Schulentwicklung fängt bei der Leitung an – Persönlichkeitsorientiertes Arbeiten mit Schulleiterinnen und Schulleitern als Beitrag zu schulischen Veränderungsprozessen

von Christine Labusch

 

“Alle reden von Schule – aber keiner unternimmt was dagegen!”  (Eine Schüler-Äußerung)

Das “viele Reden von Schule” bezieht sich aktuell häufig auf das Zauberwort “Qualität”. Die Qualität von Schule und Unterricht gilt es zu steigern, dazu werden Anstrengungen gefordert und auch bereits zuhauf erbracht. Aber was verbirgt sich hinter diesem Ideal der Schulqualität? Woran wird eine Qualitätssteigerung konkret erkennbar? Und welche Ideale werden damit in die Welt gebracht?

Qualitätsentwicklung zu verordnen birgt schon in sich eine gewisse Absurdität, weil man Menschen nicht anweisen kann, Qualität hervorzubringen. In der Arbeit mit Schulleiterinnen und Schulleitern wird immer deutlicher, dass schulische Entwicklungen und interne Veränderungsprozesse nur dann wirklich als “qualitätsvoll” wahrgenommen werden, wenn sie auch subjektiv als Bereicherung empfunden werden – wenn also auf der Persönlichkeitsebene der Grad an Arbeitszufriedenheit steigt, wenn Menschen in ihrem Arbeitsfeld Freude, Erfüllung und auch Entlastung erleben. Bei allen äußerlichen Maßnahmen zur Qualitätssteigerung sind es nach wie vor die Menschen in ihrer subjektiven Befindlichkeit, in ihren Haltungen und Umgangsformen, die für Qualität in Schulen stehen. Dies gilt für jedes System, in dem Menschen zusammen arbeiten und leben, es gilt jedoch ganz besonders für lebendige, soziale und so überkomplexe Systeme wie Schulen.

Es sind also nicht die Artefakte, nicht die messbaren und vorweisbaren Papiere, Pläne, Strukturen, Räumlichkeiten und sächlichen Details, die Garanten für eine hohe Qualität in Schulen sind. Diese Bestandteile können hilfreiche Diener sein, aber sie befinden sich auf einer ganz anderen Ebene als die eigentlichen Vertreterinnen und Vertreter der Qualität: die Menschen im System.

Als Mensch gesehen zu werden, in der eigenen Menschlichkeit, Einzigartigkeit und Besonderheit einen wertvollen Platz einzunehmen, darin weiter wachsen zu können und etwas beizutragen zum gemeinsamen Wohlergehen im System – das ist ein Grundbedürfnis, das alle in Schulen zusammenkommenden Menschen eint. Und ebenso leiden Menschen, wenn sie von der Erfüllung dieser Grundbedürfnisse abgeschnitten sind und sie in ihrem Leben und Beruf nicht realisieren können.

“Ich habe die menschliche Seite meiner Arbeit total aus dem Blick verloren”, sagte eine Schulleiterin während eines Seminars, “und damit geht mir das Wichtigste verloren, das mir anfangs, als ich an den Start gegangen bin, am Herzen lag. Ich erlebe mich als ausführendes Organ von Vorschriften, Zwängen und Auflagen. Und zu dem, was mir eigentlich wichtig ist, komme ich gar nicht mehr. Ich möchte meine menschliche Seite wieder beleben.”

Auf dem Weg der äußerlichen Maßnahmen scheint die Marschroute also oft nicht weiter zu führen. Vorgegebene Verfahren, Konzepte, Auflagen zur Qualitätssteigerung werden eher als zusätzliche Belastung denn als Unterstützungsmaßnahme erlebt. Der Anstieg des Belastungspegels wird proportional zu den zu erfüllenden Vorgaben erlebt: Nach dem Motto “mehr vom selben” wird von den übergeordneten Instanzen eine Maßnahme nach der anderen ins Schulsystem “gepresst”, um den Mangel zu beseitigen.

