Zentrum und Peripherie - Das gymnasiale Kerncurriculum Ev. Religion 5-10

von Bärbel Husmann

 

Dies vorweg, um Missverständnisse zu vermeiden: Ein Kerncurriculum beschreibt einen “Kern” oder das Zentrum, nicht mehr und nicht weniger. Diese Einsicht ist banal und liegt sprachlich nahe, dennoch ergeben sich zahlreiche Missverständnisse in Bezug auf die Funktion der neuen Kerncurricula aus dem Bemühen, viel geliebte Frontstellungen beibehalten zu können statt mit kühlem Verstand zu lesen, wahrzunehmen, zu vergleichen, zu verstehen, sich anregen zu lassen, weiter zu lesen, sich etwas zu fragen, mit anderen zu sprechen.

Der vorliegende Artikel versteht sich also als kleine Lesehilfe. Ich will das neue Kerncurriculum Ev. Religion kritisch sichten, Altes und Neues benennen, aber ich tue dies in durchaus werbender Absicht.1



Neues und Altes

Das neue Kerncurriculum weist verbindliche Kompetenzen aus und gibt “beispielhafte Inhalte” an, an denen diese Kompetenzen erworben werden können. Die alten Rahmenrichtlinien von 2003 enthielten verbindliche “Thematische Aspekte” in drei “Lerndimensionen” und gaben “mögliche Inhalte und Methoden” an. Schon 2003, demselben Jahr, in welchem die Klieme-Expertise erschien, war von Kompetenzen die Rede – allerdings lag noch kein Bezug auf den von Klieme aufgegriffenen Weinert’schen Kompetenzbegriff von 20012 vor und auch noch kein ausgewiesenes Kompetenzmodell. Die Rahmenrichtlinienkommission muss dennoch eine Ahnung davon gehabt haben, dass Kompetenzen für die schulische Bildung nach Klieme nur in spezifischen, fachlichen Bereichen und eben nicht (wie bei der Quadriga Sach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz) überfachlich und allgemein beschrieben werden sollten. So sind in den alten Rahmenrichtlinien die theologische, die lebensgeschichtliche, die ethische und die (inter-)kulturelle Kompetenz den vier Lernfeldern zugeordnet worden: Welt- und Selbstdeutung in christlich-theologischer Perspektive, Der Mensch als Ebenbild Gottes, Christliche Kriterien ethischen Handelns und Dialog mit Religionen und Weltanschauungen. Neben diesem ersten Versuch, Kompetenzen an Inhaltsbereiche zu koppeln, gab es – im Rahmen der verbindlichen Vorgaben verortet – so genannte didaktische Dimensionen, die “sowohl methodisch als auch didaktisch” (S. 13) verstanden werden sollten, d. h. die didaktischen Dimensionen sollten nicht auf rein methodische Schritte reduziert werden und etwa im Bereich des Umgangs mit Bildern im Religionsunterricht zum (natürlich methodisch durchaus korrekten) Dreischritt anleiten: wahrnehmen und beschreiben, verstehen und deuten, gestalten und handeln.

Wenn die “didaktischen Dimensionen” mehr als ein methodischer Dreischritt sein sollte, was dann? Nimmt man die Definition von Werner Jank und Hilbert Meyer (Didaktische Modelle 1991) ernst, nach der Didaktik den Fragen nachgeht, wer, was, wo, wozu und wie lehrt und lernt, so ist klar, dass es bei den didaktischen Dimensionen in den alten Rahmenrichtlinien auch um das Was, das Wo und das Wozu geht; zum Beispiel in der Dimension Wahrnehmen und Beschreiben: Die Schülerinnen und Schüler sollten Religion und quasi-religiöse Phänomene (was) auch außerhalb kirchlich verfasster und gelebter Religiosität (wo) wahrnehmen und beschreiben können, um darüber kommunizieren zu können, um ästhetische Kriterien zu gewinnen, um begründete Urteile fällen zu können (wozu). Um ein anderes Beispiel zu nehmen: Die Schülerinnen und Schüler sollten in der Dimension Gestalten und Handeln auch Kenntnisse über Gestaltwerdungen kirchlich gebundener Religiosität in Form von liturgischen Elementen oder Kirchenbau (was) erwerben, um religiös sprachfähig und partizipationsfähig zu sein (wozu). Wohlgemerkt: Die Fähigkeit allein ist etwas anderes als das Tun an sich! Für Verfechter von Formlosigkeit und für Kritikerinnen von institutionalisierter Religion (ja, von Institutionen überhaupt) war vor allem diese letzte Dimension religiösen Lernens ein Stein des Anstoßes.

