Lagerräume und Kleiderkammern. Die Klöster betrieben u.a. Landwirtschaft und verschiedene Handwerke. Außer den Klausurgebäuden hatten sie deshalb zusätzliche Wirtschaftsgebäude wie Scheunen, Stallungen und Werkstätten.

Der Tagesablauf der Mönche ist für jeden Orden streng vorgeschrieben. Eigentlich verfügt ein Mönch nicht mehr über Freizeit in unserem heutigen Sinn. Dafür verbleibt ihm eventuell eine kurze Zeit vor dem Schlafengehen. Im allgemeinen sieht der Ablauf etwa sieben Chorgebetszeiten vor, d.h. die Mönche versammeln sich zum gemeinsamen Gebet, das entweder gesungen oder gesprochen wird. Eines dieser Chorgebete findet meist nachts statt. Im Anschluss an das Gebet geht jeder Mönch seiner Arbeit nach. Die einen widmen sich der Land- und Hauswirtschaft, andere werden in den Werkstätten des Klosters tätig. Die Wissenschaftler und Buchmaler gehen in die Bibliothek oder im Labor an die Arbeit.

Im Mittelalter wurde hauptsächlich in den Klöstern Wissenschaft betrieben. Hier forschte und experimentierte man und hütete die Ergebnisse wie Geheimnisse in den Bibliotheken.

Lange vor der Erfindung des Buchdrucks wurden in den Klöstern kunstvolle Handabschriften der Bibel erstellt, von denen man manchmal einen Nachdruck zu Gesicht bekommt. Die Originale kann man in Museen bewundern.

Etwa zweimal am Tag wird gemeinsam gegessen; dabei wird darauf geachtet, dass die Speisen nicht zu reichlich und eher einfach angeboten werden. Wie bei der Nahrung beschränkt man sich auch bei der Kleidung auf das Notwendige. Die Ordensgemeinschaften kleiden sich einheitlich in einfache lange Gewänder, meist Kutte oder Chormantel genannt. Diese Kleidung - von jeder Modeströmung unbeeinflusst - ist ein weiterer Ausdruck für die bewusste Abkehr des Mönchs von allen Dingen, die nicht notwendig sind und die - nach ihrem Verständnis - vom Wesentlichen, von Gott, ablenken.

(aus: Möckmühler Arbeitsbogen Nr. 72, Kloster)

  1. Zeichne den Grundriss einer mittelalterlichen Klosteranlage.
  2. Beschreibe den Tagesablauf eines Mönchs. Zieh ein Lexikon zu Rate.

 

M 5
Frömmigkeit im Mittelalter.

Der Klosterschüler Anselm betrachtet ein Kirchenportal

Die Kirche war nicht majestätisch wie andere, die ich später in Straßburg, in Chartres, in Bamberg oder auch in Paris sehen sollte. Sie glich eher denen, die ich bereits an verschiedenen Orten in Italien gesehen, Kirchen von gedrungener Bauart, die nicht unbedingt hoch hinaus wollten, nicht schwindelerregend gen Himmel stürmten, sondern fest auf der Erde standen, oft breiter als hoch; nur dass diese auf einer ersten Höhe überragt wurde, gleich einem Felsen, von einer Reihe quadratischer Zinnen, hinter welchen sich auf dieser ersten Höhe ein zweiter Bau erhob, weniger ein Turm als eine solide zweite Kirche, gekrönt von einem steilen Dach und die Mauern durchbrochen von schmalen, schmucklosen Fenstern. Eine robuste Abteikirche also, wie unsere Vorfahren sie zu bauen pflegten in der Provence und im Languedoc, fern den Kühnheiten und übertriebenen Schnörkeln des modernen Stils, und erst in neuerer Zeit, wie mir schien, hatte man sie über dem Chor mit einem kühn zum Himmelsgewölbe emporweisenden Dachreiter verziert.

Ich sah einen Thron, der gesetzt war im Himmel, und auf dem Thron saß Einer, und Der Da Saß, war streng und erhaben anzusehen, die weitgeöffneten Augen blickten funkelnd auf eine ans Ende ihrer irdischen Tage gelangte Menschheit. Prächtige Locken und ein majestätischer Bart umrahmten sein Antlitz und fielen auf seine Brust gleich den Wassern eines Stromes in lauter ebenmäßigen und symmetrischen Wellen. Die Krone auf seinem Haupte war reich mit Gemmen und Edelsteinen geschmückt, das herrliche Purpurgewand, durchwoben mit goldenen Litzen und Spitzen, umhüllte in weite Falten seine Gestalt. Mit der Linken hielt er auf dem Knie ein versiegeltes Buch, die Rechte hob er zu einer Geste, von der ich nicht sagen kann, ob sie segnend war oder drohend. Sein Antlitz leuchtete in der blendenden Schönheit eines kreuzförmigen und blumengeschmückten Heiligenscheins, und ein Regenbogen war um den Thron, anzusehen gleich einem Smaragd. Und vor dem Thron, zu Füßen des, Der Da Saß, war ein gläsernes Meer wie aus Kristall, und um den Sitzenden, um seinen Thron und darüber, sah ich vier schreckliche Tiere - schrecklich für mich, der ich sie hingerissen betrachtete, aber lieblich und süß für den Sitzenden, dessen Lob sie sangen ohn’ Unterlass.

Rings um den Thron, um die vier Tiere und zu Füßen des Sitzenden, wie durchscheinend unter dem Wasser des gläsernen Meeres und fast den ganzen verbleibenden Raum der Vision erfüllend, sah ich vierundzwanzig Greise auf vierundzwanzig kleinen Thronen sitzen, gekleidet in weiße Gewänder, und hatten auf ihren Häuptern goldene Kronen. In der Hand hielten sie bald ein Räuchergefäß, bald eine Laute; nur einer von ihnen spielte, doch alle blickten verzückt empor zu den Sitzenden und sangen unaufhörlich sein Lob, die Glieder verdreht wie die der beiden unteren Tiere, aber nicht in tierischer Weise, sondern wie in ekstatischem Tanze - wie David um die Lade getanzt haben muss -, dergestalt dass, wo immer sie sich befinden mochten, ihre Blicke entgegen dem Gesetz, das die Haltung ihrer Körper beherrschte, in ein und demselben strahlenden Punkte zusammentrafen. Oh, welche Harmonie von Hingabe und Entrückung, von unnatürlichen und doch anmutigen Haltungen, in dieser mystischen Sprache der wie durch ein Wunder vom Gewicht ihrer Körperlichkeit befreiten Glieder, gestaltete Vielfalt, übergossen mit neuer Wesensform, als würde die heilige Heerschar getrieben von einem stürmischen Wind, von einem lebensspendenden Odem, rasende Freude, hallelujatischer Jubel, durch ein Wunder aus Klang zu Bild geworden!

