Witz als Widerstand – Von lügenden Schafen und vergessenen Pinguinen

05. November 2024

Interview mit dem Autor Ulrich Hub

Im Rahmen einer Lehrkräftefortbildung von Kerstin Hochartz war Ulrich Hub im RPI Loccum zu Gast und stellte sich unseren Fragen.

Hub ist der Autor des Bestsellers „An der Arche um acht“ sowie zahlreicher anderer erfolgreicher Kinderbücher. Sein Werk „Das letzte Schaf“ stand im Mittelpunkt einer Fortbildung, die sich mit dem Buch und seinem Unterrichtseinsatz in der Grundschule für die Advents- und Weihnachtszeit beschäftigte. Religionslehrkräfte aus Niedersachsen erarbeiteten unter der Leitung der Dozentin Kerstin Hochartz innerhalb von drei Tagen kreative und lebendige Unterrichtsentwürfe zu Hubs „Das letzte Schaf“.

RPI: Mal weg von Büchern, dazu kommen wir dann später: Gibt es eine Lieblingsserie und Lieblingsmusik, die Sie inspirieren für ihre Werke?

Hub: Ich habe eine Zeitlang sehr viele Serien geschaut, wie alle – in der Zwischenzeit mag ich es lieber, wenn innerhalb von neunzig Minuten, also auf Spielfilmlänge, eine Geschichte erzählt wird. Trotzdem sehe ich immer wieder gerne „Game of Thrones“. Diese Serie erzählt viel über unsere heute politische Situation. Musik generell ist Teil meines Lebens, ich höre mehr als eine Stunde am Tag Musik – auch beim Schreiben. Schon nach dem Aufwachen höre ich eine Kantate von Bach, die für die jeweilige Woche geschrieben wurde. Opern, Symphonien – wenn ich mich für ein paar wenige Musiker entscheiden müsste, wären das Bach, Brahms und Björk. 

RPI: In „An der Arche um acht“ isst Gott laut einem Pinguin, der aus einem Koffer spricht, sehr gerne. Käsekuchen. Wie kommt man bitte auf die Kombination von Pinguin, Koffer und Käsekuchen?

Hub: Das war eher Zufall. Wie eigentlich auch mein literarischer Werdegang. Ich hatte nicht vor, Kinderbuchautor zu werden, aber freue mich über diese unerwartete Wendung.

Ein Pinguin auf Reisen im RPI.

RPI: Sie setzen Humor und Witz als Widerstand ein, das haben Sie mal so in einem Interview gesagt und das zieht sich auch durch alle Bücher. Warum ist das so?

Hub: Humor ist eine Überlebensstrategie. Humor gibt es auch an den dunkelsten Orten – gerade dort braucht man ihn am dringendsten. Nirgendwo ist die Neigung, die Tragödie höher einzuschätzen als die Komödie, so ausgeprägt wie im deutschsprachigen Raum. Wenn man im Theater oder beim Lesen lacht, heißt es noch lange nicht, dass die Geschichte keine gesellschaftliche Dimension hat, sogar ganz im Gegenteil: Sobald man lacht, ist man nämlich beteiligt und kann sich nicht mehr entziehen. Meine Geschichten haben ja alle einen traurigen Boden. Nehmen Sie allein die Pinguine. Sie sind die Letzten, die auf die rettende Arche gebeten werden, und bekommen einen Platz ganz unten im Bauch der Arche, wo es nach Teer riecht. Niemand interessiert sich für sie, und ausgerechnet diesen drei Outsidern gelingt es, das Bild von Gott zu verändern. 

RPI: Sie haben zuerst eine Schauspielausbildung gemacht und auch als Schauspieler gearbeitet. Kommt Ihre Kreativität auch aus diesem Bereich?

Hub: Vielleicht. Ich stehe schon seit langem nicht mehr auf der Bühne, aber ich träume tatsächlich noch immer davon, auf einer Bühne zu stehen und keine Ahnung zu haben, worum es gerade geht. Es war gar nicht geplant, dass ich Kinderbuchautor werde, wie gesagt. Ich wollte einfach als junger Mensch Theater und Film besser kennen lernen. Ich hatte das Bedürfnis, die Erfahrungen, die ich als Zuschauer im Theater gemacht hatte, noch intensiver erleben zu dürfen, indem ich selbst auf der Bühne stehe – was übrigens ein Irrtum ist. Als Schauspieler sollte man in erster Linie Emotionen bei den Zuschauern freisetzen und nicht unbedingt selbst am meisten fühlen. 

RPI: Sie haben 2013 den Jewish Book Award bekommen, den jüdischen Buchpreis für „An der Arche um Acht“. Wie kam das?