Der Spagat, der hier – gerade von engagierten Kolleginnen – gefordert ist, mündet buchstäblich in das Gefühl, zerrissen zu werden: Einerseits steigen permanent die Vorgaben, dass in den Schulen zur Qualitätssteigerung Papiere, Konzepte, Pläne und Programme erstellt werden sollen. Das ist zeit- und kraftaufwändig und führt selten zu einem Gefühl der Befriedigung, weil der Nutzen für den realen Arbeitsalltag im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern kaum erkennbar wird. Gleichzeitig fehlen diese Zeit und Kraft auf der Seite von Erziehung und Unterricht im direkten Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen, den Elternhäusern und anderen angrenzenden Systemen. Dieser Teil wird von vielen Lehrerinnen und Lehrern als schmerzhaft empfunden, weil ihr Herz eindeutig auf der Seite des pädagogischen Arbeitens schlägt. So gesehen finden sie es paradox, Qualität zu verbessern, indem Formales in diesem Ausmaß erledigt werden muss, während die Energie an anderer Stelle fehlt, genau an der Stelle, an der sie selbst gern für Qualität sorgen würden (z. B. guten Unterricht zu planen und durchzuführen).

Dieses Phänomen, das Kolleginnen und Kollegen zwischen sich und den ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern erleben, spiegelt sich auf der nächst höheren Ebene zwischen Schulleiterinnen und Schulleitern und dem ihnen anvertrauten Kollegium. Das Herzensanliegen, mit dem Schulleiter zumeist “an den Start gehen”, ist das Gestalten pädagogischer Inhalte in den ganz konkret vorfindbaren Ausformungen ihrer Schule und im engen Diskurs mit dem Kollegium. Die Einschätzung der realen Gegebenheiten sieht jedoch anders aus: “Ich komme kaum zu den Dingen, die ich wirklich gern machen möchte und laufe dem, was ich machen muss, ständig hinterher” – so eine Schulleiterin. Welches Lebensgefühl stellt sich ein, wenn Menschen über lange Zeit die Realität ihres Arbeitsplatzes so wahrnehmen?

Wie kann also eine Veränderung gelingen, die von den Akteuren des Veränderungsprozesses selbst als wirklich konstruktiv erlebt wird?

Im Feld der Organisationsentwicklung hat sich ein Konzept von Peter Senge etabliert, das genau diese Fragestellungen aufnimmt und sie mit den “Fünf Säulen der lernenden Organisation” beantwortet. Hinter diesem Konzept steht die Überzeugung, dass es gewisse Schlüsselmerkmale gibt, die es in Veränderungsprozessen zu berücksichtigen gilt. Ein zentrales Merkmal dieser tragenden Säulen ist es, die Beteiligten in dialogische Lernprozesse einzubinden, die darauf zielen, persönliche Sinnfragen, gelingende Kommunikationsprozesse und Synergieeffekte durch Zusammenarbeit möglichst konstruktiv zusammenzuführen. Anhand des Blickes auf die “Fünf Säulen einer lernenden Organisation” nach Peter Senge sollen deshalb hier einige Ansatzpunkte aufgespürt werden, die eine persönlichkeits- und prozessbezogene Arbeit mit Schulleiterinnen und Schulleitern als Teil schulischer Veränderungsprozesse ermöglichen. “Die vielleicht offenkundigste Ursache für den Aufbau von lernenden Organisationen ist, dass wir jetzt allmählich begreifen, über welche Fähigkeiten eine derartige Organisation verfügen muss. Lange Zeit tappte man bei dem Versuch, lernende Unternehmen zu schaffen, mehr oder weniger im Dunkeln; erst nach und nach wurde klar, welche Fähigkeiten, Wissensgebiete und Entwicklungswege sie auszeichnen. Was eine lernende Organisation grundsätzlich von einer herkömmlichen Organisation mit autoritärem “Kontrollcharakter” unterscheiden wird, ist, dass sie über bestimmte, elementare Disziplinen verfügt. Deshalb sind “die Disziplinen einer lernenden Organisation” von wesentlicher Bedeutung.” (Senge 1998, S. 13)

Die fünf Disziplinen, auf denen eine lernende Organisation aufbaut, sind laut Senge:

  • Personal mastery: die Disziplin der Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung;
  • Mentale Modelle: die Arbeit an unseren tief verwurzelten inneren Vorstellungen vom Wesen der Dinge – Vorstellungen, die uns an vertraute Denk- und Handlungsweisen binden;
  • Die gemeinsame Vision: die Basis für ein schöpferisches Lernen durch das gemeinsame Streben nach etwas, das den Menschen wahrhaft am Herzen liegt;
  • Team-Lernen: lernen, wie wir es uns zunutze machen können, dass viele Menschen potentiell mehr wissen als einzelne, dass jedes Mitglied sich der anderen be­wusst ist und sich auf ein Sich-ergänzen verlassen kann und dass ein lernendes Team andere Teams im Lernen fördern kann;
  • Systemdenken: die integrative Disziplin, die alle miteinander verknüpft und sie zu einer ganzheitlichen Theorie und Praxis zusammenfügt.In exemplarischen Ausschnitten soll nun erörtert werden, was es speziell im Hinblick auf den Personenkreis der Schulleiterinnen und Schulleiter bedeuten kann, die fünf Disziplinen im Rahmen der Fortbildungsarbeit zur Grundlage von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen in Schulen zu machen.