Körper und Glieder beseelt vom Geist, erleuchtet von der Offenbarung, Gesichter verzückt vor Staunen, Blicke verdreht vor Begeisterung, Wangen gerötet von Liebe, Pupillen geweitet von Glück, der eine getroffen von freudiger Überraschung, der andere von überraschender Freude, der eine entrückt in Bewunderung, der andere verjüngt durch die Lust - so sah ich die Greise singen, singen ein neues Lied, mit dem Ausdruck ihrer Gesichter, mit dem Faltenwurf ihrer Mäntel, mit der Beugung und Anspannung ihrer Glieder, die Lippen halboffen in einem Lächeln ewigen Lobens.

Und während ich den Blick weitergleiten ließ, sah ich neben dem Portal und unter die tiefen Arkaden des Vorbaus, in Stein gemeißelt zwischen den schlanken Säulen, überwölbt von der reichen Vegetation ihrer Kapitelle und von dort sich weiter verzweigend zum waldartigen Gewölbe der vielfachen Bögen, andere Visionen, die mich erschauern ließen und die wohl an diesem Ort nur gerechtfertigt waren durch die moralische Lehre, die sie dem frommen Betrachter erteilten: Ich sah eine Lüsterne, nackt und entfleischt, rot von ekligen Schwären, Schlangen fraßen an ihrem Leib, daneben ein trommelbäuchiger Satyr mit pelzigen Greifenklauen und einer schrecklichen Fratze, die ihre eigene Verdammnis hinausschrie; und ich sah einen Habsüchtigen, starr in der Starre des Todes auf seinem prunkvollen Lotterbett, nun feige Beute einer Schar von Dämonen, deren einer ihm aus dem röchelnden Munde die Seele zog, sie hatte die Form eines kleinen Kindes (Wehe, nie wird es für ihn eine Auferstehung zum ewigen Leben geben!); und ich sah einen Hoffärtigen, dem ein Alp auf der Schulter hockte und mit spitzigen Krallen die Augen auskratzte, und ich sah noch mehr Dämonen, ziegenköpfige, löwenmähnige, panthermäulige, gefangen in einem Flammenwald, dessen Brandgeruch ich fast zu riechen meinte.

Und um sie herum, mit ihnen vermischt, zu ihren Köpfen und zu ihren Füßen, sah ich noch andere Fratzen und Glieder, einen Mann und eine Frau, die sich an den Haaren zerrten, zwei Vipern, die eines Verdammten Augen schlürften, einen irre Lachenden, der mit Krallenhänden den Rachen einer Hydra aufriss, und sämtliche Tiere aus Satans Bestiarium waren versammelt zum Konsistorium und postiert als Wache und Garde des Sitzenden auf dem Thron, seinen Ruhm zu singen durch ihre Unterwerfung: Faune, Hermaphroditen, Bestien mit sechsfingrigen Händen, Sirenen, Zentauren, Gorgonen, Medusen, Harpyien, Erinnyen, Dracontopoden, Lindwürmer, Luchse, Parder, Chimären, Leguane, sechsbeinige Agipiden, die Feuer aus ihren Nüstern sprühten, vielschwänzige Echsen, behaarte Schlangen und Salamander, Vipern, Nattern, Ratten, Raben, Greife, Geier, Eulen, Käuzchen, Wiedehopfe, Wiesel, Warane, Krokodile, Krebse mit Sägehörnern, Leukrokuten mit Löwenkopf und Hyänenleib, Mantikoren mit drei Zahnreihen im Maul, Hydren mit Zahnreihen auf dem Rücken, Drachen, Saurier, Wale, Seeschlangen, Affen mit Hundeköpfen, Makaken, Marder, Ottern, Igel, Basilisken, Chamäleons, Geckos, Skorpione, Sandvipern, Schleichen, Frösche, Polypen, Kraken, Muränen, Molche und Lurche. Die ganze Schauergesellschaft der niederen Kreaturen schien sich ein Stelldichein gegeben zu haben, um der Erscheinung des Sitzenden auf dem Throne als Vorhof zu dienen, als Unterbau und Kellergewölbe, als unterirdisches Land der Verstoßenen, sie, die Besiegten von Armageddon, im Angesicht des, der da kommen wird, endgültig zu trennen zwischen den Lebenden und den Toten.

(aus: Umberto Ecco, Der Name der Rose, München 19863, S. 60f.)

  1. Versuche, das Kirchenportal zu skizzieren.
  2. Beschreibe, wie sich der Klosterschüler Anselm angesichts dieses Portals fühlt.
  3. Beschreibe was dieses Kirchenportal dem Betrachter aussagen will. Bedenke, dass das Portal den Gläubigen den Zugang zur Kirche eröffnet. Lies dazu aus der Offenbarung des Johannes Kap. 4

 

M 6
Frauen im Kloster Marienthron

Den Reichtum des Klosters mehrten die andächtigen Besucher, die auf Wallfahrten oder zur Kirchweih nach Nimbschen kamen. Denn die Klosterkirche erhielt zwölf reich geschmückte Altäre, in denen immerhin 367 Reliquien ruhten. Da gab es Teile von der Krippe Jesu und ihrem Stroh, einen Dorn von der Dornenkrone, Haare und ein Stück vom Schleier der Jungfrau Maria und viele andere mehr. Gläubige Verehrung der Reliquien und eine Spende für die Kirchenkasse erschienen vielen schlichten Gläubigen als sicherster Weg ins Himmelsreich, waren damit doch Ablässe für alle Sündenstrafen verbunden.

Natürlich erlaubte die Ordensregel den Nonnen nicht, sich wahllos unter das Volk zu mischen, aber man wird doch sagen dürfen, dass Katharina zum einen die betriebswirtschaftliche Abläufe in einer hochkomplexen Landwirtschaft kennen gelernt hat, zum anderen auch die bunte und verführerische Religiosität der einfachen Leute der Zeit.

Zum frühstmöglichen Zeitpunkt, 1514, begann Katharina ihr einjähriges Noviziat. Da nach den Anschauungen der Zeit das dreiteilige Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam als absolut bindend und verpflichtend angesehen wurde, verlangte die Ordensregel diese Prüfungszeit, damit sowohl das Kloster wie die Novizin sichergehen konnte, den richtigen Entschluss zu fassen. Schließlich wurde der Klostereintritt als eine Heirat mit Christus verstanden, die nur der Tod auflösen konnte. Allerdings klaffte hier zwischen Theorie und Praxis ein Abgrund, da Katharina wohl keine Möglichkeit hatte, die Ablegung der Gelübde zu verweigern. Eine Rückkehr nach Lippendorf war ausgeschlossen. Jedoch finden sich bei ihr auch im Rückblick keine Hinweise, dass es besonderen Zwanges bedurft hätte. Vielmehr scheint sie in aller Selbstverständlichkeit die Konsequenz aus ihrem bisherigen Leben gezogen zu haben, als sie am 8. Oktober 1515 feierlich allen Freuden dieser Welt abschwor und dafür persönliche Besitzlosigkeit, Keuschheit und Gehorsam ihren Oberen gegenüber gelobte. Zum Zeichen ihrer Ehe mit Christus empfing sie einen Ring. Man bekleidete sie mit der weißen Kutte der Zisterzienserinnen. Das kurzgeschorene Haar trug sie nun unter einem schwarzen Schleier. Zur Feier der Einsegnung übersandte Hans von Bora 30 Groschen.