Betrachtet man das neue Kerncurriculum vor diesem Hintergrund, so ist es so neu nicht. Vieles, auch die Kompetenzorientierung, war bereits angelegt. Sehr interessant ist vor diesem Hintergrund, dass auch die Kommission, die die 2004 erschienenen kompetenzorientierten Lehrpläne in Baden-Württemberg schreiben mussten, kein fachdidaktisches Kompetenzmodell zu Grunde legen bzw. entwerfen konnten: Sie hatten von ihrer Ministerin die Vorgabe, sich an jener oben bereits genannten Quadriga von Sach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz zu orientieren – und haben das Problem der mangelnden Fachspezifität dann so gelöst, dass sie zu diesen vier unspezifischen Kompetenzen vier fachspezifische hinzuaddiert (hermeneutische, kommunikative, ästhetische und ethische Kompetenz) sowie diese acht dann mit einer religiösen Kompetenz “getoppt” haben. Sich auf ein im Sinne Kliemes geeignetes fachspezifisches Kompetenzmodell zu beziehen, hatten Anfang 2000 weder die süddeutschen noch die niedersächsischen Kommissionsmitglieder eine Chance.

Dies war erst möglich im Rahmen der KMK-Kommission, die die bundesweit geltenden Einheitlichen Prüfungsanforderungen (erschienen 2006) erarbeitet hat. Hier soll nicht der Prozess der Entstehung dieses Kompetenzmodells wiederholt werden,3 aber es soll doch darauf verwiesen werden, dass die dort formulierten fünf Kompetenzbereiche von Vornherein fachspezifische Kompetenzen im Blick haben. Sie sind – in den EPA und im neuen Kerncurriculum – weitgehend identisch formuliert:

  1. Wahrnehmungs- und Darstellungskompetenz – religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben (EPA: -fähigkeit statt -kompetenz)
  2. Deutungskompetenz – religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten (EPA: siehe 1.)
  3. Urteilskompetenz – in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen (EPA: siehe 1.)
  4. Dialogkompetenz – am religiösen und ethischen Dialog argumentierend teilnehmen (EPA: Dialogfähigkeit – am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen)
  5. Gestaltungskompetenz – religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen verwenden (EPA: siehe 1.)



Unschwer ist zu erkennen, dass hier Formulierungen der früheren didaktischen Dimensionen eingeflossen sind. Und jetzt kann es keinen Zweifel mehr geben, dass es bei den angestrebten Kompetenzen um Fähigkeiten und Fertigkeiten geht.

