Loccum. Ist es falsch, in einer evangelischen Kita aus dem Koran zu lesen? Nein. Ist es falsch, aus Rücksicht auf Andersgläubige die Adventsfeier abzusagen oder umzubenennen? Ganz bestimmt. Was macht eine evangelische Kindertagesstätte aus? Und wie werden christliche Einrichtungen der immer größer werdenden religiösen Vielfalt gerecht? Darum ging es jetzt bei der Tagung „Interreligiöses Lernen in der Kita“ im Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI).
Auf einer Flipchart steht der Satz: „Wir sind eine kirchliche Kita. Wer sich hier anmeldet, ist mit christlicher Erziehung einverstanden.“ Ein Satz, dem man nur zustimmen kann. Oder? „In manchen Dörfern ist die kirchliche Kita die einzige Einrichtung“, gibt eine Erzieherin zu bedenken. „Die Eltern haben keine Alternative.“ Eine andere hadert mit dem Begriff „Erziehung“. Wäre nicht „Bildung“ angemessener? Auf religiöse Bildung haben Kinder ein Recht, selbst in einer staatlichen Kita. Schließlich prägt Religion die Kultur mit ihren Grundwerten, Bräuchen und Feiertagen.
In Evangelischen Kitas können Kinder den Glauben auch erleben. „Wir dürfen zeigen, was wir lieben“, sagt Gert Liebenehm-Degenhard, Dozent für Elementarpädagogik am RPI. Zugleich sei es wichtig, jedes Kind in der Kita wahrzunehmen, auch wenn es anderen Glaubens ist. Oder meint, gar nicht zu glauben. Der Pastor kennt die Zwickmühlen, in denen kirchliche Kitas sich manchmal befinden. Da wird muslimischen Kindern die Teilnahme am Familiengottesdienst verboten – die Gemeinde erwartet aber doch, dass „ihr“ Kindergarten dort sichtbar ist. „Es ist wichtig, mit den Eltern darüber ins Gespräch zu kommen. Manche wissen vielleicht gar nicht, was im Gottesdienst passiert“, sagt Liebenehm-Degenhard. Er rät zur Sensibilität, etwa bei gemeinsamen Gebeten: „Welche Bilder, welche Worte verwenden wir? Da ist mehr möglich, als wir denken.“ Oder beim Segnen: Vor einem persönlichen Segen schrecken viele Muslime zurück. Segnen könne nur Gott. „Wir dürfen aber gemeinsam um den Segen Gottes bitten.“
Die Absage einer Adventsfeier oder der Verzicht auf Schweinefleisch für alle sei hingegen falsche Rücksichtnahme, so der RPI-Dozent. Und in manchen Fällen müssten Erzieher*innen sogar deutlich widersprechen. Etwa, wenn ein muslimischer Junge sage: „Ich helfe nicht beim Abräumen, das ist Frauensache“. Hier gelte es, das diskriminierende Verhalten zu kritisieren, ohne die Person herabzuwürdigen.
Einen Nachmittag der Tagung gestaltete der Liedermacher und Pädagoge Reinhard Horn mit Liedern, die sich von Kindern aller Religionen singen lassen. Und er sorgte für manches Aha-Erlebnis: Die biblische Geburtsgeschichte Jesu etwa deckt sich über weite Strecken mit jener im Koran. Hier heißt Jesus Isa, ein Engel Gottes verkündet der Jungfrau Maryam (Maria), dass sie den Messias zur Welt bringen wird. Denn Jesus ist im Koran mitnichten nur ein Prophet, er wird als Erlöser bezeichnet. „Nur an die Gottessohnschaft glauben Muslime nicht“, erläuterte Horn.
Text und Fotos: Lothar Veit