Der Regel nach war das Leben der Nonnen streng geordnet. Vor Sonnenaufgang begann der erste Gottesdienst, nach Mitternacht endete der letzte, dazwischen lagen vier weitere. Gegessen wurde nur zweimal am Tage. Mittwochs und Freitags wurden ebenso gefastet wie in der Passions- und Adventszeit. Im Chor der Kirche, im Esssaal und in den Schlafzellen musste strenges Stillschweigen herrschen. Verständigung war nur mittels einer speziellen Fingersprache möglich. Lautes Lachen war ganz verboten. In der Theorie sollte der Tagesablauf bis in die kleinsten Details geregelt sein. Bei Tisch wurde aus einem erbaulichen Buch vorgelesen, um jede Versuchung zu einer Unterhaltung zu unterbinden. Der Becher musste mit beiden Händen umfasst werden, damit man langsam trank.

In der Wirklichkeit sahen die Dinge freundlicher aus. Zur Erleichterung des Tagesablaufes gab es einen allgemeinen Mittagsschlaf. Die Fastenzeiten boten über Wasser und Brot weit hinausgehend Gelegenheit raffinierte Fischgerichte, darunter den beliebten Biberschwanz, den man auch unter die Fische zählte, auf den Tisch zu bringen. Auch wurde die Klausur, die Abgeschiedenheit der Nonnen von der Welt, immer wieder durchbrochen, sei es, dass man Ausflüge veranstaltete oder Besucher ins Kloster kamen. Klagen über nicht oder nicht exakt eingehaltene Regeln finden sich schon 1509, wie auch Hinweise, dass sich die Äbtissin nicht einfach von den geistlichen Vätern des Klosters disziplinieren ließ. Andererseits gibt es keinerlei Andeutung für eine sittliche Verwilderung, wie sie bei manchen Ordensniederlassungen am Beginn des 16. Jahrhunderts bisweilen zu finden ist.

Das Leben der Katharina von Bora verlief in streng geregelten Bahnen, doch nicht ohne die kleinen Freuden des Alltags. Ihr Horizont war nicht enger, sondern wahrscheinlich weiter als bei einem Mädchen ihres Alters und Standes, das zu Hause bei den Eltern lebte.

(aus: Martin Treu, Katharina von Bora, o.O. (Wittenberg) 19962, S. 11ff.)

  1. Erkläre die Bedeutung der Reliquien.
  2. Beschreibe die Bedeutung der drei Gelübde.
  3. Stelle einen Tagesablauf der Nonne Katharina im Kloster Marienthron zusammen

 

Lerneinheit: Katharina im Kloster Brehna und Marienthron

M 7
Katharinas Leben als Novizin im Kloster Brehna

Die Tage im Kloster erscheinen den Kindern endlos. In tiefer Dunkelheit müssen sie aus den warmen Betten und nüchtern in die Kirche. Feuchte Kälte empfängt sie, schwarzes Schweigen, keiner darf sprechen. Eng drängen sie sich aneinander. Endlich leuchtet am Altar die erste Kerze auf. Alle Blicke konzentrieren sich auf die kleine Flamme, die ein paar mal hin und her zuckt, dann ruhig steht, gleißend weiß, von einem goldscheinenden Hof geheimnisvoller Wärme umgeben. Die Chorfrauen beginnen zu singen.

Käthe kniet schlaftrunken, ihr Bewusstsein scheint sich von diesem müden, frierenden Körper zu lösen und auf den Tönen des gregorianischen Chorals zu schweben, die so hoch und süß dahintreiben in schöner Gleichmäßigkeit, nur manchmal von auf- und niedersteigenden Schnörkeln unterbrochen. Sie verliert jedes Gefühl für Zeit und Raum, bis plötzlich dunkelblaue Schemen über dem Altar in der Dunkelheit hängen, die heller und heller werden, sich endlich als Fenster offenbaren und das liebe Tageslicht hereinlassen: die Mädchen können zum Frühstück gehen, wo der dampfende Hirsebrei auf sie wartet. Anschließend ist Unterricht bis zur Sext.

Selbst beim Mittagstisch dürfen die Kinder nicht sprechen, sondern müssen aufmerksam den Lesungen aus dem Leben der Heiligen folgen, denn sie werden später danach gefragt. Alle sinken sofort in den Schlaf, wenn die Laienschwester, die Käthe am liebsten mag, ihrer braunen Kutte wegen, die aussieht wie Erde und Brot, sie nach dem Segen zu Bett bringt. Nachmittags lernen die Kinder sticken, und ehe die kleinen Finger sich so recht an den Umgang mit Nadeln und zarten Fäden gewöhnt haben, läutet es schon zur Vesper. "Magna sunt opera Domini, scrutanda omnibus qui diligunt eis" - Groß sind die Werke des Herrn, des Sinnens wert für alle, die sie lieben, singen die Chorfrauen.

Schnell vergeht solch ein Tag und ist doch auch wieder lang, unendlich lang, wenn Hunger und Müdigkeit quälen, wenn draußen die Sonne lacht und die Vögel jubilieren, wenn man so unbedingt etwas sagen möchte und es nicht darf, wenn die jungen Glieder sich regen wollen und stillhalten müssen. Die regelmäßig genau nach Vorschrift ausgefüllten Stunden reihen sich aneinander wie Perlen auf der Schnur; es ist oft mühsam, das Loch zu finden, den Faden durchzuziehen, aber mit einem Male hat man unversehens eine lange Kette, man weiß selbst kaum, wie - so werden aus Tagen Woche, und ehe es die Mädchen recht wahrhaben, ist schon ein Jahr vergangen. Zur größten Freude der Kinder wird solch ein Jahr häufig aufgelockert; Kirchenfeste, die Geburts- und Todestage der Heiligen, hundert solcher Feiertage gibt es.

(aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, S. 14f.)

  1. Beschreibe das Leben der Katharina als Novizin im Kloster Brehna.

 

M 8
Von der Demut

Nachdem Katharina ihre schulische Ausbildung im Kloster Brehna beendet hat, wird sie in das Kloster Marienthron eingewiesen. Hier bereitet sie sich nun auf ihr künftiges Leben und auf ihren Dienst als Nonne vor. Neben Gebet, Gottesdienst und der Bibellektüre übernimmt sie außerdem kleinere Aufgaben in der Küche, später in der Apotheke des Klosters.