Wer EPA und Kerncurriculum miteinander vergleicht, wird feststellen, dass diese fünf Kompetenzbereiche (samt ihrer Konkretionen) nunmehr “prozessbezogene” Kompetenzen heißen und dass sie von “inhaltsbezogenen” Kompetenzen abgegrenzt werden. Der Grund dafür sind wiederum (wie seinerzeit in Baden-Württemberg) ministerielle Vorgaben: In den allgemeinen Informationen zu den niedersächsischen Kerncurricula, die in jedem Fach identisch sind, heißt es zum Unterschied zwischen den beiden Kompetenzbereichen: “Die prozessbezogenen Kompetenzbereiche beziehen sich auf Verfahren, die von Schülerinnen und Schülern verstanden und beherrscht werden sollen, um Wissen anwenden zu können. Sie umfassen diejenigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die einerseits die Grundlage, andererseits das Ziel für die Erarbeitung und Bearbeitung der inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche sind … Die inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche sind fachbezogen; es wird bestimmt, über welches Wissen die Schülerinnen und Schüler im jeweiligen Inhaltsbereich verfügen sollen.” (S. 6) Man hat den Eindruck, dass durch die ministerielle Vorgabe, zwei Arten von Kompetenzen auszuweisen,4 eher neuralgische Punkte geschaffen wurden als dass man den Kommissionen ermöglicht hätte, von ihren eigenen Fachdidaktiken her ein entsprechendes Kompetenzmodell zu Grunde zu legen. Hier liegt die Crux von Vorgaben auf allen Ebenen: Auf wie viel fachdidaktischen Sachverstand können die Kommissionen (und diejenigen, die die Vorgaben machen) zurückgreifen? Wie weit ist die jeweilige fachdidaktische Forschung überhaupt? Und: Wie viel Steuerung ist um der Vergleichbarkeit willen nötig? Die Kommission hat das Beste aus der Situation gemacht: Sie hat keine neuen Kompetenzbereiche formuliert, sondern das Kerncurriculum im Prinzip anschlussfähig gehalten einerseits an das bereits vorliegende Kerncurriculum Grundschule sowie andererseits an die alten Rahmenrichtlinien und die EPA. Sie hat versucht, die Konkretionen der prozessbezogenen Kompetenzen so zu formulieren, dass sie in der Tat “Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten”, also “Können”, benennen, das man benötigt, um “Wissen” (der zentrale Begriff der inhaltsbezogenen Kompetenzen) zu erwerben und anzuwenden. Streng genommen hätten sie der Logik der ministeriellen Vorgaben auch darin folgen müssen, in den inhaltsbezogenen Kompetenzen dann auch tatsächlich nur “Wissen” auszuweisen. Sie haben – glücklicherweise muss man sagen – in Kauf genommen, dass bei den inhaltsbezogenen Kompetenzen nun nicht nur lupenreines “Wissen” steht (“Die Schülerinnen und Schüler kennen …”).

Sie haben damit auch eine kleine Spannung zu den allgemeinen Erklärungen (S. 6) erzeugt. Aber die Entscheidung, die inhaltsbezogenen Kompetenzen mit Verben wie erläutern, belegen, entwerfen, bringen gestalterisch zum Ausdruck, zeigen an Beispielen, präsentieren, setzen sich auseinander, stellen dar usw. zu versehen, ist in Bezug auf den Weinert/ Klieme-Kompetenzbegriff “goldrichtig”, weil diese Verben deutlich machen, dass abgekoppeltes, “träges” Wissen (auch wenn im Vorspann mehrfach steht, dass beide Arten von Kompetenzen aufeinander bezogen werden sollen) einen Rückfall in das alte Denken in Inhalten bedeutet hätte. Das Wissen der Schülerinnen und Schüler ist operationalisiert und beschreibt die Ziele des Unterrichts als Lernaktivitäten. Gut ist, dass die laut EPA zu verwendenden Operatoren bei den Aufgabenstellungen im Abitur bereits im Kerncurriculum 5-10 mit abgedruckt sind. Denn mit dem Zentralabitur geht, so jedenfalls meine Beobachtung, immer mehr das selbstverständliche Umgehen mit den EPA verloren. Für die Schülerinnen und Schüler ist es aber notwendig, dass bereits in den Jahrgängen 5 bis 10 eingeübt wird, was Operatoren wie zum Beispiel erklären bedeuten.