 

Personal mastery – Die Disziplin der Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung

Der Posten des Schulleiters beziehungsweise der Schulleiterin ist – zumal wenn es keine weiteren Funktionsstellen in der Leitung gibt – ein sehr einsamer Posten. In der Rollen­vielfalt von vorgesetzter, beratender, beurteilender und kollegialer Funktion sind innere Wechselbäder der Gefühle und äußere Zuschreibungen durch Kontaktpartner an der Tagesordnung. Eine Fülle von Kommunikationsanforderungen taucht in unberechenbarer Weise und in hohem Tempo auf und muss (häufig unter Zeitdruck und “nebenbei”) gemeistert werden. Gerade die kommunikativ anspruchsvolle Seite der Leitungstätigkeit, die in einem hoch professi­onellen Umgang mit eigenen und entgegengebrachten Gefühlen besteht, führt stets zu doppelten Herausforderungen: Emotional bewegt man sich meist im unsichtbaren Teil des Geschehens, während vordergründig im Feld der sichtbaren Ereignisse agiert wird.

Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung von Schulleiterinnen und Schulleitern können in diesem Kontext zunächst bedeuten, diese Realität mit all den damit verbundenen Eindrücken und Gefühlen wahrzunehmen und zuzulassen, sie kennen zu lernen und in die eigene Verantwortung zu nehmen. Gerade im Schonraum einer solidarischen Gruppe unter ihresgleichen (mit anderen Schulleite­rinnen und Schulleitern) ist es einfacher, die Fassade fallen zu lassen, die stets vermittelt, alles im Griff zu haben und über alle Zweifel erhaben zu sein. Auch als Schulleiterin oder Schulleiter darf man Bereiche in der eigenen Persönlichkeit aufstöbern, die unklar, schwach, hilfsbedürftig und ängstlich, also schlicht: menschlich sind. Müssen diese Persönlichkeitsanteile weiter im Verborgenen bleiben, mündet das früher oder später in Krankheit, zuvor kommt es eventuell zur Entladung an anderer Stelle, indem z. B. Schwächen der Kollegen in der Schule abgewertet, ausgegrenzt oder bekämpft würden. Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung intendieren in diesem Kontext einen Wandel, der im Inneren der Personen vor sich geht, bevor ein Wandel im Äußeren möglich wird. “Die Führungskraft der Zukunft wird sich wesentlich mehr mit sich selbst beschäftigen müssen, als wir das gewohnt sind.” (Fromm/Fromm 2006, S. 43) schreiben Barbara und Michael Fromm in ihrem Buch für Führungskräfte, das diesen Paradigmenwechsel ausführlich beschreibt. An die Adresse der Führungskräfte gerichtet, formulieren sie: “Nur derjenige, der in der Lage ist, sich selbst anzunehmen, ist auch in der Lage, andere anzunehmen! Nur wenn Sie sich selbst annehmen können, nur wenn Sie Ihre Stärken und Schwächen als das annehmen, was sie sind – Stärken und Schwächen, ohne Einfluss auf den Wert Ihrer Person – nur dann sind Sie in der Lage, andere Menschen als das zu sehen, was sie sind: wertvolle Menschen.” (S. 215)

 

Mentale Modelle – Die Arbeit an unseren tief verwurzelten inneren Vorstellungen

“Mentale Modelle sind die Bilder, Annahmen und Geschichten, die wir von uns selbst, von unseren Mitmenschen, von Institutionen und von jedem anderen Aspekt der Welt in unseren Köpfen tragen.” (Senge 1999, S. 271)

Bei mentalen Modellen handelt es sich also um tief verankerte, zum Teil gar nicht mehr bewusste Vorstellungen darüber, wie wir uns das Leben erklären, und auf der Basis dieser Weltsicht und Weltdeutung baut sich das eigene Handeln auf. Mentalen Modellen ist es zu eigen, dass sie das Ergebnis von Verallgemeinerungen sind, die wiederum aus häufigen gleich laufenden Erfahrungen gespeist sind. Dazu einige Beispiele: Aus der Perspektive eines Schulleiters kann z. B. folgende Einstellung über Entscheidungsprozesse im Kollegium geäußert werden: “Wenn in einer Konferenz zum zehnten Mal erfolglos über die Vergabe von Verfügungsstunden debattiert wird, ist es höchste Zeit, dass ich als Schulleiter ein Machtwort spreche und die Regelung für den Konfliktfall vorgebe.”