Hub: Diese Auszeichnung hat Jörg Mühle, den Illustrator, und mich selbst am meisten überrascht. Man hat mir dort gesagt: Dieses Gefühl aus diesem Buch, das kennen wir in der jüdischen Bevölkerung. Gemeint ist dieses Gefühl der Pinguine – „Das Boot, es ist schon voll, ihr seid überflüssig.« 

RPI: Wieso geht es eigentlich in ihren Büchern so oft um Theologie, um Gott und vor allen Dingen auch um Schafe, die auch biblische Tiere sind? Sie selber sagen ja, Sie sind kein gläubiger Mensch

Hub: Ich glaube nicht an Gott, ich glaube an – Freundlichkeit. Auch war ich noch nie davon überzeugt, dass Jesus ein Familienangehöriger Gottes sein soll, der das Kreuz mit einem schlichten Wort in einen Blumentopf hätte verwandeln können. Aber gegen seine Message kann es keinerlei Einwände geben. »Seid mal ein bisschen netter zueinander, verzeiht euren Feinden und jeder ist herzlich willkommen – vor allem die Kinder.« Weihnachten selbst finde ich in der Zwischenzeit ein bisschen heruntergekommen, aber die Botschaft ist doch prima: »Habt keine Angst.«

RPI: Benutzen Sie deshalb so viele biblische Elemente und Aussagen?

Hub: Die Bibel ist natürlich Teil der abendländischen Kultur und steht in meinem Bücherregal neben Homer, den Märchen der Brüdern Grimm und den Geschichten aus 1001 Nacht. Ein Freund von mir ist Pastor, seine Frau Religionslehrerin, beiden gebe ich meine Manuskripte regelmäßig zum Lesen – damit mir keine Fehler unterlaufen, ich will auch niemanden kränken. Sie haben mich zum Beispiel darauf aufmerksam gemacht, dass man keineswegs blind wird, wenn man Gott ansieht – wie die Pinguine behaupten. »Das hast du aus Indiana Jones, in dem ersten Teil werden die Nazis blind, weil sie die Bundeslade aufmachen.« Allerdings habe ich diesen Fehler nicht korrigiert, die Pinguine wissen es eben auch nicht besser als ich. 

RPI: Sie haben sehr viel theologische Berührungen mit Religion, das man merkt. Gibt es nicht doch eine Geschichte mit Religion in ihrer Biografie?

Hub: Ich bin katholisch erzogen worden und war zeitweise auch Ministrant – kein besonders zuverlässiger. Besonders beeindruckt und beeinflusst aber haben mich schon seit meiner Jugend die Filme von Ingmar Bergman, bekanntlich Sohn eines Pastors, der sich in vielen seiner Filme mit der Frage nach Gott auseinandersetzt. 

RPI: Sie gelten als Kinderbuchautor. War das ihr Ziel? Und wie finden Sie das?

Hub: Ich versuche, Geschichten zu erzählen über Themen wie Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, Leben, Einsamkeit und Tod – aber so einfach, dass es auch Kinder verstehen. Mit Tierfiguren kann man viel gnadenlosere Geschichten erzählen. Stellen Sie sich mal vor, Menschen würden sich so verhalten wie in meinen Theaterstücken und Büchern. Meine Tierfiguren sind in Wirklichkeit nur Tarnung, um mit Kindern gesellschaftliche Fragen zu behandeln – allerdings ohne belehrend zu sein und mit Humor. 

RPI: Hier sind nun einige Lehrer*innen – und ganz ehrlich, uns allen macht das Lesen auch sehr viel Spaß und wir verstehen die Bücher manchmal tatsächlich anders als die Kinder. Einige von uns haben das schon gemerkt: Wenn wir lachen, lachen die Kinder an ganz anderen Stellen. Das ist eine spannende Erfahrung. Also erreichen Sie genau das, was Sie wollen.

Hub: Danke, das freut mich sehr zu hören. 

RPI: 2017 wurde in einem Theater das Stück über das Känguru abgesetzt, weil es gar keine Zuschauer gab. Was macht das mit Ihnen?

Hub: Als die Zuschauer ausgeblieben sind, hat das Theater das Gespräch mit Lehrkräften und Eltern gesucht und festgestellt, dass es da starke Berührungsängste gibt. Offenbar haben viele Eltern ihre Kinder für den Tag des geplanten Theaterbesuchs krankgemeldet. Daraufhin gab es am Theater auch die Überlegung eines »Jetzt erst recht«. Aber es macht keinen Sinn, vor einem leeren Zuschauerraum zu spielen. In der Zwischenzeit haben viele Theater anderer Städte das Stück auf den Spielplan gesetzt. Nur Erwachsene haben ein Problem mit der Geschichte. Kinder finden sie in erster Linie unterhaltsam. Sie haben eine völlig andere Erlebniswelt als Erwachsene. Jedenfalls ist es völlig realitätsfern, wenn Erwachsene behaupten, Kinder würden nichts über die Existenz von Schwulen und Lesben wissen und man dürfe sie nicht damit in Berührung bringen. Vermutlich denken viele Eltern, bei dem Stichwort »schwul« geht es automatisch um Sexualität, und stellen sich auf der Bühne hoppelnde und kopulierende schwule Kängurus vor. Dabei geht es einfach nur um Liebe. Es gibt eben Männer, die Frauen lieben und Männer, die Männer lieben, und Frauen, die Männer lieben, und Frauen, die Frauen lieben, und Kinder, die Pizza Margherita lieben, und Erwachsene, die Pina Colada lieben – es geht um Vorlieben. Wenn es Bedenken gibt, können diese nur durch gemeinsame Gespräche herausgefunden und geklärt werden.

