Haus aus kleinen Klötzchen 12 Min., Animationsfilm Kurzcharakteristik: Ein alter Mann taucht ab in die Erinnerungsräume seines Lebens. © Katholisches Filmwerk GmbH – www.filmwerk.de |
Inhalt
Ein alter Mann lebt allein in seiner mit vielen Erinnerungsfotos ausgestatteten Wohnung. Er sitzt mit hängenden Schultern in seiner Wohnstube und raucht seine Pfeife. In der Mitte des Raumes ist eine Luke, die er öffnet und seine Angel hinein hält. Der Blick aus dem Fenster verrät, dass er in einer überfluteten Stadt lebt, in der man nur mit einem Schiff von einem Haus zum anderen gelangen kann. Die Häuser ragen wie kleine und große Türme aus dem Wasser.
Nachdem der Mann gegessen und getrunken und Fernsehen geschaut hat, erlebt er am nächsten Morgen eine Überraschung: Das Wasser ist bis in seine Wohnung gestiegen. Er lässt sich Steine kommen, errichtet auf seinem Dach ein neues Stockwerk und zieht in die neuen, höheren Räume. Beim Transport der Möbel fällt ihm unglücklicherweise seine geliebte Pfeife ins Wasser. Sie versinkt im Schacht in der Mitte des Raumes. Als er den Verlust der Pfeife beim Betrachten der Familienbilder in der neuen Wohnung noch einmal schmerzlich wahrnimmt, lässt er sich von einem Händler neue Pfeifen zeigen. Dabei fällt sein Blick auch auf einen Taucheranzug, den er offensichtlich erwirbt, um damit seiner alten Pfeife nachzutauchen.
Tatsächlich findet er sie wieder, doch tauchen zugleich alte Bilder seines Lebens und seiner Familie auf. Je tiefer er von nun an in die unteren Räume hinabsteigt, desto weiter reichen auch seine Geschichten und Erinnerungen. Am Meeresboden angelangt sieht er sein eigenes verwinkeltes Haus von außen. Er erinnert sich wieder an seine erste große Liebe. Am Ende sitzt das junge Paar gemeinsam in den eigenen vier Wänden, isst fröhlich und trinkt Wein.
Während der Taucher versonnen nachdenkt und ein altes Weinglas findet, fährt die Kamera am Haus hoch und zeigt den Mann wieder in seiner Wohnung sitzen. Er hat den Tisch gedeckt – diesmal mit zwei Weingläsern. Und der Fernseher bleibt aus.
Gestaltung
Der Film zeichnet sich durch eine besondere poetische Bildsprache aus. Weiche, flimmernde Bilder spiegeln von Beginn an das Spiel unterschiedlicher Zeiten und Erinnerungswirklichkeiten. Hell und Dunkel, Draußen und Drinnen, Oben und Unten, Nähe und Ferne bilden immer wieder Spannungsfelder, in denen sich die Geschichte bewegt. Die hellbräunlichen Farben der Erinnerung setzen sich deutlich von den braun-grünlichen Farben der Gegenwartsrealität ab. Den ruhigen, langsamen Bildern und Bewegungen des Films folgt eine leise, schreitende Musik. Damit unterstreichen die zarten Klaviermelodien und Harfentöne den traurig-melancholischen Charakter des Films.
Interpretation
Der Film erzählt die Erinnerungsreise eines alten Mannes in sein vergangenes Leben. Sein Gegenwarts-Raum ist beschränkt auf ein kleines Haus, das sich inmitten eines großen Meeres befindet. Mehr schlecht als recht hält sich der alte Mann „über Wasser“. Das ansteigende Wasser, das ihn immer wieder zwingt, in ein nächstes Stockwerk umzuziehen, kann als Symbol der unaufhaltsam fortschreitenden Zeit gedeutet werden. Durch ein kleines Missgeschick und einen zufälligen Blick wird der alte Mann angeregt, in das Meer der vergangenen Zeit seines Lebens einzutauchen. Er begegnet den alten Räumen der Vergangenheit, die mit den Bildern seiner Erinnerungen gefüllt und lebendig werden. Die lineare Zeit, die wir uns meistens horizontal wie einen Zeitstrahl auf einer Ebene vorstellen, verläuft hier vertikal von oben nach unten und umgekehrt. Sollen nicht nur ein paar alte Erinnerungsstücke der Vergangenheit wie Bilder und Möbel über die Zeit gerettet werden, sondern die Vergangenheit als bedeutsam erfahren werden, so bedarf es des eigenen Erlebens des Vergangenen. Aus welchem Anlass oder Zufall auch immer – der alte Mann muss selbst eintauchen in seine Geschichte und die Erinnerungsräume seines Lebens. Am Boden, also an dem Ort, an dem die Erinnerung nicht mehr weiter zurückreicht, angekommen, kehrt sich die Zeit um. Aus den zunächst wie zufällig wirkenden Bildern beim Hinabtauchen wird – wie ein Schatz – die Erinnerung an die eigene Frau und den gemeinsamen Lebensweg geborgen.
