Aus der pädagogischen und mittlerweile auch aus der religionspädagogischen Fachdiskussion ist die Frage nach der Bedeutung von Emotionen für den Lern- und Bildungsprozess nicht mehr wegzudenken. Seitdem die neurobiologische Forschung die in der Reformpädagogik lange bekannte Erfahrung naturwissenschaftlich unterstützt hat, dass Lernen je leichter gelingt, desto mehr an positiven Emotionen, Motivation und Interesse sich mit den Lerninhalten verbindet, richtet sich auch in der Pädagogik das Augenmerk intensiver auf die Frage, wie ein Rahmen für die Entstehung positiver Emotionen und Motivationen in Lernprozessen bereitgestellt werden kann.
Neben den Rahmenbedingungen für Lernprozesse allgemein, die die Emotionalität einer Person und die Bedeutung von Gefühlen für den Lernerfolg berücksichtigen, rückt auch die Frage in den Blick, wie emotionale Kompetenz selbst gefördert werden kann. Eigene Gefühle wahrnehmen und ausdrücken, Gefühle anderer wahrnehmen und angemessen darauf reagieren – Programme, die in solche Fähigkeiten einüben, werden in vielen Schulen und Kindertagesstätten eingesetzt. Der Fokus richtet sich dabei vor allem auf das soziale Lernen: Die Förderung emotionaler Kompetenz ist bedeutsam für einen gewaltfreien Umgang miteinander und für eine Kultur der Konfliktlösung, in der wir mit Emotionen wie Angst oder Wut konstruktiv umgehen können. Eine solche Intention gewinnt auch in der Religionspädagogik eine zentrale Bedeutung (vgl. Naurath 2005).
Über diese beiden Kontexte, in denen das Thema Emotionen Beachtung findet hinaus, halte ich im Rahmen der Religionspädagogik eine weitere Fragestellung für zentral: Wie bestimmt eine theologische Sicht des Menschen die Bedeutung der Gefühle und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Verständnis von religiöser Bildung?
Im Folgenden möchte ich zunächst eine kurze Begriffsklärung vornehmen. Dann bette ich das Verständnis von Gefühl in eine theologische Lehre vom Menschen und möchte schließlich von daher die Bedeutung von emotionaler Kompetenz für eine Theorie religiöser Bildung darstellen.
Begriffsbestimmungen:
Emotion – Gefühl – emotionale Kompetenz
In der Fachliteratur werden die Begriffe Emotion und Gefühl häufig synonym verwendet. Dennoch verbinden sich mit ihnen je unterschiedliche Akzente. Der Begriff der Emotion wird eher als Überbegriff für die Prozesse physiologischer Erregung verwendet, die unmittelbar und ohne bewusste Steuerung mit bestimmten körperlichen Reaktionen einher gehen. Der Ausdruck Gefühl steht für Emotionen, bei denen über diese körperlichen Reaktionen auch das bewusste subjektive Erleben mit gemeint ist. Der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux (2010) unterscheidet zwischen Emotionen als körperlich wahrnehmbaren Erregungszuständen und Gefühlen als solchen Emotionen, die ins Bewusstsein dringen und in ihrer Bedeutung bewertet werden. Zwischen Wahrnehmung einer körperlichen Reaktion und subjektivem Erleben mit Bewertung dieser Reaktion besteht also ein Unterschied. Ich kann auf eine Situation körperlich (Schweiß auf der Haut, pochendes Herz) reagieren, ohne mir vorher bewusst gemacht zu haben, was sie bedeutet. Erst wenn ich die Reaktion im Zusammenhang der Situation, in der ich bin, (wie spontan und unmittelbar auch immer) z. B. als gefährlich bewerte, wird diese Reaktion für mich als Gefühl (z.B. der Angst) bewusst.
Insgesamt zeichnet sich ab, dass der Begriff der Emotion eher die naturwissenschaftlich zu erforschende physiologische Seite beschreibt, wobei aber die Frage der kognitiven Prozesse auch Teil der naturwissenschaftlichen Forschung ist. Der Begriff des Gefühls fungiert eher als ein allgemeiner Begriff, der vor allem die Wichtigkeit der subjektiven Bewertung von Emotionen mit einträgt.
Emotionale Kompetenz bezeichnet eine Fähigkeit, die erlernt werden kann. Generell finden sich vier Aspekte, die diese Fähigkeit beschreiben: die eigenen Gefühle kennen, mit den eigenen Gefühlen umgehen, sie ausdrücken und sich in die Gefühle anderer hineinversetzen können.
