Die Litfaßsäule fällt ins Auge, erregt Aufmerksamkeit. Wie soll es auch anders sein, dort an zentralem Punkt auf den Fluren des Religionspädagogischen Instituts Loccum (RPI)? Sie muss umrundet werden, um weiterkommen zu können, wird betrachtet – und damit hat Künstler Wolfgang Kowar eines seiner Ziele bereits erreicht. „Totempfahl“ nennt er seine Ausstellung, die im RPI bis zum 29. März zu sehen sein wird und zu der auch die Litfaßsäule gehört.
Das Material, mit dem Kowar vorwiegend arbeitet, ist speziell: Er verwendet die wuchtigen Papierblöcke, die gelegentlich von Litfaßsäulen entfernt werden. Wer das weiß, wundert sich auch nicht mehr darüber, dass seine Arbeiten nicht eben, sondern mit einer Wölbung versehen sind. Schwer ist jedes dieser Objekte – rund 90 Schichten Papier steckten schließlich in einem Zentimeter, sagt der Künstler. Und manchmal dauert es Jahrzehnte, in denen dieser Zentimeter aufgebaut wird.
Bis in die 1960er Jahre reichten die tiefsten Schichten mancher Litfaßsäulen, weiß Kowar. So wird die Auseinandersetzung damit für ihn auch zu einer Zeitreise. Was verbirgt sich auf der Rückseite? Das ist immer wieder eine spannende Frage. So ist es nur logisch, dass er seine Objekte nach Möglichkeit von allen Seiten erlebbar macht.
An seiner eigenen Adaption einer Litfaßsäule, die nun im RPI steht, hat er 25 Tafeln aufgehängt, die sowohl von ihrer neuzeitlichen Außen-, als auch von ihrer historischen Rückseite betrachtet werden können.
Der Blick allein auf das Damals und das Heute genügt ihm aber nicht. Kowar bearbeitet vielmehr jede einzelne Tafel sorgfältig. Einige zeigen nur abstrakte Muster, Wellen und Kringel aus Farben. Dort hat er seine Werkzeuge angesetzt und ist den Erhebungen der Säulen-Tafeln mit Bandschleifer und Hobel zu Leibe gerückt, wodurch sich eine schmeichelnde Oberfläche ergibt – die aber nun nicht mehr verrät, was die einzelnen Schichten den Vorübergehenden einmal anpreisen wollten. Auf anderen Tafeln hat er das Skalpell gezückt und vorsichtig einzelne Schichten oder auch nur Teile davon entfernt. „Decollage“ nennt er das – er fügt nichts hinzu, sondern nimmt nur fort. So entstehen ganz andere Aussagen, neue Kombinationen aus dem verborgenen Vorhandenen. Das lässt sich auf den Vorder- ebenso wie auf den Rückseiten ausführen und ergibt ein spannendes Vexierspiel.
Zeit und Vergänglichkeit – das seien die beiden großen Themen, die ihn antreiben, sagt Kowar. Den Titel „Totempfahl“ hat er seiner Ausstellung gegeben, weil er Parallelen sieht: So, wie Totempfähle an Verstorbene erinnern, die Geschichte einer Familie erzählen und auch von der Stellung dieser Familie in der Gemeinschaft berichten mit Darstellungen, die oft mehrdeutig sind oder verschlüsselte Botschaften enthalten – so sieht er auch seine Kunst aus den Abfallprodukten der Litfaßsäulen.
Ergänzt hat Kowar seine Ausstellung um einige Collagen und auch um Fotografien – Fotografien von Litfaßsäulen selbstverständlich.
Die Ausstellung „Totempfahl“ ist im RPI Loccum bis zum 29. März zu sehen. Zu einer Midissage mit Künstlergespräch lädt das RPI für Donnerstag, 19. März, 19.30 Uhr, zu sich ein. Die Ausstellung ist montags bis freitags, 9 bis 18 Uhr, sowie an den Wochenenden von 9 bis 12 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen.
Text: Beate Ney-Janßen