Was sind die Bedingungen von gelingendem (Religions-)Unterricht? Diese zentrale pädagogische Frage stand jetzt bei einer Fachtagung des Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI) im Zentrum. Expert*innen so verschiedener Disziplinen wie Theologie, (Religions-)Pädagogik und Neuropsychologie gingen der Frage nach den Voraussetzungen für guten Unterricht nach. Drei pädagogische Konzeptionen, die sich unter den Schlagwörtern Kompetenz, Performanz und Resonanz zusammenfassen lassen, spielen dabei eine große Rolle.
Gemeinsam mit Dr. Barbara Hanusa, Mentorin an der Universität Lüneburg, leitet PD Dr. Silke Leonhard, Rektorin des RPI, die Fachtagung. „Unser Ziel ist es, mit ausgewiesenen Expert*innen über die Tragfähigkeit dieser Konzepte ins Gespräch zu kommen“, betont Silke Leonhard. „Es ist sehr erhellend zu sehen, wie sich die verschiedenen Fachrichtungen dabei gegenseitig befruchten und ergänzen.“ Barbara Hanusa ergänzt: „Für uns als Organisatorinnen sind zwei Fragen besonders wichtig: Wie wird Religionsunterricht lebendig? Und wie wird der Religionsunterricht der Zukunft aussehen?“
Schon gegenwärtig stehe der Religionsunterricht vor der Herausforderung, dass viele Schüler*innen mit ihrem eigenen Glauben keine gelebte Praxis mehr verbänden. Sie müssten deshalb erst einmal ganz praktisch kennenlernen, worüber sie im Religionsunterricht ins Gespräch kommen sollen. Silke Leonhard bringt es auf den Punkt: „Es reicht nicht aus, über Religion nur zu reden; man muss sie vielmehr erleben, um sie verstehen zu können. Religionslehrkräfte sind Fremdenführer*innen im Land von Religion.“
Zugleich gelte, so Silke Leonhard weiter: „Lernen ist nicht nur ein Aufsaugen, sondern Lernen ist ein Antwortgeschehen. Nur wenn die Schüler*innen sich innerlich von dem anrühren lassen, was die Lehrkraft ihnen vermitteln möchte, dann gelingt Unterricht.“ Diese Einsicht beschreibt der Begriff der Resonanz, der bei Pädagog*innen nicht erst mit dem Wissenschaftler Hartmut Rosa in aller Munde ist. Barbara Hanusa bemerkt dazu: „Es mag sein, dass es um die Resonanzpädagogik derzeit einen gewissen Hype gibt. Ich würde dazu sagen: Wo ein solcher Hype ist, da ist auch eine Sehnsucht. Die Sehnsucht danach, als Lehrkraft nicht nur durch die Inhalte, sondern auch durch die eigene Person eine Resonanz, einen Widerhall im Gegenüber, zu erzeugen.“ Ihr ist dabei ganz wichtig: „Resonanz hat nichts mit Kuschelpädagogik zu tun, sondern macht Ernst mit der Einsicht der Reformpädagogik, dass Unterricht ein Beziehungsgeschehen sein muss.“ Pädagog*innen wüssten schon längst: Schüler*innen haben ein gutes Gespür dafür, ob ihr Lehrer sie schätzt oder nicht – und wenn ihnen signalisiert wird, dass man von ihnen nichts mehr erwartet, dann leisten sie auch nichts mehr.
Dies passt zu einer Erkenntnis aus der Neuropsychologie: Eigene Gefühle, selbst Schmerzempfinden, spiegeln sich im Gegenüber und werden widergespiegelt. Der Mediziner Professor Dr. Joachim Bauer bietet in seinem Vortrag dafür anschauliche Beispiele: „Wir lächeln automatisch zurück, wenn uns jemand charmant anlächelt“, erklärt er. „Und wenn Eltern ihr Kleinkind füttern, so öffnen sie unbewusst selbst den Mund.“
Silke Leonhard wählt für den Übertrag dieser Einsichten auf den Religionsunterricht ein eindrückliches Bild: „Wird Unterricht als Resonanzgeschehen verstanden, dann kann man ihn mit einer Stimmgabel vergleichen: Die Stimmgabel wird in Schwingung versetzt und produziert einen Ton. Dieser Ton ist zunächst nur ganz leise und fein zu vernehmen. Doch je mehr Resonanz er produziert und je mehr Resonanzraum er hat, umso lauter und deutlicher erklingt er.“ Silke Leonhard möchte diese Metapher allerdings nicht zu einseitig gedeutet wissen. So seien nicht automatisch die Lehrkräfte die Stimmgabel und die Schüler*innen die, die dann darauf reagierten. „Das Bild von der Stimmgabel ist so vielschichtig wie das Beziehungsgeschehen im Religionsunterricht: Oft geben natürlich die Lehrer*innen die eigene Begeisterung für ein Thema weiter und begeistern so auch die Schüler*innen. Aber im Religionsunterricht gibt es auch die umgekehrten Momente: Lehrkräfte lassen sich von der Stimmung der Schüler*innen anrühren, die vielleicht aus persönlichen Gründen gerade traurig sind, und greifen diese Schwingung auf.“
Im Religionsunterricht muss sich Beziehung ereignen, darin sind sich die Teilnehmer*innen der Tagung einig: Nur wenn Lehrkräfte und Schüler*innen gemeinsam angerührt seien von dem, was Gegenstand des Unterrichts sei, dann gelinge Lernen. Dazu sei es wichtig und sinnvoll, im Religionsunterricht nicht nur auf Sprache und Worte zu setzen, sondern – ganz im Sinne des Fremdenführers, der die ganze Schönheit seines Landes zeigen will – auch noch andere Zugänge zu finden, etwa durch Bilder, Musik, Videos, lebendige Begegnung. Dann könne Begegnung mit Religion gelingen. Barbara Hanusa spricht hier vom „Funkelnde-Augen-Effekt“: „Wenn es im Klassenzimmer knistert und die Augen zu funkeln beginnen, dann ist Unterricht lebendig.“ Aber sie fügt sofort hinzu: „Ein solcher Moment ist natürlich unverfügbar. Deshalb darf das auch nicht zum Maßstab für gelingenden Unterricht werden. Im Gegenteil. Ich soll mir als Lehrkraft Mühe geben, aber nicht um des Effekts, sondern um des Inhalts willen.“
Die Beiträge und Ergebnisse der Tagung sollen in einem Tagungsband veröffentlicht werden, der unter anderem Beiträge von Prof. Dr. Bernhard Dressler, Prof. Dr. Martin Laube, Dr. Gabriele Obst und OStR Kirsten Rabe enthalten wird und 2020 in der Reihe „Loccumer Perspektiven“ erscheinen soll. „Ich würde mir wünschen, dass diese Tagung selbst auch zur Stimmgabel wird“, sagt Silke Leonhard. „Vielleicht strahlt der hier erzeugte Klang in die Schulen unseres Bundeslandes und darüber hinaus aus und bringt etwas zum Klingen und Mitschwingen.“
Text: Dr. Michaela Veit-Engelmann