Mit diesen vier Aspekten der emotionalen Kompetenz verbinden sich vor allem kognitive und habituelle Fähigkeiten, nämlich der bewusste und gezielte, überlegte und „trainierte“ Umgang mit unseren Gefühlen. Daneben sollte ein erweitertes Verständnis von emotionaler Kompetenz stärker Berücksichtigung finden: Emotionale Kompetenz als Gespür und „Sensibilität für die eigene Befindlichkeit, das heißt die Empfänglichkeit für das eigene Innen“ (Müller-Commichau 2005, 13). Sind „Gefühle unser erster Verstand“ (Zimmer 1999), ermöglichen uns also emotive Zustände eine Aufmerksamkeit und Wachheit für die uns umgebende Welt und prägt dieses emotive Wissen auch unser Bewusstsein, dann kann es nicht nur um einen Umgang mit Emotionen aufgrund von Reflexion und Training gehen, dann geht es auch darum, Gefühle als Bewertungssystem zu stimulieren und zu stärken und emotive Zugänge zu den Phänomenen der Welt und schließlich auch zu Religion zu weiten.
In gewisser Weise wird durch die Bedeutung des Gefühls im Kontext von Bildungsprozessen auch der Bildungsbegriff selbst wieder thematisiert. Zeigt sich eine unhintergehbare Verbindung von emotiver Haltung und kognitiv erfassbaren Inhalten, dann zeigt sich die Relevanz eines Bildungsbegriffs, der die Person als Ganze im Blick hat, wieder neu (vgl. Kunstmann, 2008).
Die Bedeutung des Gefühls im Rahmen einer protestantischen Lehre vom Menschen
Die wohl prägnanteste Begriffsbestimmung von Religion, die diese mit dem Gefühl in Verbindung bringt, hat Daniel Friedrich Ernst Schleiermacher gefunden. In seinen Reden „Über die Religion. An die Gebildeten unter ihren Verächtern“ definiert er: „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl.“ (Schleiermacher 1799, in: Ders. 1984, 211). Auch wenn man dieser Begriffsbestimmung das Gepräge des romantischen Zeitgeistes abspürt, in dem Schleiermacher sich bewegte, so leuchtet doch zunächst einmal unmittelbar ein, dass Religion nicht ohne Verbindung mit emotionalen Dispositionen, mit der Bewältigung von Trauer und Schmerz etwa, oder mit dem Ausdruck von Freude denkbar ist. Der Umgang mit Gefühlen wie Liebe oder Schuld gehört daher zu den zentralen Gehalten religiöser Erzählungen. Allerdings steht die Bestimmung des Wesens von Religion bei Schleiermacher nicht nur im Kontext einer emotionalen Beteiligung. Vielmehr kommt dem Gefühl in einer Theorie der Person fundamentale Bedeutung zu: Das Gefühl markiert die innere Beteiligung als wesentlichen Teil des eigenen Ichs und ist zugleich der Punkt, an dem die Außenwelt auf mich einwirkt und mir mein Dasein als ein von anderen und anderem Abhängiges erlebbar macht.
In einer Theorie der affektiven Erfahrung hat Konrad Stock (1995) genau diesen Punkt weiter ausgeführt und im Rahmen einer protestantischen Lehre vom Menschen profiliert. Nach Stock ist das Gefühl „das je individuelle, durch Anderes bestimmte Selbstgefühl“. Was mich als Person ausmacht und wie ich mich selbst erlebe und beschreibe, das wird wesentlich bestimmt durch die Bedeutungen, die erlebte Szenen meiner Lebensgeschichte für mich gewinnen. Damit erhalten zwei Aspekte für die Bildung der Person eine zentrale Stellung: der soziale Raum, innerhalb dessen ich von anderen geprägt werde (und selbst prägend auf andere wirke) und die Offenheit, insofern ich nicht willentlich bestimmen kann, wie und ob ein Ereignis, eine Erfahrung, eine Begegnung für mich bedeutsam wird oder nicht.