Widerstände und Verbindlichkeiten

Bringt das neue Kerncurriculum den Religionsunterricht voran? Das wird zumindest von manchen gestandenen Lehrkräften, die “schon immer” guten Unterricht gemacht haben und auch “diesen neuen Lehrplan überleben werden”, bezweifelt. Es ist nun aber leider so und empirisch gut belegt,5 dass wir uns etwas vormachen, wenn wir ausgerechnet den Religionsunterricht ausnehmen wollen von den Ergebnissen internationaler Schulleistungsstudien, die in allen Fächern von Bedeutung sind.

Stellen wir uns also der Herausforderung und sehen auf das Ende, in der Begrifflichkeit des Kerncurriculums gesprochen: auf die “verbindlichen Kompetenzen”, die zu fördern sind. Die inhaltsbezogenen “müssen jeweils am Ende eines Doppeljahrgangs erworben sein” (S. 11). Die prozessbezogenen sind für den langfristigen Kompetenzerwerb gedacht, ihre Förderung muss in einem schuleigenen Curriculum mit den inhaltsbezogenen verknüpft, d.h. schwerpunktmäßig zugeordnet werden; die mit ihnen verbundene Langfristigkeit bedeutet übrigens auch, dass sie nicht über kurze Zeiträume evaluierbar sind, also auch nicht bei Klassenarbeiten.

Verbindlich sind außerdem so genannte, zu jedem Kompetenzbereich ausgewiesene “Grundbegriffe”. Das Erlernen und die aktive Verwendung von Fachsprache müssen also nicht nur im Blick sein, sondern systematisch aufgebaut werden. Nicht explizit verbindlich sind die “biblischen Basistexte”. Der Begriff “Basistext” drückt dabei gleichwohl und gewollt einen hohen Stellenwert aus. Die Anzahl dieser Basistexte ist von Fassung zu Fassung immer weiter gesunken und nach der Anhörung noch einmal reduziert worden – wohl auch, um die Akzeptanz für einen solchen Kernbestand an Bibeltexten zu erhöhen.

Die verbindlichen inhaltsbezogenen Kompetenzen sind in sechs Bereichen formuliert, die im Sinne eines Spiralcurriculums für die drei Doppeljahrgänge 5/6, 7/8 und 9/10 jeweils mit vier bis sechs Kompetenzen entfaltet werden. Für jeden Doppeljahrgang sind folglich etwa 30 Kompetenzen benannt, für jeden Jahrgang wären das 15. Anders ausgedrückt: Auf 40 Schulwochen gerechnet ergeben sich pro Schuljahr mit vollständig erteiltem Religionsunterricht 80 Religionsstunden. Für diese 80 Stunden schreibt das neue Kerncurriculum 15 verbindlich zu erwerbende inhaltsbezogene Kompetenzen vor. Das Rechenbeispiel zeigt, dass das Kerncurriculum tatsächlich einen Kern enthält und dass die gebetsmühlenartig ins Feld geführte Rede, man könne sich ja nun gar nicht mehr nach den Interessen der Schüler richten, jeder Grundlage entbehrt. Inhaltlich orientieren sich die Bereiche sinnvollerweise an den Bereichen, die die EPA ausgewiesen haben, allerdings mit einer Ausnahme: “Die christliche Zukunftshoffnung”, ohnehin kein Thema, das Protestanten genuin umtreibt, ist ersetzt durch den Kompetenzbereich “Religionen”.

Auch aus fachlicher Sicht ist diese Schwerpunktsetzung ausgesprochen sinnvoll:
Dialogfähigkeit setzt voraus, dass man seinen eigenen Standpunkt kennt, aber dabei darf man natürlich nicht stehen bleiben. Judentum, Islam und Buddhismus sind darüber hinaus Bereiche, die Lehrkräfte, die ihre Bezugswissenschaft Evangelische Theologie gut studiert haben, kaum ohne erweiterte Kenntnisse in Religionswissenschaft so unterrichten können, dass sie über religionskundliche Standards hinaus kommen. In der Sekundarstufe I sind solche religionskundlichen Anteile im Ev. Religionsunterricht hervorragend aufgehoben, und es ist eine richtige Entscheidung, dass die drei Religionen zum Kern des Evangelischen Religionsunterrichts gezählt werden.