Im Konvent wird aus der Ordensregel gelesen: über die Demut, Abt Balthasar hat es angeordnet.

Der heilige Benedikt sieht diese wichtige Tugend als eine Leiter mit zwölf Stufen. Die erste ist gleich der Erfüllung der göttlichen Gebote und der Erkenntnis, dass Gott alles sieht. Auf der zweiten liebt die Nonne den Willen Gottes mehr als ihren eigenen. Die dritte bedeutet das geduldige Ausharren in jeglicher Art von Unbill. Die vierte Stufe verlangt Gehorsam und Geduld bei Kränkungen und ungerechter Behandlung und Feindesliebe. Auf der fünften Stufe werden alle schlimmen Gedanken demütig den Oberen bekannt. Die sechste Stufe bedeutet Zufriedenheit mit dem Niedrigsten und Geringsten und Einsicht in die eigene Unfähigkeit, was auf der siebten dadurch vertieft wird, dass die Nonne aus Herzensgrund spricht: "Ein Wurm bin ich und kein Mensch": Psalm 21, 2.

Auf der achten Stufe tut man nur das, wozu einen die gemeinsame Klosterregel und das Beispiel der Oberen anhalten, auf der neunten zügelt man seine Zunge, dafür darf man auf der zehnten leicht und gern zum Lachen bereit sein, die elfte verlangt bescheidene, ernste, karge Rede, und die zwölfte zeigt die Demut allen sichtbar in der Körperhaltung: geneigtes Haupt, niedergeschlagene Augen. Hat man all diese Stufen der Demut erstiegen, so gelangt man zu jener Gottesliebe, die vollkommen ist und die Furcht vertreibt. Kraft dieser Liebe wird man von jetzt an mühelos, wie von selbst, nicht aus Furcht vor der Hölle, sondern aus Liebe zu Christus Freude an der Tugend haben.

"Das wird es sein", denkt Käthe, "ich bin so angefüllt mit Fehlern und Sünden, mit bösen und unnützen Gedanken - ich kann ja nicht zuhören, ohne dauernd innerlich zu protestieren und meine Meinung dagegenzusetzen. Ich bin ganz und gar unwürdig und will doch so gern würdig sein und eine gute Nonne werden." Sie steigt aus dem Bett, wirft sich auf den kalten Steinboden und beginnt zu beten: "Herr, mein Gott, ich will wachen und beten! Ich will nur noch die Hälfte der Fastenspeise essen und meinen Rücken geißeln, ich will alle anderen Gedanken vertreiben aus meinem Hirn und nur über dich nachsinnen Tag und Nacht, o erbarme dich meiner und schenke mir deine Gnade. Heilige Mutter Gottes, bitte für mich arme Sünderin, auf dass ich würdig werde der Verheißung Christi."

Sie betet den lateinischen Messtext, das Salve Regina, das Magnifikat, alle Psalmen, die sie auswendig weiß, bewegt den Oberkörper im Rhythmus vor und zurück, um nicht einzuschlafen. Oh, wenn es an ihr ist, sie will den Himmel erstürmen durch ihre Bemühungen!

(aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, S. 40f.)

  1. Deute mit Hilfe des Textes den Begriff ‘Demut’
  2. Versuche zu erklären, worunter Katharina leidet.

 

M 9
Vom Gelübde

Zwei Mönche werden der Äbtissin durch den Torwärter Thalheym gemeldet: Sie künden den Besuch des Abtes von Kloster Pforta bei Kösen an, der Marienthron zu visitieren gedenkt. Auf der Stelle beginnt das große Saubermachen, nicht nur alle Räume werden auf den Kopf gestellt, Speisepläne gemacht, Bestellungen an den Schlösser Koppe in Torgau aufgegeben, die Kleider gewaschen - nein, auch die Seelen sollen strahlen und glänzen. Es wird noch eifriger gebetet, die Sangesmeisterin findet immer wieder ein falsches Tönlein und lässt weiter üben - und die Schulmädchen werden in die Badestube gescheucht.

Endlich ist es soweit. Margarete von Haubitz schickt den Wagen aus, um Abt Balthasar mit seinem Gefolge abholen zu lassen.

Die Konventualinnen (Angehörige der klösterlichen Gemeinschaft) sehen nichts von den guten Speisen, die am Tisch der Äbtissin in ihrer Wohnung den Gästen aufgetragen werden, um den strengen Mann nur ja auf allen Gebieten zufrieden zustellen. Zur Rekreation erscheint er persönlich im Konvent und lässt sich den Ring küssen. Außerordentlich, dass ein Mann diesen Raum betritt - selbst die Beichtväter dürfen nur bei schwerer Krankheit ihren Fuß über die Schwelle der Klausur setzen. Abt Balthasar hält den zitternden Frauen eine gewaltige Rede: Missstände seien eingerissen, Nachlässigkeiten und neumodische Reformen hätten sich eingeschlichen.

"Alle Klausur und geistlichen Leut sind erdacht, dass sie unserem Herrn und Gott dienen und für Tote und Lebende und alle Bresthaften Bitten füllen!" Er hat von Spaziergängen in freier Natur mit den Schulmädchen gehört, von Lachen und Schabernack junger Novizinnen. Ist der Schlafsaal der Kostkinder auch streng abgeteilt von den Zellen der Chorfrauen? Es ist nicht gestattet, nächtens bei den Kindern zu sein!

Der sündhafte Gesang der Nonnen aber hat sein Ohr empfindlich beleidigt, sein Ohr und sein Gewissen! Neumodische Klänge und Rhythmen!

"Fremde Gesänge sind hier aufgekommen, es wird gegen die Regel des heiligen Bernhard zu schnell und ungleich gesungen. Ihr frönt dem Unfug, unvermittelt bald wenige, bald alle Stimmen ertönen zu lassen. Ich ordne an, dass rund, eine Silbe wie die andere gesungen wird, einhellig und mit gleicher Stimme, nicht zu hoch und nicht zu tief! Ich werde das überwachen lassen!

Ferner betone ich auf das ausdrücklichste: Damit ihr euch nicht mit dem Laster des Eigentums befleckt, welches in der Religion das schlimmste und verdammlichste Netz des Teufels ist, sollte ihr bei Strafe der Exkommunikation alle Geschenke von Freunden und anderen draußen nicht als euer Recht beanspruchen, sondern der Äbtissin reichen und demütig von ihr das Nötigste begehren.

Bewahrt Stillschweigen und Gehorsam! Bedenkt, dass ihr von jedem unnützen Wort Rechenschaft geben müsst, nicht nur vor Gottes Richterstrahl, sondern auch vor dem Beichtstuhl des Priesters. Darum sollt ihr außerhalb der vorgeschriebenen Gebetszeiten und Lektionen in besonderen Gebeten mit Christus reden und in Beschaulichkeit hören, was Gott in euch spricht.