Die dahinter stehenden mentalen Modelle können u. a. sein:

  • Diskussionen sind bis zu einem bestimmten Moment sinnvoll, danach können sie einen konstruktiven Zweck nicht mehr erfüllen. Oder:
  • Widerstände von Personen werden konstruktiv aufgelöst durch Vorgaben, die hierarchisch übergeordnete Personen machen. Oder:
  • Kolleginnen und Kollegen sind in bestimmten Fällen unfähig, auf der Grundlage einer Diskussion selbständig Lösungen herbei zu führen. Oder:
  • Machtworte der Schulleitung schaffen Lösungen, durch die Konflikte im Kollegium von diesem Moment an beendet sind, usw.

Es wird deutlich: Hinter jedem Phänomen, das in der Schule zunächst als “Tatsache” daherkommt, verbirgt sich ein riesiges Forschungsfeld, in dem die dahinterstehenden mentalen Modelle wurzeln. Das Erforschen mentaler Modelle eröffnet Betrachtungs- und (Welt)deutungen, die immer deutlicher als subjektiv geschaffen und nicht als objektiv wahr erkennbar werden. Scheinbar eindeutige Wahrheiten darüber, wie das Leben, das Miteinander, der Lauf der Dinge funktionieren, werden erschüttert und heilsam verwirrt. Das Erforschen mentaler Modelle öffnet ein Feld, in dem die Dinge nochmals ganz anders betrachtet werden können. Das weitet den Horizont, und ein weiterer Horizont ermutigt zu flexibler angelegten Handlungen und dazu, die eigenen Potentiale zu entfalten. Ein sehr ertragreiches Forschungsfeld mit Schulleiterinnen und Schulleitern ist z. B. das Ergründen der mentalen Modelle darüber, was ein “guter” bzw. “schlechter” Schulleiter sagt, tut oder ist

 

Die gemeinsame Vision –  das gemeinsame Streben nach etwas, das den Menschen wahrhaft am Herzen liegt

“Während adaptives Lernen auch ohne Vision möglich ist, ist ein schöpferisches Lernen nur möglich, wenn Menschen nach etwas streben, das ihnen wahrhaft am Herzen liegt.” schreibt Peter Senge (a.a.O., S. 252). “Eine gemeinsame Vision, insbesondere eine intrinsische, gibt dem Streben der Menschen Auftrieb. Die Arbeit wird Teil eines höheren Zwecks (…). Visionen sind belebend. Sie erzeugen den Funken, die Aufregung, die eine Organisation aus dem Profanen heraushebt.” (A.a.O., S. 254) Für Führungskräfte in Schulen heißt das, visionäre Kräfte an möglichst vielen Stellen in ihrem Umfeld aufzuspüren, sie wertzuschätzen und zu kultivieren. Häufig muss bereits eine Hürde überwunden werden, es sich zu erlauben, die eigenen Visionen (wieder) in den Blick zu nehmen: Meine Vision als Schulleiterin, meine Begeisterung für diese Geschehen hier; meine Vision für etwas, das über das jetzt Sichtbare hinausreicht, meine Vision davon, wie Schule wachsen, leben, sich zeigen kann, wenn sie ein Ort wirklicher Lebendigkeit sein soll, in der jede und jeder sich entfalten kann … Gleichzeitig heißt es für die Führungspersönlichkeiten in Schulen, wach zu sein dafür, welche Sinngehalte die anderen Mitglieder des Systems aus sich selbst heraus entwickeln und wie sich diese Sinn gebenden Momente darstellen und in das System Schule hinein entfalten. Schulleiterinnen und Schulleiter sind gefordert, in einer ausgewogenen Haltung zwischen der Wahrnehmung ihrer eigenen Visionen und einem konstruktiven Umgang mit den Visionen anderer Personen Entwicklungsprozesse zu begleiten und den Motivationspegel möglichst hoch zu halten. Von Visionen, die begeistern, die locken, die anziehen, geht eine völlig andere Dynamik aus, als von Auflagen oder Vorgaben. Visionäre Kraft zu besitzen und auszustrahlen, ist eine kostbare Gabe, mit der Schulleiterinnen und Schulleiter viel in Bewegung setzen können. Mindestens ebenso wichtig ist es in ihrer Position aber auch, selbst einen Schritt zurückzutreten, visionäre Kräfte im Kollegium wahrzunehmen, gute Rahmenbedingungen für deren Entfaltung zu schaffen, und die daraus entstehenden Prozesse in das Gesamtsystem zu integrieren.