RPI: Gibt es eines ihrer Bücher, das ihr Lieblingsbuch ist?

Hub: Das hab ich nicht. Außerdem ändert sich das immer wieder. Gerade im Augenblick mag ich »Lahme Ente, blindes Huhn« besonders gern, weil es mit der größten Einfachheit erzählt wird. Es treten nur zwei Figuren auf, und die Handlung wird ohne Unterbrechungen in Echtzeit erzählt. Die Geschichte dauert genauso lange, wie man sie vorliest. 

RPI: Wie ist das für Sie, wenn sie wissen, dass mit Ihren Büchern Unterricht gemacht wird in Religion, so wie wir hier alle mit Ihrem Buch in unseren Unterricht gehen? Wie finden Sie das?

Hub: Ich hatte damit überhaupt nicht gerechnet. Es hat sich so ergeben. Eigentlich habe ich schon immer gerne Autoritäten hinterfragt – so gesehen bin ich ganz froh, dass meine Bücher eine Rolle in der Bildung spielen – vor allem, da es keine verbindliche Interpretation gibt; jeder darf in den Geschichten sehen, was er will. 

RPI: Kommen wir noch mal auf den Käsekuchen in der Arche zurück: Gott isst also gerne Käsekuchen. Wie kommt man auf sowas? Und warum ausgerechnet Käsekuchen?

Hub: Das ist einfach ein komischer Begriff oder nicht? Das sind doch zwei Sachen, die nicht zusammenpassen. Und irgendwie klingt das auch komisch, ich meine „Käse und Kuchen“? 

RPI: Ihre Bücher werden in verschiedene Sprachen übersetzt und sind auch international erfolgreich. Macht Sie das stolz?

Hub: Stolz – das Wort mag ich nicht, aber natürlich freue ich mich, wenn viele Menschen in unterschiedlichen Ländern meine Bücher kennen, darüber nachdenken und reden. 
Interessanterweise stehen meine Bücher in Osteuropa auf einer anderen Ebene als hier. Sie sind auf einer Ebene mit Erwachsenenbüchern, denn da steht das depressive Thema eher im Vordergrund. Alle meine Figuren, alle meine Tiere sind irgendwie verlassen. Eine lahme Ente lebt ganz allein in einem Hinterhof – wo sind eigentlich alle anderen Enten? Hat sie keine Freunde oder Geschwister? Eine Schafsherde wird von ihren Hirten mitten in der Nacht allein gelassen, weil es irgendwo eine Sensation zu sehen gibt. Kinder verstehen die Analogie sofort. 

RPI: Die Verfilmung von „Das letzte Schaf“ ist ein bisschen anders als das Buch. Wie kommt das? 

Hub: Ich habe mich in die Verfilmung nicht eingemischt. Film, Theater und Buch – das sind ganz unterschiedliche Medien.

RPI: Welche Bücher haben Sie selbst geliebt als Kind?

Hub: Otfried Preusslers „Krabat“ ist für mich noch immer eins der besten Bücher aller Zeiten. Ich habe Grimms Märchen geliebt, die Mythen und die tiefen Wahrheiten darin und die Message in den Märchen. Mein Lieblingsbuch ist immer noch Fontanes Effi Briest, weil die gesellschaftliche Grausamkeit dort so genau beschrieben wird – aber leise und unterschwellig. Und ich bin sehr gerne und sehr viel im Kino gewesen. Neben Bergman ist Rainer Werner Fassbinder ein wichtiger Regisseur. 

RPI: Ist Ihnen das wichtig, dass religiöse Elemente wie Vergebung in den Büchern auftauchen?

Hub: Verzeihen und vergeben bedeuten ja auch eine eigene Befreiung. Ich finde das sehr wichtig ganz weg von Theologie. Wenn ich verzeihe, dann bin ich letztlich auch selber frei.

RPI: Vielen herzlichen Dank für dieses schöne und offene Gespräch.

Bianca Reineke, Öffentlichkeitsarbeit des RPI