Es ist streng darauf zu achten, dass die Kinder und heranwachsenden Jungfrauen nicht herumlaufen und schwatzen, wie mir zu Ohren gekommen ist, sondern sich sittsam und schweigsam verhalten!"

Endlich wird der Besuch feierlich, wie er eingeholt wurde, auch wieder heimgeleitet. Das Kloster atmet auf. Margarete von Haubitz wäre gern dieser Aufsicht los und ledig.

(aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, S. 39f.)

  1. Erkläre, was Abt Balthasar am Leben der Nonnen auszusetzen hat.
  2. Deute den Begriff Gelübde

 

Lerneinheit: Katharina hört von Luther

M 10
Der wahre Weg zu Gott

Der Vollmond scheint. Die Stille der Nacht ist voller Geräusche. Ein Ast bewegt sich im Wind und schabt an der Mauer entlang. Das Käuzchen schreit. Es knackt das Holz der Bettstelle. Das Mondlicht zeichnet den Fensterausschnitt auf die Decke. Käthe liegt regungslos und wartet. Da - klingt das nicht wie nackte Füße auf Steinfliesen? Raschelt nicht ein Gewand? Nein! Doch. Es kratzt an der Türe. Käthe hat sie nur angelehnt. Sie öffnet sich lautlos, Margarete huscht herein, setzt sich auf die Bettkante.

"Katharina" flüstert sie hastig und eifrig, "es tun sich Dinge draußen in der Welt, die du dir gar nicht ausdenken kannst! Zu Wittenberg lehrt ein Augustinermönch, Doktor der Theologie, er heißt Martinus Luther. Er hat den wahren Weg zu Gott gefunden. Er sagt, man dürfe nur glauben, was in der Bibel steht. Die Priester und sogar der Papst würden oft Falsches lehren, und der Ablass sei Betrug, denn nicht Geld könne selig machen, sondern allein die Gnade Gottes! Der Kaiser hat ihn auf den Reichstag nach Worms bestellt, er solle seine Lehren widerrufen, aber er hat kein Wort zurückgenommen. "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!" soll er gesagt haben, dem Kaiser, den Kurfürsten, den päpstlichen Gesandten ins Angesicht hinein! Der Kaiser hat die Reichsacht über ihn ausgesprochen. Nun ist er verschwunden, aber seine Schriften werden überall gelesen.

Es tut sich was in der Welt, Katharina! Nun schlaf wohl - es ist besser, ich gehe jetzt, aber ich komme wieder und erzähle dir mehr, wenn ich weitere Kunde habe."

"Danke", flüsterte Käthe.

Das Mondlicht ist weitergerückt auf der Bettdecke, sonst hat sich nichts verändert - der Zweig schabt an der Mauer, der Laden schlägt, die Nachbarin schnarcht. Käthe reibt sich die Augen. Hat sie geträumt? Ist Margarete wirklich da gewesen! Was hat sie Wirres erzählt von einem Doktor der Theologie, der gegen den Papst kämpfen will?

Käthe liegt lange Zeit wach und versucht, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Den wahren Weg zu Gott soll der Mönch gefunden haben - also ist sie auf dem falschen, sind die Nonnen alle auf dem falschen?

(aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, S. 48f.)

  1. Stelle die Informationen über Luthers Lebenslauf zusammen und ergänze sie mit Hilfe deines Religions- oder Geschichtsbuches
  2. 2. Beschreibe, wie Katharina auf Margaretes Bericht reagiert.
    Berücksichtige ihre Gedanken in M 8 ‘Von der Demut’

 

M 11 
Der Ablasshandel

  1. Beschreibe, wie der Ablasshandel abläuft
  2. Erläutere Luthers Vorwurf, mit dem Ablasshandel wolle man sich die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden erkaufen.

 

 

Lerneinheit: Katharinas Flucht aus dem Kloster


M 12 

Katharinas Flucht - historische Hintergründe

Wir wissen nicht, auf welchem Wege Luthers Überlegungen in das Kloster Marienthron gelangten. Zwei Möglichkeiten zumindest bieten sich an, ohne der Vermutung Raum zu geben, die eine oder andere gedruckte Schrift wäre heimlich im Kloster von Hand zu Hand gegangen. Im nahe Nimbschen gelegenen Städtchen Grimma stand Wolfgang von Zuschau als Prior einem Augustinereremitenkloster vor, das Luther schon 1516 als Distriktsvikar besucht hatte. 1519 predigte Luther mehrfach in Grimma und 1522 trat Wolfgang von Zeschau aus dem Orden aus und bekleidete danach das Amt eines Spitalmeisters in der Stadt. Zwei leibliche Nichten des ehemaligen Priors, Veronica und Margarete, lebten in Marienthron und gehörten dann auch zu den neun Flüchtlingen.

Vorstellbar ist aber auch eine Verbindung über Leonhard Koppe, Ratsmann zu Torgau. Er wurde 1464 geboren und stammte aus einem vornehmen Bürgergeschlecht. Seine Mutter war eine geborene von Amsdorf, was eine Familienbeziehung zu Luthers bestem und ältesten Freund Nikolaus von Amsdorf, Professor in Wittenberg, zumindest nahelegt. Leonhard Koppe besaß bedeutende Güter in Torgau sowie eine vielgenutzte Fremdenherberge. Außerdem lieferte er regelmäßig als Großhändler Waren nach Marienthron, vor allem Heringe und Stockfische als Fastenspeise.

In der Nacht vom Ostersamstag auf Sonntag, den 6. zum 7. April 1523, fuhr Koppe mit zwei jüngeren Verwandten in Nimbschen vor und entführte zwölf Nonnen aus Marienthron. Die Einzelheiten der Vorbereitung wie der Durchführung der Flucht sind nicht überliefert. Als sicher dürfte gelten, dass alle gemeinsam auf Koppes Planwagen davonfuhren. Drei von ihnen, Gertraud von Schellenberg, Else von Gauditz und eine namentlich unbekannte gingen gleich zu ihren Angehörigen, so dass lange nur von neun Nonnen die Rede war. Die spätere Legendenbildung bemächtigte sich des Vorganges. Ein älterer Chronist schrieb, eingedenk von Koppes Fischlieferungen an das Kloster, dass er die Nonnen wie Heringstonnen gefahren habe, woraus ein jüngerer dann ganz wörtlich hinter Heringstonnen machte. Luther selber muss von dem Vorgang aufs Beste informiert gewesen sein, denn nach einem Rasttag in Torgau zogen die Flüchtlinge am 8. April 1523 unter großer öffentlicher Anteilnahme in Wittenberg ein.