 

Team – Lernen

Teamarbeit gibt es in Schulen in unterschiedlichen Ausformungen: Schulleitungsteams (Pädagogische Leitung, didaktische Leitung, Stufenleitungen), Teams von Kolleginnen und Kollegen in den Klassen, Teams der Personalvertretung, Teams in Steuergruppen, Projektteams u.v.m. Schulleiterinnen und Schulleiter sind meist Mitglied einzelner Teams und zugleich stehen sie außerhalb von Teams. Sie sind also selbst in Teamprozesse involviert und sind zugleich gefordert, Teams als Subsysteme im Gesamtsystem im Blick zu haben und zu unterstützen. In gut funktionierenden Teams können sie beobachten, dass sich “eine Resonanz oder Synergie entwickelt, wie bei dem “kohärenten” Licht eines Lasers im Gegensatz zu dem inkohärenten und diffusen Licht einer Glühbirne. Das Team (…) weiß, wie es sich in seinen Anstrengungen gegenseitig ergänzen kann.” (A.a.O., S. 285) Dagegen ist das wesentliche Merkmal von unstimmig ausgerichteten Teams die Verschwendung von Energie und das eher Gegeneinanderarbeiten der Mitglieder anstatt eines Miteinanders. Wenn Schulleiterinnen und Schulleiter während der Fortbildungsarbeit mit Abstand auf die Teams ihrer Schulen und deren Aufgaben schauen, ergeben sich folgende Lernchancen:

Indem sie jeweils die subjektiv wahrgenommenen Teams ihrer Schule darstellen und betrachten (z. B. durch bildliche Darstellungen) zeigen sich schulinterne Besonderheiten, Charakteristika und Dynamiken. Im Austausch mit anderen Schulleiterinnen und Schulleitern, die ebenfalls Teams dargestellt haben, werden zugleich Gesetzmäßigkeiten im Innenleben von Teams erkennbar, die schulübergreifend gelten. Die mit der Teamdynamik verbundenen Herausforderungen für Schulleiter tauchen als “gemeinsames Drittes” auf. Solche Herausforderungen können sich z. B. auf folgende Fragen beziehen: Wie verhält es sich in den Teams mit Ausdrucksformen von Kooperation versus Konkurrenz? Wie ist der Umgang mit Unterschiedlichkeit? Wird Unterschiedlichkeit als Ressource oder als Bedrohung erlebt? Können unterschiedliche Meinungen und Haltungen nebeneinanderstehen? Welche Verhaltensmuster, Abläufe und Routinen sind in Teams zu beobachten und was wird im Miteinander belebt? Im gemeinsamen Arbeiten an diesen Fragen bildet sich zugleich eine eigene Art von Teamdynamik in den Kleingruppen der Schulleiterinnen und Schulleiter heraus, so dass durch das Selbsterleben die Teamdynamik erforscht, besser verstanden und eventuell verändert werden kann. Sowohl der Effekt konstruktiven Zusammenspiels als auch die Erfahrung von Grenzen der Zusammenarbeitsbereitschaft sind wichtige Eindrücke, die wiederum ausgewertet und mit dem Ursprungssystem (meine Schule) in Verbindung gebracht werden können. Beobachtet wird z. B.: Was befördert/was bremst gemeinsame Prozesse? Welchen Part nehme ich gewöhnlich ein? Für welchen Part habe ich Verständnis, was werte ich ab? Diese Fragen weisen unter anderem hin auf die Bereitschaft, Widerstände als sinnvollen und berechtigten Ausdruck im System anzuerkennen und Unterschiedlichkeiten als Bereicherung zu erkennen.

In Diskussionen und Dialogen über das bei anderen und bei sich selbst Wahrgenommene wächst eine Vorstellung davon heran, dass Teams tatsächlich mehr vermögen als die Summe ihrer Teile.