Für die reformatorische Sicht des Menschen und das Verständnis der religiösen Bildungsgeschichte der Person ist dies zentral. Denn daraus folgt erstens: Glaube ist eine Form der Selbstgewissheit, die sich nur individuell zeigen kann und auch individuell angeeignet werden muss. Daraus folgt zweitens: Glaubensgewissheit vollzieht sich nicht durch einen Willensakt und ergibt sich auch nicht logisch aus Begründungen und Schlussverfahren; Glaubensgewissheit ist etwas, das sich unwillkürlich als bedeutend für mich erschließt. – Dass der Glaube ein Geschenk ist, das ich nicht erwerben kann, sondern das mir gegeben wird, ist insofern eine treffende Beschreibung, als es eben genau diese Einsicht ins Bild zu bringen versucht. Die Entstehung und Bewahrung dieses Glaubens als bedeutend und sinnstiftend für meine eigene Lebensgeschichte im Kontext christlicher Erzählungen lässt sich nicht einfach selbst herbeiführen.
„Woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott.“ – Luther verbindet in der Auslegung des ersten Gebotes im Großen Katechismus das Selbstgefühl (Herz) der Person mit der Wesensbestimmung Gottes. Er definiert das Wort „Gott“ geradezu in Abhängigkeit zu einer bestimmten Haltung einer Person: „Gott heißt das, von dem man alles Gute erhoffen und zu dem man in allen Nöten seine Zuflucht nehmen soll.“ Worauf ich im Grunde meines Lebens vertraue und was mein Denken und Tun in der Tiefe meines Daseins leitet, das hat in gewisser Weise göttliche Qualität. Und zwar deshalb, weil es mein Dasein transzendiert, also eine Art „Letztbegründung“ gibt, warum es mein kontingentes (zufälliges) Dasein überhaupt gibt und geben soll.
Es sind solche Gewissheiten, die im Laufe des Lebens gewonnen, aber auch verloren werden können. Es sind solche Gewissheiten, in denen Haltungen und innerste Beweggründe von Menschen wurzeln. In der Beratungsarbeit spricht man (auch wenn es ganz unreligiös gemeint ist) von Glaubenssätzen, die – will man an und mit der Persönlichkeit des Menschen arbeiten – zusammen mit den Klienten aufgespürt und benannt werden müssen; in den Internet-Chatrooms begegnen Ausdrucksformen solcher innersten Haltungen immer wieder als „Lebensmotto“.
Luther hat natürlich vor Augen, dass es das christliche Gottesverständnis ist, das allein ein unbedingtes Vertrauen des Menschen rechtfertigt und dass dieser sein Herz daran hängt. Denn nach ihm ist es das christliche Gottesverständnis, das Gott als Gegenüber versteht, das dem Menschen gibt, worum es im Kern menschlichen Daseins geht: um Anerkennung (des Geschöpfes in seiner irdischen Existenz in Abhängigkeit und Freiheit), um Vergebung (der aus der Brüchigkeit menschlichen Daseins entstandenen schuldhaften Handlungen) und Versöhnung (als Zustand des bleibenden Friedens).
Der Struktur nach, das ist die Pointe in Luthers Auslegung, vollzieht sich aber „glauben“ und „einen Gott haben“ immer in der gleichen Weisen, unabhängig davon, welche Glaubensinhalte mein Selbstgefühl prägen, nämlich als ein Vertrauen und ein Gutes Erwarten im Blick auf die Bedeutung meiner Person als Ganze.
Spitzt man diesen Gedanken zu, dann lautet er: Alles das, was die Person in ihrem Selbstgefühl grundlegend bestimmt, hat eine religiöse Dimension, bezieht also – wie ausdrücklich auch immer – eine Deutung ihres Daseins in der Welt mit ein.