Begleitet wurden sie von einem anderen guten Freund Luthers, Gabriel Zwilling, genannt Didymus. Um 1487 geboren, ließ er sich 1512 an der Wittenberger Universität immatrikulieren. Nach einem Zwischenspiel in Erfurt erwarb er 1519 den Magistergrad wieder in Wittenberg. Im Herbst 1521, während Luther sich auf der Wartburg befand, führte er die Reformen im Wittenberger Kloster energisch voran.

Luther reagierte auf die Flucht der neun Nimbscher Nonnen mit einer schnell gedruckten Schrift "Ursache und Verantwortung, warum Jungfrauen das Kloster mit göttlichem Willen verlassen dürfen", in der er satirisch feststellt: "Der Narr Leonhard Koppe hat sich von dem verdammten ketzerischen Mönch fangen lassen, fährt hinzu und entführt gleich neun Nonnen auf einmal aus dem Kloster." Luther begründet seinen Schritt an die Öffentlichkeit damit, dass solche Taten das Licht nicht zu scheuen brauchen, auch die Reinheit und Ehre der Nonnen während der Flucht gewahrt bleiben und schließlich andere adlige Familien ermuntert werden sollen, auch ihre Töchter aus dem Kloster zu holen.

(aus: Martin Treu, Katharina von Bora, o.O. (Wittenberg) 19962, S. 14f.)

  1. Stelle die historisch gesicherten Informationen über Katharinas Flucht aus dem Kloster Marienthron stichwortartig zusammen.
  2. Beschreibe die Rolle Luthers bei der Flucht.

 

M 13
Katharina flieht aus dem Kloster

Wieder einmal hocken Ave von Schönfeld und Käthe nebeneinander auf Aves Pritsche, die Arme so eng wie möglich um den Leib geschlungen, weil sie jämmerlich frieren. Es ist kalt in den Zellen. Durch das strenge Fasten sind sie so ausgehungert, dass ihre Körper kaum die Kraft aufbringen, eigene Wärme zu produzieren, und überdies lässt die seelische Anspannung sie erzittern.

"Ist es recht, was wir vorhaben?" fragt Käthe.

"Ich bin dessen ganz gewiss", versichert Ave. "Aber lass uns nachdenken. Was war der Inhalt unseres klösterlichen Lebens?"

"Wir glaubten, mit unserem Gelübde der Keuschheit ein Gott wohlgefälliges Werk getan zu haben."

"Luther belehrte uns anhand der Heiligen Schrift eines Besseren".

"Wir hofften, uns durch Bußübungen und Kasteiungen ein Anrecht auf einen Platz im Himmel zu erwerben."

"Aber Luther beweist, dass kein Mensch je gute Werke genug ansammeln könnte, um Seine Gnade zu verdienen - wobei er auch noch betont, dass Kasteiung und Bußübungen gar keine guten Werke sind."

"Und die letzte schöne Sicherheit wurde uns ebenfalls zerschlagen: das Vertrauen auf die Fürbitte der Heiligen und die ablassspendende Kraft ihrer Reliquien. Ganz auf uns selbst gestellt, haben wir die feste Zuversicht auf Gottes Gnade und den inneren Frieden, erworben in einem frommen und pflichttreuen Leben außerhalb der Klostermauern."

"Ach ja, so lehrt es Doktor Martinus. Kannst du es dir vorstellen?"

"Nein", antwortet Käthe ehrlich, "dazu kennen wir viel zu wenig von der Welt. Und trotzdem freue ich mich richtig darauf! So unwissend ich auch bin, ich sehne mich danach, die Ärmel aufzukrempeln und zu wirtschaften! Lass alle Zweifel fahren, Ave. Mit Gottes Hilfe wollen wir es anpacken, und es wird uns wohl gelingen."

Ave lächelt und denkt im stillen: Wer hatte hier die Zweifel?

Und endlich ist der Karsamstag da. Ave von Schönfeld öffnet die nur angelehnte Türe und haucht: "Komm!"

Wie im Traum folgt Käthe, huscht durch die dunklen Gänge in den Klostergarten hinaus. Knarrt hier eine Stiege, dreht sich dort eine Tür in den Angeln? Bedeutet das Entdeckung oder Gefolgschaft? Flackert dort nicht ein Licht?

Gegen den Himmel in seinem nachtdunklen Blau sieht sie die Dächer des Dormitoriums, die Türme der Kirche. Sie riecht die frische Erde, den reinen, herben Duft der Kräuter. Sie geht willenlos. Schon ist sie am Törchen. Es tut sich auf, eine Hand streckt sich den Nonnen freundlich entgegen, um ihnen über die Stufen zu helfen. Katharina hebt die Augen. "Andreas?" staunt sie. "Kommst du auch mit?"

Er nickt. Sie ist die letzte, der er hilft, unwillkürlich hält sie seine Hand fest. Ihr ist, als habe sie einmal davon geträumt, mit ihm in die Freiheit zu laufen - oder nein, nach Hause? Er führt sie ein Stückchen übers Feld in ein Wäldchen, da sehen sie auch schon die Umrisse eines großen Planwagens, hören das Schnauben der Pferde.

Meister Koppe empfängt sie freundlich: ein großer, starker Mann mit einer sympathischen Stimme, beide Hände streckt er ihnen entgegen.

"Willkommen, willkommen in der Freiheit!" sagt er. "Ich bin Leonhardt Koppe, hier mein Neffe, auch Leonhardt Koppe geheißen, und Wolf Dommitzsch, ein torgischer Bürger. Den Andreas kennt Ihr ja.

Wenn Ihr bitte einsteigen wollt und Euch zwischen den leeren Tonnen verbergen! Ich werden den Wagen lenken. Andreas sitzt hinten. Die beiden anderen Herren eskortieren uns zu Pferde. Mehr laßt uns hier nicht sprechen. Je schneller wir weit fort sind, um so besser!"

Die Männer helfen den Mädchen in den Wagen. Käthe spürt starke Hände, die ihre Taille umfassen und die hochheben, sie tastet sich vor zwischen den leeren Heringsfässern und hockt sich hinter Koppes breiten Rücken. Er fährt an. Käthe sieht nicht zurück. Da sind die Geräusche der Nacht: ein leichter Wind, knackende Äste, das verschlafene Piepsen eines Vogels, der Schrei eines Käuzchens, dazu das Knirschen des Lederzeugs, das Rattern der Räder, das Klicken von Ketten, Pferdehufe auf dem Weg. Käthes Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Sie nimmt den breiten Rücken und den Hut Koppes wahr, das glänzende Fell der Pferde. Sie erinnert sich: so ist sie mit dem Vater gefahren als kleines Mädchen und wusste nicht, wohin. Weiß sie jetzt mehr? Ja, denkt sie bei sich und drückt entschlossen das Kinn auf die Brust, jetzt weiß ich, was ich will, und das werde ich tun. Nach meinem eigenen freien Ermessen, niemandem untertan denn Gott und Jesus Christus und seiner Liebe werde ich handeln. O ja, ich werde sanft und lieb und demütig sein, wie es einer Frau geziemet, aber ich lasse mich nicht mehr zwingen. Das ist mein fester, unumstößlicher Wille, so wahr mir Gott helfe.