Sola scriptura, Ökumene und Kompetenzen

Die neuen Kerncurricula, ebenso wie die alten Rahmenrichtlinien, sind in enger Kooperation mit denen für Katholische Religion entstanden. Sie weisen sogar explizit als Aufgabe der Fachkonferenz aus, die Möglichkeiten konfessioneller Kooperation gemäß der jeweils gültigen Erlasslage zu prüfen. Hiermit wird anerkannt, dass bei allen Differenzen um den Stellenwert von Schrift und Tradition und dabei insbesondere um das Verständnis dessen, was “Kirche” ist, die Gemeinsamkeiten größer sind als die Differenzen. Diese aktive Aufforderung zur kleinen Ökumene wird die Akzeptanz des Religionsunterrichts beider Konfessionen erheblich fördern. Dies gilt umso mehr, als gerade im Zusammenhang mit der Initiative “Pro Reli” in Berlin das Ausmaß fachlicher Uninformiertheit oder intellektueller Unredlichkeit, das einem in so genannten kritischen Zeitungsartikeln vor Augen geführt wird, erschreckend ist.

Was ist nun aber mit dem spezifisch Protestantischen der Bibel? Das Kerncurriculum enthält keinen eigenen Kompetenzbereich “Bibel”, ist die Bibel etwa kein Kern? Die Frage kann so nur stellen, wer Kompetenzbereiche oder Leitthemen mit den Themen von Unterrichtseinheiten verwechselt. Jeder Kollege, jede Kollegin kann und muss (in alter Sprache gesprochen:) “Bibel unterrichten”. Ein Blick in die Kompetenzformulierungen belegt dies:

  • Grundformen … biblischer Sprache … kennen und deuten (Deutungskompetenz);
  • Formen … biblischer Sprache … gestalterisch Ausdruck verleihen (Gestaltungskompetenz);
  • deuten biblische … Zeugnisse als Zeichen der Hoffnung (Mensch 5/6);
  • erläutern einzelne Beispiele für den Zuspruch und Anspruch Gottes im AT und NT
  • (Mensch 7/8);
  • deuten die biblischen Erzählungen der Urgeschichte als… (Mensch 9/10);
  • benennen biblische Bildworte für Gott (Gott 5/6);
  • setzen sich mit biblischen … Beispielen von Menschen auseinander, die ein Leben im
  • Vertrauen auf Gott führten (Gott 5/6);
  • erzählen und deuten zwei Gleichnisse vom Kommen des Reiches Gottes
  •  (Jesus Christus 5/6);
  • stellen biblische … Beispiele für die Nachfolge Jesu dar… (Jesus Christus 7/8).


All diese Beispiele, die noch erheblich erweiterbar wären, zeigen, dass die Bibel sehr wohl eine zentrale Rolle spielt. Keine der o. g. Kompetenzen lässt sich fördern ohne eine Auseinandersetzung mit der Bibel. Was aber in der Tat nicht im Sinne eines kompetenzorientierten Unterrichts ist, ist ein “Bibel-Unterrichten”, bei dem “einfach so” der Aufbau der Bibel besprochen wird, bei dem “einfach so” erklärt wird, wie biblische Geschichten zu verstehen sind und wie nicht, bei dem “einfach so” der Inhalt der wichtigsten biblischen Bücher gelernt wird. Das Lernen soll kontextbezogen sein, soll durch situativ eingebettete Lernaufgaben voran gebracht werden. Man mag einwenden, dass die Konstruktion von Anforderungssituationen künstlich ist, dass wir in der Schule sowieso nicht das wirkliche Leben abbilden können, dass es gar nicht für alles – auch nicht für all das, was im Kerncurriculum steht – konstruierbare Anforderungssituationen gibt. Das stimmt. Aber wenn man von curricularen Vorgaben verlangt, dass sie nicht nur abbilden, was ist, sondern auch innovatives Potenzial enthalten, d.h. richtungweisend sind für das, was noch nicht ist, dann wird man schwerlich zufrieden sein können mit einem Kerncurriculum, das sich den Herausforderungen der derzeitigen Debatten in der Fachdidaktik nicht stellt und nur einen vorhandenen Stand feststellt.