Emotionale Kompetenz in einer emotiven Theorie religiöser Bildung
Sind Gefühle eine zentrale Dimension des Selbsterlebens und berührt das Selbstgefühl immer die Frage nach einer Letztbegründung, dann können religiöse Bildungsprozesse, die emotionale Kompetenz mit berücksichtigen, hier ansetzen. Dabei geht es nicht einfach um die Herstellung von Settings, die besondere Gefühle hervorbringen sollen. Dann wäre die Gefahr einer Manipulation groß und eine reflektierte Auseinandersetzung im Kontext von Lernprozessen schwierig. Der Erkenntnisgewinn der neurobiologischen Forschung lässt sich für eine Theorie religiöser Bildung aber gerade so umsetzen, dass eben Gefühl und Reflektion auf der Ebene des Selbstkonzeptes immer schon miteinander verbunden sind. „In der Erlebnisgegenwart sind Gefühle stets auf erkennbare und gestaltbare Gegenstände bezogen, die im Moment des Fühlens auch als solche der Reflexivität des Bezeichnens und Gestaltens gegenwärtig sind.“ (Stock 1995, 43)
Emotionale Kompetenz in religiöser Bildung zielt zum einen darauf, das Selbsterleben als ein Inne-Werden der eigenen Lebensdeutungen und Lebens-„Gefühle“ zu fördern und zu entwickeln und Lebensgeschichten im Horizont der den Menschen grundlegend bestimmenden Fragen und Erfahrungen im Licht einer transzendenten Ursprungsmacht auszulegen. Es zielt andererseits auch darauf, die eigenen emotiven Zugänge zu Welt und Selbst so wahrzunehmen und zu stärken, dass erfahrbar wird, inwieweit religiöse Erzählungen und Gewissheiten für das eigene Selbstkonzept wirksam werden und inwieweit nicht. In drei Punkten lassen sich die didaktischen Konsequenzen konkretisieren:
An den Phänomenen des Menschseins ansetzen
Weder Gefühle noch Deutungen entstehen im luftleeren Raum. Sie setzen voraus eine Erfahrung, eine Beteiligung, eine Frage, ein Problem. Mir scheint die religiöse Dimension menschlichen Daseins besonders da plausibel aufzuscheinen, wo sie Phänomene des menschlichen Daseins berührt, die alle betreffen, weil sie eben Menschen sind. Dazu gehört z.B. das Erleben von Zeitlichkeit, von Zeithaben und von der zeitlichen Begrenzung menschlichen Daseins, dazu gehört die Erfahrung von Handlungsmacht und Freiheit anderen gegenüber einerseits und Ohnmacht und Abhängigkeit von anderen andererseits. Dazu gehört das Bedürfnis nach Sicherheit und das Bedürfnis nach Herausforderung. Dazu gehört das Bedürfnis nach sozialer Teilhabe einerseits und Autonomie andererseits.
Weil wir alle mit diesen Bedingungen menschlichen Daseins leben, entwickeln wir zu ihnen eine emotiv geprägte und in das Selbstkonzept (wie ausdrücklich auch immer) integrierte Haltung. Nicht zuletzt sind religiöse Erzählungen auch aus einer Deutung dieser Phänomene entstanden. – Auf dieser Ebene ist im Übrigen m. E. der Grundgedanke der Kindertheologie zu verorten, dass Kinder eigene Theologinnen und Theologen sind und eigene Theologien haben. Sie haben sie oder entwickeln sie, weil sie mit den gleichen Fragen, Erfahrungen, Bedingungen menschlichen Daseins in Berührung kommen wie Erwachsene und die religiöse Dimension auf ihre Weise ausdrücklich machen.
Emotionale Kompetenz hieße in diesem Zusammenhang, die emotionale Bedeutung dieser Erfahrungen für die eigenen Deutungen zu erkennen, hieße aber auch, die religiösen Erzählungen so zu verstehen, dass die sich in ihnen widerspiegelnden Gewissheiten deutlich werden. So spiegelt z.B. der erste Schöpfungsbericht auch eine Gewissheit über die Bedeutung menschlicher Freiheit und Handlungsfähigkeit und die mit dieser Bedeutung verbundene hohe Wertschätzung und Lust des Daseins (siehe, es war sehr gut), und zwar im Unterschied zu einer in der religiösen Umwelt zeitgleich existierenden vollkommen anderen Interpretation des Menschenseins als eines in seiner Angst und Abhängigkeit vor dem Chaos existierenden Wesens, wie es sich im babylonischen Mythos zeigt. Welches Lebensgefühl prägt Menschen, die so über Gott denken? Welche Hoffnungen, welche Ängste haben sie? Mir scheint, dass dieser Zugang ein vertieftes Verständnis religiöser Erzählungen anregen und religiöse Bildung als einen Schlüssel zum Selbstverständnis ermöglichen kann.
Religion in den Praxisfeldern der Gesellschaft
Unser emotionales Gedächtnis füllt sich auch durch die Handlungsmuster, denen wir folgen und in denen wir unser Selbstkonzept bestätigen oder verändern. Selbsttätigkeit und Selbstwirksamkeit stärken Interesse und Motivation.
