Wer ein Geschenk für einen Kindergeburtstag kauft und sich das frisch Erworbene noch im Geschäft verpacken lassen möchte, hört mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Frage: „Für einen Jungen oder ein Mädchen?“ Gemeint ist, ob das Geschenkpapier eher in Richtung blau mit Autos oder rosa mit Einhörnern gehen soll. Während in der Waren- und Werbewelt Geschlechterklischees nur vereinzelt aufgebrochen werden, gehört das Thema „sexuelle Vielfalt“ in der Schule theoretisch zum Standard. Dass dem oft nicht so ist, zeigte die Tagung „Keine Angst vorm Regenbogen! – Für einen wertschätzenden Umgang mit sexueller Vielfalt in der Schule“, die jetzt im Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) stattfand.
„Da gibt es noch sehr viel Unsicherheit in der Sache und im Umgang mit konkreten Schüler*innen“, sagte Tagungsleiterin Lena Sonnenburg, Dozentin für den Bereich Grundschule am RPI. Die Tagung gab vielfältige Anregungen, sexuelle Vielfalt zu verstehen und Schüler*innen mit einem anderen Blick zu sehen. Dazu wurden eine Fülle an praktischen Beispielen und Materialien vorgestellt, mit denen Lehrer*innen Vorurteilen begegnen und die Identitätsbildung der Schüler*innen stärken können. „Sprache schafft Wirklichkeit“, betont Kirsten Rabe, Fachberaterin für Evangelische Religion in Osnabrück und ebenfalls Tagungsleiterin. Dazu gehörten typische Sätze wie „Ich brauche mal eben zwei starke Jungs, die mir tragen helfen“ oder „Für ein Mädchen kann sie echt gut Mathe“. Gerade der Religionsunterricht biete sich an, um „den Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes multiperspektivisch wahrzunehmen“, sagte Rabe.
Kim König vom Verein „Schlau Niedersachsen“ erklärte die wesentlichen Fachbegriffe und zeigte anhand von Statistiken auf, dass noch viel zu tun ist. So verwendeten bereits Sechstklässler*innen das Wort „schwul“ häufig als Schimpfwort. Umgekehrt verheimliche die Mehrzahl der Jugendlichen, dass sie lesbisch, schwul, bi*, trans*, inter* oder queer sind (Abkürzung: LSBTIQ*). Die Schule werde als problembelastetes Umfeld wahrgenommen, ein Coming-Out während der Schulzeit vermieden. Dabei gibt es gerade während des Schulalltags ganz praktische Probleme: Welche Kabine im Sportunterricht dürfen Jugendliche benutzen, die mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, sich aber als Mädchen oder keinem der biologischen Geschlechter zugehörig fühlen? Was bedeutet das für die Zimmeraufteilung bei einer Klassenfahrt?
Der Verein „Schlau“, ein Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt zu geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen, bietet zu diesen Fragen Workshops mit Schulklassen an. Kim König empfiehlt Lehrkräften, sich über LSBTIQ*-Lebensweisen zu informieren und dies auch ohne konkreten Anlass bei Elternabenden oder ähnlichen Veranstaltungen zu thematisieren. Anti-Mobbing-Konzepte gehörten ins Leitbild jeder Schule. „Das Aussehen einer Person lässt keine Aussage über die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität zu“, unterstreicht König.
Wie Bilderbücher Rollenklischees transportieren, inzwischen aber immer häufiger auch diverse Familienkonstellationen und Lebensbedingungen zeigen, hat Dr. Sandra Niebuhr-Siebert untersucht. Die Professorin für Sprachpädagogik und Erzählende Künste an der Hochschule Clara Hoffbauer Potsdam stellte positive Beispiele vor, die mit dem von ihr mitverliehenen „Kimi-Siegel für Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern“ ausgezeichnet wurden.
Lothar Veit im Auftrag des RPI Loccum