Ist die gemeinsame Tischszene als „Urszene“ – der „wahre“ Schatz – erst einmal erreicht, wird erkennbar, worin die Bedeutung der Erinnerungsreise für den Mann in Wirklichkeit lag. Nicht der Verlust der Pfeife, sondern das Fehlen seiner Frau – mithin seiner Familie – macht den Schmerz und die Traurigkeit seines Lebens aus. Doch für einen Moment wird die damit verbundene Einsamkeit des alten, auch jetzt weiter gebeugt gehenden Mannes aufgehoben. Nicht der Fernseher, sondern ein eigenes gefühltes Gegenüber sitzt an diesem Tag mit am Tisch. So bescheiden, fast geisterhaft sich alles auch geben mag – das Leben hat für den alten Mann etwas gewonnen, ist vollständiger geworden. Und damit ist die Erinnerungsreise sehr wertvoll geworden.
Einsatzmöglichkeiten im Unterricht
Der Film setzt innere Bilder und psychische Prozesse in poetische Bilder um. Es legt sich zunächst nah, den Symbolen wie Haus, Turm, Wasser u. a. m. nachzugehen. Besonders die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und Lebensgeschichte kann dann in den Mittelpunkt gerückt werden. Je älter die Beteiligten sind, desto vielfältiger werden die eigenen Lebenserfahrungen und die mit ihnen verbundenen Gefühlsschichten sein. Für Jugendliche kann der Film zudem Anlass sein, über die eigene Zukunft und die Bedeutung der Zeit überhaupt nachzudenken. Gefragt werden kann nach „meinen Lebens-Räumen“: Wie sehen meine „Lebens-Räume“ aus? Was hat sie geprägt? Was unterscheidet sie von anderen? Wo fühle ich mich am wohlsten? Was hindert mich, meine „Lebens-Räume“ so einzurichten, wie ich sie mir wirklich wünsche?
Auch kann der Film Anregungen für eine Begegnung von Jung und Alt geben.
Darüber hinaus lässt sich fragen, welche Erfahrung von Welt sich im Film möglicherweise widerspiegelt. Kann der Film als typisch für unser Zeit- und Lebensgefühl angesehen werden? Gibt der Film auch Anlass nach einer gemeinsamen Zukunft zu fragen?
Viele methodische Hinweise besonders zur Biografiearbeit gibt die Arbeitshilfe von Petra Dahlemann.
Materialien
„Wie der Erinnerung Mühe jederzeit gesegnet ist, so hat sie auch den Segen, dass sie zu neuer Erinnerung wird, die abermals bestrickt; denn wer auch nur ein Mal verstanden was Erinnerung ist, er ist eingefangen für alle Ewigkeiten und liegt gefangen in ihr; und wer eine einzige Erinnerung besitzt, ist reicher als wenn die ganze Welt ihm gehörte; und nicht allein wer schwanger ist, sondern vor allem wer sich erinnert, ist in gesegneten Umständen“.
(Sören Kierkegaard)1
(Geert Goiris)2
„Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rücklings wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung, falls sie möglich ist, den Menschen glücklich, indessen die Erinnerung ihn unglücklich macht, unter der Voraussetzung nämlich, dass er sich Zeit nimmt zu leben und nicht schnurstracks in seiner Geburtsstunde einen Vorwand zu finden trachtet, sich aus dem Leben wieder davon zu stehlen, z. B. weil er etwas vergessen habe.“
(Sören Kierkegaard)3
„In jeder Gegenwart muss neu begonnen werden.“
(Armin Nassehi)4
„Wer das Gedächtnis verliert, ist geistig tot. Er kann auch keine Zukunft mehr schaffen. Die Erschaffung von Zukunft setzt den Besitz von Vergangenheit voraus. So wenig die Zukunft feststeht und zwingend eintritt nach kausalen Gesetzen, denen wir ausgeliefert sind, so wenig steht die Vergangenheit als gegebene Summe von Informationen fest. Jede Epoche schafft die Vergangenheit neu, von der aus sie sich selbst erkennt und ihr Zukunft entwirft.
Die großen Neuerungen in der Geschichte, die sozialen, wissenschaftlichen und künstlerischen Revolutionen, wie oft standen sie unter der Parole: Zurück zu …!
Ad fontes! Back to the roots! Zukunft und Vergangenheit stehen miteinander in einem geisterhaften Stoffwechsel.
(Peter von Matt)5
Anmerkungen
- Sören Kierkegaard: Stadien auf des Lebens Weg, Kopenhagen 1845, in: Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke 15. Abteilung, Stadien auf des Lebens Weg, Eugen Diedrichs Verlag Düsseldorf/Köln 1958, 20.
- Siehe auch Zeitmagazin Nr. 9, 24.2.2011
- Sören Kierkegaard: Die Wiederholung, Kopenhagen 1843, in: Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke 5. und 6. Abteilung Die Wiederholung Drei erbauliche Reden 1843, Eugen Diedrichs Verlag Düsseldorf/Köln 41967, 3.
- A. Nassehi: „In jeder Gegenwart muss neu begonnen werden!“, in: T.M. Bardmann (Hg.): Zirkuläre Positionen. Konstruktivismus als praktische Theorie, Konstanz 2006, 156, zitiert nach: Michael Schüßler: Über die Unverfügbarkeit des Anfangs, in: Gesellschaft für Bibliodrama e.V. (Hg.): TextRaum. Ausgabe 31 November 2009, 5.
- Peter von Matt: Das Wilde und die Ordnung, 2007, S. 273
Literatur- und Medienhinweise
- Dahlemann, Petra: Haus aus kleinen Klötzchen, Arbeitshilfe Katholisches Filmwerk, Frankfurt,2009, in: http://www.materialserver.filmwerk.de/arbeitshilfen/AH_hausauskloetzA4_web.pdf