(aus: Ursula Sachau, Das letzte Geheimnis. Das Leben und die Zeit der Katharina von Bora, München 1991, S. 66ff.)

  1. Zeichne eine Szenenfolge über die Flucht der Katharina und der anderen Nonnen aus dem Kloster.

 

M 14
Martin Luther: Brief an seinen Vater Hans Luther, 21. November 1521

Seinem Vater Hans Luther wünscht Martin Luther, sein Sohn, Segen in Christus

Es sind nun fast sechzehn Jahre her, seit ich gegen Deinen Willen und ohne Dein Wissen Mönch geworden bin. In väterlicher Sorge wegen meiner Anfälligkeit - ich war ein Jüngling von eben zweiundzwanzig Jahren, d.h. um mit Augustin zu sprechen, in glühender Jugendhitze - fürchtest Du für mich, denn an vielen ähnlichen Beispielen hattest Du erfahren, dass diese Art zu leben manchem zum Unheil gereicht hatte. Deine Absicht war es sogar, mich durch eine ehrenvolle und reiche Heirat zu fesseln. Diese Sorge um mich beschäftigte Dich. Auch war Dein Unwille gegen mich (nach dem Eintritt ins Kloster) eine Zeitlang nicht zu besänftigen. Vergeblich redeten Dir die Freunde ein: Du solltest doch, wenn Du Gott etwas opfern wolltest, ihm Dein Teuerstes und Bestes darbringen.

Endlich aber gabst Du doch nach und fügtest Dich dem Willen Gottes - aber ohne deswegen die Sorge um mich aufzugeben. Denn ich erinnere mich, als wäre es heute: Du sprachst schon wieder besänftigt mit mir. Da versicherte ich Dir, dass ich vom Himmel durch Schrecken gerufen, nicht etwa freiwillig oder auf eigenen Wunsch Mönch geworden sei. Noch viel weniger wurde ich es um des Bauches willen, sondern von Schrecken und der Furcht vor einem plötzlichen Tode umwallt, legte ich ein gezwungenes und erdrungenes Gelübde ab. Weiterhin geschah es im Vertrauen auf menschliche Lehren und heuchlerischen Aberglauben, die Gott nicht geboten hat.

Gott lebe wohl, liebster Vater, und grüße meine Mutter, Deine Margaretha, samt der ganzen Verwandtschaft in Christus. Aus der Einöde, den 21. November 1521.

  1. Finde heraus, wenn und unter welchen Umständen Luther Mönch geworden ist.
  2. Erkläre, wie Luther im Nachhinein seine Entscheidung, Mönch zu werden, beurteilt.

 

M 15 
Brief des Klosterbruders Timotheus

Ein Brief des Klosterbrudes Timotheus an den Dr. Martin Luther

Mit größtem Entsetzen habe ich vernommen, dass Du bei der Flucht von 12 Nonnen aus dem Kloster Marienthron mitgeholfen hast und damit die Verantwortung trägst, den dieser folgenreiche Schritt in der Öffentlichkeit haben wird.

Nicht nur, dass Du selbst durch Deine Flucht aus dem Augustiner-Kloster Dich all’ Deinen Gelübden entzogen hast, nicht nur, dass Du Dich erdreistest, mit ungezählten Schriften unsere Kirche und unseren Papst anzugreifen, jetzt greifst Du sogar dazu, junge, unbescholtene Nonnen aufzufordern, ihre Klöster zu verlassen, so dass sie nun der völligen Verdammnis verfallen.

Sie haben doch alle vor Gott Eide geschworen und Gelübde abgelegt, die können doch jetzt nicht mehr ungültig sein! Wer Gott kein gutes Werk tut, der ist verloren!

Bruder Martin, ich bitte Dich, lass ab von Deinem üblen Tun!

Im Jahres des Herrn, 1523

  1. Erkläre die Argumentation den Mönches Timotheus gegenüber Luther.

 

M 16
Martin Luther: Brief an Leonhard Koppe

Dem umsichtigen und weisen Leonhard Koppe, Bürger zu Torgau, meinen besonderen Freund, Gnade und Frieden!

Es ist ein sehr wichtiger Grund gegen das Leben im Kloster, dass man leider die Kinder, besonders das schwache Weibervolk und die jungen Mädchen in die Klöster stößt oder gehen lässt, in denen es doch keine tägliche Unterweisung im Wort Gottes gibt, ja selten oder niemals das Evangelium einmal richtig gehört wird. Und dort werden sie dem höchsten Kampf ausgesetzt: Nämlich um die Jungfräulichkeit zu kämpfen.

Oh, diese unbarmherzigen Eltern und Verwandten, die mit den Ihren so greulich und schrecklich verfahren! Oh, diese blinden und tollen Bischöfe und Äbte, die nicht sehen und nicht merken, was die armen Seelen leiden und wie sie verderben!

Die Tatsache, dass man das Wort Gottes in den Klöstern entbehrt, genügt alleine schon, uns alle zu entschuldigen, ja uns zu loben und zu preisen vor Gott und der Welt, weil wir den Nonnen dazu raten und auch helfen, aus den Klöstern zu fliehen.

Die armen Seelen sollen auf jede nur erdenkliche Art und Weise herausgerissen, geführt, gestohlen und geraubt werden, unabhängig davon, ob tausend Eide und Gelübde geschworen worden sind. Denn es steht fest, dass in Klöster, besonders in Nonnenklöster Gottes Wort nicht mehr gelangt, weil man sich dort nur mit Menschengesetzen und -werken beschäftigt. Und kein Gelübde kann vor Gott gelten oder gehalten werden, indem man sich an einen Ort bindet, wo das Wort Gottes nicht regiert. Denn solch ein Gelübde zu halten bedeutet, Gottes Gnade zu verleugnen.

Auch wenn man sich persönlich vor allen Leuten schämt, das Keuschheitsgelübde nicht einhalten zu können, so ist es doch einer der wichtigsten religiösen Gründe, Klöster zu verlassen. Denn ein Weib ist nicht dazu geschaffen, Jungfrau zu sein, sondern Kinder zu bekommen, wie im 1. Buch Mose Gott nicht nur zu Adam sprach, sondern auch zu Eva: "Seid fruchtbar und mehret euch". Und dies ist weder zu einem Weib noch zu zweien, sondern zu allen ohne Ausnahme gesagt worden. Es sei denn, Gott nimmt sie selber davon aus. Dies geschieht dann allein durch seinen Rat und allmächtigen Willen. Wo er das nicht tut, soll ein Weibsbild ein Weib bleiben, Kinder bekommen, wozu Gott sie geschaffen hat, und der Mensch soll es nicht besser machen, als Er es gemacht hat.