To do

“Die Fachkonferenz erarbeitet Themen bzw. Unterrichtssequenzen, die den Erwerb der erwarteten Kompetenzen ermöglichen und beachtet ggf. vorhandene regionale Bezüge …” (S. 36) Die Aufgaben sind klar formuliert, sie sind zahlreich und entsprechen dem Bild, das man von einer Fachkonferenz haben kann, die den Namen professionelle Lerngemeinschaft verdient. Wenn man sie liest, so geht es jedenfalls mir, denkt man: Ja, so müsste es eigentlich sein. Und ist motiviert. Wer sie liest und denkt “Nein, auch das noch!”, der bekommt im Anhang “Anregungen für die Entwicklung eines schuleigenen Fachcurriculums”. Sie bieten Beispiele und zeigen, wie sich mit und im Rahmen der Vorgaben Religionsunterricht gestalten lässt. Für die Erkundung der Peripherie außerhalb des Kerns ist unterrichtlich immer noch genügend Zeit.

 

Anmerkungen

  1. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf: Niedersächsisches Kultusministerium. Anhörfassung Februar 2009. Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5-10. Evangelische Religion. Sie ist im Internet zu finden unter: www.nibis.de/~sts-sz/religion/Kerncurriculum.pdf
  2. Kompetenzen sind “die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Sitationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.” (Eckard Klieme et al.: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise, hg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn 2003, S. 72).
  3. Nachzulesen bei Husmann / Tammeus a.a.O. (Anm. 1).
  4. Diese zwei sind nicht einmal trennscharf. Denn: Wenn die prozessbezogenen Kompetenzen (auch) “Kenntnisse” “umfassen”, die inhaltsbezogenen dagegen “bestimmen”, über welches “Wissen” die Schülerinnen verfügen sollen – was ist der Unterschied zwischen Kenntnissen und Wissen? Oder: “Die inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche sind fachbezogen” – sind es denn die prozessbezogenen nicht? Weshalb ist dann als Beispiel für prozessbezogene Kompetenzen fachspezifische Methoden genannt? Oder: Meinen die ministeriellen Vorgaben mit prozessbezogenen Kompetenzen vielleicht einfach Methoden und mit inhaltsbezogen Inhalte? – Dann hätten sie die grundsätzliche Neuorientierung selbst nicht verstanden.
  5. Nicht zuletzt in meiner eigenen empirischen Arbeit musste ich erkennen, wie wenige Früchte der schulische Religionsunterricht bringt. Das stand durchaus in eklatantem Widerspruch zu meinem Gefühl “guten” Religionsunterrichts. Dies zeigt einmal mehr, wie wenig “gefühlte” Selbsteinschätzung und tatsächliche Wirksamkeit miteinander zu tun haben. Vgl. Bärbel Husmann: Das Eigene finden. Eine qualitative Studie zur Religiosität Jugendlicher. Arbeiten zur Religionspädagogik Bd. 36, Göttingen 2008, S. 208-210.

 

Literatur

  • Obst, Gabriele: Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2008.
  • Husmann, Bärbel / Tammeus, Rudolf: Einheitliche Prüfungsanforderungen für das Abitur in Ev. Religionslehre. Zum Sinn und Zweck kompetenzorientierter bundeseinheitlicher Standards, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 60 (4/2008), S. 350-363.
  • Lenhard, Hartmut: Kompetenzorientierung – Neuer Wein in alten Schläuchen? In: Loccumer Pelikan 3/2007, S. 103-111.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2009

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Dr. Bärbel Husmann ist stellvertretende Schulleiterin im Gymnasium Meckelfeld und Lehrbeauftragte fan der Universität Lüneburg.