Im Kontext religiöser Bildung ist die Bedeutung der Praxis der Religion und ihrer Reflexion durch die Performative Religionsdidaktik wieder stärker ins Blickfeld gelangt. Daneben scheint mir allerdings auch die religiöse Dimension in Handlungsfeldern von Gesellschaft an Bedeutung zu gewinnen. Hat jede Selbstgewissheit eine (wie auch immer genauer zu bestimmende) religiöse Dimension, dann lassen sich in einer Gesellschaft auch an Vergemeinschaftungsformen und an eingespielten Handlungsmustern religiöse Dimensionen wahrnehmen. Dabei geht es nicht nur um die religiösen Spuren in der kulturellen Lebenswelt, wie z.B. religiöse Motive in Filmen oder auf Werbeplakaten, um einmal gängige (und wichtige) Beispiele zu nennen, anhand derer diese Spuren entdeckt werden können. Es geht auch um die Symbolsprache und Symbolisierungen anderer Lebensbereiche. Was verrät z.B. der Warteritus in einer Arztpraxis über die Bedeutung von Gesundheit und einem modernen Menschenbild? Welche Bedeutungen und Lebensgefühle verbinden sich mit der zunehmenden Mobilität und Externalisierung der Lebenswelten?
Mit einem Gespür für Handlungsvollzüge und Rituale auch jenseits kultischer Zusammenhänge lässt sich die Bedeutung von bestimmten Überzeugungen erkennbar machen. Emotionale Kompetenz in solchen Praxisfeldern würde zum einen bedeuten, die unmittelbaren Eindrücke, die ja aus diesen Lebensbereichen immer schon mitgebracht werden, einzuspielen und zum anderen die Wahrnehmungsfähigkeit dafür zu schulen.
Dies gilt natürlich auch für die klassischen Praxisfelder von Religion. Vielleicht wird die Befürchtung, in der Aktion innerhalb solcher Felder erfolge schnell eine Vereinnahmung, dann auch geringer, wenn die emotionale Kompetenz, also die Fähigkeit, das eigene Selbstgefühl wahrzunehmen und sich entsprechend zu verhalten, einerseits geübter und andererseits reflektierter gegenwärtig wäre.
Religion im Selbstkonzept
Im Blick auf den Umgang mit Bibeltexten und liturgischen Stücken gibt es eine Menge von Zugängen, die die emotionale Kompetenz nutzen und sie einüben. Das Bibliodrama etwa zielt darauf, durch die je eigene leibhafte „Nacherzählung“ biblischer Texte die individuelle Bedeutung ihrer Aussagen zu erleben und vertieft zu verstehen. Ist man erst einmal als Schweinehirt neben den Schweinen am Boden gekrochen und hat dabei den Gestank eines Schweinestalls in der Nase, dann spürt man, was es heißt, ein verlorener Sohn zu sein. Nimmt man an einem Abendmahl teil, in dem die Frage nach Verrat, Macht und Liebe in den Beziehungen oben auf liegt, ahnt man etwas von der Beklemmung und Hilflosigkeit, die die Jünger und Jesus beim letzten Abendmahl befallen haben könnte. Die emotionale Beteiligung zieht die Person nicht nur in die szenische Welt, sondern auch in die der Bedeutungen. Die eigenen Erfahrungen werden in dem biblischen Kontext verankert. Mein Selbst wird Teil der biblischen Überlieferung – so könnte man den Prozess hermeneutisch beschreiben.
Gleichzeitig wird diese Interpretationsleistung auch umgekehrt wirksam. Das Selbstgefühl enthält eine eigene religiöse Dimension. Die biblischen Texte und theologischen Gehalte können helfen, diese zu interpretieren und zu deuten. Nicht nur erlebt die Person biblische Erzählungen individuell für sich, auch umgekehrt ist die eigene Religiosität eine Interpretation biblischer Gehalte. Nicht nur über kognitiv erfassbare Themen, auch und gerade über emotionale Zustände erfolgt eine Verbindung zwischen eigener religiöser Haltung und biblisch-theologischen Texte oder liturgischen Handlungen, wie z.B. die bleibende Beliebtheit der Psalmen zeigt.
Literatur
- Kunstmann, Joachim: Religionspädagogik. Eine Einführung. Tübingen 2004
- LeDoux, Jospeh: das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen, München 2001
- Müller-Commichau, Wolfgang: Fühlen lernen oder emotionale Kompetenz als Schlüsselqualifikation, Mainz 2005
- Naurath, Elisabeth: Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik,Neukirchen-Vlyun 2010
- Stock, Konrad: Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, Güterloh 1995
- Zimmer, Katharina: Gefühle, unser erster Verstand, München 1999