 

Die Verknüpfung der Disziplinen

Mit der Erkenntnis, dass die hier beschriebenen Disziplinen sich alle gegenseitig durchdringen und ergänzen, gelangt man zu dem systemischen Verständnis, das mit der fünften Disziplin beschrieben wird: “Das Systemdenken braucht die anderen Disziplinen – die gemeinsam entwickelte Vision, die mentalen Modelle, das Team-Lernen und personal mastery –, wenn es sein Potential entfalten soll. Die Entwicklung einer gemeinsamen Vision begünstigt ein langfristiges Engagement. Die Disziplin der mentalen Modelle fördert die Offenheit, die notwendig ist, damit wir die Fehler in unserer derzeitigen Realitätswahrnehmung aufdecken können. Das Teamlernen trägt dazu bei, dass Menschen in Gruppen ein Gespür für das größere Bild entwickeln, das sich hinter den Einzelperspektiven verbirgt. Personal mastery lässt uns immer wieder aufs Neue erforschen, wie unsere Handlungen unsere Welt beeinflussen. Ohne personal mastery sind Menschen in einem reaktiven Denkmuster gefangen (‚Jemand/etwas anderes ist schuld an meinem Problem‘) und empfinden eine systemische Betrachtungsweise als zutiefst bedrohlich.” (A.a.O., S. 22)

Die Arbeit mit Schulleiterinnen und Schulleitern – auch und gerade im Kontext von Schulentwicklungsangeboten in evangelischer Perspektive – ist geprägt durch einen wohlwollenden, nähernden Rahmen, in dem die Betroffenen als Forschungsreisende auf ihre je individuelle Entdeckertour gehen können. Sie forschen und lernen in Richtung ihres eigenen Innenraumes, im Blick auf ihre Persönlichkeit und ihre Selbstkompetenz. Sie forschen und lernen in Richtung der momentan wahrnehmbaren äußeren Umstände in ihrem Arbeitsfeld – im Blick auf Abläufe, Routinen, Rollen, Wahrheiten und Zweifel, Sehnsüchte und Ressourcen.

Sie forschen und lernen in Richtung der Gesetzmäßigkeiten menschlichen Zusammenlebens – im Blick auf das große Feld der Begegnungen zwischen Menschen: ihre Verhaltensweisen, ihre Möglichkeiten sich gegenseitig zu schwächen oder zu stärken, ihre Reaktionsweisen und die dahinterliegenden Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche.

Und sie begeben sich auf Forschungsreisen nach den Qualitäten, von denen sie selbst sich jenseits all der Alltagsthemen getragen und beseelt fühlen. Recht bald tauchen hinter all den äußerlichen Themen grundsätzliche Fragen auf: Wozu bin ich eigentlich hier? Was gibt meinem Leben (schon jetzt!) Sinn? Was möchte ich in der Welt hinterlassen? Was trägt, wenn die machbaren Dimensionen ausgereizt sind und Dimensionen von Bewertung oder Beurteilung ihren Einfluss verlieren? Wer bin ich jenseits von dem, was ich tue? Auf wen oder was hin erkenne und deute ich mich, mein Arbeiten und Leben? Wie bleibe ich mir treu und wie kann ich mich selbst gut unterstützen? Was sind meine Quellen und Zufluchtpunkte um aufzutanken, Stärkung zu finden, loszulassen?

Schulentwicklung so verstanden kann ein Beitrag sein, ausgehend von der wichtigen Personengruppe der Schulleiterinnen und Schulleiter in die Tiefen der Gesellschaft hinein zu wirken. Hier finden Lernprozesse statt, die in jeder Dimension von Bildung zentral sind. Im Sinne der Glaubwürdigkeit müssen die hier beschriebenen Lern- und Entwicklungsprozesse auf allen Ebenen des Bildungssystems stattfinden, am besten auch auf der übergeordneten Ebene der Schulaufsicht. Nur dann kann das Schulsystem als Ganzes von den für unsere Zeit notwendigen Veränderungen erreicht und durch sie bereichert werden.

 

Literatur

  • Fromm, Barbara/Fromm, Michael (2006): Führen aus der Mitte, Zwickau.
  • Senge, Peter M. (1998): Die fünfte Disziplin, Stuttgart.
  • Senge, Peter M./Kleiner, Art/Smith, Byan/Roberts, Charlotte/Ross, Richard (1999): Das Fieldbook zur Fünften Disziplin, Stuttgart.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2010

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