Hiermit befehl ich euch Gott, und grüßt mir eure liebe Familie,

Martin Luther.

Wittenberg, am Freitag in der Osterwoche, 1523

  1. Beschreibe, worin Luther in seiner Zeit die Bestimmung der Frau sieht.
  2. Erkläre, warum die Einhaltung von Gelübden die Verleugnung der Gnade Gottes bedeutet.

 

M 17
Katharina im Gespräch mit ihren Kindern

Stellt Euch vor, Ihr seid im Jahre 1540 zu Besuch in Wittenberg, dem Wohnsitz der Familie Luther. Katharina lebt mit ihrem Mann im ‘Schwarzen Kloster’, ein ehemaliges Kloster, das nun ein Wohnhaus ist.

Katharina hat fünf Kinder, den vierzehnjährigen Johannes, die elfjährige Magdalene, den neunjährigen Martin, den siebenjährigen Paul und die sechsjährige Margarethe. Ihr seid Zeugen, als Katharina den Kindern über ihre Flucht aus dem Kloster Marienthron erzählt.

Entwerft eine Szene, die im Hof des Wohnhauses spielt, und in der Katharina die Fragen ihrer Kinder über ihre Flucht beantwortet. Zur Illustration könnt Ihr die gezeichnete Szenenfolge (M 13) benutzen.

 

Anhang: Zeittafel

Lebenslauf der Katharina von Bora

Andere geschichtliche Ereignisse

   

1483

Geburt Martin Luthers

   

1485

Teilung Sachsens in die Ernestinische und Albertinische Linie

   

1492

Entdeckung Amerikas durch Columbus

   

1497

Geburt Philipp Melanchthons

   

1499
29. Januar Geburt in Lippendorf

 
   

1505
Aufenthalt im Kloster Brehna

Luther tritt in Erfurt ins Kloster ein

   

1509
Aufnahme im Kloster Marienthron bei Nimbschen

Geburt Calvins in Noyon

   

1514
Beginn des Noviziates

Albrecht von Brandenburg wird zum Kurfürsten und Erzbischof gewählt

   

1515
8. Oktober Weihe zur Nonne

Martin Luther beginnt mit der Römerbriefvorlesung in Wittenberg

   

1517

31.10. Mit Luthers 95 Thesen beginnt die Reformation

   

1523
6./7. April Flucht mit anderen Nonnen über Torgau nach Wittenberg

23. August Tod Ulrich von Huttens auf der Insel Ulfenau

   

1524
Katharina wohnt in Wittenberg möglicherweise im Hause Cranach

Beginn des Bauernaufstandes in Süddeutschland

   

1525
13. Juni Hochzeit mit Luther im Schwarzen Kloster

27. Juni "Wirtschaft" und öffentliche Hochzeitsfeier

5. Mai Tod des Kurfürsten Friedrich des Weisen

27. Mai Hinrichtung Thomas Müntzers als Führer der aufständischen Bauern

   

1526
7. Juni Geburt des ersten Sohnes Johannes

Hochzeit Kaiser Karl V. mit Isabella von Portugal

Sultan Soliman II. erobert Budapest

   

1527
10. Dezember Geburt der ersten Tochter Elisabeth

Die Wittenberger Universität flieht vor der Pest nach Jena

   

1528
Tod Elisabeths

Tod Albrecht Dürers

   

1529
4. Mai Geburt der zweiten Tochter Magdalene

Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Speyer

   

1530

Augsburger Reichstag, Luther befindet sich mehrere Monate auf der Veste Coburg

   

1531
9. November Geburt von Martin junior

Tod Ulrich Zwinglis in der Schlacht bei Kappel

   

1532
Formelle Überlassung des Schwarzen Klosters durch den Kurfürsten

Einsturz des Kellers

Kurfürst Johann Friedrich kommt nach dem Tode seines Vaters Johann an die Regierung

   

1533
29. Januar Geburt von Paul Luther

Heirat König Heinrich VII. von England mit Anna Boleyn

   

1534
17. Dezember Geburt der letzten Tochter Margarethe

Wiedertäuferherrschaft in Münster

   

1535
Beginn längerer Umbauten am Schwarzen Kloster

Regierungsantritt des reformations-freundlichen Kurfürsten Joachim II. in Brandenburg

   

1536
Luther erhält ein festes Gehalt von 300 Gulden

Einrichtung der Lutherstube

Tod des Erasmus von Rotterdam

   

vor Katharina erwirbt den Garten an der 1539 Zahnaer Straße und versucht, die Boos zu pachten

Einführung der Reformation im Herzogtum Sachsen

   

1540
Erwerb vom Gut Zulsdorf aus dem Besitz des Hans von Bora

Katharina erleidet eine schwere Fehlgeburt

Landgraf Philipp von Hessen schließt eine Doppelehe

   

1542
Tod der Magdalene Luther

Nikolaus von Amsdorf wird erster evangelischer Bischof von Naumburg

   

1544
Luther kauft für Katharina den Garten vor dem Elstertor

Reichstag zu Speyer mit Erfolgen für die Protestanten

   

1546
Flucht Katharinas nach Dessau und Magdeburg

18. Februar Tod Luthers

Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges

   

1547
Erneute Flucht nach Magdeburg und Braunschweig

Kaiser Karl V. zieht in Wittenberg ein, Johann Friedrich verliert die Kurwürde

   

1548
Prozeß vor dem Leipziger Amtmann

Kaspar Cruciger, Luthers Freund, stirbt

   

1550
Johannes Luther reist zum Herzog Albrecht von Preußen

Papst Julius III. beruft ein Konzil nach Trient ein

   

1552
20. Dezember Tod in Torgau auf der Flucht vor der Pest in Wittenberg

21. Dezember Beisetzung in der Kirche St. Marien

Moritz besiegt seinen ehemaligen Verbündeten Kaiser Karl V.

(aus: Martin Treu, Katharina von Bora, o.O. (Wittenberg) 19962, S. 88f.)

 

Literaturangaben

  • Brecht, Martin, Martin Luther, Bd. 2, Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521-1532,
  • Stuttgart 1986.
  • Kroker, Ernst, Katharina von Bora, Zwickau 1939.
  • Lohse, Bernhard, Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und Werk, München 1983.
  • Luther, Martin, Ursach und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen (1523), Weimarer Ausgabe Bd. 11, Weimar 1883.
  • Mühlhaupt, Erwin, Sieben kleine Kapitel über die Lebenswege Luthers und Käthes, in: Luther 1986, S. 1-19.
  • Niedersächsischer Kultusminister (Hg.), Rahmenrichtlinien für das Gymnasium. Klasse 7-10. Evangelischer Religionsunterricht, Hannover 1987.